Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.670/2015
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_670/2015

Urteil vom 12. Februar 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Hochuli.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle für Versicherte im Ausland IVSTA, Avenue Edmond-Vaucher 18, 1203
Genf,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August
2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1981 geborene A.________, polnischer Staatsangehöriger und wohnhaft in
Polen, meldete sich am 22. Februar 2010 wegen seit 2008 bestehender Beschwerden
an der rechten Hand bei der IV-Stelle für Versicherte im Ausland zum
Leistungsbezug an. Die IV-Stelle tätigte medizinische und berufliche
Abklärungen und veranlasste eine Begutachtung beim Swiss Medical Assessment-
und Business-Center in St. Gallen (SMAB). Gestützt auf das SMAB-Gutachten vom
9. Juli 2012 verneinte die Verwaltung mit Verfügung vom 7. Mai 2013 sowohl
einen Renten- als auch einen Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen.

B. 
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das
Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 11. August 2015 in dem Sinne
teilweise gut, als es die Verfügung der IV-Stelle vom 7. Mai 2013 in Bezug auf
die Verneinung eines Anspruchs auf berufliche Eingliederungsmassnahmen bei
einem neu auf 28 % ermittelten Invaliditätsgrad aufhob und diesbezüglich zur
Neuprüfung an die IV-Stelle zurückwies. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde führen und beantragen, in Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids sei ihm eine ganze Rente der Invalidenversicherung
zuzusprechen; ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
und Verbeiständung.
Während die IV-Stelle auf Beschwerdeabweisung schliesst, verzichten das
Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf
eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist
aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der
angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell-
und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a
BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften
Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Das kantonale Gericht hat die Rechtsgrundlagen über das Abkommen vom 21. Juni
1999 der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen
Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit
(FZA), die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die Invalidität (Art. 8 Abs. 1
ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG), den Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG; Art. 28a Abs.
1 IVG) und den Rentenanspruch (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie zum Beweiswert von
Arztberichten (BGE 134 V 231f. E. 5.1) zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

3.

3.1. Nach den vorinstanzlichen Erwägungen ist zur Beurteilung der
Arbeitsfähigkeit auf das SMAB-Gutachten vom 9. Juli 2012 abzustellen. Demnach
ist der Versicherte in einer leidensangepassten Tätigkeit spätestens seit
August 2008 zu 100% arbeitsfähig.

3.2. Beschwerdeweise wird geltend gemacht, die Vorinstanz habe sich nicht
rechtsgenüglich mit den polnischen Arztberichten auseinandergesetzt.
Insbesondere die Berichte des Dr. med. B.________ würden auf objektiv messbare
und wesentliche neurologische Einschränkungen schliessen und eine axonale
Verletzung des rechten Radialisnervs vermuten lassen. Da das SMAB-Gutachten vor
BGE 137 V 210 ergangen sei, genügten bereits geringe Zweifel an dessen
Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit, um nicht darauf abstellen zu können. Es sei
somit von einer mindestens 60%igen Arbeitsunfähigkeit hinsichtlich jeder
angepassten Verweisungstätigkeit auszugehen.

