Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.57/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_57/2015

Urteil vom 24. April 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Verfahrensbeteiligte
A.________, Aufenthalt unbekannt,
vertreten durch Advokat Guido Ehrler,
Beschwerdeführer,

gegen

Sozialhilfebehörde Binningen, Curt Goetz-Strasse 1, 4102 Binningen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Sozialhilfe,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 30. Juli 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________, irakischer Staatsangehöriger, reiste am 11. August 2003 illegal in
die Schweiz ein und stellte ein Asylgesuch, das abgewiesen wurde. Nachdem er am
7. Mai 2009 geheiratet hatte und am 11. August 2009 Vater einer Tochter
geworden war, wurde ihm eine Aufenthaltsbewilligung erteilt. Diese wurde am 15.
Dezember 2011 widerrufen; die dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos.
Am 18. Dezember 2012 wurde die Ehe von A.________ geschieden.
Gestützt auf den rechtskräftigen Wegweisungsentscheid verfügte die
Sozialhilfebehörde Binningen am 26. November 2012, A.________ ab 1. Dezember
2012 monatlich mit Fr. 1674.50 (Wohnung Fr. 1130.-, Krankenkasse Fr. 296.50,
Grundbedarf Fr. 8.-/Tag) zu unterstützen. Die dagegen erhobene Einsprache mit
dem Antrag, er sei gemäss den SKOS-Richtlinien zu unterstützen, wies sie am 17.
Dezember 2012 ab. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies der Regierungsrat des
Kantons Basel-Landschaft am 19. November 2013 ab.

B. 
Dagegen liess A.________ am 26. November 2013 Beschwerde beim Kantonsgericht
Basel-Landschaft erheben, welches diese mit Entscheid vom 30. Juli 2014 abwies.
Am 1. April 2014 hat A.________ die Schweiz verlassen und lebt seither in der
Türkei.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben, die Sozialbehörde
Binningen anzuweisen, im Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 1. April 2014 die
Unterstützungsleistungen weiterhin nach Massgabe der aktuellen SKOS-Richtlinien
auszurichten, und festzustellen, dass der gewährte Grundbedarf von Fr. 8.-/Tag
Art. 12 BV verletze und ihm mindestens Fr. 15.-/Tag (Mehrforderung vorbehalten)
auszurichten sei. Überdies ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
Die Sozialbehörde Binningen und die Vorinstanz schliessen auf Abweisung der
Beschwerde.

Erwägungen:

1. 
Nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten nur legitimiert, wer ein schutzwürdiges Interesse an der
Beurteilung seiner Eingabe hat (lit. c). Dieses muss nicht nur bei der
Beschwerdeeinreichung, sondern auch noch im Zeitpunkt der Urteilsfällung
aktuell und praktisch sein. Fällt das schutzwürdige Interesse im Laufe des
Verfahrens dahin, wird die Sache als erledigt erklärt; fehlte es schon bei der
Beschwerdeeinreichung, ist auf die Eingabe nicht einzutreten. Das Bundesgericht
verzichtet ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen
Interesses, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen
Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im
Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren
grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (BGE 137 I 23 E.
1.3.1 S. 24 mit Hinweisen).

2.

2.1. Der Beschwerdeführer lebt seit 1. Juni 2014 nicht mehr in der Schweiz und
hat demzufolge keinen aktuellen Unterstützungsanspruch. Er fordert denn auch
keine Sozialhilfe für laufende Bedürfnisse, sondern für die Zeit vom 1.
Dezember 2012 bis zu seiner Ausreise. Es stellt sich die Frage, ob er ein
schutzwürdiges Interesse an der Nachforderung von Sozialhilfe bzw. Nothilfe für
diese Dauer hat.

