Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.618/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_618/2015

Urteil vom 12. Januar 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Frésard,
Gerichtsschreiber Lanz.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

 A.________, vertreten durch Procap für Menschen mit Handicap,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 31. Juli 2015.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügung vom 6. Oktober 2014 verneinte die IV-Stelle des Kantons St.
Gallen einen IV-Rentenanspruch der 1967 geborenen A.________ mit der
Begründung, der mittels der sog. gemischten Methode berechnete Invaliditätsgrad
liege bei lediglich 34 %.

B. 
A.________ erhob hiegegen Beschwerde. Das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen wies das mit dieser gestellte Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege mangels prozessualer Bedürftigkeit ab. Mit Entscheid vom 31. Juli
2015 hiess es sodann die Beschwerde gut. Es ermittelte durch
Einkommensvergleich einen Invaliditätsgrad von 50 % und sprach der Versicherten
mit Wirkung ab 1. Juni 2011 eine halbe Invalidenrente zu.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
IV-Stelle, der Versicherten sei ab 1. Juni 2011 eine Viertelsrente anstelle
einer halben Invalidenrente zuzusprechen.

A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Eventuell sei ihr die
unentgeltliche Rechtspflege für das letztinstanzliche Verfahren zu gewähren.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

D. 
Mit Verfügung vom 27. Oktober 2015 hat das Bundesgericht der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere
rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S.
280 mit Hinweis).
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob Anspruch auf eine halbe Invalidenrente oder
bloss eine Viertelsrente der Invalidenversicherung besteht.

Das kantonale Gericht hat die namentlich interessierenden Bestimmungen und
Grundsätze zu den Begriffen Invalidität und Erwerbsunfähigkeit, zum nach dem
Invaliditätsgrad abgestuften Anspruch auf eine Invalidenrente (mit den
vorausgesetzten Mindestinvaliditätsgraden von 40 % für eine Viertelsrente, 50 %
für eine halbe Rente, 60 % für eine Dreiviertelsrente und 70 % für eine ganze
Rente) sowie zur Invaliditätsbemessung mittels Einkommensvergleich oder mittels
gemischter Methode zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3. 
Die Vorinstanz hat erkannt, der Invaliditätsgrad sei nicht nach der gemischten
Methode, sondern mittels Einkommensvergleich zu bestimmen, da die Versicherte
entgegen der Auffassung der IV-Stelle im Gesundheitsfall vollzeitlich
erwerbstätig wäre. Gemäss den medizinischen Akten sei die aktuell in einem 50
%-Pensum ausgeübte Tätigkeit im Reinigungsdienst des Spitals B.________ in
diesem Umfang zumutbar. Das hiebei erzielte Einkommen von Fr. 30'768.- sei als
zumutbares Invalideneinkommen zu betrachten. Sodann sei davon auszugehen, dass
die Versicherte diese Tätigkeit auch im Gesundheitsfall ausüben und bei einem
Beschäftigungsgrad von 100 % demnach ein Valideneinkommen von Fr. 61'536.- (2 x
Fr. 30'768.-) erzielen würde. Der gesundheitsbedingte Ausfall betrage damit Fr.
30'768.-, entsprechend 50 %. Bei diesem Invaliditätsgrad bestehe Anspruch auf
eine halbe Rente.

4.

