Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.391/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_391/2015

Urteil vom 11. August 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Frésard, Maillard,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Heinz Ottiger,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Arbeitsunfähigkeit; Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Luzern
vom 24. April 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1962 geborene A.________ war seit 17. Oktober 1994 Bauarbeiter bei der
Firma B.________ AG und damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch unfallversichert. Am 20. April
2011 fiel eine Backsteinwand auf ihn, wobei er sich eine wenig dislozierte
Beckenfraktur, eine Prellung Flanke beidseits rechts > links und Schürfwunden
zuzog; festgestellt wurde zudem ein Fremdkörper Kornea links. Die SUVA kam für
die Heilbehandlung und das Taggeld auf. Mit Schreiben vom 26. März 2013 stellte
sie die Heilkosten per dieses Datum ein; weiter eröffnete sie dem Versicherten,
das Taggeld werde per 30. April 2013 eingestellt. Mit Verfügung vom 15. Mai
2013 sprach sie ihm ab 1. Mai 2013 eine Invalidenrente bei einer
Erwerbsunfähigkeit von 15 % und eine Integritätsentschädigung bei einer
Integritätseinbusse von 28 % zu. Seine Einsprache wies die SUVA mit Entscheid
vom 8. November 2013 ab.

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern mit Entscheid
vom 24. April 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen
Entscheids sei die Zumutbarkeitsbeurteilung durch das Gericht von einem
unabhängigen Sachverständigen vornehmen zu lassen; eventuell sei die Sache zur
Vornahme dieser Abklärungen an die Vorinstanz oder die SUVA zurückzuweisen; ab
1. Mai 2013 sei ihm eine volle Invalidenrente, eventuell eine Invalidenrente
bei einer Erwerbseinbusse von 61 % zu gewähren; für das bundesgerichtliche
Verfahren sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen.
Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E.
2.2.1 S. 389).
 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Die SUVA hat im strittigen Einspracheentscheid die für die Beurteilung des
Leistungsanspruchs massgebenden rechtlichen Grundlagen richtig dargelegt.
Darauf wird mit der Vorinstanz verwiesen.

3.

3.1. Die Vorinstanz hat in Würdigung der medizinischen Akten mit einlässlicher
Begründung - auf die verwiesen wird - erwogen, die Beurteilung des Kreisarztes
med. pract. C.________, Facharzt für Chirurgie FMH, vom 13. September 2012 sei
- nach seinen Untersuchungen des Versicherten vom 15. Dezember 2011 und 11.
September 2012 - unter Berücksichtigung des aktenmässigen Verlaufs anhand der
vorbestehenden spezialärztlichen Berichte einschliesslich eines bildgebenden
Berichts des Spitals D.________ erfolgt. Angesichts der aktuellen objektiven
Spezialistenbefunde habe auf eine erneute Befunderhebung verzichtet werden
können. Med. pract. C.________ habe sich auch mit der durchgeführten
medikamentösen Therapie befasst. Ein Widerspruch mit einer anderslautenden, die
Unfallrestfolgen berücksichtigenden Zumutbarkeitsbeurteilung anderer
Spezialärzte sei nicht ersichtlich. Auf die Beurteilung des med. pract.
C.________ könne somit abgestellt werden. Gestützt hierauf sei der Versicherte
in der angestammten Tätigkeit als Bauarbeiter vollständig arbeitsunfähig.
Zumutbar seien ihm leichte bis mittelschwere Arbeiten mit Heben von Lasten bis
maximal 15 kg. Das Heben von Lasten über 20 kg sei ausnahmsweise ebenfalls
zumutbar mit entsprechender anschliessender Pause und nicht repetitiv.
Vorteilhaft seien wechselbelastende Tätigkeiten (Wechsel zwischen Sitzen, Gehen
und Stehen), die ganztags zumutbar seien. Ausschliesslich stehende und sitzende
Tätigkeiten seien zumutbar, wenn nach einer Stunde längere Pausen eingehalten
werden könnten.

3.2. Der Versicherte rügt, die Vorinstanz habe die Begründungspflicht verletzt,
da sie auf seine substanziierte Rüge der unzutreffenden kreisärztlichen
Feststellung nicht eingegangen sei. Hierzu ist festzuhalten, dass die
Vorinstanz darlegte, weshalb auf den Bericht des Kreisarztes med. pract.
C.________ vom 13. September 2012 abzustellen sei. Die aus dem Anspruch auf
rechtliches Gehör fliessende Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 61
lit. h ATSG) erfordert nicht, dass sich das Gericht mit allen
Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt. Vielmehr kann es sich auf die
für seinen Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründungspflicht
soll den Anspruch auf eine sachbezogene Begründung gewährleisten. Sie ist
erfüllt, wenn die betroffene Person die entsprechenden Erwägungen sachgerecht
anfechten kann (BGE 138 I 232 E. 5.1 S. 237; Urteil 8C_326/2015 vom 3. Juli
2015 E. 3.4). Dies ist hier der Fall.

