Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.677/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_677/2015

Urteil vom 14. Dezember 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Maillard,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kreso Glavas,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin,

BVG-Sammelstiftung Swiss Life,
General Guisan-Quai 40, 8002 Zürich.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 12. August 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1970 geborene A.________ meldete sich unter Hinweis auf Nervenleiden,
Depressionen, innere Anspannung, Ängste, Schlaflosigkeit, Müdigkeit,
Kopfschmerzen, starke Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisstörungen und
Lustlosigkeit am 8. Januar 2003 bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 5. August 2004 sprach ihm die IV-Stelle
des Kantons Aargau ab 1. Januar 2003 eine ganze Rente der Invalidenversicherung
zu. Dies bestätigte sie bei revisionsweisen Überprüfungen der Invalidenrente in
den Jahren 2006 und 2010. Im Rahmen eines weiteren Revisionsverfahrens holte
die IV-Stelle ein orthopädisch-psychiatrisches Gutachten beim medizinischen
Abklärungszentrum B.________ vom 1. März 2013 ein. Mit Verfügung vom 31.
Oktober 2014 hob sie die bisherige ganze Rente bei einem Invaliditätsgrad von
26 % auf Ende des der Zustellung der Verfügung folgenden Monats auf.

B. 
Die dagegen eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 12. August 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm weiterhin
eine ganze Rente der Invalidenversicherung zuzusprechen. Eventualiter sei eine
polydisziplinäre medizinische Abklärung nach dem Zufallsprinzip in Auftrag zu
geben.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet ebenso auf eine Stellungnahme wie die
beigeladene BVG-Sammelstiftung Swiss Life.

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).
Seinem Urteil legt es den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung auf Rüge hin
oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht,
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine
Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn
sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig
unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine
offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in
Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (vgl. BGE 129 I
8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_967/2008 vom 5. Januar 2009 E. 5.1).

2. 
Anlass zur Revision einer Invalidenrente im Sinne von Art. 17 ATSG gibt jede
wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die geeignet ist, den
Invaliditätsgrad und damit den Rentenanspruch zu beeinflussen. Die
Invalidenrente ist somit nicht nur bei einer wesentlichen Veränderung des
Gesundheitszustandes, sondern auch dann revidierbar, wenn sich die erwerblichen
Auswirkungen des an sich gleich gebliebenen Gesundheitsschadens erheblich
verändert haben (BGE 130 V 343 E. 3.5 S. 349; siehe auch BGE 133 V 545). Liegt
in diesem Sinne ein Revisionsgrund vor, ist der Rentenanspruch in rechtlicher
und tatsächlicher Hinsicht allseitig neu zu prüfen, wobei keine Bindung an
frühere Beurteilungen besteht (BGE 117 V 198 E. 4b S. 200; 141 V 9 E. 2.3 S. 11
mit Hinweisen und E. 6.1 S. 13).

3. 
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die
revisionsweise Aufhebung der ganzen Invalidenrente bestätigte.

3.1.

3.1.1. Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht bindend erkannt, gemäss den der
Rentenzusprache zugrunde gelegten Arztberichten habe in psychischer Hinsicht
eine schwere depressive Störung mit Angstsymptomen und Beziehungsideen im
Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung bestanden. Somatisch sei
bildgebend eine breitbasige medio-linksseitige Diskushernie L4/5, die den
Duralsack imprimiere und dabei den linken Rezessus deutlicher obliteriere als
den rechten, mit einer Dorsalabdrängung der Wurzel L5, die hier beeinträchtigt
werde sowie auf Bandscheibenniveau ein knapper Kontakt zur Wurzel L5,
festgestellt worden. Weiter sei eine leichte bis mässige Facettenarthrose L4/5
und L5/S1 und eine Chondrose mit medianer Diskusprotrusion L5/S1 ohne
Nervenwurzelkompression beschrieben worden (Berichte des Dr. med. C.________,
Psychiatrie und Psychotherapie, vom 27. Juni 2003, des Dr. med. D.________,
Facharzt FMH für Allgemeine Medizin, vom 19. Februar 2004 sowie des Dr. med.
E.________, Röntgeninstitut, vom 21. März 2003).

