Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.351/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
8C_351/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 22. Juli 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Maillard,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Fürsprecher Daniel Wyssmann,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 9. April 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1962 geborene A.________ war seit 1. Juli 2000 Chauffeur bei der
Genossenschaft B.________ und damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch unfallversichert. Am 28.
Oktober 2009 erlitt er einen Autounfall. Das Spital C.________ diagnostizierte
als Folge desselben ein kranio-zervikales Beschleunigungstrauma Grad I (Bericht
vom 29. Oktober 2009); am 3. November 2009 diagnostizierte es eine Hypästhesie
C5/C6 rechts und wechselnde Hypästhesie L5/S12 links oder rechts sowie einen
Status nach Commotio cerebri (Bericht vom 4. Dezember 2009). Die SUVA kam für
die Heilbehandlung und das Taggeld auf. Sie holte diverse Arztberichte und ein
polydisziplinäres (internistisches, rheumatologisches und psychiatrisches)
Gutachten des Zentrums D.________ vom 19. März 2013 ein. Am 11. Juli 2013
stellte der Versicherte unter Einreichung zweier Berichte des behandelnden
Psychiaters Dr. med. E.________ vom 5. und 8. Juli 2013 Ergänzungsfragen zu
diesem Gutachten. Mit Verfügung vom 13. August 2013 eröffnete die SUVA dem
Versicherten, von der Beantwortung dieser Fragen seien keine neuen Erkenntnisse
zu erwarten. Die heute noch geklagten Beschwerden seien organisch nicht
hinreichend nachweisbar. Ihre adäquate Unfallkausalität sei nach der sog.
Schleudertrauma-Praxis zu verneinen, weshalb die Versicherungsleistungen per
25. August 2013 eingestellt würden. Die Einsprache des Versicherten wies sie
mit Entscheid vom 3. Juli 2014 ab.

B. 
Die hiegegen geführte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
ab, soweit es darauf eintrat (Entscheid vom 9. April 2015).

C. 
Mit Beschwerde beantragt der Versicherte die Aufhebung des kantonalen
Entscheids; die Sache sei an die SUVA zur Vornahme weiterer Abklärungen
zurückzuweisen; anschliessend sei über seinen Leistungsanspruch neu zu
verfügen; eventuell sei die SUVA zu verpflichten, ihm die gesetzlichen
Leistungen auszurichten.

 Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E.
2.2.1 S. 389). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die
vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art.
97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Die Vorinstanz hat die Grundlagen über den für die Leistungspflicht des
obligatorischen Unfallversicherers erforderlichen natürlichen und adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden im
Allgemeinen (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111) sowie bei psychischen Unfallfolgen
(sog. Psycho-Praxis; BGE 140 V 356 E. 5 und E. 5.1 S. 359; 115 V 133) oder
Folgen eines Unfalls mit Schleudertrauma der HWS oder äquivalenter Verletzung
ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle (Schleudertrauma-Praxis; BGE 134
V 109) im Besonderen richtig dargelegt. Gleiches gilt betreffend den Wegfall
unfallbedingter Ursachen eines Gesundheitsschadens bei Erreichen des Status quo
sine vel ante (SVR 2011 UV Nr. 4 S. 12    E. 3.2 [8C_901/2009]), den Beweisgrad
der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V 218 E. 6 S. 221), den
Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232) und den Anspruch auf
rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Darauf wird verwiesen.

3.

3.1. Die Vorinstanz hat in Würdigung der medizinischen Akten mit einlässlicher
Begründung - auf die verwiesen wird - erwogen, gestützt auf das Gutachten des
Zentrums D.________ vom 19. März 2013 sei erstellt, dass der Versicherte aus
somatischer Sicht an keinen organisch nachweisbaren unfallkausalen Beschwerden
leide. Spätestens per 25. August 2013 sei die natürliche Unfallkausalität
seiner psychischen Beschwerden zu verneinen. Auch bei deren Bejahung wäre
indessen die adäquate Unfallkausalität nicht gegeben, selbst wenn im Sinne des
Versicherten von der Schleudertrauma-Praxis - mithin unter Berücksichtigung der
physischen und psychischen Komponenten des Gesundheitsschadens (BGE 134 V 109
E. 6.2.1 S. 117) - ausgegangen werde. Denn der Unfall vom 28. Oktober 2009 sei
als mittelschwer im engeren Sinn zu qualifizieren. Keines der Adäquanzkriterien
nach BGE 134 V 109 E. 10.3 S. 130 sei erfüllt. Die Leistungseinstellung per 25.
August 2013 sei deshalb nicht zu beanstanden.

