Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.52/2015
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_52/2015

Urteil vom 24. August 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Frésard,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokat Dominik Zehntner,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 18. Dezember 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1969, war ab 12. Juli 1999 bei der B.________ AG, Strassen-
und Tiefbau, angestellt und in dieser Eigenschaft bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (nachfolgend: SUVA) gegen die Folgen von Unfällen
versichert. Am 29. Januar 2011 verunfallte er mit dem Motorrad und zog sich
dabei ein Schädelhirntrauma zu (vgl. dazu Bericht Spital C.________ vom 5.
Februar 2011). Ab 16. Mai 2011 nahm er die Arbeit halbtags, ab 1. Juni 2011
ganztags wieder auf. Anfangs wurde er im Lager, nach Abschluss der
Fahrtauglichkeitsabklärungen in seiner bisherigen Tätigkeit als Maschinist
eingesetzt. In der Folge wurde seine Fahrtüchtigkeit erneut abgeklärt. Die
Untersuchungen ergaben erhebliche kognitive Defizite (vgl. Bericht des
rechtsmedizinischen Instituts D._________ vom 24. April 2012). Gestützt darauf
erliess die SUVA am 29. Juni 2012 eine Nichteignungsverfügung als
Maschinenführer im Bauhauptgewerbe. Da der Arbeitgeber in seinem Betrieb keine
andere Beschäftigung anbieten konnte, kündigte er das Arbeitsverhältnis per 31.
Oktober 2012. Im Rahmen der MR-Untersuchung durch Dr. med. E.________, Facharzt
für Radiologie, vom 6. September 2012 ergab sich u.a. ein gutartiger
Parotistumor, welcher am 28. Juni 2013 entfernt wurde (Bericht Spital
F.________ vom 15. Juli 2013). Daneben fanden berufliche Abklärungen sowie eine
neuropsychologische Behandlung statt. Dr. med. G.________, Facharzt für
Neurologie, verwies am 22. September 2012 auf die im MRI vom 6. September 2012
festgestellten Marklageränderungen und Mikrohämatome, welche die
neuropsychologischen Defizite gut erklären würden; inwiefern sich die minimale
Ausbildung des Patienten auf die Testergebnisse auswirke, könne er nicht
beurteilen. Aus neurologischer Sicht bestehe keine quantitative Einschränkung
der Arbeitsfähigkeit, es seien aber Arbeiten mit potentiell gefährlichen
Maschinen zu meiden. Zudem empfahl er die Durchführung der von der SUVA bereits
eingeleiteten neuropsychologischen Behandlung. In der Folge veranlasste die
SUVA eine neurologische Abklärung (Bericht des Prof. Dr. med. H.________,
Leitender Arzt, Klinik für Neuroradiologie, Spital I._________ vom 24. Juli
2013). Gestützt auf die vorhandenen medizinischen Berichte schlussfolgerte Dr.
med. K.________, Facharzt für Neurologie, Versicherungsmedizin, SUVA, am 14.
August 2013, dass nebst den bekannten neuropsychologischen Folgen des
Schädelhirntraumas auch krankheitsbedingte Läsionen vorlägen. Am 27. September
2013 äusserte sich Dr. med. E.________ und am 8. Oktober 2013 der behandelnde
Dr. med. G.________ dazu; Dr. med. K.________ nahm zu diesen beiden Berichten
am 11. Oktober 2013 Stellung. Mit Verfügung vom 15. Oktober 2013, bzw. mit
Einspracheentscheid vom 18. März 2014, sprach die SUVA A.________ eine
Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 43 % sowie eine
Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 35 % zu und stellte
die Prüfung einer Übergangsentschädigung infolge der Nichteignungsverfügung in
Aussicht.

B. 
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 18. Dezember 2014 ab, soweit es auf sie eintrat.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die SUVA
zu verpflichten, ihm eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 100 %
auszurichten; eventualiter sei die Sache unter Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheids an diese zu neuem Entscheid zurückzuweisen.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die Vorinstanz verzichtet
unter Verweis auf ihren Entscheid auf eine Stellungnahme. Das Bundesamt für
Gesundheit lässt sich nicht vernehmen.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist
die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht
eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich
nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen,
wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die
Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur
insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Der Versicherte rügt eine ungenügende Abklärung des Sachverhalts, die
unterlassene Einholung eines verwaltungsexternen Gutachtens sowie die
bundesrechtswidrige Anwendung von Art. 36 Abs. 2 UVG bezüglich der
festgestellten Marklageränderungen im Gehirn.

3. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die
Leistungsvoraussetzung des natürlichen Kausalzusammenhangs (BGE 129 V 177 E.
3.1 S. 181) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für den Beweiswert ärztlicher
Berichte (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352), namentlich bei
bloss versicherungsinternen ärztlichen Beurteilungen (BGE 135 V 465). Darauf
wird verwiesen.

4. 
Dr. med. G.________ hält in seinem Bericht vom 22. September 2012 fest, die
diagnostizierten Marklageränderungen und Mikrohämatome an "strategischen" Orten
könnten die festgestellten kognitiven Einschränkungen erklären; aus
neurologischer Sicht bestehe keine Arbeitsunfähigkeit. In seinem Bericht vom 8.
Oktober 2013 führt er aus, die mikroangiopathischen Veränderungen kämen häufig
vor, vermehrt bei Patienten mit Migräne oder gewissen zerebrovaskulären
Risikofaktoren, manchmal aber auch - wie er im Fall des Versicherten vermute -
ohne klare Ursache und ohne klinische Relevanz; die Diskussion um unfallfremde
Fakoren sei nicht nachvollziehbar, sei der Versicherte doch vor dem Unfall
kerngesund und ohne jegliche Zeichen einer ZNS-Erkrankung gewesen. Prof. Dr.
med. H.________ qualifiziert die Marklageränderungen explizit als eine
konkomittierende Krankheit; er äussert sich jedoch nicht zu deren konkreten
Auswirkungen auf die Gesundheit und die Arbeitsfähigkeit (Bericht vom 24. Juli
2013). Dr. med. K.________ geht in seinen Berichten vom 14. August und 11.
Oktober 2014 mit Prof. Dr. med. H.________ von krankheitsbedingten Läsionen des
Gehirns aus; in seiner Einschätzung der zumutbaren Arbeitsfähigkeit
differenziert er jedoch nicht zwischen rein unfallbedingter und der durch die
Marklageränderungen verursachten Einschränkung der Arbeitsfähigkeit. Er
begründet dies damit, dass "bei gleichzeitigem Vorliegen von posttraumatischen
und krankheitsbedingten bildmorphologisch erfassbaren Läsionen ... eine
Zuteilung zu der jeweiligen Ursache medizinisch-theoretisch" zu erfolgen habe,
weil eine "vollständig wissenschaftlich korrekte Beurteilung hier nicht sicher
möglich" sei.
Nach dem Gesagten äussern sich die beteiligten Experten divergierend über die
Pathologie und Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit der unbestrittenermassen
vorliegenden Marklageränderungen. Aus verschiedenen Gründen kann keiner der
dargelegten Meinungen gefolgt werden, sei es weil sie gemäss dem Grundsatz der
unzulässigen Beweismaxime "post hoc ergo propter hoc" (BGE 119 V 335 E. 2b/bb
S. 341; SVR 2008 UV Nr. 11 S. 34 E. 4.2.3, U 290/06; vgl. auch Urteil 8C_189/
2013 vom 4. Oktober 2013 E. 5) argumentieren, sei es, weil sie ungenügende
Aussagen für die zu beantwortenden Fragen (namentlich der zumutbaren
Arbeitsfähigkeit infolge der Marklageränderungen einerseits und infolge der
rein unfallbedingten Ursachen andererseits) enthalten. Somit ist die Sache an
die SUVA zurückzuweisen, damit sie ein versicherungsexternes Gutachten einhole
und hernach über den Anspruch auf eine Invalidenrente neu entscheide.

5. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat
die SUVA die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 18. Dezember 2014 und der
Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom
18. März 2014 werden aufgehoben. Die Sache wird zu weiterer Abklärung und neuer
Verfügung an die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 24. August 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben