Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.572/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
8C_572/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 23. November 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard,
Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Schmid,
Beschwerdeführer,

gegen

AXA Versicherungen AG,
General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur,
vertreten durch Herr lic. iur. Kavan Samarasinghe,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung
(Kausalzusammenhang; Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 18. Juni 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. Die Winterthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft, nunmehr AXA
Versicherungen AG (nachfolgend AXA), richtete dem 1944 geborenen A.________ für
die Folgen eines am 23. März 1991 erlittenen Treppensturzes ab 1. Januar 1994
eine Komplementärrente zur Rente der Invalidenversicherung bei einem
Invaliditätsgrad von 50 % aus; zudem sprach sie ihm eine
Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 60 % zu (Verfügung
vom 22. August 1994). Die Rentenzahlungen waren vom 1. August 1996 bis 31.
Januar 1997 und ab 1. Mai 1997 bis Ende 2005 sistiert, da sich der Versicherte
in Untersuchungshaft befand bzw. eine Freiheitsstrafe verbüsste. Mit Verfügung
vom 2. Dezember 2004 bzw. Einspracheentscheid vom   31. Januar 2005 hob die AXA
die Invalidenrente ab 1. Mai 1997 auf. Auf Beschwerde des Versicherten hin hob
das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid auf
und wies die Sache an die AXA zurück, damit sie, nach erfolgter Abklärung im
Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch ab 1. Mai 1997 neu verfüge
(Entscheid vom 29. Januar 2009). Auf die von der AXA dagegen erhobene
Beschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil 8C_307/2009 vom 1. Juli 2009 nicht
ein.

A.b. Danach holte die AXA diverse Arztberichte und ein Gutachten der
Gutachterstelle B.________ vom 3. Februar 2011 ein. Mit Verfügung vom 16. Juni
2011 hob sie die Invalidenrente per 1. Mai 1997 auf und stellte alle weiteren
Leistungen per dieses Datum ein. Die Einsprache des Versicherten wies sie mit
Entscheid vom 9. Mai 2012 ab.

B. 
Die hiegegen geführte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 18. Juni 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen
Entscheids sei die AXA zu verurteilen, ihm die gesetzlichen Leistungen gemäss
UVG auch ab Mai 1997 auf der Basis einer 50%igen Arbeitsunfähigkeit zu
erbringen.
Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E.
2.2.1 S. 389).
 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Die Vorinstanz hat die Grundlagen über den für die Leistungspflicht des
obligatorischen Unfallversicherers erforderlichen natürlichen und adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden im
Allgemeinen (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111) sowie bei Folgen eines Unfalls mit
Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS) oder äquivalenter Verletzung ohne
organisch nachweisbare Funktionsausfälle im Besonderen (BGE 134 V 109) richtig
dargelegt. Gleiches gilt betreffend den Rentenanspruch (Art. 18 UVG) und die
Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG; vgl. BGE 134 V 131 E. 3    S. 132). Darauf
wird verwiesen.

3. 
Die Vorinstanz erwog in Würdigung der medizinischen Akten mit einlässlicher
Begründung, auf die verwiesen wird, die Voraussetzungen für eine
wiedererwägungsweise Leistungseinstellung seien nicht erfüllt. Nach dem Unfall
vom 23. März 1991 sei im MRT des Gehirnschädels des Versicherten eine 5 bis 10
mm grosse posttraumatische Veränderung in der weissen Substanz links frontal
festgestellt worden. Indessen habe sich sein Gesundheitszustand seit der
Rentenzusprache ab 1. Januar 1994 verbessert. Klinischerseits habe er in
neuropsychologischer Hinsicht praktisch unauffällig gewirkt, was erstmals Dr.
med. C.________, Leitender Arzt, Klinik D.________, im Gutachten vom 26.
Februar 1997 festgehalten habe. Diese Meinung hätten Dr. med. E.________,
Facharzt FMH für Allgemeinmedizin, Institut für Rechtsmedizin, im
verkehrsmedizinischen Gutachten vom 3. Juli 1997 und die Gutachter der
Gutachterstelle B.________ am 3. Februar 2011 geteilt. Es lägen keine klinisch
relevanten organisch nachweisbaren Schädigungen mehr vor; dies gelte auch für
die neuropsychologischen Defizite. Deshalb sei die adäquate Unfallkausalität
des Gesundheitsschadens zu prüfen. Da der Versicherte beim Treppensturz vom 23.
März 1991 eine milde traumatische Hirnverletzung erlitten habe, sei die
Schleudertraumapraxis anzuwenden. Dieser Unfall sei als mittelschwer im engeren
Sinn zu qualifizieren. Von den sieben Adäquanzkriterien nach BGE 134 V 109 E.
10.3       S. 130 sei einzig dasjenige der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz
ausgewiesener Anstrengungen erfüllt, aber nicht besonders ausgeprägt, was für
die Adäquanzbejahung nicht genüge. Der Zeitpunkt der Änderung sei auf das Jahr
1997 festzusetzen, als die Ärzte eine erheblich verbesserte Situation
festgestellt hätten. Relevant sei die Rentenaufhebung indes erst per Januar
2006 (Haftentlassung und Wiederaufleben eines allfälligen Rentenanspruchs). Zu
diesem Zeitpunkt habe sich eine unverändert verbesserte Situation gezeigt. Der
Einspracheentscheid vom 9. Mai 2012 sei daher rechtens.

4.

