Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.326/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_326/2015

Urteil vom 3. Juli 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Maillard,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Gabriela Grob Hügli,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst,
St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Arbeitsunfähigkeit; Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 4. März 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1984 geborene A.________ schloss im Juli 2007 bei der Firma B.________ GmbH
die Lehre zum Autofachmann ab. Seit 18. Januar 2011 arbeitete er wieder bei
dieser Firma als Autofachmann. Vom 7. Juli 2011 bis 18. August 2011 war er in
der Klinik C.________ für Psychiatrie und Psychotherapie, hospitalisiert. Am
13. März 2012 meldete er sich bei der IV-Stelle des Kantons Thurgau zum
Leistungsbezug an. Diese zog diverse Arztberichte und ein für die Sympany
Versicherungen AG erstelltes Gutachten der Psychiaterin Frau Dr. med.
D.________ vom 3. Oktober 2012 bei. Weiter holte sie ein Gutachten des
Psychiaters Dr. med. E.________ vom 23. Oktober 2013 samt neuropsychologischer
Beurteilung des Psychologen Dr. phil. F.________ vom 1. Oktober 2013 ein. Dr.
med. E.________ diagnostizierte eine einfache Aktivitäts- und
Aufmerksamkeitsstörung im Erwachsenenalter (ICD-10: F90.0) sowie eine
rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte depressive Episode
(ICD-10 F33.0), mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit. Mit Verfügung vom 10.
Juni 2014 verneinte die IV-Stelle den Anspruch des Versicherten auf berufliche
Massnahmen. Mit Verfügung vom 21. Oktober 2014 sprach sie ihm ab 1. Januar 2013
bis 31. Dezember 2013 eine ganze Invalidenrente zu (Invaliditätsgrad 100 %).

B. 
Gegen beide Verfügungen erhob der Versicherte beim Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau Beschwerde. Dieses holte eine Stellungnahme des Dr. med.
E.________ vom 7. Januar 2015 ein. Der Versicherte legte eine Stellungnahme des
Dr. med. G.________, Oberarzt, Externer Psychiatrischer Dienst, Klinik
C.________, vom 15. Januar 2015 auf. Die Beschwerde gegen die Verfügung vom 10.
Juni 2014 hiess die Vorinstanz gut; sie hob sie auf und wies die Sache zur
Berufsberatung und anschliessend neuem Entscheid über eine mögliche Umschulung
an die IV-Stelle zurück. Die Beschwerde gegen die Rentenverfügung vom 21.
Oktober 2014 wies die Vorinstanz ab (Entscheid vom 4. März 2015).

C. 
Mit Beschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen
Entscheids sei ein Obergutachten in Auftrag zu geben und alsdann eine
unbefristete Invalidenrente zuzusprechen; es sei ihm die unentgeltliche
Rechtspflege zu gewähren.
Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E.
2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2
BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher Tatsachen
sowie die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an den
Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Die aufgrund dieser
Berichte gerichtlich festgestellte Gesundheitslage bzw. Arbeitsfähigkeit und
die konkrete Beweiswürdigung sind Sachverhaltsfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S.
397; nicht publ. E. 4.1 des Urteils BGE 135 V 254, veröffentlicht in SVR 2009
IV Nr. 53 S. 164 [9C_204/2009]).

2. 
Die Vorinstanz - auf deren Entscheid verwiesen wird - hat die für die
Beurteilung des Leistungsanspruchs massgebenden rechtlichen Grundlagen richtig
dargelegt.

3.

3.1. Die Vorinstanz hat mit einlässlicher Begründung erwogen, im Bericht vom
11. Juni 2012 hätten die Ärzte des psychiatrischen Zentrums H.________ eine
100%ige Arbeitsunfähigkeit ab 17. Januar 2012 attestiert. Die IV-Stelle sei
demnach ab diesem Zeitpunkt zu Recht vom Beginn des Wartejahres (Art. 28 Abs. 1
lit. b IVG) ausgegangen. Das psychiatrische Gutachten des Dr. med. E.________
vom 23. Oktober 2013 erfülle die Anforderungen an eine rechtsgenügliche
medizinische Beurteilungsgrundlage, weshalb darauf abzustellen sei. Der
Versicherte sei am 30. August 2013 von Dr. med. E.________ und am 23. September
2013 vom Neuropsychologen Dr. phil. F.________ untersucht worden. Spätestens ab
dann sei die von Dr. med. E.________ festgestellte 75%ige Arbeitsfähigkeit in
einer leidensangepassten Tätigkeit zu berücksichtigen. Bei dieser
Arbeitsfähigkeit resultiere ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad von
16,7 %. Die IV-Stelle habe dem Versicherten somit zu Recht eine ganze
befristete Rente vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2013 (drei Monate nach der
Verbesserung; Art. 88a Abs. 1 IVV) zugesprochen.
Sämtliche Einwände des Versicherten vermögen an diesem Ergebnis nichts zu
ändern. Festzuhalten ist insbesondere Folgendes:

3.2. In der Beschwerde wiederholt der Versicherte über weite Teile hinweg
wortwörtlich die vor kantonalem Gericht vorgebrachte Argumentation; hierauf ist
von vornherein nicht weiter einzugehen (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 134 II 244
E. 2.1 und E. 2.3 S. 245 ff.). Die Beschwerde wird demnach nur insoweit
geprüft, als die aufgeworfenen Aspekte mit einer ausreichenden Begründung
versehen sind (Urteil 8C_96/2015 vom 19. Mai 2015 E. 3.2).

3.3. Der Versicherte beruft sich in erster Linie auf die Berichte des
behandelnden Psychiaters Dr. med. G.________ vom 2. Juli 2014 und 15. Januar
2015. Diese Berichte vermögen - wie die Vorinstanz richtig erkannt hat - das
Gutachten des Dr. med. E.________ vom 23. Oktober 2013 nicht in Frage zu
stellen, zumal nicht ersichtlich ist, dass sie wichtige Aspekte benennen, die
bei der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben sind (Urteil 8C_516/
2014 vom 6. Januar 2015 E. 7). Die Angaben des Dr. med. G.________ sind
vielmehr - wie die Vorinstanz richtig erkannt hat - divergent, da er im Bericht
vom 2. Juli 2014 aus seiner damaligen Erfahrung von einer 80%igen
Leistungsminderung bei einem 50%igen Pensum und in demjenigen vom 15. Januar
2015 von einer aufzubauenden 50%igen Arbeitsfähigkeit seit Februar 2014
ausging.

3.4. Der Versicherte bringt vor, die Vorinstanz habe sich nicht mit allen
Aspekten in den Berichten des Dr. med. G.________ und im Gutachten der Frau Dr.
med. D.________ vom 3. Oktober 2012 und weiteren Arztberichten
auseinandergesetzt. Die aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör fliessende
Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 61 lit. h ATSG) erfordert indessen
nicht, dass sich das Gericht mit allen Parteistandpunkten einlässlich
auseinandersetzt. Vielmehr kann es sich auf die für seinen Entscheid
wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründungspflicht soll den Anspruch der
Partei auf eine sachbezogene Begründung gewährleisten. Sie ist erfüllt, wenn
der Betroffene die entsprechenden Erwägungen sachgerecht anfechten kann (BGE
138 I 232 E. 5.1 S. 237; Urteil 8C_288/2015 vom 26. Mai 2015 E. 3.3). Dies ist
hier der Fall.

3.5. Da von weiteren medizinischen Abklärungen keine entscheidrelevanten
Ergebnisse mehr zu erwarten sind, hat die Vorinstanz zu Recht darauf verzichtet
(antizipierte Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236).

3.6. Der vorinstanzliche Einkommensvergleich, der ab 1. Januar 2014 zu einem
rentenausschliessenden Invaliditätsgrad von 16,7 % führte (Art. 28 Abs. 2 IVG),
ist unbestritten, womit es sein Bewenden hat.

4. 
Der unterliegende Versicherte trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihm wegen Aussichtslosigkeit der
Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 3. Juli 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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