Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.423/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]            
8C_423/2015   {T 0/2}     

Urteil vom 18. Januar 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Frésard,
Bundesrichterin Heine,
Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiber Lanz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Schmid,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin,

GastroSocial Pensionskasse,
Bahnhofstrasse 86, 5000 Aarau.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 21. April 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die 1984 geborene A.________ ist ausgebildete Service-Fachangestellte EFZ. Sie
verfügt zudem über ein Hotelfachschul-Diplom (mit integrierter
Lehrmeisterausbildung). Zuletzt war sie bis   31. März 2013 bei der B.________
GmbH, Restaurant D.________, angestellt. A.________ erlitt bei zwei
Verkehrsunfällen in den Jahren 2009 und 2011 HWS-Distorsionen. Der zuständige
obligatorische Unfallversicherer erbrachte hiefür bis 31. März 2012
vorübergehende Leistungen. Im Februar 2013 meldete sich A.________ unter
Hinweis auf noch bestehende gesundheitliche Beschwerden bei der
Invalidenversicherung (IV) zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons
Aargau zog nebst weiteren Abklärungen die Akten des Unfallversicherers bei. Am
2. Mai 2014 verfügte sie, es bestehe kein Anspruch auf eine Invalidenrente. Mit
Verfügung vom    2. Juli 2014 verneinte sie auch einen Anspruch auf berufliche
Massnahmen.

B. 
Die von der Versicherten gegen die Verfügung vom 2. Juli 2014 erhobene
Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom
21. April 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________,
in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Verwaltung zu
verpflichten, berufliche Massnahmen zu gewähren. Gemäss Beschwerdebegründung
wird die Zusprechung einer Umschulung geltend gemacht.
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde, ohne sich weiter zur
Sache zu äussern. Die zuständige Pensionskasse und das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.
Mit Eingabe vom 7. September 2015 äussert sich A.________ nochmals. Sie bezieht
sich dabei auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Bundesgerichts 9C_492/
2014 vom 3. Juni 2015 (BGE 141   V 281).

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere
rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S.
280; vgl. auch BGE 141 V 236 E. 1 S. 236; 140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.).
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Nach Art. 8 Abs. 1 IVG haben invalide und von einer Invalidität bedrohte
Versicherte (Art. 8 ATSG) unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf
Eingliederungsmassnahmen. Zu letzteren zählen auch die beruflichen Massnahmen
nach Art. 15 ff. IVG.
Im vorliegenden Fall geht es gemäss Beschwerde konkret um den Anspruch auf
Umschulung gemäss Art. 17 Abs. 1 IVG. Nach dieser Bestimmung hat die
versicherte Person Anspruch auf Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit, wenn
die Umschulung infolge Invalidität notwendig ist und dadurch die
Erwerbsfähigkeit voraussichtlich erhalten oder verbessert werden kann.

3. 
Das kantonale Gericht hat den Anspruch auf Umschulung zum einen mit der
Begründung verneint, nach der Rechtsprechung zu den anhaltenden somatoformen
Schmerzstörungen und vergleichbaren psychosomatischen Leiden gemäss BGE 139 V
547, 131 V 49 und 130 V 352 (sog. Überwindbarkeits- oder Schmerzstörungspraxis)
liege kein invalidisierendes Leiden vor. Zum anderen hat es erwogen, die
Beschwerdeführerin benötige ohnehin keine Umschulung.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Invalidität gemäss Art. 17 IVG
beurteile sich nicht nach der Überwindbarkeitsrechtsprechung, sondern
allenfalls nach BGE 141 V 281. Ein strukturiertes Beweisverfahren im Sinne
dieses Grundsatzurteils liesse auf Invalidität schliessen. Der Anspruch auf
Umschulung folge aber auch aus Art. 8a Abs. 1 und Abs. 2 lit. b IVG. Das
kantonale Gericht habe sodann zu Unrecht eine Umschulung für nicht erforderlich
erachtet.