2.2. Der Beschwerdeführer stützt sich in diesem Zusammenhang auf Art. 12 BV.
Nach dieser Bestimmung hat, wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für
sich zu sorgen, Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für
ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Dieses Grundrecht garantiert
nicht ein Mindesteinkommen; verfassungsrechtlich geboten ist nur, was für ein
menschenwürdiges Dasein unabdingbar ist und vor einer unwürdigen Bettelexistenz
zu bewahren vermag. Der Anspruch umfasst einzig die in einer Notlage im Sinne
einer Überbrückungshilfe unerlässlichen Mittel (in Form von Nahrung, Kleidung,
Obdach und medizinischer Grundversorgung), um überleben zu können. Diese
Beschränkung des verfassungsrechtlichen Anspruches auf ein Minimum im Sinne
einer "Überlebenshilfe" bedeutet, dass Schutzbereich und Kerngehalt
zusammenfallen. Durch das ausdrückliche Erwähnen des Subsidiaritätsprinzips hat
der Verfassungsgeber somit (bereits) den Anspruch als solchen relativiert.
Grundsätzliche Voraussetzung der Anwendbarkeit von Art. 12 BV ist das Vorliegen
einer aktuellen, d.h. tatsächlich eingetretenen Notlage (BGE 138 V 310 E. 2.1
S. 313).

2.3. Der Beschwerdeführer hat die Schweiz seit längerer Zeit verlassen. Eine
aktuelle Notlage, wie sie Art. 12 BV voraussetzt, besteht daher nicht. Sie wird
auch nicht geltend gemacht. Somit fehlt es an einem aktuellen schutzwürdigen
Interesse, Sozial- oder Nothilfe nachzufordern. Dasselbe gilt für die
Feststellung, die gewährte Hilfe sei zu tief ausgefallen. Überdies vermöchten
weder die Feststellung noch die nachträgliche Ausrichtung von Sozialhilfe eine
allfällige Notlage im fraglichen Zeitraum zu beseitigen. Der Beschwerdeführer
hat demnach kein praktisches Interesse an der Beurteilung seiner Eingabe.

2.4. Zwar könnte sich die Frage, wie abgewiesene Asylbewerber zu unterstützen
seien, unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen wieder stellen. Dies macht der
Beschwerdeführer indessen nicht geltend. Es ist auch nicht anzunehmen, dass er
wieder in die Schweiz einreisen kann, nachdem über seine Ausweisung
rechtskräftig entschieden worden ist.

2.5. Es kommt hinzu, dass sich das Bundesgericht zum geltend gemachten
Fragenkomplex bereits mehrfach geäussert hat:

2.5.1. In BGE 135 I 119 hat sich das Bundesgericht zum Umfang der Nothilfe an
Asylsuchende, deren Gesuch durch Nichteintretensentscheid erledigt wird,
geäussert. Es hat ausgeführt, eine ausschliesslich als Naturalleistung für
Unterkunft und Verpflegung erbrachte Nothilfe verstosse als solche nicht gegen
das gemäss Art. 12 BV gewährleistete Grundrecht auf Hilfe in Notlagen. Es seien
die persönlichen Umstände zu berücksichtigen.

2.5.2. Zum Umfang der Sozialhilfe gemäss Art. 82 Abs. 2 AsylG hat das
Bundesgericht mit Urteil 8C_459/2011 vom 5. Oktober 2011 entschieden, die
Aussetzung des Vollzugs eines Wegweisungsentscheids infolge einer an den
UNO-Ausschuss gegen Folter eingereichten Beschwerde ändere nichts am Umstand,
dass abgewiesene Asylsuchende auf Ersuchen hin lediglich Nothilfe erhielten (E.
4.3).

2.5.3. In BGE 139 I 272 hat sich das Bundesgericht erneut zur Nothilfe für
Personen mit definitivem und vollziehbarem Rückweisungsentscheid geäussert und
festgestellt, für einen ledigen Mann guter Gesundheit stehe die Tatsache, dass
er die Nacht in einem Luftschutzraum des Zivilschutzes verbringen müsse, den
durch Art. 12 BV garantierten Minimalanforderungen nicht entgegen und verletze
insbesondere das Recht auf Achtung der Menschenwürde nicht.

2.5.4. Die genannten Präjudizien sowie weitere Entscheide des Bundesgerichts
ergeben mit Bezug auf die Rechtslage, insbesondere der Frage von Art und Umfang
der Unterstützung, ein klares Bild. Es besteht daher keine Veranlassung zu
weiteren grundsätzlichen Erwägungen. Demnach ist auf die Beschwerde mangels
aktuellem schutzwürdigem Interesses nicht einzutreten.

3.

3.1. Dem Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege kann nicht
entsprochen werden, da sich die Beschwerde als aussichtslos erweist.

3.2. Das Verfahren ist kostenpflichtig. Der Beschwerdeführer hat die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 24. April 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold

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