Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.610/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
8C_610/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 11. Januar 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Frésard,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Fürsprecherin lic.iur. Esther Ebinger-Michel,
Beschwerdeführer,

gegen

Zürich Versicherungsgesellschaft AG,
Postfach, 8085 Zürich Versicherung,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (unfallähnliche Körperschädigung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantons-
gerichts Luzern vom 5. August 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1973 geborene A.________ ist seit April 2008 bei der B.________ AG in
Zürich als Verlagsleiter tätig und dadurch bei der Zürich
Versicherungsgesellschaft AG (nachfolgend: Zürich) gemäss UVG versichert. Am
11. Dezember 2013 zog er sich beim Skifahren einen medialen Meniskuslappenriss
links zu. Die Unfallversicherung liess sich den Hergang des Ereignisses, bei
dem der Versicherte sich die Verletzung zugezogen hatte, eingehend schildern.
In der Folge verneinte sie mit Verfügung vom 5. Mai 2014 ihre Leistungspflicht,
da es sich beim Ereignis vom 11. Dezember 2013 weder um einen Unfall im
Rechtssinne noch um eine unfallähnliche Körperverletzung im Sinne von Art. 9
Abs. 2 UVV handle. Daran hielt die Zürich auch auf Einsprache hin fest
(Entscheid vom 14. Januar 2015).

B. 
Die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht
Luzern mit Entscheid vom 5. August 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die Zürich zu
verpflichten für das Ereignis vom 11. Dezember 2013 die gesetzlichen Leistungen
zu erbringen; eventualiter sei die Sache zu weiteren Sachverhaltsabklärungen
zurück zu weisen.
Die Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Das Bundesgericht prüft
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen,
wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden.

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105    Abs. 3 BGG).

2. 
Streitig ist die Leistungspflicht der Zürich für die Folgen der Meniskusruptur.
Es steht fest und ist unbestritten, dass das Ereignis vom       11. Dezember
2013 nicht als Unfall im Rechtssinne zu qualifizieren ist. Zu prüfen ist
demgegenüber, ob der Versicherte bei diesem Ereignis eine unfallähnliche
Körperschädigung erlitten hat. Dabei wird nicht in Frage gestellt, dass die
Verletzung des Versicherten (medialer Meniskuslappenriss am linken Knie) unter
die in Art. 9 Abs. 2 lit. a    bis h UVV aufgelisteten unfallähnlichen
Körperschädigungen fällt. Mangels diesbezüglicher Rügen ist darauf nicht
zurückzukommen.

3. 
Bei unfallähnlichen Körperschädigungen nach Art. 9 Abs. 2 UVV müssen zur
Begründung der Leistungspflicht des Unfallversicherers - wie das kantonale
Gericht zutreffend dargelegt hat - mit Ausnahme der Ungewöhnlichkeit die
übrigen Tatbestandsmerkmale des Unfalls erfüllt sein. Besondere Bedeutung kommt
hierbei der Voraussetzung des äusseren Ereignisses zu, d.h. eines ausserhalb
des Körpers liegenden, objektiv feststellbaren, sinnfälligen, eben
unfallähnlichen Vorfalles (BGE 129 V 466 E. 2.2 S. 467). Die schädigende
äussere Einwirkung kann in einer körpereigenen Bewegung bestehen (BGE 129 V 466
E. 4.1 S. 468 mit Hinweisen). Das Auftreten von Schmerzen als solches ist kein
äusserer (schädigender) Faktor im Sinne der Rechtsprechung, weshalb dieser
nicht gegeben ist, wenn die versicherte Person nur das (erstmalige) Auftreten
von Schmerzen in zeitlicher Hinsicht anzugeben vermag (BGE 129 V 466 E. 4.2.1
S. 469). Nicht erfüllt ist das Erfordernis des äusseren schädigenden Faktors
auch, wenn das erstmalige Auftreten der Schmerzen mit einer blossen
Lebensverrichtung einhergeht, welche die versicherte Person zu beschreiben in
der Lage ist. Vielmehr ist gemäss Rechtsprechung für die Bejahung eines
äusseren auf den menschlichen Körper schädigend einwirkenden Faktors stets ein
Geschehen verlangt, dem ein gewisses gesteigertes Gefährdungspotenzial
innewohnt. Das ist zu bejahen, wenn die zum einschiessenden Schmerz führende
Tätigkeit im Rahmen einer allgemein gesteigerten Gefahrenlage vorgenommen wird,
wie dies etwa für viele sportliche Betätigungen zutreffen kann. Der äussere
Faktor mit erheblichem Schädigungspotenzial ist sodann auch zu bejahen, wenn
die in Frage stehende Lebensverrichtung einer mehr als physiologisch normalen
und psychologisch beherrschten Beanspruchung des Körpers, insbesondere seiner
Gliedmassen, gleichkommt. Deswegen fallen einschiessende Schmerzen als Symptome
einer Schädigung nach Art. 9 Abs. 2 UVV ausser Betracht, wenn sie allein bei
der Vornahme einer alltäglichen Lebensverrichtung auftreten, ohne dass hiezu
ein davon unterscheidbares äusseres Moment hineinspielt. Erfüllt ist das
Erfordernis des äusseren schädigenden Faktors demgegenüber bei Änderungen der
Körperlage, die nach unfallmedizinischer Erfahrung häufig zu körpereigenen
Traumen führen können, so etwa beim plötzlichen Aufstehen aus der Hocke, bei
heftigen belastenden Bewegungen oder bei einer wegen äusserer Einflüsse
unkontrollierbar gewordenen Positionsänderung (BGE 129 V 466 E. 4.2.3 S. 470).
Erforderlich für die Bejahung eines äusseren Faktors ist demzufolge ein
gesteigertes Schädigungspotenzial, sei es zufolge einer allgemein gesteigerten
Gefahrenlage, sei es durch Hinzutreten eines zur Unkontrollierbarkeit der
Vornahme der alltäglichen Lebensverrichtung führenden Elementes (BGE 139 V 327
E. 3.3.1 S. 329, 129 V 466 E. 4.3 S. 471; SZS 2014 S. 540, 8C_147/2014 E. 2.4).

