Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.406/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_406/2015        
{T 0/2}

Urteil vom 31. August 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Maillard,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Kolbenstrasse 20, 6032 Emmen,
vertreten durch syndicom,
Gewerkschaft Medien und Kommunikation,
Monbijoustrasse 33, 3001 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Luzern,
Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Luzern vom 28. April 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1964 geborene A.________ meldete sich unter Hinweis auf eine rechtsseitige
Schulterluxation bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit
Verfügung vom 4. Januar 2005 und Einspracheentscheid vom 8. Januar 2009 sprach
ihm die IV-Stelle Luzern eine vom 1. November 2002 bis 31. Oktober 2003
befristete ganze Rente der Invalidenversicherung zu, was das Verwaltungsgericht
des Kantons Luzern (heute Kantonsgericht Luzern) mit Entscheid vom 22. Dezember
2010 bestätigte.
Am 25. Juni 2012 meldete sich A.________ erneut bei der IV-Stelle Luzern zum
Leistungsbezug an und machte eine gesundheitliche Beeinträchtigung am
Bewegungsapparat geltend. Die IV-Stelle trat auf die Neuanmeldung ein und
bejahte mit Verfügung vom 8. April 2014 nach beruflichen und medizinischen
Abklärungen, worunter ein polydisziplinäres Gutachten der Gutachterstelle
B.________ vom 19. November 2013, einen Anspruch auf eine Viertelsrente der
Invalidenversicherung ab 1. Dezember 2012. Nachdem das Strassenverkehrsamt eine
verkehrsmedizinische Begutachtung am Institut C.________ durchführen liess,
erklärte die IV-Stelle gestützt auf dieses Gutachten vom 25. März 2014 die noch
nicht rechtskräftige Verfügung vom 8. April 2014 als ungültig (Mitteilung vom
24. April 2014) und forderte mit Verfügung vom 5. Mai 2014 bereits
ausgerichtete Rentenleistungen in der Höhe von Fr. 10'110.- zurück. Am 25. Juni
2014 verneinte sie schliesslich verfügungsweise einen Anspruch auf eine
Invalidenrente.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern mit Entscheid
vom 28. April 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
sinngemäss beantragen, es sei ihm eine Invalidenrente gestützt auf eine 80%ige
Arbeitsfähigkeit und mit einem leidensbedingten Abzug von 10 %, eventualiter 5
%, was einen Invaliditätsgrad von 47 bzw. 44 % ergäbe, ab dem 1. Dezember 2012
zu gewähren. Subeventualiter sei die Sache zu weiteren Abklärungen und neuer
Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Auf die Durchführung eines Schriftenwechsels wurde verzichtet.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit bzw. deren Veränderung in einem bestimmten Zeitraum handelt es
sich grundsätzlich um Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Gleiches
gilt für die konkrete Beweiswürdigung (Urteil 9C_204/2009 vom 6. Juli 2009 E.
4.1, nicht publ. in BGE 135 V 254, aber in: SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164). Dagegen
sind die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln
Rechtsfragen.

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob nach der bis 31. Oktober 2003 zugesprochenen
befristeten Invalidenrente erneut ein Rentenanspruch besteht, wie dies der
Beschwerdeführer mit Neuanmeldung vom 25. Juni 2012 geltend macht. Das
beurteilt sich in analoger Anwendung der für die Rentenrevision geltenden
Regeln. Massgeblich ist demnach, ob eine wesentliche Änderung in den
tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist, die geeignet ist, den
Invaliditätsgrad und damit den Rentenanspruch zu beeinflussen. Dabei bildet in
zeitlicher Hinsicht die letzte, auf einer materiellen Prüfung des
Rentenanspruchs beruhende, rechtskräftige Verfügung den Ausgangspunkt - hier
demnach der 8. Januar 2009 - und die streitige Verfügung den Endpunkt - hier
der 25. Juni 2014 - für die Beurteilung, ob eine solche Änderung eingetreten
ist (vgl. Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 133 V 263 und 108; 130 V 71).

3.

3.1. In Berücksichtigung einer Stellungnahme des Regionalen Ärztlichen Dienstes
(RAD) der IV-Stelle vom 1. Dezember 2008 und in Würdigung der weiteren
medizinischen Berichte bestätigte das damalige Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern im Entscheid vom 22. Dezember 2010 die Auffassung der IV-Stelle, wonach
der Beschwerdeführer ab 1. November 2003 in einer wechselbelastenden,
angepassten Tätigkeit gemäss festgelegtem Zumutbarkeitsprofil vollständig
arbeitsfähig sei und bei einem Invaliditätsgrad von 19 % keinen Anspruch auf
eine Invalidenrente habe.

3.2. Die rentenablehnende Verfügung im Rahmen der Neuanmeldung stützte sich
namentlich auf die Gutachten der Gutachterstelle B.________ vom 19. November
2013 und des Instituts C.________ vom 25. März 2014 sowie auf die
Stellungnahmen des RAD (vom 3. Dezember 2013, 29. April 2014 und 9. Mai 2014).
Das kantonale Gericht gelangte in einlässlicher Würdigung der Akten zum
Schluss, das Gutachten der Gutachterstelle B.________ sei in medizinischer
Hinsicht zuverlässig und beweiskräftig. Danach leide der Beschwerdeführer mit
Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit an einem chronischen cervico-occipitalen
und cervico-brachialen Syndrom linksbetont bei Status nach
C7-Wurzelkompression, Status nach ventraler Discektomie C6/7, mit residueller
radikulärer Symptomatik in C7 links, primärer Blockwirbelbildung C4/5 mit
sekundären degenerativen Veränderungen C3/4 und C5/6 mit erheblichen
Funktionseinschränkungen sowie an einem rezidivierenden, links-betonten
lumbospondylogenen Syndrom bei Osteochondrosen L2/3 und L3/4, ohne radikuläre
Irritations- oder Ausfallsymptomatik. Des Weiteren seien rechtsseitige
Schulterschmerzen mit residueller schmerzhafter Funktionseinschränkung bei
Status nach multiplen, rezidivierenden Schulterluxationen rechts, Status nach
mehreren stabilisierenden Schulteroperationen, diagnostiziert. Schliesslich
wurde eine gemischte dissoziative Störung (Konversionsstörung), Status nach
Panikstörung, festgehalten. Das kantonale Gericht folgte der in der
abschliessenden Konsensbeurteilung der Gutachter der Gutachterstelle B.________
festgehaltenen 80%igen Arbeitsfähigkeit in einer optimal adaptierten Tätigkeit
aus rein somatischer Sicht. Auf die gutachterliche Einschätzung einer
gesamthaften Einschränkung der Arbeitsfähigkeit um 40 % aufgrund einer
erheblichen psychischen Überlagerung, insbesondere wegen der Panikzustände,
stellte es hingegen nicht ab, da diese nicht überzeuge, insbesondere weil sich
aus dem Gutachten keine Hinweise für gegenwärtige Panikzustände ergäben, zumal
die Experten selbst einen Zustand nach Panikzuständen beschrieben hätten und
die im Jahr 2011 ausgewiesene Panikattacke unter medikamentöser und
therapeutischer Behandlung als kompensiert betrachtet hätten (vgl. auch
IV-Protokolleintrag vom 3. Dezember 2013). Daher bleibe es bei der aus
somatischer Sicht attestierten, um 20 % eingeschränkten Leistungsfähigkeit im
Zeitpunkt der Begutachtung im September 2013. In Übereinstimmung mit dem
RAD-Arzt Dr. med. D.________, FMH Chirurgie, der am 29. April 2014 unter
Hinweis auf das verkehrsmedizinische und -psychologische Gutachten eine
deutliche Verbesserung der Schmerzen, der Beweglichkeit, der
cervico-radikulären Reizsymptomatik C6/7 und der psychischen Situation
festhielt, nahm die Vorinstanz sodann ab Februar 2014 eine volle
Arbeitsfähigkeit in dem in der Expertise der Gutachterstelle B.________
festgelegten ergonomischen Tätigkeitsprofil an. Sowohl unter Annahme einer 80
als auch 100%igen Arbeitsfähigkeit in einer leidensadaptierten Tätigkeit - und
selbst in Berücksichtigung eines leidensbedingten Abzugs von 25 % - bestehe ein
rentenausschliessender Invaliditätsgrad.

