Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.678/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_678/2015        
{T 0/2}

Urteil vom 9. Juni 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Hofer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Barbara Lind,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 12. August 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1976 geborene A.________ war nach Abschluss der Lehre als Elektromonteur
während zwölf Wochen in diesem Beruf tätig. Vom 28. April 1997 bis zum
Motorradunfall mit Polytrauma vom 6. August 1998 arbeitete er bei der
B.________ AG als Schreiner und Möbel-Transporteur. Unter Hinweis auf diesen
Unfall meldete er sich am 18. Juni 2002 bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 28. Oktober 2003 erteilte die IV-Stelle
des Kantons Aargau Kostengutsprache für die Umschulung zum technischen
Kaufmann. Ende Januar 2005 beendete A.________ den ersten Teil der Ausbildung
mit dem Handelsdiplom VHS. Die kaufmännische Zusatzausbildung konnte er nicht
erfolgreich abschliessen. Abgesehen von sporadischen Einsätzen als
Taxichauffeur und einem Arbeitstraining als kaufmännischer Angestellter im
Jahre 2010 war der Versicherte nicht mehr erwerbstätig.
Die IV-Stelle zog die Akten der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) bei, welchen die Begutachtung des Dr. med. C.________, Facharzt FMH für
Neurologie, vom 28. Februar 2012 mit Einbezug von neuropsychologischen und
orthopädischen Teilgutachten beilag. Nach Rücksprache mit der IV-Stelle gab die
SUVA zudem bei Dr. med. D.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und
Psychotherapie, das Gutachten vom 17. September 2012 in Auftrag. Mit
Vorbescheid vom 14. Juni 2013 stellte die IV-Stelle A.________ für die Zeit vom
1. Juli 2001 bis 30. September 2003 eine halbe Rente und vom 1. April 2005 bis
30. Juni 2010 sowie ab 1. September 2010 eine Viertelsrente in Aussicht. Am 8.
April 2014 verfügte sie in diesem Sinne.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde des A.________ wies das Versicherungsgericht
des Kantons Aargau mit Entscheid vom 12. August 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm ab 1. Juli
2001 eine Dreiviertelsrente zuzusprechen.
Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht
durchgeführt.

Erwägungen:

1. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Das kantonale Gericht hat im angefochtenen Entscheid die Bestimmungen und
Grundsätze zu den Begriffen Invalidität und Erwerbsunfähigkeit, zum nach dem
Invaliditätsgrad abgestuften Anspruch auf eine Invalidenrente (mit den
vorausgesetzten Mindestinvaliditätsgraden von 40 % für eine Viertelsrente, 50 %
für eine halbe Rente, 60 % für eine Dreiviertelsrente und 70 % für eine ganze
Rente) und zur Bestimmung des Invaliditätsgrades mittels Einkommensvergleichs
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3. 
Das kantonale Gericht hat erwogen, der Beschwerdeführer sei gemäss den
medizinischen Unterlagen nach einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit aufgrund
des Unfallereignisses vom 6. August 1998 seit dem 1. Februar 2001 für leichte
Hilfstätigkeiten zu 50 % arbeitsfähig. Dies sei unbestritten auch der
frühestmögliche Rentenbeginn. Zum Valideneinkommen führte die Vorinstanz aus,
in den Akten fänden sich keine Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführer
beabsichtigt hätte, in seinen erlernten Beruf als Elektromonteur zurückzukehren
(keine Bewerbungsschreiben für eine Stelle in diesem Bereich, keine
entsprechende Anmeldung bei der Arbeitslosenversicherung). Es sei vielmehr
davon auszugehen, dass dieser weiterhin für die B.________ AG tätig gewesen
wäre und dabei einen Lohn von jährlich Fr. 53'040.- erzielt hätte. Beim
Invalideneinkommen hat die Verwaltung für die Zeit ab 1. Februar 2001 die
Tabelle TA1, Total Männer, Anforderungsniveau 4 (einfache und repetitive
Tätigkeiten), der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen
Lohnstrukturerhebung (LSE) 2000 herangezogen. Bei einer Restarbeitsfähigkeit
von 50 % ergab sich - unter Berücksichtigung der betriebsüblichen
Wochenarbeitszeit, indexiert auf das Jahr 2001, abzüglich 10 % vom Tabellenlohn
- ein hypothetisches Invalideneinkommen von Fr. 25'588.- und damit ein
Invaliditätsgrad von 52 %. Da der Beschwerdeführer trotz der im medizinischen
Zumutbarkeitsprofil umschriebenen Einschränkungen im Jahre 2005 das
Handelsdiplom VSH erlangen konnte, stellte die Verwaltung bei der Ermittlung
des Invalideneinkommens für die Folgezeit auf Tabelle TA1, Sektor 3
Dienstleistungen, Anforderungsniveau 3 (Berufs- und Fachkenntnisse
vorausgesetzt), Männer, der LSE 2004 ab. Laut angefochtenem Entscheid hat der
Versicherte aufgrund seiner Tätigkeit als Taxifahrer zudem bewiesen, dass er
nicht nur Tätigkeiten im geschützten Rahmen verrichten kann. Sie bestätigte
daher die lohnmässige Einordnung ins Anforderungsniveau 3 der Tabelle TA1. Bei
einer Restarbeitsfähigkeit von 50 % ergab dies - unter Berücksichtigung der
betriebsüblichen Wochenarbeitszeit sowie aufindexiert pro 2005, abzüglich 10 %
- ein Invalideneinkommen von Fr. 29'887.- und damit einen Invaliditätsgrad von
44 %.