4. 

4.1. Das kantonale Gericht erwog, bezüglich des Herganges sei auf die
ursprünglichen Angaben des Beschwerdeführers abzustellen, wonach er mit den
Skiern die Piste entlang gefahren und nach einem Schlag Schmerzen im linken
Knie verspürt habe. Die spätere Darstellung, wonach sich der Schlag ereignete,
als sich die Carving-Skier auf einer Fahrt mit grossen und schnellen
Kurvenradien während dem Durchfahren einer Kurve überschnitten hätten, sei
wenig überzeugend. Die Vorinstanz unterschied im Weiteren zwischen einem
"durchschnittlich klassischen Fahrstil" einerseits und einem "schwungvollen,
anspruchsvollen Carving-Skifahren" andererseits und folgerte, der
Beschwerdeführer habe sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit des klassischen
Fahrstils bedient. Diesem wohne - im Gegensatz zum Carving-Fahren - ohne
Hinzutreten besonderer Vorkommnisse kein erhebliches Gefährdungspotenzial inne,
weshalb die am 11. Dezember 2013 zugezogene Verletzung keine unfallähnliche
Körperschädigung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 UVV darstelle.

4.2. Der Beschwerdeführer rügt eine unvollständige Abklärung des
rechtserheblichen Sachverhalts. Es sei eine reine Annahme der Vorinstanz, dass
er in einem "freizeitlich klassischen Skistil" unterwegs gewesen sei. Da das
kantonale Gericht im Umstand des gefahrenen Stils eine entscheidende Rolle sah,
hätte es darüber genauere Abklärungen treffen müssen. Er besitze
ausschliesslich Carving-Skis und setze als guter Skifahrer die entsprechende
Technik immer, so auch am 11. Dezember 2013, ein.

5.

5.1. Zwar kann bei der Beurteilung des besonderen Gefährdungspotenzials in der
Regel nicht allein ausschlaggebend auf die Sportart als solche abgestellt
werden. Anders zu entscheiden hiesse, dass der gleiche Bewegungsablauf beim
Wandern anders als etwa beim Boxkampf beurteilt werden müsste. Dennoch sind die
konkreten Umstände der als Schmerzauslöser angegebenen Betätigung
mitzuberücksichtigen, da im Einzelfall kaum jemals restlos zu klären ist,
welche effektive Bewegung die Verletzung letztlich tatsächlich ausgelöst hat
(vgl. Urteil 8C_147 /2014 vom 16. Juli 2014 E. 3.3).

5.2. Das trifft auch auf das vorliegend umstrittene Geschehen zu. Bereits im
Urteil U 223/05 vom 27. Oktober 2005 hatte das damalige Eidgenössische
Versicherungsgericht (heute: Bundesgericht) entschieden, das dynamische
Skifahren an sich stelle ein Geschehen mit einem gesteigerten
Gefährdungspotenzial dar, selbst wenn keine Anhaltspunkte für die Annahme einer
unkoordinierten Bewegung oder eine augenfällige Überanstrengung bestehen
(a.a.O. E. 5). Entgegen der Darstellung im angefochtenen Entscheid
unterscheidet das Bundesgericht im erwähnten Urteil nicht zwischen "Carving"
und "klassisch". Vielmehr werden Ausführungen gemacht, die für jede Art des
Skifahrens gelten. So wird die Stellung beim Skifahren mit der Belastung des
Kniegelenkes beim Aufstehen aus der Hocke verglichen. Dieses werde bei der
Änderung der Körperlage beim Drehen in der Kurve und den dadurch freigesetzten
Kräften erheblich in Anspruch genommen. Selbst die Vorinstanz führte an, dem
Skifahren komme ein gewisses Gefährdungspotenzial für Knieverletzungen zu weil
je nach Pistenverlauf in Kombination mit topografisch vorgegebenen Kurven,
Neigungen und Steigungen ein komplexer Bewegungsablauf verlangt werde. Dem ist
zuzustimmen. Hingegen kann der Argumentation im angefochtenen Entscheid, das
sogenannte klassische Skifahren sei mit dem Rennen beim Fussballtraining oder
mit dem talwärts Joggen zu vergleichen, nicht gefolgt werden. Das liegt daran,
dass jede Skipiste aufgrund der jeweiligen topografischen Bedingungen anders
ist. Hinzu kommt, dass sich dieselbe Piste auch im zeitlichen Verlauf immer
wieder anders präsentiert, je nach Schneemenge, Pistenpräparation, Temperatur
und der Anzahl Skifahrer, die sich auf der Piste bewegen. Es entstehen
Unebenheiten, kleinere oder grössere Buckel, sehr glatte oder sogar vereiste
Stellen, eine Ansammlung von mehr oder weniger lockerem Schnee und ähnliches
mehr. Das führt dazu, dass sich ein Skifahrer in seinem Bewegungsablauf diesen
wechselnden äusseren Bedingungen ständig anpassen muss. Eine fehlerhafte
Steuerung der Beine kann dabei zu einer erhöhten Verletzungsgefahr führen.
Skifahren erzwingt ständig eine wegen äusserer unkontrollierbarer Einflüsse
notwendige Positionsänderung. Entsprechend ist das Skifahren eine Sportart, der
per se und demnach unabhängig vom gefahrenen Stil, ein gewisses
Gefährdungspotenzial innewohnt.
Der Umstand, dass der Beschwerdeführer mit durchschnittlich zehn Skitagen pro
Saison diese Sportart regelmässig betreibt und daher als geübter Skifahrer
gelten kann, spricht nicht gegen ein hinzugekommenes äusseres Element, wurden
entsprechende Verletzungen doch auch bei Betätigungen von professionellen
Sportlern wie einem Skilehrer (U 223/05 vom 27. Oktober 2005 E. 5), einer
Instruktorin für Squat-Jump-Übungen (Urteil 8C_40/2014 vom 8. Mai 2014 E. 2.3)
oder einem Angestellten in einem Fitness-Center (BGE 116 V 145) als
unfallähnliche Körperverletzungen anerkannt. Beim - sportlichen - Skifahren
kann demnach in aller Regel ein zur Unkontrollierbarkeit der Verrichtung
führendes äusseres Moment in Form der Plötzlichkeit, Brüskheit und Belastung
hinzutreten, sodass ein ausserhalb des Körpers liegendes, objektiv
feststellbares und sinnfälliges, eben unfallähnliches, Ereignis gegeben ist.
Damit kann davon abgesehen werden, weitere Abklärungen über den konkreten
Fahrstil des Versicherten vorzunehmen. Welche genauen Verhältnisse am 11.
Dezember 2013 auf der Piste geherrscht haben und wie er im Zeitpunkt, als er
sich die Meniskusruptur zugezogen hatte, genau gefahren war, kann so oder
anders nicht mehr eruiert werden. Die Beschwerde ist gutzuheissen und die
Zürich hat für das Ereignis vom 11. Dezember 2013 Versicherungsleistungen zu
erbringen.

6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
Prozessausgang entsprechend der Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1
Satz 1 BGG); des Weiteren hat sie dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung
zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Luzern, 3.
Abteilung, vom 5. August 2015 und der Einspracheentscheid der Zürich
Versicherungsgesellschaft AG vom      14. Januar 2015 werden aufgehoben. Die
Zürich Versicherungsgesellschaft AG hat A.________ für das Ereignis vom 11.
Dezember 2013 die gesetzlichen Versicherungsleistungen zu erbringen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. Januar 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer

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