Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.379/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]                      
8C_379/2015, 8C_383/2015 {T 0/2}    

Urteil vom 20. Oktober 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung,
Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
8C_379/2015
A.________,
vertreten durch Advokat Stefan Hofer,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin,

und

8C_383/2015
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Advokat Stefan Hofer,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Unfallversicherung (Invalidenrente),

Beschwerden gegen den Entscheid des Sozial-versicherungsgerichts des Kantons
Basel-Stadt
vom 3. Februar 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1965, arbeitete als Elektriker bei der Firma B.________ AG
als er am 7. Mai 2004 einen Motorradunfall erlitt und sich dabei eine
Knieverletzung zuzog. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), bei
welcher er für die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie
Berufskrankheiten versichert war, erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Die
Invalidenversicherung gewährte eine Umschulung zum Elektrotechniker. Die
Arbeitgeberin konnte A.________ in der Folge jedoch nicht weiter beschäftigen
und löste das Arbeitsverhältnis auf den 31. Dezember 2011 auf. A.________
vermochte keine Anstellung als Elektrotechniker zu finden. Er arbeitete seither
temporär bei verschiedenen Firmen. Die SUVA schloss den Fall nach einer
kreisärztlichen Untersuchung vom 8. Juli 2013 ab und sprach ihm eine
Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 15 Prozent zu. Einen
Anspruch auf eine Invalidenrente lehnte sie ab unter Hinweis auf eine
rentenausschliessende Erwerbsunfähigkeit von 7 Prozent (Verfügung vom 10.
Januar 2014 und Einspracheentscheid vom 18. Juli 2014).

B. 
Die gegen die Ablehnung des Rentenanspruchs erhobene Beschwerde hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 3. Februar
2015 nach Ermittlung einer Erwerbsunfähigkeit von 17 Prozent teilweise gut.

C. 
A.________ und die SUVA führen je Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten. A.________ erneuert seinen vorinstanzlich gestellten Antrag
und ersucht um Zusprechung einer Rente bei einem Invaliditätsgrad von 25
Prozent. Die SUVA beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides, wozu
sich A.________ mit einer Beschwerdeantwort hat vernehmen lassen. Das Bundesamt
für Gesundheit verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1. 
Die beiden Beschwerden betreffen einen kantonalen Gerichtsentscheid vom 3.
Februar 2015, es liegt ihnen derselbe Sachverhalt zugrunde und es stellen sich
die gleichen Rechtsfragen, weshalb die beiden Verfahren zu vereinigen und in
einem einzigen Urteil zu erledigen sind.

2. 
Streitig und zu prüfen ist einzig die Invaliditätsbemessung.

3. 
Die SUVA macht geltend, dass der Sold, den der Versicherte als Mitglied der
Betriebsfeuerwehr seiner Arbeitgeberin verdient hatte, beim Valideneinkommen
ausser Acht bleiben müsse.
Nach der Rechtsprechung sind dabei grundsätzlich nur die für den
AHV-beitragspflichtigen Lohn massgebenden Lohnkomponenten einzubeziehen
(Urteile 8C_465/2009 vom 12. Februar 2010 E. 2.1;         U 233/99 vom 21. März
2000 E. 3a). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in ZAK 1950 S. 316 f.
erkannt, dass der Feuerwehrsold des Angehörigen einer staatlich anerkannten
privaten Feuerwehr, im damals zu beurteilenden Fall einer Werksfeuerwehr im
Kanton Basel-Stadt, kein AHV-beitragspflichtiges Erwerbseinkommen sei (vgl.
auch BGE 129 V 425). Nach Art. 6 Abs. 2 lit. a AHVV in Verbindung mit Art. 24
lit. f bis des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) gehört
insbesondere der Sold der Milizfeuerwehrleute nicht zum beitragspflichtigen
Erwerbseinkommen, sofern er einen Betrag von jährlich 5'000 Franken nicht
übersteigt und für Dienstleistungen ausgerichtet wird, die in Zusammenhang
stehen mit der Erfüllung der Kernaufgaben der Feuerwehr (Übungen,
Pikettdienste, Kurse, Inspektionen und Ernstfalleinsätze zur Rettung,
Brandbekämpfung, allgemeine Schadenwehr, Elementarschadenbewältigung und
dergleichen; vgl. die in Art. 24 lit. f bis genannten, hier jedoch nicht
bedeutsamen Ausnahmen). Der hypothetische Sold für den Feuerwehrdienst von
2'300 Franken, den der Versicherte im Jahr 2012 bei der vormaligen
Arbeitgeberin hätte erzielen können, ist daher beim Valideneinkommen nicht zu
berücksichtigen.

