Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.534/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_534/2015

Urteil vom 14. September 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Weber Peter.

Verfahrensbeteiligte
RAV Rapperswil-Jona,
Neue Jonastrasse 59, 8640 Rapperswil SG,
vertreten durch das Amt für Wirtschaft und Arbeit, Rechtsdienst, Davidstrasse
35, 9001 St. Gallen,
Beschwerdeführer,

gegen

 A.________,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 11. Juni 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die 1962 geborene A.________ meldete sich am 22. August 2012 bei der
Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug an, nachdem sie sich am 16.
Dezember 2011 von ihrem Ehemann getrennt hatte. Seit dem 24. September 2012
bezog sie Leistungen der Arbeitslosenkasse. Mit Verfügung vom 19. März 2013
forderte die Arbeitslosenkasse St. Gallen zu viel bezogene Taggeldleistungen
für die Monate Oktober bis Dezember 2012 in der Höhe von Fr. 2'240.90 zurück,
da in dieser Zeit von einer vollständigen Arbeitsfähigkeit ausgegangen worden
war, nachträglich aber nur eine 50 %ige Arbeitsfähigkeit bestätigt wurde. Mit
Eingabe vom 9. April 2013 erhob die Versicherte - wie sie auf Nachfrage hin mit
Schreiben vom 6. Mai 2013 bestätigte - einerseits Einsprache gegen die
Rückforderungsverfügung vom 19. März 2013, welche mit Entscheid der
Arbeitslosenkasse vom 14. Mai 2013 abgewiesen wurde, und anderseits ersuchte
sie um Erlass der Rückforderung. Mit Verfügung vom 13. November 2013 wies das
Regionale Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) Rapperswil-Jona das Erlassgesuch
mangels guten Glaubens ab. Daran hielt es mit Einspracheentscheid vom 6. Mai
2014 fest.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen mit Entscheid vom 11. Juni 2015 teilweise gut und wies die Sache zur
Prüfung der Erlassvoraussetzung der grossen Härte und zu neuer Verfügung an die
Verwaltung zurück.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt das RAV, in
Aufhebung des angefochtenen Gerichtsentscheids sei festzustellen, dass die
Versicherte beim Bezug der unrechtmässigen Arbeitslosenentschädigung nicht
gutgläubig gewesen sei

Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die (weiteren)
Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29
Abs. 1 BGG; BGE 139 V 42 E. 1 S. 44 mit Hinweisen).

1.1. Gemäss Art. 90 BGG ist die Beschwerde zulässig gegen Entscheide, die das
Verfahren abschliessen. Ebenfalls zulässig ist nach Art. 92 Abs. 1 BGG die
Beschwerde gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die
Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren. Gegen einen sog. anderen
selbstständig eröffneten Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG ist die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten demgegenüber nur zulässig,
wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Abs. 1 lit. a
BGG), oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid
herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit und Kosten für ein
weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Ist die Beschwerde nicht
zulässig oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht, bleibt ein Zwischenentscheid
im Rahmen einer Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, sofern er sich
auf dessen Inhalt auswirkt (Art. 93 Abs. 3 BGG). Rückweisungsentscheide, mit
denen eine Sache wie im vorliegenden Fall zur neuen Entscheidung an die
Vorinstanz zurückgewiesen wird, sind grundsätzlich Zwischenentscheide, die nur
unter den genannten Voraussetzungen beim Bundesgericht angefochten werden
können (BGE 140 V 282 E. 2 S. 283 mit Hinweisen).

1.2. Rechtsprechungsgemäss bewirkt ein Rückweisungsentscheid in der Regel
keinen irreversiblen Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, da der
Rechtsuchende ihn später zusammen mit dem neu zu fällenden Endentscheid wird
anfechten können (vgl. Art. 93 Abs. 3 BGG). Anders verhält es sich allerdings
für die Verwaltung bzw. den Versicherungsträger, wenn diese durch den
Rückweisungsentscheid gezwungen werden, eine ihres Erachtens rechtswidrige
Verfügung zu treffen. Diesfalls kann bereits dieser Entscheid angefochten und
braucht nicht der Endentscheid abgewartet zu werden (BGE 140 V 282 E. 4.2 S.
285 f. mit Hinweisen, 133 V 477 E. 5.2.4 S. 484f).