4.

4.1. Der Beschwerdeführer rügt die Feststellung der Vorinstanz, wonach er auch
als Gesunder weiterhin für die B.________ AG tätig gewesen wäre, als
willkürlich. Dabei habe es sich lediglich um eine Zwischenlösung nach der
Arbeitslosigkeit im Anschluss an die Rekrutenschule gehandelt. Da er sich
damals nicht bei der Arbeitslosenversicherung gemeldet habe, stünden die
Bewerbungsunterlagen aus jener Zeit zwar nicht mehr zur Verfügung. Aufgrund
seiner Ausbildung als Elektromonteur und der damit verbundenen besseren
Verdienstmöglichkeiten widerspreche die Annahme eines freiwilligen Verzichts
auf ein höheres Einkommen für den Rest der Berufskarriere jedoch der
allgemeinen Lebenserfahrung.

4.2. Um das von der versicherten Person ohne Gesundheitsschaden hypothetisch
erzielbare Valideneinkommen zu bestimmen, ist entscheidend, was diese im
Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbeginns überwiegend wahrscheinlich als
Gesunde tatsächlich verdienen würde, und nicht, was sie bestenfalls verdienen
könnte. Dabei wird in der Regel am zuletzt erzielten, nötigenfalls der Teuerung
und der realen Einkommensentwicklung angepassten Verdienst angeknüpft, da
erfahrungsgemäss die bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden fortgesetzt
worden wäre. Ausnahmen von diesem Grundsatz müssen mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit erstellt sein (BGE 135 V 297 E. 5.1 S. 300; 134 V 322 E. 4.1
S. 325; 129 V 222 E. 4.3.1 S. 224; vgl. auch BGE 139 V 28 E. 3.3.2 S. 30; 135 V
58 E. 3.1 S. 59).

4.3. Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zur mutmasslichen Berufskarriere
des Beschwerdeführers handelt es sich um eine Beurteilung hypothetischer
Geschehensabläufe, welche eine für das Bundesgericht grundsätzlich verbindliche
(E. 1 hievor) Tatfrage darstellt, soweit sie - wie hier - auf Beweiswürdigung
(nach Abschluss der Lehre nur während einigen Wochen ausgeübte Tätigkeit als
Elektromonteur, Aufnahme einer Tätigkeit als Schreiner/Chauffeur, längere Dauer
dieser Tätigkeit, damit verbundene Erschwerung eines allfälligen
Wiedereinstiegs im erlernten Beruf, vor dem Gesundheitsschaden geplante
Umschulung zum Taxifahrer) beruht, selbst wenn darin auch Schlussfolgerungen
aus der allgemeinen Lebenserfahrung mitberücksichtigt werden (BGE 115 II 440 E.
5b S. 448; Urteil 9C_874/2014 vom 2. September 2015 E. 3.1). Inwiefern die
vorinstanzlichen Annahmen offensichtlich unrichtig sein sollen, legt der
Beschwerdeführer nicht dar und ist auch (anderweitig) nicht ersichtlich.
Insbesondere fehlen konkrete Anhaltspunkte für die von ihm geltend gemachte
Validenkarriere. Damit kann entgegen dem Beschwerdeführer nicht von einem
Einkommen als Elektromonteur ausgegangen werden. Mit Blick auf die konkret
ausgeübte Tätigkeit vor dem Unfall ist es jedenfalls nicht bundesrechtswidrig,
dass Verwaltung und Vorinstanz zur Ermittlung des Valideneinkommens auf den bei
der B.________ AG erzielten Verdienst abgestellt haben.