3.1.2. Gestützt auf das beweiskräftige, bidisziplinäre Gutachten des
medizinischen Abklärungszentrums B.________ vom 31. Oktober 2014 habe sich der
Gesundheitszustand erheblich verbessert. Laut Dr. med. F.________, Facharzt für
Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, bestehe eine
medio-linksseitige Diskushernie L4/5 mit Kontakt zur rezessalen Wurzel L5 links
sowie eine Diskushernie L3/4 mit Kontakt zur Nervenwurzel L3 rechts und leichte
Facettenarthrosen L4/5 und L5/S1, ausserdem ein chronisches lumbales
Schmerzsyndrom mit pseudoradikulärer Symptomatik. Der Psychiater und
Psychotherapeut Dr. med. G.________ habe sodann eine rezidivierende depressive
Störung mit überwiegend mittelgradigen depressiven Episoden mit somatischem
Syndrom (ICD-10 F33.11), bestehend seit etwa 2001, gegenwärtig leichte bis
mittelgradige depressive Episode (ICD F33.0, F33.1), bestehend seit mindestens
08/2012 und eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1), bestehend
seit mindestens 08/2012, diagnostiziert. Während ursprünglich von einer
schweren depressiven Episode ausgegangen worden sei, sei im Gutachtenszeitpunkt
lediglich noch eine leichte bis mittelschwere depressive Episode vorgelegen,
weshalb sich der Gesundheitszustand, - auch wenn sich die Rückenproblematik
zwischenzeitlich insofern verschlechtert habe, als zusätzlich eine Diskushernie
L3/4 mit Kontakt zur Nervenwurzel L3/4 festgestellt worden sei, welche jedoch
hinsichtlich Einschätzung der Arbeitsfähigkeit nicht ins Gewicht falle - in
anspruchsrelevanter Weise verändert habe. Entgegen den Darlegungen in der
Beschwerde hat das Gericht nachvollziehbar dargelegt, worin in den Ausführungen
des Experten in Bezug auf das depressive Geschehen eine Verbesserung des
Zustands zu erblicken ist, weshalb nicht bloss eine andere Einschätzung des im
Wesentlichen gleich gebliebenen Gesundheitszustands vorliegt.

3.1.3. Das kantonale Gericht erachtete den Beschwerdeführer auf der Grundlage
der gutachterlichen Einschätzung seit März 2003 in seiner angestammten
Hilfstätigkeit in einer Druckerei im Umfang von 60 % als arbeitsfähig und in
einer angepassten Tätigkeit zu 90 % bzw. seit August 2012 zu 70 % einer
Vollzeittätigkeit arbeitsfähig. Diese Feststellungen sind nicht offensichtlich
unrichtig, weshalb das kantonale Gericht zu Recht einen Revisionsgrund bejahte.

3.2. Der Beschwerdeführer rügt, in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes und
des rechtlichen Gehörs habe die Vorinstanz auf die Einholung eines
polydisziplinären Gutachtens verzichtet, womit er nicht durchdringt.
Stichhaltige Hinweise, dass er mit Einfluss auf die Arbeits- und
Erwerbsfähigkeit seit über zehn Jahren an Bluthochdruck, Hepatitis C sowie Akne
leidet, finden sich in den medizinischen Akten keine. Hinsichtlich des geltend
gemachten Einflusses der Ganzkörperakne auf die psychische Problematik geht aus
keinem Arztbericht hervor, dass diese die psychische Verfassung des
Versicherten beeinflusst. Die Akne wird von den Gutachtern dementsprechend
unter den Diagnosen ohne Relevanz für die Arbeitsfähigkeit aufgeführt. Eine die
bundesrechtlichen Beweisregeln missachtende, willkürliche
Sachverhaltsfeststellung liegt ebenso wenig vor wie ein Verstoss gegen die vom
Versicherten angeführten Garantien der EMRK (Art. 6, Gleichheits- und
Fairnessgebot, Willkürverbot).

4.

4.1. Mit Blick auf die nicht medizinische, beruflich-erwerbliche Seite der
Invaliditätsbemessung wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Festsetzung
des Valideneinkommens auf der Basis des im Jahr 2003 erzielten Lohnes von Fr.
51'480.-. Im Jahre 2000 habe er als Gesunder Fr. 62'796.- verdient, welches
Einkommen heranzuziehen sei. Ferner habe die Vorinstanz in willkürlicher Weise
die Einkommen nicht parallelisiert. Ausländer vom Balkan ohne Berufsausbildung
würden ca. 20 % weniger verdienen als die hiesige Bevölkerung. Überdies sei zu
Unrecht auf einen leidensbedingten Abzug hinsichtlich des Invalideneinkommens
verzichtet worden.

