Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.418/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_418/2015

Urteil vom 7. Oktober 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Maillard,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Gafner,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Rentenhöhe),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 27.
Mai 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1956 geborene A.________ arbeitete im Bereich Lager/Spedition bei der
B.________ AG in C.________. Er meldete sich am 18. Mai 2011 wegen über den
ganzen Körper verteilten Schmerzen bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern nahm Abklärungen in erwerblicher und
medizinischer Hinsicht vor. Unter anderem liess sie den Versicherten durch Dr.
med. D.________, Fachärztin für Neurochirurgie FMH, und Dr. med. E.________,
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, bidisziplinär begutachten
(Expertise vom 14. Juni/20. August 2013 mit Beurteilung aus interdisziplinärer
Sicht). Gestützt auf die aus diesem Gutachten gewonnenen Erkenntnisse und einen
ermittelten Invaliditätsgrad von 47 % sprach die IV-Stelle A.________ mit
Verfügung vom 9. April 2014 eine Viertelsrente ab dem 1. Februar 2012 zu.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 27. Mai 2015 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihm eine
angemessene, eine Viertelsrente übersteigende Invalidenrente auszurichten.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das kantonale Gericht und
das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Immerhin prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42
Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die
rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht
gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen
Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen
wurden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

2. 
Gemäss Feststellung des kantonalen Gerichts leidet der Beschwerdeführer an
einem chronischen zervikalen und zervikobrachialgieformen Schmerzsyndrom
beidseits, linksbetont, an einem chronischen lumbalen und lumboischialgieformen
Schmerzsyndrom beidseits, linksbetont, an einer leichtgradigen symmetrischen
sensomotorischen Polyneuropathie vom gemischt axonalen-demyelinisierten Typ
beider unterer Extremitäten und einem Diabetes mellitus. In psychiatrischer
Hinsicht sei der Versicherte gesund. Infolge der gesundheitlichen
Beeinträchtigung sei der Beschwerdeführer in einer angepassten, körperlich
leichten und zeitweise (höchstens 10 %) mittelschweren, konsequent
wechselbelastenden Tätigkeit in einem zeitlichen Rahmen von 6 Stunden pro Tag
an fünf Tagen die Woche bei einer Verminderung der Leistungsfähigkeit von 10
bis maximal 20 % arbeits- und leistungsfähig.

3. 
Letztinstanzlich streitig sind einzig die erwerblichen Auswirkungen der
Gesundheitsschädigung. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe
Bundesrecht verletzt, indem sie bei der Festsetzung des hypothetischen
Invalideneinkommens mittels den Tabellenlöhnen gemäss den
Lohnstrukturerhebungen (LSE) des Bundesamtes für Statistik den Mittelwert der
beiden Anforderungsniveaus 3 und 4 berücksichtigt habe. Zudem rechtfertige es
sich, einen leidensbedingten Abzug von 25 % vorzunehmen.

4. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmung über die Ermittlung des
Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG) zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

5. 
Hinsichtlich des Valideneinkommens hat die Vorinstanz die Verwaltungsverfügung
bestätigt, wonach vom letzten im Jahre 2010 erzielten Erwerbseinkommen bei der
B.________ AG auszugehen und der Betrag mittels statistischer
Nominallohnerhöhung auf das Jahr des Rentenbeginns (2012) aufzurechnen ist. Es
resultiert ein unbestrittener Betrag von Fr. 71'512.-.

6. 

6.1. Bezüglich des Invalideneinkommens ist ebenso wenig umstritten, dass dieses
mit Hilfe der Tabellenlöhne gemäss LSE zu ermitteln ist, da der
Beschwerdeführer im Verfügungszeitpunkt keiner Erwerbstätigkeit mehr nachging
und gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen im bisherigen Beruf als
Logistiker eine dauernde vollumfängliche Arbeitsunfähigkeit besteht. Das
kantonale Gericht erwog, der Versicherte könne im Rahmen des medizinischen
Zumutbarkeitsprofils nicht nur einfache und repetitive Tätigkeiten verrichten,
sondern auch Arbeiten ausführen, die Berufs- und Fachkenntnisse voraussetzen.
Es zog die Zentralwerte der Löhne aller Wirtschaftszweige von Männern auf dem
Anforderungsniveau 3 (Fr. 5'909.-) und 4 (Fr. 4'901.-) gemäss Tabelle TA1 der
LSE 2010 heran und ermittelte als Durchschnitt dieser beiden statistischen
Einkommen einen Wert von Fr. 5'405.- als Ausgangsbasis. Unter Berücksichtigung
der als zumutbar erachteten 30 Wochenstunden, einer um 15 % eingeschränkten
Leistung und eines Abzuges von 10 %, weil der Beschwerdeführer nur noch
teilzeitlich tätig sein kann, resultierte ein Invalideneinkommen für das Jahr
2012 von Fr. 37'846.-.

