Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.357/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]               
{T 0/2}
                             
8C_357/2015, 8C_360/2015

Urteil vom 2. Dezember 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
8C_357/2015
 A.________, vertreten durch Rechtsanwalt Simon Kehl,
Beschwerdeführer,

gegen

 AXA Versicherungen AG, vertreten durch Rechtsanwältin Marianne I. Sieger,
Beschwerdegegnerin,

und

8C_360/2015
 AXA Versicherungen AG, vertreten durch Rechtsanwältin Marianne I. Sieger,
Beschwerdeführerin,

gegen

 A.________, vertreten durch Rechtsanwalt Simon Kehl,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerden gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St.
Gallen vom 7. April 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1956, arbeitete seit dem 1. Mai 2007 als Geschäftsführer im
Restaurant "B.________" und war bei der AXA Versicherungen AG (nachfolgend:
AXA) für die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten
versichert. Am Morgen des 7. Juni 2007 erlitt er einen Selbstunfall mit dem
Auto, indem er von der Fahrbahn geriet und mit einem Traktor auf dem
Pannenstreifen kollidierte. Dabei zog sich A.________ Verletzungen am rechten
Unterschenkel sowie an der rechten Schulter zu. Die AXA erbrachte die
gesetzlichen Leistungen. Nachdem sie ein Gutachten der Klinik C.________, vom
31. März 2010 eingeholt hatte, liess sie den Versicherten überwachen. Mit
Verfügung vom 16. März 2012 reduzierte die AXA die Taggeldleistungen gestützt
auf eine Arbeitsfähigkeit von 50 Prozent und mit Verfügung vom 21. September
2012 stellte sie die Leistungen auf den 31. August 2012 ein und verneinte einen
Anspruch auf eine Invalidenrente, sprach dem Versicherten jedoch eine
Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 30 Prozent zu. An
beiden Verfügungen hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom
27. Dezember 2012).

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen mit Entscheid vom 7. April 2015 teilweise gut und sprach dem
Versicherten eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 35 Prozent zu.

C. 
A.________ und die AXA lassen je Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten führen. A.________ lässt beantragen, es sei ihm ein volles
Taggeld bis zum 31. August 2012, eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad
von 100 Prozent und eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse
von mindestens 60 Prozent zuzusprechen, eventualiter sei die Sache zu weiteren
medizinischen Abklärungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Mit nachträglicher
Eingabe reicht er einen Bericht des Prof. Dr. med. D.________,
Universitätsspital E.________, Klinik für Neuroradiologie, vom 10. Juni 2015
ein. Die AXA ersucht um Aufhebung des angefochtenen Entscheides, eventualiter
um Rückweisung an die Vorinstanz zu weiteren medizinischen Abklärungen. Beide
Parteien haben sich je mit einer Beschwerdeantwort vernehmen lassen, die AXA
unter Hinweis auf eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. med.
F.________ vom 15. Juli 2015. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine
Vernehmlassung, während die Vorinstanz insoweit eine Gutheissung beantragt, als
die Behandlung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung und Zusprechung einer
amtlichen Entschädigung nicht entschieden worden sei.

Erwägungen:

1. 
Die beiden Beschwerden betreffen den gleichen kantonalen Gerichtsentscheid vom
7. April 2015, es liegt ihnen derselbe Sachverhalt zugrunde und es stellen sich
die gleichen Rechtsfragen, weshalb die beiden Verfahren zu vereinigen und in
einem einzigen Urteil zu erledigen sind.

2. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze, welche für die vom
Versicherten geltend gemachten Ansprüche massgeblich sind, zutreffend
dargelegt. Es wird darauf verwiesen.

