Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.434/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_434/2015

Urteil vom 28. August 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Maillard,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________, vertreten durch
Rechtsanwalt Philip Stolkin,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Massnahme beruflicher Art),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 5. Mai 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. Der 1963 geborene A.________ war Gartenarbeiter bei der Firma B.________
AG. Am 4. Februar 2009 verletzte er sich am rechten Knie. Am 27. März 2009
wurde er im Spital C.________ an diesem Knie operiert (VKB-Rekonstruktion),
wobei eine anterio-posteriore Instabilität bei Kreuzbandinsuffizienz/Ruptur
rechts, eine mediale Meniskushinterhornläsion und eine Chondropathie medialer
Femurkondylus III-IV diagnostiziert wurden. In diesem Spital erfolgten weiter
am 12. Juni 2009 und am 4. Januar 2010 Eingriffe am rechten Knie. Am 21. April
2010 meldete sich der Versicherte bei der IV-Stelle des Kantons Zürich zum
Leistungsbezug an. Am 3. Oktober 2010 wurde im Spital C.________ ein
Wunddébridement mit vorzeitiger Plattenentfernung am Unterschenkel rechts
durchgeführt. Mit Verfügung vom 22. Oktober 2013 verneinte die IV-Stelle einen
Rentenanspruch. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich änderte diese
Verfügung insoweit ab, als es feststellte, dass der Versicherte vom 1. Oktober
2010 bis 31. Oktober 2011 Anspruch auf eine ganze Rente habe; im Übrigen wies
es seine Beschwerde ab (Entscheid vom 17. September 2014). Das Bundesgericht
hiess die von ihm erhobene Beschwerde teilweise gut; es hob den kantonalen
Entscheid und die Verfügung der IV-Stelle auf und wies die Sache zu neuer
Verfügung an diese zurück. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab (Urteil 8C_801/
2014 vom 1. April 2015).

A.b. Mit Verfügung vom 29. Oktober 2014 verneinte die IV-Stelle den Anspruch
auf berufliche Eingliederungsmassnahmen.

B. 
Die gegen die letztgenannte Verfügung geführte Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 5. Mai 2015).

C. 
Mit Beschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen
Entscheids sei die Vorinstanz anzuweisen, rechtskonform auf das
Ausstandsbegehren einzutreten; sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im
kantonalen Verfahren sei gutzuheissen; die Vorinstanzen seien anzuweisen, nebst
der Berentung auch die Eingliederungsmassnahmen zu prüfen; ein zweiter
Schriftenwechsel sei anzuordnen; für das bundesgerichtliche Verfahren sei ihm
die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E.
2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2
BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher Tatsachen
sowie die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG. Die konkrete Beweiswürdigung
ist Sachverhaltsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397; nicht publ. E. 4.1 des
Urteils BGE 135 V 254, veröffentlicht in SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164 [9C_204/
2009]).

2. 
Der Versicherte bemängelt als Erstes, die Vorinstanz sei auf sein gegen den am
angefochtenen Entscheid mitwirkenden Sozialversicherungsrichter D.________
gerichtetes Ausstandsbegehren zu Unrecht nicht eingetreten.

Die Vorinstanz hat richtig erwogen, dass nach einem allgemeinen Grundsatz die
Partei, die Kenntnis von einem Ausstandsgrund hat, diesen unverzüglich geltend
zu machen hat, da sie andernfalls den Anspruch auf seine spätere Anrufung
verwirkt (BGE 138 I 1 E. 2.2 S. 4: Urteil 8C_258/2014 vom 15. Dezember 2014 E.
6.2). Unverzüglich bedeutet nach der Rechtsprechung ein Geltendmachen des
Anspruchs binnen maximal sechs bis sieben Tagen; ein zwei- bis dreiwöchiges
Zuwarten ist bereits unzulässig (Urteil 1B_60/2014 vom 1. Mai 2014 E. 2.2). Der
Beschwerdeführer hatte von der Mitwirkung des Sozialversicherungsrichters
D.________ im kantonalen Verfahren mit dem Erhalt der Verfügung vom 28. Januar
2015 betreffend Abweisung seines Sistierungsbegehrens, die er am 2. Februar
2015 entgegennahm, Kenntnis. Die Vorinstanz stellte in diesem Lichte richtig
fest, dass das von ihm erst am 3. März 2015 (Postaufgabe) gestellte
Ausstandsbegehren verspätet und damit offensichtlich unzulässig war. Deshalb
durfte Sozialversicherungsrichter D.________ am angefochtenen Entscheid
mitwirken (vgl. BGE 105 Ib 301 E. 1c S. 304; Pra 1997 Nr. 118 S. 631 E. 3d; SVR
2012 UV Nr. 22 S. 80 E. 3.2 [8C_557/2011]).

Entgegen dem Versicherten ergibt sich weder aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK noch aus
dem Bundesrecht (vgl. BGE 135 V 94 E. 1 S. 95), dass die Vorinstanz betreffend
die Ausstandsfrage einen Zwischenentscheid hätte erlassen müssen.

3. 
Streitig und zu prüfen ist weiter der Anspruch des Versicherten auf berufliche
Massnahmen. Die Vorinstanz hat die diesbezüglichen Grundlagen (Art. 7a, Art. 8
Abs. 1, Abs. 3 lit. b IVG), insbesondere über die unter anderem vorausgesetzte
subjektive Eingliederungsbreitschaft der versicherten Person (SVR 2005 IV Nr.
30 S. 113 E. 3.3 [I 605/04]; Urteil 9C_474/2013 vom 20. Februar 2014 E. 6.3),
richtig dargelegt. Gleiches gilt betreffend das Mahn- und Bedenkzeitverfahren
(Art. 21 Abs. 4 ATSG; vgl. auch Art. 7b IVG). Darauf wird verwiesen.

