Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.279/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
8C_279/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 27. August 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Maillard,
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Invalidenrente; Arbeitsunfähigkeit),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 25. Februar 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. Der 1977 geborene A.________ verletzte sich am 7. April 2009 bei einem
Sturz in einer Baugrube am linken Ellbogen und Knie. In der Folge wurde eine
Ellbogenkontusion links und der Verdacht auf ein Nervus ulnaris-Syndrom
diagnostiziert. Am 2. Mai 2012 meldete er sich bei der Invalidenversicherung
zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich zog die Akten des
Unfallversicherers bei, holte Arztberichte ein und veranlasste eine
orthopädische sowie psychiatrisch-neurologische Abklärung beim Regionalen
Ärztlichen Dienst (RAD; Berichte vom 8. Oktober 2012 und 30. Januar 2013). Nach
Durchführung des Vorbescheidverfahrens wurde das Leistungsbegehren mit
Verfügung vom 21. Juni 2013 abgewiesen.

A.b. Der zuständige Unfallversicherer, die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA), hatte die Ausrichtungen von Leistungen
ebenfalls abgelehnt (Verfügung vom 7. Mai 2010, Einspracheentscheid vom 14.
März 2011). Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen
erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 22. August 2012 ab. In teilweiser
Gutheissung der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten hob das
Bundesgericht in der Folge den angefochtenen vorinstanzlichen Entscheid auf und
wies die Sache zur gutachtlichen medizinischen Abklärung und zu neuem Entscheid
an das kantonale Gericht zurück (Urteil 8C_851/2012 vom 16. April 2013).

B. 
Auch die Verfügung der IV-Stelle vom 21. Juni 2013 wurde von A.________
beschwerdeweise beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich angefochten.
Dieses liess das im Rahmen des unfallversicherungsrechtlichen Prozesses bei
Prof. Dr. med. B.________, Neurologie FMH, Universitätsklinik für Neurologie,
Spital C.________, in Auftrag gegebene Gutachten mittels spezifisch
invalidenversicherungsrechtlicher Fragestellungen ergänzen. Die Expertise wurde
am 24. April 2014 verfasst. A.________ gab im Weiteren einen Bericht des Dr.
med. D.________, Neurologie FMH, vom 8. Oktober 2014 und einen am Spital
E.________ erstellten MRI-Befund beider Ellbogen vom 26. November 2014 zu den
Akten. Mit Entscheid vom 25. Februar 2015 wies das kantonale Gericht die
Beschwerde ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die
Angelegenheit zur ergänzenden Abklärung und Neubeurteilung an das kantonale
Gericht bzw. an die IV-Stelle zurückzuweisen. Ferner sei ihm die unentgeltliche
Rechtspflege (Prozessführung, Verbeiständung) zu gewähren.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

D. 
Mit Eingaben vom 27. April sowie 5. und 7. Mai 2015 teilte A.________ mit, dass
er nicht länger anwaltlich vertreten sei.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 BGG; BGE 135 II 384 E.
2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2.

1.2.1. Im Sozialversicherungsverfahren gelten der Untersuchungsgrundsatz sowie
der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c
ATSG). Der rechtserhebliche Sachverhalt ist von Amtes wegen unter Mitwirkung
der Versicherten resp. der Parteien zu ermitteln. In diesem Sinne
rechtserheblich sind alle Tatsachen, von deren Vorliegen es abhängt, ob über
den streitigen Anspruch so oder anders zu entscheiden ist (Urteil 8C_441/2012
vom 25. Juli 2013 E. 6.1.1, in: SVR 2013 IV Nr. 44 S. 134). Der Verzicht auf
weitere Abklärungen oder im Beschwerdefall auf Rückweisung der Sache zu diesem
Zweck (antizipierte Beweiswürdigung) verletzt etwa dann Bundesrecht (Art. 95
lit. a BGG), wenn der festgestellte Sachverhalt unauflösbare Widersprüche
enthält oder wenn eine entscheidwesentliche Tatfrage, wie namentlich
Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit einer versicherten Person, auf
unvollständiger Beweisgrundlage beantwortet wird (Urteil 9C_37/2015 vom 17.
Juni 2015 E. 3.1 mit Hinweisen).