4.4. Für den Fall, dass das Einkommen bei der B.________ AG als massgebend zu
betrachten sei, macht der Beschwerdeführer geltend, der von der ehemaligen
Arbeitgeberin für die Jahre 2008 und 2012 gemeldete, unveränderte Stundenlohn
von Fr. 26.- sei zu indexieren. In der streitigen Verfügung vom 8. April 2014
zeigte die IV-Stelle auf, dass sich bei einer Anpassung des im Jahre 1998
erzielten Lohnes an den Nominallohnindex ein Valideneinkommen von Fr. 54'952.-
für das Jahr 2001 und von Fr. 57'720.- für das Jahr 2005 ergeben würde. Der
Rentenentscheid werde dadurch jedoch nicht beeinflusst (Invaliditätsgrad 2001:
53 %; 2005: 48 %).

5.

5.1. Was das Invalideneinkommen betrifft, ist der Beschwerdeführer der Ansicht,
dieses sei nicht anhand des Durchschnittslohnes von Anforderungsniveau 3 der
Lohntabelle der LSE zu ermitteln, sondern es sei auf das Einkommen im
Anforderungsniveau 4 abzustellen. Durch die Erlangung des Handelsdiploms habe
sich am ärztlich formulierten Zumutbarkeitsprofil nichts geändert. Trotz
verschiedener Eingliederungsversuche habe er im kaufmännischen Bereich auch
unter idealen Bedingungen (zurückhaltender Vorgesetzter, kaum Leistungs- und
Zeitdruck, mehrmaliges Erklären der vorzunehmenden Arbeitsschritte, Arbeiten
mit Checklisten) nicht Fuss fassen können, da er sich rasch überfordert gefühlt
habe.

5.2. Für die Festsetzung des Invalideneinkommens ist nach der Rechtsprechung
primär von der beruflich-erwerblichen Situation auszugehen, in welcher die
versicherte Person konkret steht. Übt sie nach Eintritt der Invalidität eine
Erwerbstätigkeit aus, bei der - kumulativ - besonders stabile
Arbeitsverhältnisse gegeben sind und anzunehmen ist, dass sie die ihr
verbleibende Arbeitsfähigkeit in zumutbarer Weise voll ausschöpft, und
erscheint zudem das Einkommen aus der Arbeitsleistung als angemessen und nicht
als Soziallohn, gilt grundsätzlich der tatsächlich erzielte Verdienst als
Invalidenlohn. Ist kein solches tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen gegeben,
namentlich, weil die versicherte Person nach Eintritt des Gesundheitsschadens
keine oder jedenfalls keine ihr an sich zumutbare neue Erwerbstätigkeit
aufgenommen hat, so können nach der Rechtsprechung entweder Tabellenlöhne
gemäss den vom Bundesamt für Statistik periodisch herausgegebenen
Lohnstrukturerhebungen (LSE) oder die Zahlen der Dokumentation von
Arbeitsplätzen (DAP) der SUVA herangezogen werden (BGE 139 V 592 E. 2.3 S. 593;
135 V 297 E. 5.2 S. 301; 129 V 472 E. 4.2.1 S. 475).