4.1. Der Versicherte wendet im Wesentlichen ein, im MRI vom 31. Mai 2010 seien
doch zwei kleine unspezifische gliotische Veränderungen frontal links und
periventrikulär links festgestellt worden. Somit habe auch dieses MRI immerhin
an derselben Stelle wie das MRI vom Mai 1991 Veränderungen ergeben. Für den
Zeitpunkt der Rentenrevision im Jahre 1997 sei somit eine Verbesserung des
strukturellen Zustands des Gehirns nicht erstellt und von der Vorinstanz auch
nicht belegt. Immerhin habe sie festgehalten, die strukturellen Veränderung im
Gehirn links frontal sei auch von der Radiologie des Spitals F.________ im MRI
vom 9. März 2004 bestätigt worden. Demnach habe die Vorinstanz zu Unrecht eine
Prüfung der Adäquanz vorgenommen, sei doch diese bei Vorliegen strukturell
objektivierbarer Verletzungen ohne weiteres gegeben. Sein Gesundheitszustand
habe sich seit dem Unfall vom 23. März 1991 nicht verbessert. Die Vorinstanz
habe die Frage nach dem Ausmass seiner Arbeitsfähigkeit umgangen, indem sie
unter Annahme des Fehlens eines organischen Substrats zu Unrecht die
Adäquanzprüfung vorgezogen habe.

4.2. Wie sich aus Folgendem ergibt, kann offen bleiben, ob per 1. Mai 1997 noch
eine relevante unfallbedingte strukturelle Gehirnschädigung vorlag. Denn die
Rentenfrage wurde erst wieder per Januar 2006 relevant, als der Versicherte
unbestrittenermassen aus dem Strafvollzug entlassen wurde und deshalb das
Wiederaufleben des sistierten Rentenanspruchs für die Zukunft zu prüfen war;
eine Nachforderung der ab 1. Mai 1997 sistierten Rentenleistungen nach
Beendigung des Strafvollzugs ist ausgeschlossen (vgl. Art. 21 Abs. 5 ATSG; Ueli
Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, Rz. 100 zu Art. 21 ATSG). Dr. med.
G.________, Radiologie, Spital F.________, führte am 8. März 2004 ein CT des
Schädels und am 9. März 2004 ein MRT des Gehirns durch. Aufgrund dieser
bildgebenden Abklärungen stellte er zwar eine kleine vaskuläre Malformation
fest; er führte indessen aus, diese Läsion sei vermutlich von keiner klinischen
Relevanz und dürfte auch keine Symptomatik hervorrufen; einziges Problem dürfte
das Blutungsrisiko sein. Auch im Rahmen des vom Radiologen Prof. Dr. med.
H.________ durchgeführten MRI des Schädels vom 31. Mai 2010 wurden keine
posttraumatischen Veränderungen von Belang mehr festgestellt, wie im Gutachten
der Gutachterstelle B.________ vom 3. Februar 2011 dargelegt wurde. In diesem
Lichte ist jedenfalls seit März 2004 von einer Verbesserung des
Gesundheitszustandes auszugehen. Da seither keine klinisch relevanten
unfallkausalen Befunde mehr vorlagen, prüfte die Vorinstanz im Ergebnis zu
Recht die adäquate Unfallkausalität des Beschwerdebildes.

5. 
Bei der Adäquanzprüfung berücksichtigte die Vorinstanz, dass es zum
Treppensturz des Versicherten vom 23. März 1991 kam, weil er vermutlich von
seinen zwei Hunden umgestossen wurde. Dieser Hergang vermag ihre Qualifikation
der Unfallschwere (E. 3 hievor) im Lichte der von ihr dargelegten
bundesgerichtlichen Kasuistik nicht in Frage zu stellen; der vom Versicherten
angerufene Umstand, er sei nach dem Sturz bewusstlos gewesen, ist diesbezüglich
irrelevant (SVR 2012 UV Nr. 23 S. 83 E. 4.2 [8C_435/2011]). Eine besondere
Eindrücklichkeit des Unfalls ist zu verneinen, zumal beim Versicherten
bezüglich des Hergangs eine Amnesie besteht (vgl. nicht publ. E. 3.5.1 des
Urteils BGE 137 V 199). Die im MRT des Gehirnschädels vom 27. Mai 1991 als
Unfallfolge taxierte 5 bis10 mm grosse Veränderung in der weissen Substanz
links frontal kann aufgrund der Akten nicht als schwere Verletzung angesehen
werden. Der Versicherte nennt konkret keine Therapien, welche die Bejahung des
Kriteriums der fortgesetzt spezifischen, belastenden ärztlichen Behandlung
rechtfertigten. Nicht erfüllt ist sodann das Kriterium der erheblichen
Beschwerden, da eine besondere Beeinträchtigung im Lebensalltag nicht erstellt
ist. Besondere Gründe für die Bejahung des Kriteriums des schwierigen
Heilungsverlaufs und der erheblichen Komplikationen (vgl. SVR 2007 UV Nr. 25 S.
81 E. 8.5 [U 479/05]; Urteil 8C_682/2013 vom 14. Februar 2014 E. 11.3) werden
nicht substanziiert vorgebracht. Zum von der Vorinstanz einzig bejahten
Kriterium der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen
erübrigen sich Weiterungen, da eine besondere Ausgeprägtheit desselben weder
geltend gemacht wird noch aus den Akten hervorgeht. Die vorinstanzliche
Adäquanzverneinung ist somit nicht zu beanstanden (SVR 2013 UV Nr. 3 S. 7   E.
5.2.3 und 7 [8C_398/2012]).

6. 
Da von weiteren Abklärungen keine entscheidrelevanten Ergebnisse mehr zu
erwarten sind, verzichtete die Vorinstanz darauf zu Recht (antizipierte
Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236).

7. 
Der unterliegende Versicherte trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. November 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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