1.2.2. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit handelt es sich grundsätzlich um eine Tatfrage (BGE 132 V 393
E. 3.2 S. 397 ff.). Ebenso stellt die konkrete Beweiswürdigung eine Tatfrage
dar. Dagegen sind die unvollständige Feststellung rechtserheblicher Tatsachen
sowie die Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Anforderungen an den
Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten Rechtsfragen (Urteil 9C_37/2015
vom 17. Juni 2015 E. 3.2).

2. 

2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die vorinstanzliche Bestätigung der am 21.
Juni 2013 durch die Beschwerdegegnerin verfügten Leistungsablehnung Bundesrecht
verletzt.

2.2. Die für die Beurteilung relevanten rechtlichen Grundlagen wurden im
angefochtenen Entscheid zutreffend dargelegt. Es betrifft dies insbesondere die
Bestimmungen und Grundsätze zu den Begriffen der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7
Abs. 1 und 2 ATSG) und der Invalidität   (Art. 8 Abs. 1 ATSG), zur Bedeutung
ärztlicher Auskünfte bei der Invaliditätsschätzung (BGE 125 V 256 E. 4 S. 261
mit Hinweisen; vgl. auch BGE 132 V 93 E. 4 S. 99) sowie zur Beweiskraft
medizinischer Unterlagen (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis; ferner BGE
134 V 231 E. 5.1 S. 232), namentlich von Gerichtsexpertisen (BGE 125 V 351 E.
3b/aa S. 352 f.). Darauf wird verwiesen.

3. 

3.1. Die Vorinstanz hat in Würdigung der detailliert wiedergegebenen
medizinischen Aktenlage, insbesondere des von ihr bei Prof. Dr. med. B.________
veranlassten neurologischen Gutachtens vom 24. April 2014, festgestellt, es
hätten im linken Ellbogen des Versicherten keine objektiven klinischen Befunde
einer Schädigung des Nervus ulnaris gefunden werden können. Die
elektrophysiologischen Untersuchungen hätten einen Normalbefund ergeben. Es
fehle sowohl an objektivierbaren klinischen Befunden als auch an einem
elektrophysiologischen Korrelat hinsichtlich der geklagten Beschwerden. Die
Diagnose eines Sulcus ulnaris-Syndroms sei wegen der generellen Schmerzschonung
klinisch nicht nachvollziehbar. Das Vorliegen eines entsprechenden Befundes sei
deshalb zu verneinen und dem Beschwerdeführer eine 100 %ige Arbeitsfähigkeit in
seiner bisherigen Tätigkeit zu attestieren. Nicht zu prüfen seien in diesem
Zusammenhang die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eingereichten Berichte des
Dr. med. D.________ vom 8. Oktober 2014 und betreffend das am 26. November 2014
am Spital E.________ durchgeführte MRI. Zum einen bilde die am 21. Juni 2013
erlassene Verfügung der Beschwerdegegnerin die zeitliche Grenze der
richterlichen Überprüfungsbefugnis und zum andern hätte bereits in einem
früheren MRI vom 6. Juli 2009 eine Pathologie des linken Ellbogens
ausgeschlossen werden können.

3.2. In der Beschwerde wird dagegen vorgebracht, das kantonale Gericht habe
seine - in Art. 61 lit. c ATSG verankerte - Untersuchungspflicht verletzt,
indem es den am 26. November 2014 am Spital E.________ erhobenen MRI-Befund der
Ellbogen beidseits unberücksichtigt gelassen bzw. diesen Prof. Dr. med.
B.________ nicht zur ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme unterbreitet habe.

3.2.1. Grundsätzlich gilt, worauf im angefochtenen Entscheid zutreffend
hingewiesen worden ist, dass das Sozialversicherungsgericht
rechtsprechungsgemäss bei der Beurteilung eines Falles auf den bis zum Erlass
der streitigen Verfügung (hier: 21. Juni 2013) eingetretenen Sachverhalt
abstellt (BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220; Urteil 9C_884/2014 vom 24. April 2015
E. 4.3 mit Hinweisen). Tatsachen, die sich erst später verwirklichen, haben
somit prinzipiell ausser Acht zu bleiben. Diese Regel gilt indessen nicht in
Bezug auf Umstände, die mit dem Streitgegenstand in engem Sachzusammenhang
stehen und die geeignet sind, die Beurteilung im Zeitpunkt des
Verfügungserlasses zu beeinflussen (vgl. BGE 118 V 200 E. 3a in fine S. 204; 99
V 98 E. 4 S. 102; Urteil 9C_101/2007 vom 12. Juni 2007 E. 3.1).