5.3. Nach den Feststellungen der Vorinstanz schöpft der Beschwerdeführer die
ihm verbleibende Arbeitsfähigkeit von 50 % nicht voll aus. Die Bemessung des
Invalideneinkommens ist daher gestützt auf die Tabellenlöhne der LSE zu
ermitteln. Nicht streitig ist, dass für die Zeit bis zum Abschluss der
Handelsschule auf den Durchschnittslohn im Sektor 3 Dienstleistungen,
Anforderungsniveau 4 abzustellen ist.
Streitig ist hingegen das dem Einkommensvergleich zu Grunde zu legende
Invalideneinkommen für die Zeit ab April 2005. Die Frage nach der bei einem
Einkommensvergleich anzuwendenden Tabelle der LSE stellt eine vom Bundesgericht
frei überprüfbare Rechtsfrage dar (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399). Dasselbe gilt
für die Wahl der massgebenden Stufe (Anforderungsniveau 1/2, 3 oder 4) beim
statistischen Lohnvergleich (SVR 2008 IV Nr. 4 S. 9, I 732/06 E. 4.2.2; Urteil
8C_233/2015 vom 13. Oktober 2015 E. 4.3). Als für das Bundesgericht bereits
verbindlich beurteilter Aspekt erscheint hingegen das für die Wahl einer
bestimmten Tabelle der LSE entscheidende Vorhandensein konkret erforderlicher
Voraussetzungen wie etwa einer spezifischen Ausbildung und weiterer
Qualifikationen. Die Prüfung solcher bedeutsamer Gegebenheiten fällt in den
Bereich der Sachverhaltserhebung und kann vom Bundesgericht - soweit eine auf
einer Rechtsverletzung beruhende Sachverhaltsermittlung ausscheidet -
grundsätzlich nur noch auf offensichtliche Unrichtigkeit hin überprüft werden
(Urteil 9C_841/2013 vom 7. März 2014 E. 4.3). Der darauf basierende Umgang mit
den Zahlen in der massgeblichen LSE-Tabelle beschlägt ebenfalls Tatfragen (BGE
132 V 393 E. 3.3 S. 399).

5.4. Soweit der Beschwerdeführer das Abstellen auf das Anforderungsniveau 3 mit
Hinweis auf die fehlende Belastbarkeit rügt, zweifelt er das Vorhandensein der
für die Wahl dieser Stufe erforderlichen Voraussetzungen an, was eine Tatfrage
beschlägt. Die Berufsabklärung zur Prüfung der fachlichen und schulischen
Voraussetzungen im kaufmännischen Bereich sowie der Konzentrationsfähigkeit in
der Eingliederungsstätte für Behinderte E.________ ergab laut Schlussbericht
vom 17. Oktober 2003, dass der Versicherte nach entsprechender Ausbildung und
praktischer Erfahrung in der Arbeitsausführung die Voraussetzungen für eine
Tätigkeit im kaufmännischen Bereich erfüllt. Dr. phil. F.________ führte in der
neuropsychologischen Beurteilung vom 29. Dezember 2006 aus, der Versicherte
habe im Rahmen der Abklärung der Eingliederungsstätte E.________ und der
einjährigen Handelsschule gezeigt, dass er eine gewisse Lernfähigkeit und auch
Wissen einbringen könne. Die Verhaltensauffälligkeiten (bezüglich
Kritikfähigkeit, Anpassung oder Einhaltung von Strukturen, Selbstüberschätzung,
affektive Schwankungen) würden sich bei Vertrautheit mit dem Arbeitsrahmen
stabilisieren. Eine qualifizierte Tätigkeit im kaufmännischen Bereich, wie sie
die angefangene, wegen Überforderung abgebrochene Umschulung darstelle,
erscheine aus neuropsychologischer Sicht indessen nicht als angepasst.
Einfachere Tätigkeiten ohne fachlichen Qualifikationsnachweis auf mittlerer
Schwierigkeitsstufe seien jedoch ohne wesentliche leistungsmässige oder
zeitliche Einschränkung zumutbar. Nicht nachvollziehbar ist, weshalb der
Neuropsychologe das Handelsdiplom als nicht abgeschlossene Umschulung bewertet.
Dem fehlenden Abschluss des zweiten Teils der ursprünglich beabsichtigten
Ausbildung zum technischen Kaufmann ist im Rahmen des Spektrums der möglichen
erwerblichen Tätigkeiten Rechnung zu tragen. Qualifizierte kaufmännische
Tätigkeiten im Anforderungsniveau 1+2 (Verrichtung selbstständiger und
qualifizierter Arbeiten bzw. höchst anspruchsvoller und schwieriger Arbeiten)
der LSE kommen dabei nicht in Betracht und stehen auch nicht zur Diskussion. Ab
März 2010 absolvierte der Beschwerdeführer bei der G.________ GmbH ein
Arbeitstraining im kaufmännischen Bereich. Gemäss Bericht der Arbeitgeberin vom
27. Juli 2010 umfasste der Aufgabenbereich Zahlungseingangskontrolle,
Mahnwesen, Erscheinungskontrolle von Inseraten, Pachtabrechnungen und Erstellen
von Umsatzlisten. Der Versicherte wurde als sehr intelligent, top motiviert,
pünktlich und zuverlässig beschrieben. Schwer zu verstehen sei daher, dass er
sich einfache Abläufe nicht habe merken können. Dr. phil. F.________ hält dazu
in der Stellungnahme an die Rechtsvertreterin des Versicherten vom 25. November
2010 fest, gewisse Leistungsminderungen bei einer Tätigkeit im Bürobereich
seien zu erwarten gewesen, jedoch nicht in dem von der Arbeitgeberin
beschriebenen Ausmass. Wahrscheinlich sei der Versicherte nach dem relativ
guten Bericht der Eingliederungsstätte E.________ in der Leistungsfähigkeit und
seinen Möglichkeiten, die erhaltenen Funktionen effizient umzusetzen,
überschätzt worden. Beim langjährigen Fehlen einer regelmässigen
Arbeitstätigkeit und Tagesstruktur könne auch eine gewisse Dekonditionierung
stattgefunden haben. Andererseits könne der Versicherte als Taxifahrer während
eines Tages offenbar eine unauffällige Leistung erbringen. Der Neuropsychologe
schloss daher nicht aus, dass durch weiteres Einüben im Bürobereich eine
Leistungssteigerung erreicht werden könne.
Gemäss dem von Dr. med. D.________ im psychiatrischen Gutachten vom 17.
September 2012 umschriebenen Anforderungs- und Belastungsprofil sind dem
Beschwerdeführer Tätigkeiten mit reduzierter Anforderung an Konzentration,
Daueraufmerksamkeit und Gedächtnis, reduzierten Anforderungen mit von ihm nicht
zu kontrollierenden Kundenkontakten, reduzierten Anforderungen an Zeit- und
Leistungsdruck sowie Teamarbeit, mit einem niedrigen Mass an vorgegebenen
Strukturen und mit wohlwollenden Vorgesetzten mit einer Arbeitsleistung von 50
% zumutbar.