3.2. Der Versicherte wendet ein, an seinem Autounfall vom 28. Oktober 2009 sei
ein Militärfahrzeug beteiligt gewesen. Dies habe ihn an seine Kriegs- und
Konzentrationslagererlebnisse erinnert und eine posttraumatische
Belastungsstörung hervorgerufen. Unter diesen Umständen könnten für die
Adäquanzprüfung nicht die Kriterien der Schleudertrauma- und/oder der
Psycho-Praxis zur Anwendung kommen. Bei der Reaktivierung seines Kriegstraumas
und der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung falle der natürliche
und adäquate Kausalzusammenhang - wie bei den somatischen Verletzungen -
zusammen.

 Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Es bestehen keine Gründe, in
einer solchen Konstellation auf die gesonderte Adäquanzprüfung nach der
Schleudertrauma- und/oder der Psycho-Praxis zu verzichten (vgl. auch Urteile
8C_565/2007 vom 1. Oktober 2008 E. 3 und E. 4.2 sowie U 462/04 vom 13. Februar
2006 E. 2.2.2 und          E. 2.4.2, in denen das Bundesgericht bei
verunfallten Personen mit vorbestandenen Erfahrungen von Krieg und
Gefangenschaft eine Adäquanzprüfung nach der Psycho-Praxis vornahm).

3.3. Unbestritten ist die vorinstanzliche Qualifizierung des Unfalls vom 28.
Oktober 2009 als mittelschwer im mittleren Bereich. Demnach könnte die Adäquanz
nur bejaht werden, wenn mindestens drei der sieben Adäquanzkriterien in
einfacher Form erfüllt wären oder eines besonders ausgeprägt vorläge (BGE 134 V
109 E. 10.3 S. 130; SVR 2013 UV Nr. 3 S. 7 E. 5.2.3 und 6 Ingress). Der
Versicherte zeigt nicht substanziiert auf und es ist auch nicht ersichtlich,
dass diese Voraussetzung erfüllt ist.

4. 
Der Versicherte rügt, die SUVA habe es abgelehnt, die von ihm am 11. Juli 2013
gestellten Ergänzungsfragen den Gutachtern des Zentrums D.________ zur
Beantwortung zu unterbreiten. Mit diesen Fragen gehe es darum, zu überprüfen,
ob die im Gutachten des Zentrums D.________ erhobenen psychiatrischen Diagnosen
korrekt seien, was der behandelnde Psychiater bestreite. Mit ihrer Weigerung
habe die SUVA seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und auf ein faires
Verfahren nach Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 EMRK sowie Art. 42 und Art. 44 ATSG
verletzt.
Da die adäquate Unfallkausalität des Gesundheitsschadens des Versicherten zu
verneinen ist (E. 3 hievor), hat die Vorinstanz richtig erkannt, dass von der
Vorlage der Ergänzungsfragen an die Experten zur Beantwortung keine neuen
entscheidrelevanten Erkenntnisse zu erwarten waren, weshalb die SUVA darauf
verzichten durfte (antizipierte Beweiswürdigung; vgl. BGE 136 I 229 E. 5.3 S.
236; SVR 2014 UV Nr. 32 S. 106 E. 5.2.2 [8C_834/2013]; Urteil 8C_386/2014
vom    6. Oktober 2014 E. 5.4, zusammengefasst in SZS 2015 S. 131). Eine
Verletzung des Gehörsanspruchs und des Rechts auf ein faires Verfahren liegt
demnach nicht vor (Urteil 8C_898/2014 vom 24. März 2015 E. 3.3).

5. 
Der unterliegende Versicherte trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. Juli 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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