6.2. Der Beschwerdeführer macht zu Recht geltend, die Berücksichtigung eines
Mittelwertes der beiden Anforderungsniveaus 3 und 4 verletze Bundesrecht.

Wie das Bundesgericht im Urteil 8C_192/2013 vom 16. August 2013 (SVR 2013 UV
Nr. 32 S. 111 E. 7.2) erkannte, kommt dem "Durchschnittswert", wie ihn die
Vorinstanz durch Ermittlung des arithmetischen Mittels aus den beiden
LSE-Medianwerten der gesamtschweizerischen statistischen Löhne von Männern des
Anforderungsniveaus 3 und 4 zur Bestimmung des Invalideneinkommens heranzog,
mit Blick auf die LSE keine statistisch zuverlässige Aussagekraft zu, weshalb
auf diese Vorgehensweise bei der Bestimmung des Invalideneinkommens zu
verzichten ist (vgl. DIDIER FROIDEVEAUX, La mesure du revenu d'invalidité: une
construction subjective basée sur des statistiques (ESS) ?, in: Ueli Kieser
[Hrsg.], Validen- und Invalideneinkommen, St. Gallen 2013, S. 79).

6.3. Der Beschwerdeführer verfügt zwar über eine abgeschlossene Berufslehre als
Koch, arbeitete aber nach Feststellung des kantonalen Gerichts lediglich zwei
Jahre in diesem Beruf. Seit dem Jahre 1987 ist er im Bereich Logistik tätig.
Diesen Beruf, bei dem er sich im Verlaufe der vielen Jahre auch ohne
eigentliche Berufbildung sicherlich einige Erfahrungen und Berufskenntnisse
hatte erarbeiten können, kann er jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr
ausüben. Dasselbe gilt auch für die Tätigkeit als Koch. Der Einstufung im
Anforderungsniveau 3, wofür Berufs- und Fachkenntnisse vorausgesetzt werden,
steht damit entgegen, dass er die von ihm im Erwerbsleben erworbenen
spezifischen Kenntnisse in Anbetracht des noch zumutbaren Tätigkeitsspektrums
nicht einbringen kann. Das kantonale Gericht hat denn auch nicht konkretisiert,
welche Berufs- und Fachkenntnisse dem Versicherten für die ihm noch zumutbaren
Tätigkeiten zur Verfügung stehen. Daran ändert nichts, dass er anlässlich der
beruflichen Abklärung in der F.________ das Bedürfnis äusserte,
anspruchsvollere Tätigkeiten ausführen zu wollen. Die vorliegenden Umstände
rechtfertigen das Anforderungsniveau 4 als massgebliche Stufe heranzuziehen,
wovon auch bereits die IV-Stelle in ihrer Verfügung ausgegangen war.

6.4. Der statistische Durchschnittslohn betrug gemäss der LSE 2010, Tabelle TA1
(S. 26), für Männer im Anforderungsniveau 4 (einfache und repetitive
Tätigkeiten) bei 40 Wochenarbeitsstunden monatlich Fr. 4'901.-. Das kantonale
Gericht hat bei einer attestierten verminderten Leistungsfähigkeit von 10 - 20
% eine solche von 15 % berücksichtigt, was nicht zu beanstanden ist. Bei 30
Wochenstunden und unter Berücksichtigung der Nominallohnentwicklung bis ins
Jahr 2012 resultiert ein Lohn von Fr. 38'130.- (Fr. 4'901 x 12 : 40 x 30 x 0.85
= Fr. 37'492.65/100 x 101.7).

6.5. Der Beschwerdeführer beantragt, von diesem Wert sei der höchstmögliche
Abzug von 25 % vorzunehmen, Das kantonale Gericht hatte einen solchen von 10 %
berücksichtigt.

Die Höhe des Abzuges kann nur im Hinblick auf Ermessensüberschreitung oder
-missbrauch als Formen rechtsfehlerhafter Ermessensbetätigung (BGE 132 V 393 E.
3.3 S. 399) gerügt werden. Die Vorinstanz hat dargelegt, weshalb beim
Beschwerdeführer von den zulässigen Merkmalen (leidensbedingte Einschränkung,
Alter, Dienstjahre, Nationalität/Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad)
lediglich das letzte Kriterium berücksichtigt werden kann. Dafür einen Abzug
von 10 % zu gewähren, war materiellrechtlich nicht rechtsfehlerhaft. Das
hypothetische Invalideneinkommen beträgt damit Fr. 34'317.-, was verglichen mit
dem Valideneinkommen von 71'512.- einen Invaliditätsgrad von 52 % ergibt. Der
Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine halbe Invalidenrente.

7. 
Bei diesem Verfahrensausgang ist die IV-Stelle kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und 68 Abs. 1 und 2 BGG).
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 27. Mai 2015 und die
Verfügung der IV-Stelle Bern vom 9. April 2014 werden aufgehoben. Die
Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer ab dem 1. Februar 2012 eine halbe
Invalidenrente auszurichten.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 7. Oktober 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer

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