5.5. Die Annahme des kantonalen Gerichts, wonach der Beschwerdeführer mit dem
Abschluss einer Lehre als Elektromonteur, der Ausbildung zum Taxichauffeur und
der Erlangung des Handelsdiploms über Fachkenntnisse und Kompetenzen verfügt,
die sich im Dienstleistungssektor lohnsteigernd verwerten lassen, kann nicht
als qualifiziert unrichtig gelten. Mit Blick auf das medizinische
Zumutbarkeitsprofil hat es mit dem Abstellen auf die Löhne des Sektors 3
Dienstleistungen, Anforderungsniveau 3, Männer, der LSE von seinem
Beurteilungsspielraum der zumutbarerweise noch in Betracht fallenden
Tätigkeiten und der entsprechenden Wahl des massgebenden Ausgangslohnes keinen
rechtsfehlerhaften Gebrauch gemacht. Es wird damit auch dem Umstand Rechnung
getragen, dass der Versicherte den zur Qualifikation als technischer Kaufmann
führenden Ausbildungsbereich nicht erfolgreich abschliessen konnte. Der von
Verwaltung und Vorinstanz für den Einkommensvergleich herangezogene
Tabellenlohn von Fr. 5'496.- hält sich überdies im Rahmen des
Durchschnittseinkommens für Sekretariats- und Kanzleiarbeiten gemäss der diesen
Tätigkeitsbereich separat aufführenden Tabelle TA7 (Monatlicher Bruttolohn im
privaten und öffentlichen Sektor), Anforderungsniveau 4, Männer, LSE 2004, von
Fr. 5'349.- und dem Durchschnittslohn für andere kaufmännisch administrative
Tätigkeiten, Anforderungsniveau 4, Männer, derselben Tabelle von Fr. 5'200.-.
Für qualifizierte Tätigkeiten im Anforderungsniveau 3 des Bereichs andere
kaufmännisch administrative Tätigkeiten würde der Durchschnittslohn für Männer
demgegenüber mit Fr. 6'245.- um einiges höher liegen. Das psychisch/
neuropsychologische Defizit, welches die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers
im Wesentlichen einschränkt, wird zudem mit der ärztlich attestierten 50%igen
Leistungsfähigkeit berücksichtigt.

