Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.585/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_585/2015

Urteil vom 23. Dezember 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Maillard,
Gerichtsschreiber Nabold.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Basel-Stadt,
Lange Gasse 7, 4052 Basel,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Advokat Nicolai Fullin,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Invalidenrente; Invalideneinkommen),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Basel-Stadt vom 4. Mai 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die 1964 geborene A.________ war zuletzt als Sterilisationsassistentin am
Spital B.________ erwerbstätig gewesen, als sie sich am 27. Mai 2011 bei der
IV-Stelle Basel-Stadt zum Leistungsbezug anmeldete. Nach medizinischen
Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens sprach die IV-Stelle der
Versicherten mit Verfügung vom 7. Oktober 2014 ab Dezember 2011 eine halbe
Rente der Invalidenversicherung zu.

B. 
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 4. Mai
2015 gut und sprach der Versicherten ab November 2011 eine Dreiviertelsrente
der Invalidenversicherung zu.

C. 
Mit Beschwerde beantragt die IV-Stelle Basel-Stadt, es sei der Versicherten
unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides lediglich eine halbe Rente
der Invalidenversicherung zuzusprechen.
Während A.________ auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. In ihrer
Beschwerdeantwort stellt A.________ zudem ein Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist
somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen oder es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 140 V 136 E.
1.1 S. 137 f.). Das Bundesgericht prüft indessen, unter Berücksichtigung der
allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die
geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht
geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280; vgl. auch BGE 140 V
136 E. 1.1 S. 138).

1.2. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen
nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu
Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).

2. 
Es ist letztinstanzlich nicht länger streitig, dass der Beschwerdegegnerin ab
November 2011 eine Rente der Invalidenversicherung zustand. Streitig und zu
prüfen ist jedoch, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, als sie der
Versicherten statt einer halben Rente eine Dreiviertelsrente zusprach.

3.

3.1. Der Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung setzt unter anderem
voraus, dass die versicherte Person invalid oder von Invalidität unmittelbar
bedroht ist. Invalidität ist gemäss Art. 8 Abs. 1 ATSG die voraussichtlich
bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.
Zur Bestimmung des Invaliditätsgrades wird gemäss Art. 16 ATSG das
Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der unfallbedingten
Invalidität und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch
eine zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte
(sog. Invalideneinkommen), in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie
erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (sog. Valideneinkommen).

3.2. Für die Festsetzung des Invalideneinkommens ist nach der Rechtsprechung
primär von der beruflich-erwerblichen Situation auszugehen, in welcher die
versicherte Person konkret steht. Übt sie nach Eintritt der Invalidität eine
Erwerbstätigkeit aus, bei der - kumulativ - besonders stabile
Arbeitsverhältnisse gegeben sind und anzunehmen ist, dass sie die ihr
verbleibende Arbeitsfähigkeit in zumutbarer Weise voll ausschöpft, und
erscheint zudem das Einkommen aus der Arbeitsleistung als angemessen und nicht
als Soziallohn, gilt grundsätzlich der tatsächlich erzielte Verdienst als
Invalidenlohn. Ist kein solches tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen gegeben,
namentlich weil die versicherte Person nach Eintritt des Gesundheitsschadens
keine oder jedenfalls keine ihr an sich zumutbare neue Erwerbstätigkeit
aufgenommen hat, so können nach der Rechtsprechung entweder Tabellenlöhne
gemäss den vom Bundesamt für Statistik periodisch herausgegebenen
Lohnstrukturerhebungen (LSE) oder die Zahlen der Dokumentation von
Arbeitsplätzen (DAP) der SUVA herangezogen werden (BGE 139 V 592 E. 2.3 S. 593
f. mit Hinweis).

3.3. Die Fragen, ob Tabellenlöhne anwendbar sind, welches die massgebliche
Tabelle ist und ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter)
Leidensabzug vorzunehmen ist, stellen rechtsprechungsgemäss Rechtsfragen dar,
welche vom Bundesgericht frei überprüft werden können (BGE 132 V 393 E. 3.3 S.
399).

4.

