Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.283/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_283/2015

Urteil vom 24. Juni 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Susanne Friedauer,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Arbeitsunfähigkeit; Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 27. Februar 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die 1960 geborene A.________ arbeitet seit 1. Januar 1999 zu 50 % in der
Produktion und Auslieferung bei der Firma B.________. Am 17. Januar 2012
meldete sie sich bei der IV-Stelle des Kantons Zürich zum Leistungsbezug an.
Diese zog diverse Arztberichte und ein psychiatrisches Gutachten der Dres. med.
C.________, Leitender Arzt, und D.________, Assistenzarzt, Psychiatrie
E.________, vom 30. April 2013 ein. Mit Verfügung vom 31. Oktober 2013
verneinte die IV-Stelle einen Rentenanspruch.

B. 
Die hiegegen geführte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ab (Entscheid vom 27. Februar 2015).

C. 
Mit Beschwerde beantragt die Versicherte, in Aufhebung des kantonalen
Entscheids sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihr die gesetzlich geschuldeten
Leistungen, insbesondere eine Invalidenrente, zu erbringen.
Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E.
2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2
BGG).

2. 
Die Vorinstanz hat die Grundlagen über die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG;
vgl. auch BGE 9C_492/2014 vom 3. Juni 2015 E. 3.7.1), die Invalidität (Art. 8
ATSG; BGE 131 V 49 E. 1.2 S. 50), die Invaliditätsbemessung nach dem
Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG; Art. 28a Abs. 1 IVG; 130 V 343 E. 3.4. S.
348), die Aufgabe der Arztperson bei der Invaliditätsbemessung (BGE 140 V 193
E. 3.1 f. S. 194 f.; vgl. auch BGE 9C_492/2014 E. 5.2.1) und den Beweiswert von
Arztberichten (E. 1 hievor; BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) richtig dargelegt.
Darauf wird verwiesen.

3. 
Im psychiatrischen Gutachten der Psychiatrie E.________ vom 30. April 2013
wurden folgende Diagnosen gestellt: anankastische (zwanghafte)
Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.5) und andere gemischte Angststörungen
(ICD-10 F41.3). Weiter wurde ausgeführt, in einer angepassten Tätigkeit sei die
Versicherte zu 50 % arbeitsfähig. In Abweichung von diesem Gutachten verneinte
die Vorinstanz eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit. Die Versicherte macht
geltend, auf dieses Gutachten sei abzustellen, weshalb von 50%iger
Arbeitsunfähigkeit auszugehen sei.
Ob die im Gutachten der Psychiatrie E.________ gestellten Diagnosen einen
invalidisierenden Gesundheitsschaden nach Art. 4 Abs. 1 IVG darstellen, ist
eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage (BGE 140 V 193 E. 3.1 f.
S. 195 f.). Aus rechtlicher Sicht kann von einer medizinischen Einschätzung der
Arbeitsunfähigkeit abgewichen werden, ohne dass diese ihren Beweiswert verlöre
(SVR 2015 IV Nr. 16 S. 45 E. 2.3 [9C_662/2013]; Urteil 9C_3/2015 vom 20. Mai
2015 E. 3.3.2).

4.

4.1. Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, die Gutachter der Psychiatrie
E.________ hätten keine von der Versicherten während des Gesprächs
beschriebenen Symptome - ausser Gedächtnisstörungen bezogen auf die
Handelsnamen früher eingenommener Antidepressiva - feststellen können. Weiter
hätten sie einen unauffälligen Tagesablauf mit diversen Aktivitäten
beschrieben. Angesichts der objektiv unauffälligen Befundlage und des hohen
Aktivitätsniveaus sei nicht nachvollziehbar, dass die Versicherte aufgrund des
durch die anankastische Persönlichkeitsstörung verursachten innerseelischen
Konflikts am Rande ihrer Belastbarkeit sein solle. Der Annahme, diese Störung
habe seit ihrer Jugendzeit Auswirkungen auf ihre Arbeitsfähigkeit gehabt, stehe
entgegen, dass sie eine Lehre als Verkäuferin und zusätzlich als
Detailhandelsangestellte abgeschlossen und teilweise in hohen Pensen gearbeitet
habe. Nicht gefolgt werden könne ihrem Argument, die Symptome seien bei der
Begutachtung nicht zu beobachten gewesen, weil sie sich extrem zusammengenommen
und ihr Bestes gegeben habe, damit man ihr möglichst nicht anmerke, wie es in
ihr aussehe; eine solche Fähigkeit spreche im Übrigen für ihre guten
Ressourcen. Eine endogene Depression bzw. eine depressive Symptomatik hätten
die Gutachter der Psychiatrie E.________ nachvollziehbar verneint; den
gegenteiligen Ausführungen der Hausärztin Frau Dr. med. F.________, Fachärztin
für Allgemeine Innere Medizin, könne nicht gefolgt werden. Die Versicherte sei
mindestens seit 1999 nicht in psychiatrischer Behandlung gewesen, was darauf
hinweise, dass sie sich in diesem Zeitraum durch das psychische Leiden nicht
derart beeinträchtigt gefühlt habe. In diesem Zusammenhang sei es nicht
nachvollziehbar, dass die Gutachter der Psychiatrie E.________ einer
Psychotherapie wenig Erfolg beigemessen hätten; denn praxisgemäss weise erst
das Scheitern einer konsequenten Therapie das Leiden als resistent aus. Dass
die Versicherte in den letzten Jahren nur zu 50 % gearbeitet habe, lasse keine
Schlüsse auf eine krankheitsbedingte Ursache zu; denn sie habe ihre Stelle bei
ihrer Schwester im Januar 1999 angenommen, als das jüngere der beiden Kinder
acht Jahre alt gewesen sei, so dass das reduzierte Pensum auch im Zusammenhang
mit der Erziehungspflicht oder der Betriebsgrösse gesehen werden könne. Nach
dem Gesagten verfüge die Versicherte über genügend Ressourcen, um ihre
Arbeitsfähigkeit voll zu verwerten. Damit sei eine Invalidität zu verneinen.