5.6. Weiter rügt der Beschwerdeführer, der auf 10 % festgesetzte Abzug vom
Tabellenlohn sei rechtsfehlerhaft, weil nur die Teilzeitarbeit, nicht aber die
erwerbliche Einschränkung auf einfachste Tätigkeiten berücksichtigt worden sei.
Da er für Tätigkeiten im Bürobereich keine praktische Erfahrung vorweisen
könne, keinem Leistungs- und Zeitdruck ausgesetzt werden dürfe und zudem auf
einen wohlwollenden Vorgesetzen mit wenig vorgegebenen Strukturen angewiesen
sei, müsse der Abzug auf 25 % erhöht werden.
Mit dem Abzug vom Tabellenlohn nach BGE 126 V 75 soll der Tatsache Rechnung
getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale, wie Art und Ausmass
der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität oder
Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben
können und je nach Ausprägung die versicherte Person deswegen die verbliebene
Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit
unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 135 V 297 E.
5.2 S. 301). Der Abzug ist unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach
pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen. Er darf 25 % nicht übersteigen
(BGE 126 V 75 E. 5b/bb-cc S. 80). Die Frage nach der Höhe des Abzuges ist eine
typische Ermessensfrage, deren Beantwortung letztinstanzlicher Korrektur nur
mehr dort zugänglich ist, wo das Gericht das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt
hat, also Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung vorliegt (
BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72 f. mit Hinweis auf BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399; SVR
2015 IV Nr. 22 S. 65, 8C_693/2014 E. 2.2).
Gegenstand des Abzugs bildet somit die Frage, ob mit Bezug auf eine konkret in
Betracht fallende Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage verglichen mit
einem gesunden Mitarbeiter nur bei Inkaufnahme einer Lohneinbusse reale Chancen
für eine Anstellung bestehen. Ist von einem genügend breiten Spektrum an
zumutbaren Verweisungstätigkeiten auszugehen, können unter dem Titel
leidensbedingter Abzug grundsätzlich nur Umstände berücksichtigt werden, die
auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt als ausserordentlich zu bezeichnen
sind. Dementsprechend kann nach der Gerichtspraxis eine psychisch bedingt
verstärkte Rücksichtnahme seitens der Vorgesetzten nicht als eigenständiger
Abzugsgrund anerkannt werden. Bei Anerkennung der kognitiven und psychischen
Einschränkungen als abzugsrelevant bestünde zudem die Gefahr der doppelten
Berücksichtigung, sind doch diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen bereits
beim Anforderungs- und Belastungsprofil sowie bei der Leistungsfähigkeit als
limitierende Faktoren berücksichtigt worden (vgl. dazu Urteil 9C_366/2015 vom
22. September 2015 E. 4.3.1 mit Hinweisen). Das Anfangseinkommen im Rahmen
einer neuen Arbeitsstelle bestimmt sich sodann in der Regel nicht isoliert nach
der Anzahl Dienstjahre, sondern u.a. auch aufgrund der mitgebrachten Berufs-
bzw. Branchenerfahrung. Ein wegen fehlender Berufserfahrung unter dem
Durchschnittswert liegendes Bruttoeinkommen ist nicht ohne Weiteres bei der
Höhe des Abzuges vom Tabellenlohn zu berücksichtigen. Vielmehr ist in solchen
Konstellationen auch der verbleibenden Erwerbsdauer bis zum Erreichen des
AHV-Rentenalters Rechnung zu tragen (Urteil 9C_874/2014 vom 2. September 2015
E. 3.3.2), welche beim Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Einkommensvergleichs
immerhin noch rund 36 Jahre beträgt. Eine Rechtsfehlerhaftigkeit der
Ermessensausübung ist mit der Gewährung eines Abzugs von 10 % nicht
ersichtlich. Abgesehen davon begründet der Beschwerdeführer den geltend
gemachten Abzug vor allem mit der Schwierigkeit, mit seinem eingeschränkten
Zumutbarkeitsprofil überhaupt eine Anstellung zu finden. Für die
Invaliditätsbemessung ist indessen nicht entscheidend, ob die
rentenansprechende versicherte Person ihre (Rest-) Arbeitsfähigkeit tatsächlich
erwerblich verwertet oder nicht. Vielmehr ist die Invalidität stets auf der
Grundlage desjenigen Erwerbseinkommens zu bemessen, das der Versicherte durch
eine ihm zumutbare Tätigkeit erzielen könnte, wenn die verfügbaren
Arbeitsplätze dem Angebot an Arbeitsplätzen entsprechen würden (ULRICH MEYER/
MARCO REICHMUTH, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 3. Aufl.,
N. 27 zu Art. 28a IVG).

6. 
Damit hat es bei der vorinstanzlich bestätigten Rentenzusprache sein Bewenden.
Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

7. 
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. Juni 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Hofer

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