Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.646/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_646/2015

Urteil vom 18. Dezember 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin,
Beschwerdeführerin,

gegen

Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Frauenfelderstrasse 16, 8570
Weinfelden,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung (unentgeltliche Rechtspflege),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
8. Juli 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1962, hatte seit dem 1. Februar 2000 eine Rente der
Invalidenversicherung bezogen. Mit Verfügung vom 21. Juni 2011 hob die
IV-Stelle des Kantons Thurgau die Rente rückwirkend auf den 1. Februar 2000
auf. Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Am 26. Januar 2015
liess A.________ um "rückwirkende Überprüfung der Invalidität" ersuchen. Die
IV-Stelle trat darauf nicht ein (Verfügung vom 10. März 2015).

B. 
A.________ führte dagegen Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau und ersuchte um unentgeltliche Rechtspflege. Das Verwaltungsgericht
wies das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und um Bestellung von
Rechtsanwalt Stolkin zum unentgeltlichen Anwalt mit Entscheid vom 8. Juli 2015
ab (Dispositiv-Ziffer 1) und forderte die Beschwerdeführerin zur Leistung eines
Kostenvorschusses auf unter Androhung, dass bei nicht fristgerechter Bezahlung
auf die Beschwerde nicht eingetreten werde (Dispositiv-Ziffer 2).

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das vor- und
das letztinstanzliche Verfahren. Eventualiter sei Dispositiv-Ziffer 1 des
angefochtenen Entscheides aufzuheben und die Angelegenheit an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt und verzichtet auf
einen Schriftenwechsel.

Erwägungen:

1. 
Die durch Zwischenentscheid verfügte Ablehnung der unentgeltlichen Rechtspflege
ist nach der zu Art. 93 BGG ergangenen ständigen Rechtsprechung selbstständig
mit Beschwerde anfechtbar, da der Beschwerdeführerin sonst ein nicht wieder
gutzumachender Nachteil droht, dies allein schon wegen der unter Androhung des
Nichteintretens verfügten Erhebung eines Kostenvorschusses (BGE 139 V 600; SVR
2009 UV Nr. 12 S. 49, 8C_530/2008 E. 2; Urteile 9C_598/2015 vom 4. November
2015 E. 2; 8C_453/2011 vom 29. Juli 2011 E. 1). Auf die Beschwerde ist daher
einzutreten.

2.

2.1. Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen
Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr
Rechtsbegehren nicht als aussichtslos erscheint; soweit es zur Wahrung ihrer
Rechte notwendig erscheint, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen
Rechtsbeistand.

2.2. Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Praxis Prozessbegehren
anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die
Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können.
Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten
und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind
als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt,
sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde (BGE 139
III 396 E. 1.2 S. 397; 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218). Wie es sich damit verhält,
prüft das Bundesgericht in tatsächlicher Hinsicht unter dem Blickwinkel der
Willkür, in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich mit freier Kognition (BGE 129 I
129 E. 2.3.1 S. 136 mit Hinweisen). Es ist dabei nicht Aufgabe des
Bundesgerichts, dem Sachgericht vorgreifend zu prüfen, ob das vom
Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren gestellte Begehren zu schützen sei
oder nicht, sondern lediglich, ob der vom Bedürftigen verfolgte
Rechtsstandpunkt im Rahmen des sachlich Vertretbaren liegt beziehungsweise
nicht von vornherein unbegründet erscheint (BGE 119 III 113 E. 3a S. 115). Das
vorinstanzliche Gericht hat sich bei der Beurteilung der Aussichtslosigkeit der
Prozessbegehren im Rahmen des Entscheids über die unentgeltliche Rechtspflege
auf eine vorläufige und summarische Beurteilung der Prozessaussichten zu
beschränken (Urteil 4A_336/2008 vom 2. September 2008 E. 5.2).

3. 
In der Sache selbst wird das kantonale Gericht über die Neuanmeldung der
Beschwerdeführerin zu befinden haben. Die dafür massgeblichen Bestimmungen und
Grundsätze sind im angefochtenen Entscheid zutreffend dargelegt. Bei der
summarischen Prüfung der dazu erforderlichen Voraussetzungen verweist die
Vorinstanz auf zwei weitere Entscheide, welche sie am 4. September 2013 und am
18. März 2015 zu einem früheren Wiedererwägungsgesuch der Beschwerdeführerin
und zu einem von ihr geltend gemachten Schadenersatzanspruch gefällt hat. Sie
hatte dort erkannt, dass der Beschwerdeführerin mangels Erfüllung der
erforderlichen Beitragszeit kein Rentenanspruch zustehe. Beide Entscheide seien
unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Inwiefern sich in diesem Punkt
zwischenzeitlich eine massgebliche Änderung ergeben hätte, wurde nach den
vorinstanzlichen Feststellungen nicht geltend gemacht. Das kantonale Gericht
erachtete den Prozess der Beschwerdeführerin gegen die IV-Stelle bei
summarischer Beurteilung daher als aussichtslos.

4. 
Daran vermögen auch die letztinstanzlich erhobenen Einwände nichts zu ändern.
Die Beschwerdeführerin äussert sich eingehend zum bisherigen Verlauf und zu
ihren seit 1994 anhaltenden gesundheitlichen Beschwerden, welche die IV-Stelle
zu Unrecht keiner Abklärung zuführe, die jedoch nach der Praxisänderung von BGE
141 V 281 als rentenbegründend zu qualifizieren seien. Der Vorwurf, dass die
IV-Stelle jegliche Prüfung der Anspruchsgrundlagen verweigert habe, ist jedoch
unberechtigt, denn wie dargelegt hat die Vorinstanz im Rahmen der
vorzunehmenden summarischen Prüfung einlässlich erörtert, dass die
Voraussetzungen für eine Rentenrevision nicht erfüllt seien. Weshalb dennoch
ein Revisionsgrund gegeben wäre, lässt sich auch der letztinstanzlichen Eingabe
nicht entnehmen. Die Beschwerdeführerin beruft sich schliesslich auf eine
offensichtliche Unrichtigkeit des kantonalen Entscheides vom 13. Oktober 2010,
welcher jedoch letztinstanzlich mit Urteil 8C_957/2010 vom 1. April 2011
bestätigt wurde. Es wird beschwerdeweise nicht weiter dargelegt, weshalb hier
darauf zurückzukommen wäre. Gleiches gilt hinsichtlich des Einwands, dass "die
Verfügung aus dem Jahr 2005" an einem anfänglichen ursprünglichen Mangel leide.

5. 
Ihren Eventualantrag auf Rückweisung begründet die Beschwerdeführerin mit einer
Vorbefassung des kantonalen Gerichts, welches seit dem 13. Oktober 2010 stets
in gleicher Zusammensetzung geurteilt habe. Eine Gerichtsperson kann indessen
nicht allein aus dem Grund abgelehnt werden, dass sie in einem früheren
Verfahren gegen die um Ausstand ersuchende Partei entschieden hat (Urteil 2F_2/
2007 vom 25. April 2007 E. 3; für das Bundesgericht: Art. 34 Abs. 2 BGG).

6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der
unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Das kantonale Gericht hat die seiner Ansicht nach entscheidwesentlichen Gründe
für die Ablehnung der unentgeltlichen Rechtspflege eingehend dargelegt. Die
beschwerdeweise erhobenen Rügen vermochten den angefochtenen Zwischenentscheid
nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
kann daher auch im letztinstanzlichen Verfahren zufolge Aussichtslosigkeit der
Beschwerde nicht entsprochen werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle des Kantons Thurgau und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. Dezember 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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