3.3. Die Vorinstanz stützte sich hinsichtlich Feststellung des
Gesundheitsschadens und der daraus resultierenden Einschränkung der
Leistungsfähigkeit zu Recht auf das die praxisgemässen Anforderungen (BGE 125 V
351 E. 3a S. 352) erfüllende SMAB-Gutachten. Die Gutachter stellten klar, dass
die Fehlinnervation der rechten Hand als bewusstseinsnahes Fehlverhalten weder
neurologisch noch psychiatrisch oder orthopädisch objektivierbar sei. Weiter
erkannte das Bundesverwaltungsgericht zutreffend, eine Auseinandersetzung mit
den polnischen Arztberichten habe konkludent stattgefunden. Einerseits
dokumentiere auch der polnische EMG-Bericht vom 19. Januar 2010 blande Befunde,
andererseits seien Zweifel an den polnischen Arbeitsunfähigkeitszeugnissen im
SMAB-Gutachten nachvollziehbar erörtert worden. Die Vorinstanz stellte
bundesrechtskonform fest, laut SMAB-Gutachten seien die medizinischen
Unterlagen aus Polen in Bezug auf die Diagnosestellung weder aussagekräftig
noch nachvollziehbar. Den polnischen Arbeitsunfähigkeitszeugnissen fehle es an
einer ausreichenden Begründung. Soweit die behandelnden Ärzte in Polen die
Einschränkung der Greiffähigkeit mit der rechten Hand auf eine Contusio des
Nervus radialis rechts zurückführten, stehe die Greiffähigkeit gerade nicht in
einem Zusammenhang mit dem Nervus radialis, sondern nur in einer Verbindung mit
dem Nervus medianus und ulnaris. Zudem trug das Bundesverwaltungsgericht bei
der Würdigung dieser medizinischen Unterlagen zu Recht der Erfahrungstatsache
Rechnung, wonach die behandelnden Ärztinnen und Ärzte mitunter im Hinblick auf
ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung im Zweifelsfall eher zu Gunsten
ihrer Patienten aussagen (BGE 135 V 465 E. 4.5 S. 470; 125 V 351 E. 3a/cc S.
353 mit weiteren Hinweisen). Entgegen den Vorbringen des Versicherten
schlussfolgerte die Vorinstanz zutreffend, dass die polnischen Berichte keine
Zweifel an der Beweiswertigkeit des SMAB-Gutachtens zu begründen vermögen,
zumal auch sämtliche andere medizinischen Berichte, welche im Recht liegen,
insbesondere der Austrittsbericht der Rehaklinik B.________ vom 21. Dezember
2009, bereits eine relevante Schädigung der Armnerven ausschlossen. Das
Bundesverwaltungsgericht hat somit in willkürfreier, in allen Teilen
bundesrechtskonformer Beweiswürdigung (BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400) auf das
SMAB-Gutachten vom 9. Juli 2012 abgestellt.

4. 

4.1. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz realitätsfremde Annahmen
bezüglich der Einsatzmöglichkeiten auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt vor. Es
stellt sich demnach die (Rechts-) Frage, ob der in Betracht zu ziehende
ausgeglichene Arbeitsmarkt (BGE 110 V 273 E. 4b S. 276; vgl. auch BGE 130 V 343
E. 3.2 S. 346 f.) dem Versicherten trotz seiner funktionellen Einschränkung
noch zumutbare Einsatzmöglichkeiten bietet, sodass bei der Bestimmung des
Invalideneinkommens von den tabellarisch festgehaltenen Lohnangaben gemäss der
vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Lohnstrukturerhebung (LSE)
ausgegangen werden kann.

4.2. Es trifft zu, dass von einer versicherten Person rechtsprechungsgemäss nur
Vorkehren verlangt werden können, die unter Berücksichtigung der gesamten
objektiven und subjektiven Gegebenheiten des Einzelfalles zumutbar sind; an die
Konkretisierung von Arbeitsgelegenheiten und Verdienstaussichten sind jedoch
rechtsprechungsgemäss keine übermässigen Anforderungen zu stellen (SVR 2008 IV
Nr. 62 S. 203, 9C_830/2007 E. 5.1 mit Hinweis). Für die Invaliditätsbemessung
ist nicht massgeblich, ob eine invalide Person unter den konkreten
Arbeitsmarktverhältnissen vermittelt werden kann, sondern einzig, ob sie die
ihr verbliebene Arbeitskraft noch wirtschaftlich nutzen könnte, wenn die
verfügbaren Arbeitsplätze dem Angebot an Arbeitskräften entsprechen würden (AHI
1998 S. 287, I 198/97 E. 3b). Zu berücksichtigen ist zudem, dass der
ausgeglichene Arbeitsmarkt (Art. 16 ATSG) auch sogenannte Nischenarbeitsplätze
umfasst, also Stellen- und Arbeitsangebote, bei welchen Behinderte mit einem
sozialen Entgegenkommen von Seiten des Arbeitgebers rechnen können (Urteil
9C_95/2007 vom 29. August 2007 E. 4.3 mit Hinweisen).

