Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.447/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_447/2015

Urteil vom 8. Oktober 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.

Verfahrensbeteiligte
A.________, vertreten durch
Rechtsanwältin Dr. Elisabeth Glättli,
Beschwerdeführerin,

gegen

Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG,
Rechtsdienst, Generaldirektion Schweiz, 8085 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
6. Mai 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. A.________ erlitt am 27. Juni 2009 einen Unfall und zog sich eine
Verletzung am linken Arm zu. Die Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG
(nachfolgend: Zürich), bei welcher sie obligatorisch gegen die Folgen von
Unfällen und Berufskrankheiten versichert war, kam für die Heilbehandlung auf
und erbrachte Taggelder. Mit Schreiben vom 11. März 2013 teilte die Zürich
A.________ mit, dass sie die Taggeldleistungen per 31. März 2013 einstellen
werde. Dies bestätigte sie letztmals am 4. September 2013. A.________ führte
Beschwerde mit dem Antrag, der "Einspracheentscheid" vom 4. September 2013 sei
aufzuheben und es seien ihr rückwirkend ab 1. April 2012 (recte: 2013)
Taggelder auszurichten; eventualiter sei festzustellen, dass die Zürich
rechtsverweigernd und rechtsverzögernd gehandelt habe, und diese sei zu
verpflichten, innert zweier Wochen nach Erlass des kantonalen
Gerichtsentscheids einen Einspracheentscheid zu fällen. In teilweiser
Gutheissung der Beschwerde stellte das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
eine unzulässige Rechtsverweigerung fest und hielt die Zürich an, umgehend eine
Verfügung betreffend Taggeldanspruch zu erlassen; im Übrigen trat es auf die
Beschwerde nicht ein (Entscheid vom 2. Juli 2014).

A.b. Daraufhin stellte die Zürich förmlich mit Verfügung vom 22. Juli 2014 die
Leistungen für Heilbehandlungen per 30. Juni 2014 ein und stellte fest, dass
die Taggeldleistungen per 31. März 2013 eingestellt blieben; einer allfälligen
Einsprache entzog sie die aufschiebende Wirkung. Dagegen erhob A.________ am
22. August 2014 Einsprache, unter anderem mit dem Antrag, der Entzug der
aufschiebenden Wirkung sei aufzuheben. Auf diesen Antrag trat die Zürich mit
separater Zwischenverfügung vom 27. Oktober 2014 nicht ein.

B. 
Beschwerdeweise liess A.________ beantragen, die Zwischenverfügung vom 27.
Oktober 2014 sei aufzuheben und die Zürich sei zu verpflichten, ihr rückwirkend
ab 1. April 2013 Taggelder auszurichten; es sei festzustellen, dass sich die
Zürich betreffend Erlass des Einspracheentscheids rechtsverzögernd verhalte,
und die Versicherungsgesellschaft sei zu verpflichten, "umgehend nach Erlass
des Urteils den Einspracheentscheid zu erlassen". Das Versicherungsgericht des
Kantons Aargau trat auf die Beschwerde gegen die Zwischenverfügung vom 27.
Oktober 2014 hinsichtlich der Frage der Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung sowie der rückwirkenden Taggeldausrichtung ab 1. April 2013 nicht ein
und wies die Beschwerde hinsichtlich Rechtsverzögerung bzw. Rechtsverweigerung
ab (Entscheid vom 6. Mai 2015).

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid des kantonalen Gerichts sei aufzuheben,
die Zürich sei zu verpflichten, rückwirkend ab 1. April 2013 das Taggeld
auszurichten, es sei festzustellen, dass sich die Versicherungsgesellschaft
betreffend Erlass des Einspracheentscheids rechtsverzögernd verhalte, und sie
sei zu verpflichten, "umgehend nach Erlass des Urteils den Einspracheentscheid
zu erlassen".

Die Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit überhaupt darauf
einzutreten sei. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. 
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein
Rechtsmittel zulässig ist (BGE 140 I 90 E. 1 S. 92; 139 V 42 E. 1 S. 44).