4.2. Die Beschwerdegegnerin ermittelte das Valideneinkommen in der Verfügung
vom 31. Oktober 2014 gestützt auf ihre frühere Beurteilung und unter
Berücksichtigung der Einkommensentwicklung bis ins Jahr 2013, woraus sich ein
hypothetischer Verdienst als Gesunder in der Höhe von Fr. 59'247.- ergab. Die
Bestimmung des im Gesundheitsfall erzielbaren Einkommens hat so konkret wie
möglich zu geschehen. Dabei ist in der Regel am zuletzt erzielten, nötigenfalls
der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung angepassten Verdienst
anzuknüpfen (BGE 134 V 322 E. 4.1 S. 325). Wenn Verwaltung und Vorinstanz sich
dabei auf die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner
zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Druckereihilfsarbeiter bei der H.________ AG
stützten, und diese im Arbeitgeberfragebogen vom 4. Februar 2003 angab, sein
damaliger Lohn als Gesunder würde Fr. 51'480.- betragen, lässt sich die
vorinstanzliche Festsetzung des Valideneinkommens nicht beanstanden. Er vermag
sodann nicht hinreichend substanziiert darzulegen, weshalb die Vorinstanz zu
Unrecht keine Parallelisierung der Vergleichseinkommen vorgenommen haben soll
(vgl. BGE 141 V 1 E. 5 mit Hinweisen). Dass er bei seiner letzten Tätigkeit in
der Druckerei deutlich unterdurchschnittlich verdient hätte, wird denn auch
nicht vorgebracht.

4.3.

4.3.1. Das kantonale Gericht hat für das Invalideneinkommen einen Tabellenlohn
herangezogen. Einen Abzug davon hat es - unter Berücksichtigung der
gesundheitlichen Einschränkung und der Teilzeitarbeit - nicht vorgenommen.

4.3.2. Wird das Invalideneinkommen auf der Grundlage von statistischen
Durchschnittswerten ermittelt, ist der entsprechende Ausgangswert
(Tabellenlohn) allenfalls zu kürzen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen
werden, dass persönliche und berufliche Merkmale, wie Art und Ausmass der
Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität oder Aufenthaltskategorie
und Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können (BGE 124 V
321 E. 3b/aa S. 323) und je nach Ausprägung die versicherte Person deswegen die
verbliebene Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit
unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 126 V 75 E. 5b/
aa in fine S. 80). Der Abzug ist unter Würdigung der Umstände im Einzelfall
nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen. Er darf 25 % nicht
übersteigen (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301; 126 V 75 E. 5b/bb-cc S. 80). Die
Frage, ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Abzug
vorzunehmen sei, ist eine Rechtsfrage (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72 f. mit
Hinweis; Urteil 8C_652/2008 vom 8. Mai 2009 E. 4 in fine, nicht publiziert in:
BGE 135 V 297).

4.3.3. Aus der Tabelle TA12 der Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für
Statistik (LSE 2010 und 2012) geht hervor, dass der Lohn von Männern (ohne
Kaderfunktion) im Vergleich zum Gesamtdurchschnitt rund 4 % geringer ausfällt,
wenn es sich - wie beim Versicherten - um Ausländer mit
Niederlassungsbewilligung (Kategorie C) handelt. Ob dem im Hinblick auf seinen
Einwand, er verdiene, da aus dem Balkan stammend, von vornherein ca. 20 %
weniger als die einheimische Bevölkerung, mit einem Abzug Rechnung zu tragen
ist, kann offen gelassen werden. Auch wenn ein solcher berücksichtigt würde,
wäre er nur mit 5 % zu veranschlagen. Ferner ist der Umstand allein, dass
nunmehr leichte körperliche Tätigkeiten mit geringen intellektuellen
Anforderungen zumutbar sind, kein Grund für einen leidensbedingten Abzug, da
der Tabellenlohn im Anforderungsniveau 4 bereits eine Vielzahl von leichten und
mittelschweren Tätigkeiten umfasst (Urteil 9C_386/2012 vom 18. September 2012
E. 5.2). Würde dennoch den gesundheitlichen Einbussen in der Leistungsfähigkeit
sowie der längeren Abstinenz vom Arbeitsmarkt mit einem Abzug von je 5 %
Rechnung getragen, resultierte auch bei einem gesamthaften Abzug von 15 % ein
den Rentenanspruch ausschliessender Invaliditätsgrad von 37 %. Dies führt zur
Bestätigung des vorinstanzlichen Entscheids.

5. 
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der BVG-Sammelstiftung Swiss Life, dem
Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 14. Dezember 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Polla

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