4.3. Die faktische Einhändigkeit oder die Beschränkung der dominanten Hand als
Zudienhand stellen nach der Rechtsprechung Tatbestände einer erheblich
erschwerten Verwertbarkeit der Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen
Arbeitsmarkt dar. Dennoch wurde von der Rechtsprechung wiederholt bestätigt,
dass auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt genügend realistische
Betätigungsmöglichkeiten für Personen, welche funktionell als Einarmige zu
betrachten sind und überdies nur noch leichte Arbeit verrichten können, zu
finden sind (Urteile 8C_939/2011 vom 13. Februar 2012 E. 4.3, 8C_971/2008 vom
23. März 2009, E. 4.2.5, 8C_1005/2008 vom 17. April 2009 E. 2.3.2, 9C_418/2008
vom 17. September 2008, E. 3.2 und E. 3.3, 8C_810/2009 vom 3. März 2010, E.
2.6.4; I 74/07 vom 11. Dezember 2007, E. 4.1 je mit Hinweisen). Angesichts
dieser Rechtsprechung und der medizinischen Aktenlage ist die vorinstanzliche
Schlussfolgerung nicht als bundesrechtswidrig zu beanstanden, wonach der
Beschwerdeführer die verbliebene Arbeitskraft bei ausgeglichener
Arbeitsmarktlage wirtschaftlich verwerten könnte.

5.

5.1. Die Vorinstanz nahm aufgrund des unterdurchschnittlichen Einkommens eine
Parallelisierung der Einkommen vor und ermittelte gestützt auf die LSE-Tabellen
ein Valideneinkommen von Fr. 5'074.90 und ein Invalideneinkommen von Fr.
3'653.90 (bei einem leidensbedingten Abzug von 20 %) und errechnete einen
Invaliditätsgrad von 28 %. Beschwerdeweise wird geltend gemacht, es sei das
Valideneinkommen mit Fr. 5'339.- und das Invalideneinkommen mit Fr. 4'104.- zu
veranschlagen. Zudem sei ein leidensbedingter Abzug von mindestens 25 % zu
gewähren.

5.2. Die Frage nach der Höhe des Abzuges ist eine typische Ermessensfrage,
deren Beantwortung letztinstanzlicher Korrektur nur mehr dort zugänglich ist,
wo das Gericht das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, also
Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung vorliegt (BGE 137 V
71 E. 5.1 S. 72 f. mit Hinweis auf BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399; SVR 2015 IV Nr.
22 S. 65, 8C_693/2014 E. 2.2). Ermessensmissbrauch ist gegeben, wenn eine
Behörde zwar im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens bleibt, sich aber von
unsachlichen, dem Zweck der massgebenden Vorschriften fremden Erwägungen leiten
lässt oder allgemeine Rechtsprinzipien, wie das Verbot von Willkür oder
rechtsungleicher Behandlung, das Gebot von Treu und Glauben sowie den Grundsatz
der Verhältnismässigkeit verletzt (BGE 123 V 150 E. 2 S. 152 mit Hinweisen;
Urteil 8C_652/2008 vom 8. Mai 2009 E. 4 i.f.). Eine Rechtsfehlerhaftigkeit der
Ermessensausübung ist vorliegend mit der Gewährung eines leidensbedingten
Abzugs von 20 % nicht ersichtlich, zumal die vorgebrachten Argumente auf einer
falschen und hievor widerlegten medizinischen Annahme basieren. Entsprechend
sind auch die Ausführungen bezüglich einer notwendigen Rechtsprechungsänderung,
wonach auch ein leidensbedingter Abzug von mehr als 25 % zu gewähren sei,
unbehelflich.

5.3. Ausgehend von einem zu Recht gewährten leidensbedingten Abzug von 20 %
kann die Frage offen gelassen werden, ob die vom Beschwerdeführer
veranschlagten Vergleichseinkommen ansatzweise begründet sind, da selbst dann
ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad von gerundet 39 % aus deren
Gegenüberstellung resultiert. Im Ergebnis hat die Vorinstanz demnach zu Recht
einen Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung verneint. Die
Beschwerde ist abzuweisen.

6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung
mit Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der
vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen
anwaltlichen Verbeiständung durch Rechtsanwalt David Husmann; Art. 64 Abs. 1
und Abs. 2 BGG; BGE 135 I 1) kann gewährt werden, weil die Bedürftigkeit
ausgewiesen ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die
Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin geboten war. Es
wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach
die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird,
wenn sie später dazu im Stande ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt David Husmann wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesamt
für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 12. Februar 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Hochuli

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben