Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.321/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
8C_321/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 10. November 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Maillard,
Gerichtsschreiber Nabold.

Verfahrensbeteiligte
Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG, Hohlstrasse 552, 8048 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Zenari,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Invalidenrente; Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 1. April 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die 1978 geborene A.________ war als Verkaufsmitarbeiterin der Firma B.________
bei der ELVIA Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft (heute: Allianz Suisse
Versicherungs-Gesellschaft AG, nachstehend: Allianz) gegen die Folgen von
Unfällen versichert, als sie am 15. November 1997 einen Autounfall erlitt. Die
ELVIA anerkannte ihre Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses. Nach
Vorliegen des Gutachtens der MEDAS Spital C.________ vom 2. Juni 2002 führte
die Allianz mit der Versicherten Vergleichsverhandlungen. Mit Verfügung vom 22.
Dezember 2003 bestätigte die Allianz einen Vergleich, wonach sie der
Versicherten ab 1. Juni 2002 eine Rente gestützt auf einen Invaliditätsgrad von
35 % und eine Integritätsentschädigung auf der Basis eines Integritätsschadens
von 30 % zusprach.
Eine von der IV-Stelle des Kantons Solothurn beim Institut D.________,
eingeholte Expertise (Gutachten vom 20. Mai 2009) kam zum Schluss, dass schwere
und mittelschwere Tätigkeiten der Versicherten nicht mehr zuzumuten sind. Für
körperlich leichte Tätigkeiten in weitgehend lärmfreier Umgebung bestehe eine
zumutbare Arbeitsfähigkeit von 50 %. Sämtliche aktuellen Leiden seien als
unfallfremd zu werten. In Kenntnis dieses Gutachtens stellte die Allianz
A.________ mit Schreiben vom 21. Oktober 2009 die Einstellung der
Versicherungsleistungen per 31. Oktober 2009 in Aussicht. Diese
Leistungseinstellung bestätigte sie in der Folge mit Verfügung vom 19. Dezember
2009 und Einspracheentscheid vom 20. Mai 2010. Die von A.________ hiegegen
erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit
Entscheid vom 29. August 2011 in dem Sinne gut, als es den Einspracheentscheid
der Allianz mit der Feststellung aufhob, es bestünden weiterhin unfallkausale
Leiden, und die Sache zur Festsetzung der über den 31. Oktober 2009
hinausgehenden Leistungen an die Versicherung zurückwies. Eine von der Allianz
hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Bundesgericht mit Urteil 8C_739/2011 vom
20. August 2012 gut und wies die Sache unter Aufhebung des kantonalen
Gerichtsentscheides an die Vorinstanz zurück, damit diese nach Einholen eines
Gerichtsgutachtens entscheide, ob und in welchem Umfang die bestehenden
Beschwerden noch auf das Ereignis vom 15. November 1997 zurückzuführen sind.

B. 
In Nachachtung dieses Urteils holte das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn bei der MEDAS Zentralschweiz ein Gerichtsgutachten ein (Expertise vom
18. Juni 2014). Daraufhin hiess es die Beschwerde der Versicherten mit
Entscheid vom 1. April 2015 erneut gut, hob den Einspracheentscheid vom 20. Mai
2010 auf und stellte fest, dass A.________ auch über den 31. Oktober 2009
hinaus Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung habe.

C. 
Mit Beschwerde beantragt die Allianz, es sei unter Aufhebung des kantonalen
Gerichtsentscheides ihr Einspracheentscheid vom 20. Mai 2010 zu bestätigen.
Während A.________ auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Das BGG unterscheidet in Art. 90 bis 93 zwischen End-, Teil- sowie Vor-
und Zwischenentscheiden und schafft damit eine für alle Verfahren einheitliche
Terminologie. Ein Endentscheid ist ein Entscheid, der das Verfahren prozessual
abschliesst (Art. 90 BGG), sei dies mit einem materiellen Entscheid oder
Nichteintreten, z.B. mangels Zuständigkeit. Der Teilentscheid ist eine Variante
des Endentscheids. Mit ihm wird über eines oder einige von mehreren
Rechtsbegehren (objektive und subjektive Klagehäufung) abschliessend befunden.
Es handelt sich dabei nicht um verschiedene materiellrechtliche Teilfragen
eines Rechtsbegehrens, sondern um verschiedene Rechtsbegehren. Vor- und
Zwischenentscheide sind alle Entscheide, die das Verfahren nicht abschliessen
und daher weder End- noch Teilentscheid sind; sie können formell- und
materiellrechtlicher Natur sein. Voraussetzung für die selbstständige
Anfechtbarkeit materiellrechtlicher Zwischenentscheide ist gemäss Art. 93 Abs.
1 BGG zunächst, dass sie selbstständig eröffnet worden sind. Erforderlich ist
sodann alternativ, dass der angefochtene Entscheid einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder dass die Gutheissung der
Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden
Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde
(lit. b).

1.2. Der angefochtene kantonale Entscheid vom 1. April 2015 stellt einen
Zwischenentscheid dar. Da in ihm für die Beschwerdeführerin verbindlich
festgehalten wurde, dass die Versicherte über den 31. Oktober 2009 hinaus
Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung hat, wäre die Allianz - könnte
sie diesen Entscheid nicht vor Bundesgericht anfechten - unter Umständen
gezwungen, eine ihres Erachtens rechtswidrige, leistungszusprechende Verfügung
zu erlassen. Diese könnte sie in der Folge nicht selber anfechten; da die
Gegenpartei in der Regel kein Interesse haben wird, den allenfalls zu ihren
Gunsten rechtswidrigen Endentscheid anzufechten, könnte der kantonale
Vorentscheid nicht mehr korrigiert werden und würde zu einem nicht wieder
gutzumachenden Nachteil für den Versicherer führen (vgl. BGE 133 V 477 E. 5.2
S. 483 ff.). Auf die Beschwerde der Allianz ist somit einzutreten.

2. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist
somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen oder es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 140 V 136 E.
1.1 S. 137 f.). Das Bundesgericht prüft indessen, unter Berücksichtigung der
allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die
geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht
geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280; vgl. auch BGE 140 V
136 E. 1.1 S. 138).

3. 
Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch der Versicherten in der Zeit ab
dem 1. November 2009.

4.

4.1. Die Versicherte bezog ab 1. Juni 2002 bei einem Invaliditätsgrad von 35 %
eine Invalidenrente der Unfallversicherung. Diese Rente wurde von der
Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 18. Dezember 2009 und Einspracheentscheid
vom 20. Mai 2010 per 31. Oktober 2009 aufgehoben. Im nunmehr angefochtenen
Entscheid vom 1. April 2015 hebt das kantonale Gericht den rentenaufhebenden
Einspracheentscheid vom 20. Mai 2010 auf und hält fest, dass die Versicherte
auch über den 31. Oktober 2009 hinaus Anspruch auf Leistungen der
Unfallversicherung habe. Gleichzeitig stellt es dieser die Akten zwecks
Berechnung der Rentenleistungen und Prüfung eines Anspruchs auf Verzugszins im
Sinne der Erwägung zu.
Gemäss den vorinstanzlichen Erwägungen geht aus dem von ihr eingeholten
Gerichtsgutachten hervor, dass sich sowohl die gesundheitliche Situation der
Versicherten seit der Rentenzusprache vom 22. Dezember 2003 als auch die
entsprechende Kausalitätsbeurteilung mit Blick auf den Unfall von 1997 nicht in
anspruchsrelevanter Weise verändert habe. Es liege daher kein Revisionsgrund
vor. Folglich sei der Einspracheentscheid vom 20. Mai 2010 aufzuheben; der
Versicherten stünden demnach auch über den 31. Oktober 2009 hinaus Leistungen
der Unfallversicherung zu. Die Versicherung werde die Rentenleistungen neu zu
berechnen und auch über einen allfälligen Anspruch auf Verzugszins nach Art. 26
Abs. 2 ATSG zu entscheiden haben.

4.2. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend geltend macht, widerspricht die
vorinstanzliche Erwägung, die gesundheitliche Situation der Versicherten habe
sich seit der Rentenzusprache vom 22. Dezember 2003 nicht wesentlich verändert,
den verbindlichen Feststellungen des Bundesgerichts im Rückweisungsurteil
8C_739/2011 vom 20. August 2012. In E. 4.3 jenes Urteils hat das Bundesgericht
erwogen, der Gesundheitszustand der Versicherten habe sich seit der
Rentenzusprache erheblich verbessert. Dies gelte vorab für die Symptome der
posttraumatischen Belastungsstörung und für die reaktive Anorexie, im
geringeren Masse auch für die Depression.

4.3. Die für die Unfallversicherung verbindlichen Vorgaben des angefochtenen
Entscheides vom 1. April 2015 sind zudem widersprüchlich: Läge - wie die
Vorinstanz erwogen hat - kein Revisionsgrund vor, so bestünde auch keine
Grundlage für die Anordnung an die Unfallversicherung, sie habe die
Rentenleistungen neu zu berechnen. Durch die Aufhebung des rentenaufhebenden
Einspracheentscheides durch die Vorinstanz wären diesfalls die Leistungen
gemäss der leistungszusprechenden Verfügung vom 22. Dezember 2003 auch über
den   31. Oktober 2009 hinaus weiterhin geschuldet.

4.4. Die Beschwerde der Allianz ist entsprechend gutzuheissen, der kantonale
Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit
diese unter Beachtung der verbindlichen Vorgaben des Bundesgerichts im Urteil
8C_739/2011 vom 20. August 2011 einen neuen Entscheid fälle.

5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen dass der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 1. April 2015 aufgehoben wird.
Die Sache wird zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn zurückgewiesen. Im Übrigen wird die
Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. November 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Nabold

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