4. 
Die Vorinstanz hat zum letztgenannten Punkt erwogen, selbst wenn die zuletzt
ausgeübte Tätigkeit mit ca. 30 % Anteil Büro und 70 % Anteil Service körperlich
unzumutbar wäre, benötige die Versicherte als Absolventin einer Hotelfachschule
weder Umschulung noch Neuorientierung, da die Ausbildung gemäss Fragebogen für
Arbeitgebende u.a. "Reception, Administration, Buchhaltung, Marketing und
Tourismusbranche" umfasse. Aufgrund der absolvierten Ausbildung an der
Hotelfachschule sei die Versicherte auch für administrative Tätigkeiten
befähigt. Im Übrigen gehe der behandelnde Arzt von einer vollen
Arbeitsfähigkeit für Bürotätigkeiten aus.

4.1. Nach der Rechtsprechung ist unter Umschulung grundsätzlich die Summe der
Eingliederungsmassnahmen berufsbildender Art zu verstehen, die notwendig und
geeignet sind, dem vor Eintritt der Invalidität bereits erwerbstätig gewesenen
Versicherten eine seiner früheren annähernd gleichwertige Erwerbsmöglichkeit zu
vermitteln. Dabei bezieht sich der Begriff der "annähernden Gleichwertigkeit"
nicht in erster Linie auf das Ausbildungsniveau als solches, sondern auf die
nach erfolgter Eingliederung zu erwartende Verdienstmöglichkeit. In der Regel
besteht nur ein Anspruch auf die dem jeweiligen Eingliederungszweck
angemessenen, notwendigen Massnahmen, nicht aber auf die nach den gegebenen
Umständen bestmöglichen Vorkehren. Denn das Gesetz will die Eingliederung
lediglich so weit sicherstellen, als diese im Einzelfall notwendig, aber auch
genügend ist. Zu den notwendigen und geeigneten Eingliederungsmassnahmen
berufsbildender Art zählen alle zur Eingliederung ins Erwerbsleben unmittelbar
erforderlichen Vorkehren. Deren Umfang lässt sich nicht in abstrakter Weise
festlegen, indem ein Minimum an Wissen und Können vorausgesetzt wird und nur
diejenigen Massnahmen als berufsbildend anerkannt werden, die auf dem
angenommenen Minimalstand aufbauen. Auszugehen ist vielmehr von den Umständen
des konkreten Falles (BGE 124 V 108 E. 2 S. 109 f. mit Hinweisen; vgl. auch BGE
139 V 399 E. 5.4 S. 403 mit Hinweis).

4.2. Die vorinstanzliche Beurteilung ist im Lichte dieser Grundsätze
rechtmässig. Die Versicherte verfügt aufgrund der bereits vorhandenen
Ausbildung über die Fähigkeiten, um in einer adaptierten Tätigkeit in etwa den
bisherigen Verdienst erzielen zu können. Eine Umschulung ist dafür nicht nötig.
Was in der Beschwerde vorgebracht wird, rechtfertigt keine andere
Betrachtungsweise. Geltend gemacht wird, die Versicherte sei für die noch
zumutbaren Tätigkeiten nicht ausgebildet. Sie verfügt indessen jedenfalls über
die notwendigen Fähigkeiten, um das bisherige Einkommensniveau zu erreichen,
zumal dieses unbestrittenermassen auch einen erheblichen Anteil an
vergleichsweise tief entlöhnter Servicetätigkeit beinhaltete. Die Notwendigkeit
einer Umschulung wurde demnach zu Recht verneint, was zur Abweisung der
Beschwerde führt.

5. 
Mangels Notwendigkeit einer Umschulung braucht nicht geprüft zu werden, ob sich
ein Anspruch hierauf andernfalls auf Art. 8a Abs. 1 und Abs. 2 lit. b IVG
stützen liesse und ob das kantonale Gericht ein invalidisierendes Leiden zu
Recht verneint hat. Festzuhalten ist immerhin, dass Art. 8a IVG die
Wiedereingliederung von Rentenbezügerinnen und Rentenbezügern regelt. Hiefür
sind zwar auch Massnahmen beruflicher Art nach den Art. 15-18c IVG vorgesehen
(Art. 8a Abs. 2 lit. b IVG). Der Anspruch auf Massnahmen zur
Wiedereingliederung beschränkt sich aber nach dem klaren Gesetzeswortlaut auf
Versicherte, welche eine Rente beziehen. Das trifft auf die Beschwerdeführerin
nicht zu.

6. 
Die Kosten des Verfahrens sind von der unterliegenden Beschwerdeführerin zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der GastroSocial Pensionskasse, dem
Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. Januar 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Lanz

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