3.3. Die vorinstanzliche Würdigung der medizinischen Aktenlage ist nicht zu
beanstanden. Insgesamt ergibt sich aus den Akten nichts, das geeignet wäre, den
Beweiswert der Entscheidungsgrundlagen in Zweifel zu ziehen. Hinsichtlich des
wiederholten Einwandes des Beschwerdeführers, die verkehrsmedizinische und
-psychologische Expertise habe sich einzig auf die Überprüfung der
Fahrtauglichkeit beschränkt und stelle auch mit Blick auf die fachliche
Qualifikation der Gutachter keine hinreichende Grundlage dar, um die
Einschätzungen des umfassenden, polydisziplinären Gutachtens der
Gutachterstelle B.________ in Frage zu stellen, führte das kantonale Gericht
aus, dass dieses Vorbringen grundsätzlich berechtigt sei. Es gelangte zum
Schluss, dass damit kein umfassendes, voll beweiskräftiges Gutachten vorliege,
sondern dieses mit Vorbehalten zu berücksichtigen sei. Die verkehrsmedizinische
Expertise des Dr. med. E.________, Oberarzt, Facharzt FMH für Innere Medizin,
Verkehrsmediziner SGRM, und der Frau med. pract. F.________, Assistenzärztin,
vom 25. März 2014, welches auch die verkehrspsychologische Abklärung der
kognitiven Fahreignung durch Frau Dr. phil. G.________, Fachpsychologin für
Verkehrspsychologie FSP, vom 19. März 2014, umfasst, würde dennoch
aufschlussreiche ärztliche Ausführungen zum aktuellen Gesundheitszustand des
Beschwerdeführers enthalten, indem der Versicherte gegenüber den Experten Dr.
med. E.________ und Frau med. pract. F.________ angegeben habe, dass sich die
Halswirbelsäulenbeweglichkeit deutlich unter Physiotherapie gebessert habe
sowie die im Jahr 2011 aufgrund der psychischen Problematik begonnene
Psychotherapie im darauf folgenden Jahr wieder beendet und die entsprechende
Medikation reduziert worden sei. Diese Angaben seien im Rahmen einer
Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, weshalb dem Gutachten nicht jeder
Beweiswert abzusprechen sei. Dies ist nicht zu beanstanden. Hervorzuheben ist
ferner, dass das kantonale Gericht die für massgebend erachteten Einschätzungen
des RAD-Arztes Dr. med. D.________ sorgfältig in den Kontext der weiteren
ärztlichen Stellungnahmen einbettete und würdigte. Es durfte dessen Darlegungen
zur fehlenden Einschränkung der Leistungsfähigkeit in psychischer Hinsicht, in
Berücksichtigung der Ergebnisse der verkehrsmedizinischen Begutachtung vom 25.
März 2014, als nachvollziehbar und schlüssig werten.
Nach dem Gesagten ist das vorinstanzliche Abstellen auf die Schlussfolgerungen
des RAD-Arztes jedenfalls nicht offensichtlich unrichtig oder sonstwie
bundesrechtswidrig; die Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit sind
nicht willkürlich. Das Bundesgericht ist daher daran gebunden (E. 1). Damit
erübrigt sich die vom Beschwerdeführer subeventualiter anbegehrte weitere
medizinische Abklärung.

4. 
Mit Blick auf die erwerbliche Seite der Invaliditätsbemessung bemängelt der
Beschwerdeführer die ermittelten Vergleichseinkommen nicht (Valideneinkommen:
Fr. 66'314.-; Invalideneinkommen bei vollständiger Arbeitsfähigkeit: Fr.
65'689.-). Er geht von einem maximal vorzunehmenden Leidensabzug von 10 % aus.
Soweit er beanstandet, das Gericht hätte abschliessend festlegen müssen, ob ein
Abzug von 5 oder 10 % zu erfolgen hat, auch wenn so oder anders kein
rentenbegründender Invaliditätsgrad resultiere, da dies namentlich für die
Leistungen der Vorsorgeeinrichtung relevant sei, kann ihm nicht gefolgt werden.
Der im IV-Verfahren ermittelte Invaliditätsgrad entfaltet nämlich dann keine
Bindungswirkung für die berufliche Vorsorge, wenn er nicht genau ("präzis")
bestimmt werden muss, weil eine grobe Schätzung für die Festsetzung des Umfangs
des Anspruchs oder die Verneinung eines Anspruchs genügt (SVR 2012 IV Nr. 41 S.
153, E. 3.2.2, 9C_822/2011; Urteil 9C_858/2010 vom 17. Mai 2011 E. 2.3.2 mit
weiteren Hinweisen). Diesfalls wird die allenfalls leistungspflichtige
Vorsorgeeinrichtung den Invaliditätsgrad von Amtes wegen mit der gebotenen
Sorgfalt zu ermitteln haben (Urteil 9C_345/2008 vom 25. Juli 2008 E. 2.3 mit
Hinweis). Dabei kann sie sich auf die im IV-Verfahren durchgeführten
medizinischen und erwerblichen Abklärungen stützen (BGE 118 V 35 E. 2b/aa S.
40). Damit hat es beim vorinstanzlichen Entscheid sein Bewenden.

5. 
Ausgangsgemäss sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art.
65 Abs. 4 lit. a und Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 31. August 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Polla

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