4. 
Der Versicherte macht sinngemäss im Wesentlichen geltend, dass ihm eine andere
als die derzeitige Stelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zuzumuten sei.
Zu Unrecht habe ihm das kantonale Gericht beim Invalideneinkommen den
Tabellenlohn eines Elektrotechnikers angerechnet (nach der Lohnstrukturerhebung
LSE, herausgegeben vom Bundesamt für Statistik, 2010, Tabelle TA1, Position 27:
Herstellung von elektronischen Ausrüstungen).
Das kantonale Gericht hat sich dazu indessen zutreffend geäussert. Der
Versicherte ist nach dem Unfall umgeschult worden. Er ist rund 50-jährig und
ihm ist eine Stelle zuzumuten, die seinen dabei erworbenen Fähigkeiten
entspricht. Dass er Mühe hat, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden,
erscheint aufgrund der konkreten Umstände nachvollziehbar, führt aber nicht zur
generellen Unzumutbarkeit eines Erwerbs in einer Verweistätigkeit als
Elektrotechniker. Es ist nicht einzusehen und wird auch beschwerdeweise nicht
näher dargelegt, weshalb der Versicherte seine Restarbeitsfähigkeit im neuen
Beruf auf dem allein massgeblichen ausgeglichenen Arbeitsmarkt nicht zu
verwerten vermöchte (Art. 16 ATSG; BGE 134 V 64 E. 4.2.1 S. 70 f.; 110 V 273 E.
4b S. 276; ZAK 1991 S. 318 E. 3b). Insbesondere ist nicht nachvollziehbar,
weshalb ihm allein wegen seines Alters von 50 Jahren die Berufseignung auf dem
ausgeglichenen Arbeitsmarkt abzusprechen wäre. Dem Umstand, dass - nebst der
grundsätzlich allein versicherten unfallbedingten Invalidität - auch das
vorgerückte Alter eine Ursache der Erwerbslosigkeit oder -unfähigkeit bildet,
wird im Bereich der Unfallversicherung bei der Invaliditätsbemessung mit der
Bestimmung von Art. 28 Abs. 4 UVV Rechnung getragen. Die Voraussetzungen für
die Anwendung dieser Bestimmung sind hier jedoch nicht gegeben (BGE 122 V 418
E. 1b S. 419, E. 3 und 4 S. 421 ff.).

5. 
Die fehlende Berufserfahrung hat das kantonale Gericht jedoch zu Recht bei den
erwerblichen Auswirkungen der Gesundheitsschädigung berücksichtigt und auf
Seiten des Invalideneinkommens einen leidensbedingten Abzug vom Tabellenlohn in
der Höhe von zehn Prozent gewährt (RKUV 1993 Nr. U 168 S. 97 E. 4b i.f.; BGE
126 V 75          E. 5 b/bb S. 80; Urteil I 395/04 vom 26. Januar 2006 E.
5.3.2). Der Versicherte ist auf dem ihm neu, das heisst nach der Umschulung,
offen stehenden Arbeitsmarkt Anfänger, er hat in dieser Branche keine
Arbeitserfahrung und wird daher zumindest beim Berufseinstieg einen gegenüber
gesunden Mitbewerbern unterdurchschnittlichen Lohn in Kauf nehmen müssen. Dies
ist denn auch nach den Lohnstrukturerhebungen des Bundesamts für Statistik
ausgewiesen (auch wenn entsprechende Zahlen nur für den privaten und
öffentlichen Sektor zusammen verfügbar sind: Tabelle T10, zuletzt erhoben
2010, http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/03/04/blank/data/ 01/
06_01.html, besucht am 13. Oktober 2015). Die Bestimmung der Höhe des Abzuges
stand im Ermessen des kantonalen Gerichts (BGE 129 V 472 E. 4.2.3 S. 481; 126 V
75 E. 5 S. 78 ff.; 132 V 393 E. 3.3 S. 399). Eine Angemessenheitskontrolle ist
dem Bundesgericht verwehrt (Art. 95 lit. a BGG; BGE 134 V 322 E. 5.3 S. 328;
132 V 393 E. 3.3 S. 399; Urteil 8C_644/2008 vom 19. August 2009 E. 6.1, nicht
publ. in: BGE 135 V 353, aber in: SVR 2010 IV Nr. 6 S. 13). Die Vorbringen der
SUVA vermögen den gewährten Abzug von zehn Prozent nicht als willkürlich
erscheinen zu lassen.

6. 
Zusammengefasst beläuft sich das Valideneinkommen ausgehend von den dazu
ergangenen, im Übrigen nicht beanstandeten Feststellungen des kantonalen
Gerichts auf 85'262 Franken (ohne Feuerwehrsold von 2'300 Franken) und das
Invalideneinkommen (in Übereinstimmung mit der Vorinstanz) auf 72'340 Franken.
Aus dem Vergleich ergibt sich ein Invaliditätsgrad von 15 Prozent (gegenüber
den vom kantonalen Gericht ermittelten 18 Prozent). Der vorinstanzliche
Entscheid ist insoweit abzuändern.

7. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Entsprechend seinem Ausgang
werden beiden Parteien Gerichtskosten auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die SUVA
hat dem Versicherten eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2
BGG). Im Übrigen kann ihm die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der
vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen
Verbeiständung, Art. 64 Abs. 1 und Abs. 2 BGG) gewährt werden, weil die
Bedürftigkeit aktenkundig ist und die Beschwerde nicht aussichtslos war. Es
wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach
die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird,
wenn sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Verfahren 8C_379/2015 und 8C_383/2015 werden vereinigt.

2. 
Die Beschwerde des A.________ (8C_379/2015) wird abgewiesen.

3. 
Die Beschwerde der SUVA (8C_383/2015) wird teilweise gutgeheissen. Der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 3.
Februar 2015 und der Einspracheentscheid der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom 18. Juli 2014 werden insoweit abgeändert,
als A.________ eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 15 Prozent
zusteht. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

4. 
A.________ wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Advokat Stefan
Hofer wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

5. 
Die Gerichtskosten von 1'200 Franken werden zu 400 Franken der SUVA und zu 800
Franken A.________ auferlegt. Der Anteil des A.________ wird vorläufig auf die
Bundesgerichtskasse genommen.

6. 
Die SUVA hat den Rechtsvertreter des A.________ für das bundesgerichtliche
Verfahren mit 1'400 Franken zu entschädigen.

7. 
Dem Rechtsvertreter des A.________ wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von 1'400 Franken ausgerichtet.

8. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt
zurückgewiesen.

9. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Basel-Stadt und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 20. Oktober 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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