1.3. Das kantonale Gericht hat die Angelegenheit an das RAV zurückgewiesen, mit
der Vorgabe, dass der gute Glaube als eine der zwei kumulativ erforderlichen
Erlassvoraussetzungen erfüllt sei, und mithin nur noch die Voraussetzung der
grossen Härte zu prüfen sei. Der angefochtene Entscheid enthält damit
materiellrechtlich verbindliche Anordnungen, welche den Beurteilungsspielraum
der Beschwerdeführerin wesentlich einschränken. Im Umstand, dass der darauf
beruhende Endentscheid praktisch nicht angefochten und das Ergebnis nicht mehr
korrigiert werden könnte, ist nach dem Gesagten ein nicht wieder gutzumachender
Nachteil im Sinne des Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu erblicken. Auf die
Beschwerde ist daher einzutreten.

2.

2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere
rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S.
280 mit Hinweisen).

2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

3. 

3.1. Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zu den
Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit die Rückerstattung zu Unrecht
bezogener Leistungen ganz oder teilweise erlassen werden kann, nämlich die
Gutgläubigkeit beim Leistungsbezug einerseits und - kumulativ - die grosse
Härte der Rückerstattung andererseits (Art. 25 Abs. 1 ATSG; BGE 122 V 221 E.3
S. 223 mit Hinweisen), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

Zu betonen bleibt, dass nach der Rechtsprechung der gute Glaube als
Erlassvoraussetzung von vornherein entfällt, wenn der Rückerstattungstatbestand
durch ein arglistiges oder grobfahrlässiges Verhalten herbeigeführt worden ist.
Andererseits kann sich die versicherte Person auf den guten Glauben berufen,
wenn ihre fehlerhafte Handlung oder Unterlassung nur leicht fahrlässig war (BGE
138 V 218 E. 4 S. 220 mit Hinweisen).

3.2. Gemäss der vor Inkrafttreten des BGG ergangenen und weiterhin gültigen
Rechtsprechung ist bei der Frage nach der Gutgläubigkeit beim Leistungsbezug
hinsichtlich der Überprüfungsbefugnis des Gerichts zu unterscheiden zwischen
dem guten Glauben als fehlendem Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich
jemand unter den gegebenen Umständen auf den guten Glauben berufen kann oder ob
er bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen
sollen. Die Frage nach dem Unrechtsbewusstsein gehört zum inneren Tatbestand
und wird daher als Tatfrage nach Massgabe von Art. 105 Abs. 1 BGG von der
Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich beurteilt. Demgegenüber gilt die
Frage nach der gebotenen Aufmerksamkeit als frei überprüfbare Rechtsfrage,
soweit es darum geht, festzustellen, ob sich jemand angesichts der jeweiligen
tatsächlichen Verhältnisse auf den guten Glauben berufen kann (BGE 122 V 221 E.
3 S. 223).

4. 
Die Vorinstanz kam im angefochtenen Entscheid nach sorgfältiger Würdigung der
Akten zum Schluss, dass die Versicherte in den Formularen "Angaben der
versicherten Person" zwar auch auf die über den 12. Oktober 2012 hinaus
andauernde Arbeitsunfähigkeit von 50 % hätte hinweisen sollen und das
entsprechende Arztzeugnis früher hätte einreichen müssen. Eine Absicht zu
Falschangaben verneinte sie allerdings. Unter Berücksichtigung des in der
konkreten Situation nachvollziehbaren Irrtums - der von der Beschwerdeführerin
im Übrigen anerkannt wird - sei hier von einer leichten Nachlässigkeit
auszugehen, weshalb der gute Glaube der Versicherten beim Bezug der zu viel
ausgerichteten Arbeitslosenentschädigung bejaht werden könne. Inwiefern die von
der Vorinstanz zum Vorliegen des Unrechtsbewusstseins gemachten Feststellungen,
welche für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich sind (vgl. E. 3.3),
offensichtlich unrichtig sein sollen, ist der Beschwerde nicht zu entnehmen.
Zudem wird mit keinem Wort begründet, inwiefern die im angefochtenen Entscheid
nicht in Abrede gestellte Meldepflichtverletzung grobfahrlässig sein soll. Die
Einwendungen der Beschwerdeführerin sind nicht geeignet, den vorinstanzlichen
Entscheid als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Die Beschwerde ist
mithin abzuweisen.

5. 
Das Verfahren ist grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 62 BGG). Der in ihrem
amtlichen Wirkungskreis und nicht in ihrem eigenen Vermögensinteresse
handelnden Amtsstelle sind indessen keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 4 BGG; BGE 133 V 640 E. 4 S. 640 ff.).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 14. September 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Weber Peter

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