1.2. Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zulässig gegen End- und
Teilentscheide (Art. 90 und Art. 91 BGG), gegen Vor- und Zwischenentscheide
(Art. 92 und Art. 93 BGG) und gegen das unrechtmässige Verweigern oder
Verzögern eines anfechtbaren Entscheids (Art. 94 BGG).

2.

2.1. Beim Verwaltungsakt vom 27. Oktober 2014, mit welchem die
Beschwerdegegnerin auf den Antrag, den Entzug der aufschiebenden Wirkung
aufzuheben, nicht eintrat, handelt es sich um eine Zwischenverfügung (Art. 55
Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 und Art. 46 VwVG [SR 172.021]). Die
Frage der Weiterziehbarkeit an das Bundesgericht nach Art. 92 f. BGG stellt
sich im Allgemeinen mit Bezug auf Zwischenentscheide, die im Rahmen eines
erstinstanzlichen Beschwerdeverfahrens erlassen wurden. Hier jedoch folgt die
Qualifikation des vorinstanzlichen Entscheids als Zwischenentscheid der
Rechtsnatur des Anfechtungsobjekts im kantonalen Prozess.

Verfügungen über die aufschiebende Wirkung stellen Entscheide über vorsorgliche
Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG dar ( HANSJÖRG SEILER, in: Kommentar zum
Bundesgerichtsgesetz, 2007, N. 7 zu Art. 98 BGG; MARKUS SCHOTT, in: Basler
Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 15 zu Art. 98 BGG; Urteile
8C_864/2014 vom 22. Dezember 2014, 8C_623/2010 vom 9. August 2010 und 8C_209/
2010 vom 29. März 2010), so dass mit der dagegen erhobenen Beschwerde nur die
Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden kann. Insoweit besteht eine
qualifizierte Rügepflicht, d.h. das Bundesgericht prüft die Verletzung von
verfassungsmässigen Rechten nur insofern, als eine solche Rüge in der
Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133
II 249 E. 1.4.2 S. 254; vgl. auch BGE 133 IV 286 ff.), andernfalls auf die
Beschwerde nicht eingetreten wird ( NICOLAS VON WERDT, in: Kommentar zum
Bundesgerichtsgesetz, 2007, N. 8 zu Art. 106 BGG). Daher obliegt es der
Beschwerde führenden Person (entsprechend den altrechtlichen
Begründungsanforderungen, die nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG für die
staatsrechtliche Beschwerde gegolten haben), klar und detailliert anhand der
Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, welche verfassungsmässigen
Rechte inwiefern durch den vorinstanzlichen Entscheid verletzt worden sind
(vgl. BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246 mit weiteren Hinweisen).

2.2. Die dem Bundesgericht eingereichte Beschwerde genügt den vorerwähnten
Anforderungen offensichtlich nicht, indem namentlich nicht anhand der
vorinstanzlichen Erwägungen aufgezeigt wird, welche verfassungsmässigen Rechte
und inwiefern diese durch das angefochtene Urteil des erstinstanzlichen
Gerichts verletzt worden sein sollen. Die Beschwerde erfüllt die gesetzlichen
Erfordernisse der qualifizierten Rügepflicht nicht. Daran ändert die Anrufung
einer rechtsmissbräuchlichen Leistungseinstellung durch die Beschwerdegegnerin
sowie einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der
Untersuchungspflicht nichts, weil auch insoweit keine gegenüber dem
angefochtenen Entscheid der Vorinstanz erhobenen, hinreichend substanziierten
Rügen verfassungsmässiger Rechte vorliegen (vgl. dazu statt vieler: Urteile
8C_776/2012 vom 31. Oktober 2012 und 8C_362/2013 vom 24. Mai 2013). Deshalb
kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden, soweit sie sich gegen den
Nichteintretensentscheid der Vorinstanz richtet.

3.