4.1. Es steht aufgrund der unbestritten gebliebenen Feststellungen des
kantonalen Gerichts fest, dass die Versicherte medizinisch-theoretisch in der
Lage wäre, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Technische
Sterilisationsassistentin oder eine alternative Tätigkeit zu 50 % auszuüben. In
ihrer Verfügung vom 7. Oktober 2014 ermittelte die Beschwerdeführerin
dementsprechend das der Versicherten zumutbare Invalideneinkommen gestützt auf
die LSE 2010, TA 1, Wirtschaftszweig 86/Gesundheitswesen, Anforderungsniveau 4.
Die Vorinstanz hat hiezu erwogen, es erscheine fraglich, ob die Versicherte
ihre verbliebene Arbeitsfähigkeit im Gesundheitswesen verwerten könne, da
dieser Wirtschaftszweig hohe Anforderungen stelle und besondere Gewähr dafür
bestehen müsse, dass die Arbeit korrekt und unter Einhaltung aller
Sicherheitsmassnahmen durchgeführt würden. Aus diesem Grund stellte das
kantonale Gericht zur Ermittlung des Invalideneinkommens auf den Totalwert der
Frauenlöhne der LSE-Tabelle TA 1 im Anforderungsniveau 4 ab. Wie die IV-Stelle
zutreffend geltend macht, erscheinen diese Erwägungen der Vorinstanz als wenig
plausibel. Jedenfalls im Anforderungsniveau 4 sind auch im Gesundheitswesen
genügend Stellen vorhanden, bei denen sich nicht jeder untergeordnete Fehler
oder jede kleine Unterlassung unwiderruflich verheerend auswirkt. Bei einer
geeigneten Überwachung der Versicherten durch ihre Vorgesetzten erscheint die
Verwertung ihrer Restarbeitsfähigkeit im Gesundheitswesen für die Versicherte
nicht als unrealistisch. Es besteht somit kein hinreichender Grund, in diesem
Punkt von den Einschätzung des medizinischen Experten - der ja selber im
Gesundheitswesen tätig ist und daher die Anforderungen dieses Wirschaftszweiges
aus erster Hand kennt - abzuweichen.

4.2. Die Vorinstanz gewährte der Versicherten überdies einen Abzug im Sinne von
BGE 126 V 75 E. 5b/cc S. 80 in der Höhe von 10 %. Sie begründete dies damit,
dass die Beschwerdegegnerin aufgrund von wiederkehrenden Totalausfällen auf ein
erhebliches Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen sei. Wie die IV-Stelle
indessen zu Recht geltend macht, bestehen nach den verbindlichen
vorinstanzlichen Feststellungen bei der Versicherten auch immer wieder Phasen,
in denen eine höchstens geringgradige Einschränkung der Arbeitsfähigkeit
vorliegt. Der Umstand, dass bei ihr mit wiederkehrenden Totalausfällen zu
rechnen ist, wurde somit bereits in die Schätzung der Arbeitsfähigkeit auf 50 %
miteinbezogen und rechtfertigt demnach keinen Abzug vom Tabellenlohn.

4.3. Ist die IV-Stelle in ihrer Verfügung vom 7. Oktober 2014 zu Recht von
einem Invalideneinkommen von Fr. 29'911.- ausgegangen, so ergibt sich im
Vergleich mit dem im kantonalen Verfahren auf Fr. 65'788.- bemessenen
Valideneinkommen eine behinderungsbedingte Einbusse von Fr. 35'877.- und damit
ein Invaliditätsgrad von rund 55 %. Die Beschwerde der IV-Stelle ist demnach
gutzuheissen und der Versicherten ist ab November 2011 ein halbe Rente der
Invalidenversicherung zuzusprechen.

5.

5.1. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Aufgrund des
Verfahrensausganges hat die Beschwerdegegnerin die Kosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG).

5.2. Dem Gesuch der Beschwerdegegnerin um unentgeltliche Rechtspflege ist
stattzugeben, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind
(Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4
BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz
zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in der Lage ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Basel-Stadt vom 4. Mai 2015 und die Verfügung der IV-Stelle
Basel-Stadt vom 7. Oktober 2014 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass
die Beschwerdegegnerin ab November 2011 Anspruch auf eine halbe Rente der
Invalidenversicherung hat.

2. 
Der Beschwerdegegnerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Advokat
Nicolai Fullin wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 1'500.- ausgerichtet.

5. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an
das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt zurückgewiesen.

6. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. Dezember 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Nabold

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