4.2. Sämtliche Einwände der Versicherten vermögen an diesem Ergebnis nichts zu
ändern. Festzuhalten ist insbesondere Folgendes:

4.2.1. Sie bringt vor, gemäss dem Gutachten der Psychiatrie E.________ vom 30.
April 2013 sei ihr von der Mutter eine strenge Lebens- und Arbeitsmoral
vorgelebt und beigebracht worden, in der rigide Vorstellungen wie absolute
Zuverlässigkeit, Regelmässigkeit und permanenter Fleiss absolut vorherrschten.
Sie leide nicht an depressiver Symptomatik, sondern an einer
Persönlichkeitsstörung, die zu einer chronischen psychischen Belastung führe.
Durch das Akzeptieren der Diagnose einer "endogenen Depression" gelinge es ihr,
ihre Symptome zu verstehen und erträglich zu machen. Diese Abwehrmechanismen
beanspruchten sie aber in einem solchen Ausmass, dass ihr ein Arbeitspensum
über 50 % unzumutbar sei. Aufgrund der anankastischen Persönlichkeitsstörung
sei sie gleichsam gezwungen, alle Pflichten trotz aller Schwierigkeiten zu
erfüllen, was zu einem unbewussten Konflikt führe, der sich in mannigfaltigen
Ängsten und einem Gefühl der Leere und Gefühllosigkeit äussere. Der mit diesem
Prozess verbundene hohe psychische Aufwand habe sie über die Jahre hin an den
Rand ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit gebracht. Die Vorinstanz
verkenne diesen im Gutachten der Psychiatrie E.________ nachvollziehbar
erklärten "Mechanismus".

4.2.2. Im Gutachten der Psychiatrie E.________ vom 30. April 2013 wurde
festgehalten, wenn die Versicherte nachmittags frei habe, besuche sie ihre
Mutter, danach ihre Freundinnen oder gehe zu einer Massage, 2-wöchentlich. Dann
folge eine späte Mittagspause bis 16.00 oder 17.00 Uhr. Danach koche sie für
ihre Familie. Nach dem Abendessen schaue sie fern. Wenn sie dienstags und
donnerstags nicht arbeite, habe sie Englischkurs von 9.00 bis 11.00 Uhr am
Dienstag; den restlichen Tag gestalte sie mit Spaziergang mit dem Hund, Einkauf
und Haushalt sowie Putzen. Sie wolle so leben wie bisher mit gutem sozialen
Netz und hoher Zufriedenheit. Ihre einzige Sorge sei die finanzielle
Versorgungslage.
Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, die Versicherte sei
am Rand ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit. Ihr letztinstanzliches
pauschales Vorbringen, tatsächlich gehe sie nur hie und da Freizeitaktivitäten
nach, ist unbehelflich. Hinzu kommt, dass sie unbestrittenermassen seit 1999
keine psychiatrische Behandlung in Anspruch nahm; dies spricht klar gegen einen
erheblichen Leidensdruck (Urteil 8C_771/2014 vom 19. Februar 2015 E. 4.2.2;
vgl. auch BGE 9C_492/2014 E. 4.4.2). Zudem ist mangels entsprechender Therapie
nicht ausgewiesen, ob das geklagte Leiden behandlungsresistent ist. Hieran
ändert nichts, dass im Gutachten der Psychiatrie E.________ ausgeführt wurde,
es sei unwahrscheinlich, ob eine Therapie zu einer Verbesserung führen könne;
denn gleichzeitig wurde darin festgehalten, eine Psychotherapie sei indiziert
und es könne erst im Verlauf (in mindestens einem Jahr) gesagt werden, ob sie
zu einer Verbesserung führen könne. Im Lichte dieser gutachterlichen Angaben
kann eine Behandelbarkeit nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit verneint werden (vgl. Urteil 9C_3/2015 E.
3.3.3 f.). Nicht stichhaltig ist demnach das Vorbringen der Versicherten, laut
Urteil 8C_264/2014 vom 5. November 2014 E. 4.5.2.5 könnten Gutachter
feststellen, ob ein psychopathologisches Beschwerdebild durch Therapien noch
beeinflussbar sei.
Insgesamt hält der vorinstanzliche Schluss, dass von der im Gutachten der
Psychiatrie E.________ vom 30. April 2013 enthaltenen Einschätzung einer
50%igen Arbeitsunfähigkeit abgewichen werden muss, vor Bundesrecht stand.
Mangels eines invalidisierenden Gesundheitsschadens ging das kantonale Gericht
zu Recht von uneingeschränkter Arbeitsfähigkeit der Versicherten aus. Aus dem
Urteil 9C_522/2014 vom 24. Oktober 2014 E. 2.4.2 kann sie nichts zu ihren
Gunsten ableiten, da gemäss diesem Urteil ein Abweichen von einer gutachterlich
festgelegten Arbeitsfähigkeit zulässig ist, falls - wie hier - konkrete,
fallgebundene Gesichtspunkte bestehen, welche dies gebieten.

5. 
Da die Versicherte bei Verfügungserlass am 31. Oktober 2013 (BGE 132 V 215 E.
3.1.1 S. 320) voll arbeitsfähig war, verzichtete die Vorinstanz zu Recht auf
einen Einkommensvergleich (Urteile 9C_10/2014 vom 20. August 2014 E. 7 und
8C_786/2013 vom 14. Januar 2014 E. 4.1).

6. 
Die unterliegende Versicherte trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 24. Juni 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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