3.1. Der kantonale Gerichtsentscheid beurteilt gleichzeitig auch die Frage, ob
der Beschwerdegegnerin im Einspracheverfahren Rechtsverweigerung bzw.
Rechtsverzögerung vorzuwerfen ist, weil sie bisher noch keinen
Einspracheentscheid bezüglich der Versicherungsleistungen gefällt hat.
Angefochten ist letztinstanzlich auch in diesem Zusammenhang ein
Zwischenentscheid, gegen den die Beschwerde grundsätzlich nur unter den
Voraussetzungen des Art. 93 BGG zulässig ist. Praxisgemäss wird indessen bei
Beschwerden betreffend Rechtsverweigerung und -verzögerung auf das Erfordernis
des nicht wieder gutzumachenden Nachteils im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a
BGG verzichtet (BGE 138 IV 258 E. 1.1 S. 261 mit Hinweis; 135 III 127 E. 1.3 S.
129 mit Hinweis). Art. 93 BGG steht der Zulässigkeit der Beschwerde mithin
nicht entgegen und es ist, da auch die übrigen Voraussetzungen dafür erfüllt
sind, darauf einzutreten.

3.2. Die Beschwerdeführerin rügt, der Versicherung sei eine Rechtsverzögerung
vorzuwerfen, weil sie den Einspracheentscheid erst nach Vorliegen des in
Auftrag gegebenen Gutachtens, somit voraussichtlich erst Ende 2015, fällen
wolle. Die Beschwerdegegnerin sei nicht berechtigt, das Verfahren so lange zu
verzögern, bis sie die Untersuchungshandlungen nachgeholt habe. Bei dieser
Argumentation übersieht die Beschwerdeführerin, dass das kantonale Gericht
bereits am 2. Juli 2014 über eine erste Rechtsverzögerungsbeschwerde
entschieden und die Versicherung verpflichtet hatte, umgehend über den
Taggeldanspruch zu verfügen. Die Beschwerdegegnerin hatte diesem
Gerichtsentscheid Folge geleistet, indem sie wenig später, am 22. Juli 2014,
eine entsprechende Verfügung erlassen hatte. Dagegen erhob die
Beschwerdeführerin am 22. August 2014 Einsprache. Im vorliegenden Verfahren
macht sie geltend, die Versicherung sei gehalten, die Einsprache aufgrund der
bisherigen Akten zu beurteilen und später, nach einer neuen Begutachtung, eine
weitere Verfügung zu erlassen.

Mit dem Entscheid des kantonalen Gerichts vom 2. Juli 2014 wurde die
Versicherung verpflichtet, umgehend eine Verfügung betreffend Taggeldanspruch
zu erlassen. Damit war die Beschwerdegegnerin allerdings ihrer Verpflichtung
nicht enthoben, die dazu noch erforderlichen Sachverhaltsabklärungen zu treffen
(Art. 43 ATSG). Da das kantonale Gericht sie angehalten hatte, "umgehend" zu
verfügen, kam sie dieser Aufforderung nach und verlegte die aus ihrer Sicht
notwendige Begutachtung ins Einspracheverfahren. Es kann keine Rede davon sein,
dass sich die Versicherung anschliessend bei der Organisation der Begutachtung
rechtsverzögernd verhalten hätte. Sie reagierte prompt auf die zahlreichen
Eingaben der Beschwerdeführerin, welche ihre abweichenden Vorstellungen
namentlich bezüglich der begutachtenden Personen, der Ausgestaltung des
Fragenkatalogs und der den Experten vorzulegenden Akten umfassend einbringen
wollte. Es ist nicht zu übersehen, dass dieses Verhalten der Beschwerdeführerin
(wie auch ihre anfängliche, lange Zeit anhaltende Weigerung, sich einer
neuerlichen Begutachtung zu unterziehen) massgeblich zur Verlängerung des
Einspracheverfahrens beitrug. Eine unzulässige Rechtsverzögerung durch die
Beschwerdegegnerin liegt offensichtlich nicht vor, weshalb der vorinstanzliche
Gerichtsentscheid insoweit zu bestätigen ist.

4. 
Die Kosten des Verfahrens sind von der unterliegenden Beschwerdeführerin zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. Oktober 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz

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