3. 
In der Klinik C.________ (Gutachten vom 31. März 2010) wurde der Versicherte
orthopädisch (obere und untere Extremitäten je separat) und
schmerzmedizinisch-psychosomatisch untersucht. Nach Einschätzung der Gutachter
verbleiben nach dem Unfall belastungsabhängige Beschwerden im rechten oberen
Sprunggelenk (nach zweigradiger offener, mehretagiger Unterschenkelfraktur) und
Beeinträchtigungen zufolge der erlittenen Schulterverletzung (rechts; Reruptur
Supraspinatus und Infraspinatus mit beginnender Rotator-Cuff-Arthropathie).
Eine leidensangepasste, vorwiegend sitzende Tätigkeit mit lediglich geringer
Schulterbelastung sei ihm zuzumuten. Der Versicherte veranlasste in der Folge
eine neuropsychologische Abklärung durch Frau Dr. phil. G.________ (Bericht vom
29. Juli 2010) sowie eine orthopädische Untersuchung durch Dr. med. H.________
(Bericht vom 5. September 2011). Nach den Stellungnahmen der Privatgutachter
sei der Versicherte wegen kognitiver Defizite zu 30 bis 40 Prozent
eingeschränkt. Aus orthopädischer Sicht bestehe selbst in einer optimal
angepassten Tätigkeit lediglich noch eine Arbeitsfähigkeit von 15 Prozent.
Demgegenüber bescheinigte der behandelnde Arzt Dr. med. I.________, Orthopädie
am J.________, am 18. Juli 2011 eine 70-prozentige Arbeitsfähigkeit in einer
leidensangepassten Tätigkeit seit dem 19. Oktober 2010. Zu den Ergebnissen der
Überwachung liess die AXA ihre beratenden Ärzte Dr. med. K.________, Innere
Medizin FMH, sowie Dr. med. L.________, Chirurgie FMH, Stellung nehmen
(Berichte vom 22. August 2012 und vom 11. Dezember 2012). Nach Dr. med.
K.________ liessen sich aus dem Überwachungsmaterial keine Schlüsse zu
allfälligen neurokognitiven Einschränkungen ziehen. Die Arbeitsfähigkeit in
einer leidensangepassten Tätigkeit schätzte er auf 70 bis 100 Prozent. Dr. med.
L.________ erachtete den Versicherten in einer leidensangepassten Tätigkeit zu
100 Prozent arbeitsfähig, in der Leistungsfähigkeit wegen schmerzhafter
Schulterbeweglichkeit zu 10 Prozent eingeschränkt.
Es liegt damit zwar eine Vielzahl von (nicht abschliessend genannten)
ärztlichen Stellungnahmen vor, sie erlauben jedoch entgegen der Vorinstanz
insgesamt keine schlüssige Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Aus dem Gutachten
der Klinik C.________ geht nicht schlüssig hervor, in welchem Umfang der
Beschwerdeführer noch arbeitsfähig ist. Die Einschätzung des Dr. med.
H.________ ist schwierig nachzuvollziehen, während die Stellungnahmen der
beratenden Ärzte der AXA keine hinreichend zuverlässigen Schlüsse aus den
Observationsergebnissen zulassen (SVR 2012 UV Nr. 17 S. 63, 8C_434/2011 E.
4.2). Diese Ungereimtheiten in den einzelnen Stellungnahmen sind nicht ohne
Weiteres auszuräumen und die Widersprüchlichkeiten in den
Arbeitsfähigkeitseinschätzungen nicht zu klären. Indem sich das kantonale
Gericht über die Beurteilung des Gesundheitszustandes und die Einschätzung der
Arbeitsfähigkeit des vom Unfallversicherer eingeholten Gutachtens ohne weitere
Abklärungen hinweggesetzt hat, verletzte es den Untersuchungsgrundsatz und die
Beweiswürdigungsregeln. Zur Beurteilung der Herabsetzung der Taggelder ab dem
1. Mai 2011, des Fallabschlusses auf den 31. August 2012, eines allfälligen
Rentenanspruchs sowie auch der Integritätseinbusse bedarf es daher weiterer
medizinischer Abklärungen zur Arbeitsfähigkeit. Das kantonale Gericht wird ein
polydisziplinäres Gutachten einholen und über die Ansprüche des Versicherten
neu befinden (BGE 137 V 210 E. 4.4.1 S. 263 ff.).
Auf die Zulässigkeit der letztinstanzlich neu eingereichten Beweismittel ist
bei diesem Ergebnis nicht weiter einzugehen. (Art. 99 Abs. 1 BGG).

4. 

4.1. Das Verfahren ist kostenpflichtig. Entsprechend seinem Ausgang werden
beiden Parteien Gerichtskosten auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die AXA hat dem
Versicherten eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

4.2. Über die beantragte unentgeltliche Rechtspflege im Einspracheverfahren
sowie im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht wird die Vorinstanz
ebenfalls zu befinden haben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Verfahren 8C_357/2015 und 8C_360/2015 werden vereinigt.

2. 
Die Beschwerden werden teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 7. April 2015 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur ergänzenden Abklärung und zu neuer Entscheidung an die
Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen werden die Beschwerden abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.- werden den Parteien je hälftig auferlegt.

4. 
Die AXA hat den Rechtsvertreter des A.________ für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. Dezember 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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