3.1. Die Vorinstanz hat in Würdigung der Akten mit einlässlicher Begründung -
auf die verwiesen wird - erwogen, der Versicherte habe im massgebenden Zeitraum
bis zum Verfügungserlass am 29. Oktober 2014 wiederholt erklärt, er fühle sich
nicht arbeits- bzw. eingliederungsfähig. Dies habe er insbesondere kundgetan,
nachdem er am 12. März 2014 schriftlich unter Einräumung einer angemessenen
Bedenkzeit auf seine Pflicht zur aktiven Mitwirkung und die möglichen
nachteiligen Folgen seines Widerstands hingewiesen worden sei; er habe sich
danach am 12. Mai 2014 ausdrücklich mit dem Abschluss der
Eingliederungsmassnahmen einverstanden erklärt. Entgegen seiner Auffassung sei
nicht erkennbar, dass die IV-Stelle die notwendigen Bemühungen im Hinblick auf
eine berufliche Eingliederung hätte vermissen lassen. Inwiefern er bei der von
ihm postulierten Invalidität von 100 % und beantragten "vollschichtigen"
(gemeint ist wohl: ganzen) Rente in der Lage sein wolle, an einer
Eingliederungsmassnahme teilzunehmen, sei nicht ersichtlich und von ihm auch
nicht aufgezeigt worden. Mangels Eingliederungsbereitschaft sei die Verneinung
des Anspruchs auf berufliche Eingliederungsmassnahmen nicht zu beanstanden.
Diesem vorinstanzlichen Ergebnis ist beizupflichten.

3.2. Der Versicherte wendet im Wesentlichen ein, der Rückschluss der
Vorinstanz, er habe Eingliederungsmassnahmen nicht gewollt, weil er die
rentenabweisende Verfügung angefochten und eine ganze Rente verlangt habe,
verstosse gegen die Rechtsweggarantie. Es könne nicht darauf geschlossen
werden, er verzichte auf die Eingliederungsmassnahme, nur weil er seine Rechte
im Rentenverfahren wahrnehme. Zudem habe die IV-Stelle nur eine
Arbeitsvermittlung durchführen wollen. Es wäre aber wichtig gewesen, sich über
eine Umschulung Gedanken zu machen. Die Vorinstanz habe es zu Unrecht
abgelehnt, das Verfahren bis zum Abschluss des bundesgerichtlichen Verfahrens
betreffend seinen Rentenanspruch zu sistieren. Das Bundesgericht habe diese
Sache inzwischen mit Urteil 8C_801/2014 zwecks Anordnung eines
polydisziplinären Gutachtens an die IV-Stelle zurückgewiesen. Dieses Gutachten
sei geeignet, auch über seine Eingliederungsressourcen Auskunft zu geben. Indem
die Vorinstanz es nicht abgewartet habe, habe sie die Rechtsweggarantie (Art. 6
EMRK) und den Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 ATSG) verletzt.

Diese Einwände sind nicht stichhaltig. Denn der Versicherte war bei einer
Besprechung mit der IV-Eingliederungsberaterin im Büro seines Rechtsvertreters
vom 12. Mai 2014 damit einverstanden, dass die Eingliederungsmassnahmen
abgeschlossen würden, weil er sich nicht in der Lage sehe, an solchen
teilzunehmen. Dass sich an der diesbezüglichen Einstellung des Versicherten bis
zum massgebenden Zeitpunkt des Verfügungserlasses am 29. Oktober 2014 (BGE 132
V 215 E. 3.1.1 S. 320) etwas geändert hätte, ist nicht ersichtlich und wird
auch nicht substanziiert geltend gemacht. Demnach ist es nicht zu beanstanden,
dass die Vorinstanz seinen Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen
mangels Eingliederungswillens verneinte.

Sollte der Versicherte seine Haltung geändert haben und an einer
Eingliederungsmassnahme teilnehmen wollen, kann er sich bei der IV-Stelle
wieder anmelden, welche darüber neu zu verfügen hätte (Art. 87 Abs. 2 f. IVV,
BGE 130 V 64 E. 2 S. 66). Eine Verletzung der Rechtsweggarantie oder des
Untersuchungsgrundsatzes liegt nicht vor.

4. 
Der Versicherte verlangt die unentgeltliche Rechtspflege für das kantonale
Verfahren. Angesichts der Aktenlage hat die Vorinstanz zu Recht seine
Gewinnaussichten als beträchtlich geringer als die Verlustgefahren eingeschätzt
und somit das Gesuch wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde verneint (Art. 29
Abs. 3 BV; Art. 61 lit. f ATSG; BGE 135 I 1 E. 7.1 S. 2; SVR 2014 EL Nr. 8 S.
21 E. 1 [9C_622/2013]; zum Begriff der Aussichtslosigkeit vgl. BGE 138 III 217
E. 2.2.4 S. 218).

5. 
Soweit der Versicherte die Rentenprüfung verlangt, war dies nicht Gegenstand
der hier strittigen Verfügung. Diesbezüglich ist auf die Beschwerde somit nicht
einzutreten (BGE 131 V 164 E. 2.1).

6. 
Die Beschwerde wird ohne Durchführung eines Schriftenwechsels erledigt (Art.
102 Abs. 1 BGG). Der unterliegende Versicherte trägt die Gerichtskosten (Art.
66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihm wegen
Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 28. August 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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