4.1. Die Einwände der Beschwerde führenden IV-Stelle betreffen einzig die
Bestimmung des Valideneinkommens. Geltend gemacht wird, der angerechnete
Jahreslohn aus dem 50 %-Pensum von Fr. 30'768.- enthalte einen Nachtzuschlag
von Fr. 4'090.90, da die Versicherte von 17.45 Uhr bis 21.45 Uhr arbeite. Die
Vorinstanz habe übersehen, dass sich der Nachtzuschlag bei einer Steigerung des
Beschäftigungsgrads nicht linear vergrössere. Vielmehr sei das um den
Nachtzuschlag reduzierte Einkommen aus dem 50 %-Pensum auf ein 100 %-Pensum
hochzurechnen und zum Ergebnis der Nachtzuschlag zu addieren. Das kantonale
Gericht habe somit den rechtserheblichen Sachverhalt offensichtlich unrichtig
festgestellt. Zu berücksichtigen sei im Weiteren, dass die aktuell ausgeübte
Stelle gemäss Arbeitgeber im Gesundheitsfall auf maximal 80 % ausgebaut werden
könnte. Das Valideneinkommen für das restliche Arbeitspensum von 20 % sei daher
gestützt auf Tabellenlöhne zu ermitteln. Bei richtigem Vorgehen resultiere ein
Valideneinkommen von Fr. 57'063.-, was einen Invaliditätsgrad von 46 % ergebe.
Demnach habe die Beschwerdegegnerin lediglich Anspruch auf eine Viertelsrente.

Die Versicherte postuliert, es sei den Erwägungen der Vorinstanz zu folgen.

4.2. Dass die Beschwerdegegnerin ihr 50 %-Pensum zu den genannten Zeiten ausübt
und hiebei einen Lohn von Fr. 30'768.- einschliesslich eines Nachtzuschlages
von Fr. 4'090.90 erzielt, ist nicht umstritten. Es ist indessen nicht davon
auszugehen, dass sie bei einer Verdoppelung des Arbeitspensums auf 100 % ihre
zusätzlichen Arbeitsstunden ausschliesslich in der nachtzuschlagsberechtigenden
Zeit tätigen würde. Daran ändert ihr Einwand nichts, wonach die
zuschlagspflichtigen Stunden bei höherem Pensum zunähmen. Wahrscheinlicher ist,
dass bei einem vollen Arbeitspensum auch Arbeitsstunden während den nicht
zuschlagspflichtigen Tagesschichten anfallen würden. Daher kann der im 50
%-Pensum erzielte Lohn, welcher auch Nachtzulagen enthält, für die Bemessung
des Valideneinkommens nicht einfach linear aufgerechnet, mithin verdoppelt
werden. Unter Berücksichtigung von nicht zuschlagsberechtigenden Arbeitsstunden
fällt das Valideneinkommen der Versicherten niedriger aus. Das führt zu einem
Invaliditätsgrad unter den für eine halbe Invalidenrente erforderlichen 50 %.
Die Rüge, die Vorinstanz habe den rechtserheblichen Sachverhalt offensichtlich
falsch festgestellt, ist daher begründet. Das Vorbringen der Versicherten, die
IV-Stelle sei ursprünglich von anderen Lohnzahlen ausgegangen, rechtfertigt
keine andere Betrachtungsweise. Die Verwaltung kann auf ihre früheren
Berechnungen nicht behaftet werden, zumal sie damals von der Anwendbarkeit der
gemischten Methode ausgegangen ist. Damit kann offen bleiben, wie es sich mit
ihrem weiteren Einwand der teilweisen Verwendung von Tabellenlöhnen verhält.
Denn unabhängig von seiner Berechtigung beträgt der Invaliditätsgrad weniger
als 50 %. Die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung wird im Übrigen nicht
beanstandet. Es besteht kein Anlass für Weiterungen hiezu, zumal das
Bundesgericht an die gestellten Anträge gebunden ist und die Berechtigung der
Viertelsrente daher nicht zu prüfen hat (vgl. Art. 107 Abs. 1 BGG). Die
Beschwerde ist gutzuheissen.

5. 
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdegegnerin auferlegt (Art.
66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen. Die
hiefür nebst anderem erforderliche prozessuale Bedürftigkeit (Art. 64 BGG) ist
nicht ausgewiesen, da die Beschwerdegegnerin die von ihr angekündigten Angaben
nicht nachgereicht hat und die Akten des vorinstanzlichen Verfahrens dafür
sprechen, dass die finanziellen Mittel zur Prozessführung vorhanden sind.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons St. Gallen vom 31. Juli 2015 wird insoweit abgeändert, als der
Leistungsanspruch auf eine Viertelsrente festgesetzt wird.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 12. Januar 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Lanz

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