3.3. Der Versicherte beruft sich auf Berichte des Spitals D.________ vom 27.
Januar 2012, 12. März 2012, 22. Mai 2012 und 7. Juli 2012. Er bringt im
Wesentlichen vor, gestützt auf den Bericht des Spitals D.________ vom 27.
Januar 2012 stehe die Affektion im linken Bein mit der unfallbedingten
Plexusläsion bzw. den im Bereich der Wurzel S1 gemäss MRI sichtbaren
Vernarbungen im Zusammenhang; er leide an einer rein unfallbedingten
neuropathischen Problematik. Laut dem Bericht des Spitals D.________ vom 7.
Juli 2012 seien die geschilderten Beschwerden am ehesten mit einer peripheren
S1-Läsion vereinbar; ein klar bildgebend objektivierbarer Befund bestehe in
Vernarbungen am ventralen Abschnitt des Nervus S1 aus dem sakralen Foramen.
Dem ist entgegenzuhalten, dass die Einschätzung des med. pract. C.________ vom
13. September 2012 in Kenntnis der vom Spital D.________ beschriebenen
Pathologie im Bereich der S1-Wurzel und der neuropathischen Beschwerden
erfolgte. Für die Bestimmung des Rentenanspruchs ist es - grundsätzlich
unabhängig von der Diagnose und unbesehen der Ätiologie - massgebend, ob und in
welchem Ausmass eine Beeinträchtigung der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit
vorliegt (BGE 136 V 279 E. 3.2.1 S. 281; Urteil 8C_924/2014 vom 2. April 2015
E. 4.2). Die vom Versicherten angerufenen Berichte des Spitals D.________
enthalten keine Angaben zu seiner Arbeitsfähigkeit. Im Bericht des Spitals
D.________ vom 12. März 2012 wurde zwar festgehalten, die Wiedereingliederung
in den Arbeitsprozess habe zu einer totalen Überforderungsreaktion des
Versicherten geführt. Dies wurde aber damit begründet, dass er bei einem
50%igen Pensum "leichter Arbeit" ganztags Wände habe herausspitzen müssen.
Hieraus kann nicht geschlossen werden, ein Vollzeitpensum für leidensangepasste
Arbeiten (vgl. E. 3.1 hievor) sei ihm unzumutbar.

3.4. Der Versicherte bringt weiter vor, er sei auf die tägliche Einnahme von
Lyrica angewiesen, um sein Leiden einigermassen erträglich zu machen. Dies
führe zu massiven Schlafstörungen und verminderter Leistungsfähigkeit am Tag,
insbesondere Schwindel und extremer Müdigkeit, was er der SUVA am 25. Mai 2012
angegeben habe. Gemäss der Fachinformation des Arzneimittel-Kompendiums der
Schweiz könne die Lyrica-Einnahme diverse unerwünschte Nebenwirkungen nach sich
ziehen. Im Rahmen eines klinischen Studienprogramms hätten zahlreiche
Testpersonen den Versuch deswegen abbrechen müssen. Benommenheit sei bei 28 %
und Schläfrigkeit bei 22 % von ihnen aufgetreten. Deshalb erstaune es nicht,
dass er sich stets müde und abgeschlagen fühle. Weiter zählten auch Schwindel
sowie Gangstörungen und Trunkenheitsgefühl zu den häufig auftretenden
Wirkungen. Dies sei vom Kreisarzt gänzlich unberücksichtigt geblieben, weshalb
auf seine Einschätzung nicht abgestellt werden könne.
Am 25. Mai 2012 gab der Versicherte im Rahmen einer Besprechung mit der SUVA
an, wegen der Lyrica-Einnahme sei er öfters müde, habe oft einen trockenen Mund
und viel Schwindel. Gemäss dem Bericht des Kreisarztes med. pract. C.________
vom 13. September 2012 hatte dieser Kenntnis von der Lyrica-Einnahme des
Versicherten. Er verwies auf den Bericht des Spitals D.________ vom 7. Juli
2012, worin ausgeführt wurde, aktuell würden die Schmerzen mit Lyrica coupiert,
wobei eine Reduktion der Abenddosis zu gestörtem Schlaf führe. Gegenüber med.
pract. C.________ schilderte der Versicherte Beschwerden im Bein-/Hüftbereich
und gab weiter an, bezüglich der Impotenz sei er mit dem erreichten Ergebnis
durch die Caverject-Injektion sehr zufrieden; gesundheitliche Störungen als
Folge der Einnahme von Lyrica legte er nicht dar. Demnach kann nicht davon
ausgegangen werden, med. pract. C.________ habe relevante Einschränkungen als
Folge der Lyrica-Einnahme übersehen.

3.5. Insgesamt liegen, wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat, keine
fachärztlichen Berichte vor, die auch nur geringe Zweifel an der Einschätzung
des med. pract. C.________ vom 13. September 2012 wecken (zum Beweiswert von
Berichten versicherungsinterner Arztpersonen vgl. BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229).
Da von weiteren medizinischen Abklärungen keine entscheidrelevanten Ergebnisse
mehr zu erwarten sind, verzichtete die Vorinstanz darauf zu Recht. Dies
verstösst entgegen dem Versicherten weder gegen den Untersuchungsgrundsatz noch
gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör bzw. auf Beweisabnahme (Art. 29 Abs. 2
BV; Art. 42 ATSG) noch gegen das Gebot eines fairen Verfahrens nach Art. 9 BV
bzw. Art. 6 Ziff. 1 EMRK (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S.
236, 134 I 140 E. 5.3 S. 148, BGE 124 V 90 E. 4b S. 94; Urteil 8C_765/2014 vom
9. Februar 2015 E. 7).

4. 
Im Weiteren verneinte die Vorinstanz die adäquate Unfallkausalität des
psychischen Gesundheitsschadens des Versicherten (vgl. BGE 115 V 133), und sie
stellte aufgrund des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) der SUVA einen
Invaliditätsgrad von 15 % fest. Dies ist unbestritten, weshalb sich dazu
Weiterungen erübrigen.

5. 
Der unterliegende Versicherte trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihm wegen Aussichtslosigkeit der
Beschwerde, welche über weite Teile wortwörtlich derjenigen an die Vorinstanz
entspricht, nicht gewährt werden (Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. August 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Ursprung

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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