3.2.2. Letzteres trifft hier insoweit zu, als die Ärzte des Spitals E.________
anlässlich des am 26. November 2014 durchgeführten MRI am linken Ellbogen - im
Gegensatz zum rechten Ellbogen - eine starke Hyperintensität des Nervus ulnaris
im Sulcus nervi ulnaris in der T2-Sequenz, vergleichbar mit Synovialis,
festgestellt haben. Beschrieben wurde eine Seitenasymmetrie im Bereich des
Nervus ulnaris auf Höhe des Kubitalkanals mit signalalteriertem, zum Teil
volumenvermehrtem Nervus ulnaris linksseitig, passend zu einem Sulcus
ulnaris-Syndrom links. Da im Fokus sowohl des invaliden- wie auch des
unfallversicherungsrechtlichen Verfahrens die Frage nach dem Bestehen des
besagten Sulcus ulnaris-Syndroms bzw. dessen Unfallkausalität stand (vgl. u.a.
Urteil 8C_851/2012 vom 16. April 2013), sind gestützt auf den neuen Befund
mögliche, für den vorliegenden Prozess relevante Rückschlüsse auf die
gesundheitlichen Verhältnisse und damit auf das Leistungsvermögen des
Versicherten im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung nicht ohne weiteres von
der Hand zu weisen. Wie den gutachtlichen Ausführungen des Prof. Dr. med.
B.________ entnommen werden kann, basieren seine Schlussfolgerungen auf der
Annahme unauffälliger Röntgen- und MRI-Aufnahmen des linken Ellbogens, welche
namentlich keine mechanische Kompromittierung des Nervs gezeigt hätten
(Expertise, S. 28 unten). Dieser Hypothese zugrunde lag jedoch einzig ein am 6.
Juli 2009 erhobener MRI-Befund (vgl. Bericht des Instituts F.________ vom 7.
Juli 2009). Angesichts des doch klaren radiologischen Untersuchungsergebnisses
sowie der gerade bezüglich des entsprechenden Beschwerdebildes im Vorfeld
teilweise widersprüchlichen, im Urteil 8C_851/2012 (E. 3) aufgeführten
ärztlichen Angaben wäre das kantonale Gericht gehalten gewesen, den Bericht
Prof. Dr. med. B.________ vorzulegen mit der Aufforderung, dazu im Rahmen
seines Gutachtensauftrags ergänzend Stellung zu nehmen und allfällige, durch
die aktuelle MRI-Aufnahme geweckte Zweifel auszuräumen. Der Umstand, dass, wie
von der Vorinstanz erwähnt, im früheren MRI vom 6. Juli 2009 eine Pathologie
des linken Ellbogens hatte ausgeschlossen werden können, ändert daran nichts.

3.2.3. Vor diesem Hintergrund ist dem kantonalen Gericht eine Verletzung der
ihm obliegenden Abklärungspflicht vorzuwerfen. Der angefochtene Entscheid ist
daher aufzuheben und die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit
sie den medizinischen Sachverhalt im aufgezeigten Sinne (hinsichtlich
Befunderhebung, Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit) vervollständige und
hernach erneut über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers entscheide.

4. 

4.1. Die Rückweisung der Sache an die Verwaltung oder an die Vorinstanz zu
erneuter Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der
Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als
vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 Satz 1 sowie Art. 68 Abs. 1
und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt oder ob das entsprechende
Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 132 V 215 E. 6.1
S. 235; Urteil 8C_671/2007 vom 13. Juni 2008 E. 4.1).

4.2. Demgemäss sind die Prozesskosten der Beschwerdegegnerin zu überbinden.
Ferner hat sie dem bei Beschwerdeeinreichung noch anwaltlich vertretenen
Beschwerdeführer eine Parteientschädigung auszurichten. Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten und
der unentgeltlichen Verbeiständung wird damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 25. Februar 2015 wird aufgehoben. Die Sache wird an die
Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und
hernach erneut entscheide.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'500.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 27. August 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Fleischanderl

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