Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.266/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_266/2015

Urteil vom 29. Juni 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roger König,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Luzern,
Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Luzern
vom 2. März 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die 1958 geborene A.________ meldete sich am 1. Dezember 2003 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit der Begründung eines fehlenden
Gesundheitsschadens mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit verneinte die
IV-Stelle Luzern mit in der Folge rechtskräftig gewordener Verfügung vom 27.
Oktober 2005 den Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung. Am 28.
Januar 2013 meldete sie ihr Hausarzt, Dr. med. B.________, FMH Allgemeine
Medizin, aufgrund einer Polymyalgie zur Früherfassung an. Mit Schreiben vom 15.
Februar 2013 empfahl ihr die IV-Stelle, da keine dauerhafte
Gesundheitsschädigung ausgewiesen sei, auf eine erneute Anmeldung zu
verzichten, und schloss die Früherfassung ab. Am 1. Mai 2014 meldete sich
A.________ unter Hinweis auf die entzündliche Gelenkserkrankung, rheumatischer
Genese, wieder zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Mit
Verfügung vom 15. August 2014 trat die IV-Stelle Luzern auf das erneute
Leistungsbegehren mangels glaubhaft gemachter wesentlicher Änderung der
tatsächlichen Verhältnisse seit der letzten Verfügung auf die Neuanmeldung
nicht ein.

B. 
Die Beschwerde der A.________ wies das Kantonsgericht des Kantons Luzern mit
Entscheid vom 2. März 2015 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und der
Verfügung vom 15. August 2014 sei die IV-Stelle anzuweisen, auf ihr
Leistungsbegehren einzutreten. Eventualiter sei die Sache - unter
Berücksichtigung der im kantonalen Beschwerdeverfahren eingereichten
medizinischen Berichte und Schreiben - zur Neubeurteilung der Eintretensfrage
an die Vorinstanz, subeventualiter an die IV-Stelle, zurückzuweisen.
Auf die Durchführung eines Schriftenwechsels wurde verzichtet.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.

2.1. Wurde eine Rente wegen eines zu geringen Invaliditätsgrades verweigert, so
wird eine neue Anmeldung nur geprüft, wenn damit glaubhaft gemacht wird, dass
sich der Grad der Invalidität in einer für den Anspruch erheblichen Weise
geändert hat (Art. 87 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 IVV [SR 831.201]).
Die zeitliche Vergleichsbasis für die Frage, ob eine rentenrelevante
Veränderung des Sachverhalts glaubhaft ist, bildet der Zeitpunkt der letzten
umfassenden materiellen Prüfung. Der Vergleichszeitraum erstreckt sich
grundsätzlich bis zur Prüfung und Beurteilung des Gesuchs, d.h. bis zum Erlass
der Verfügung betreffend die Neuanmeldung. Für die beschwerdeweise Überprüfung
einer Nichteintretensverfügung ist somit der Sachverhalt, wie er sich der
Verwaltung bot, resp. die Aktenlage bei Erlass dieser Verfügung massgeblich (
BGE 130 V 64 E. 5.2.5 S. 68 f.; Urteil 9C_683/2013 vom 2. April 2014 E. 3.3.1).

2.2. Mit dem Beweismass des Glaubhaftmachens sind herabgesetzte Anforderungen
an den Beweis verbunden; die Tatsachenänderung muss nicht nach dem im
Sozialversicherungsrecht sonst üblichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360) erstellt sein. Es genügt, dass
für das Vorhandensein des geltend gemachten rechtserheblichen Sachumstandes
wenigstens gewisse Anhaltspunkte bestehen, auch wenn durchaus noch mit der
Möglichkeit zu rechnen ist, bei eingehender Abklärung werde sich die behauptete
Änderung nicht erstellen lassen (Urteile I 724/99 vom 5. Oktober 2001 E. 1c/aa,
nicht publiziert in BGE 127 V 294, aber in SVR 2002 IV Nr. 10; 8C_341/2011 vom
27. Juni 2011 E. 2.2.1).

2.3. Ob eine anspruchserhebliche Änderung nach Art. 87 Abs. 3 IVV glaubhaft
gemacht ist, stellt eine vom Bundesgericht nur unter dem Blickwinkel von Art.
105 Abs. 2 BGG überprüfbare Tatfrage dar. Um eine Frage rechtlicher Natur
handelt es sich hingegen, wenn zu beurteilen ist, wie hohe Anforderungen an das
Glaubhaftmachen im Sinne von Art. 87 Abs. 3 IVV zu stellen sind (Urteil 8C_341/
2011 vom 27. Juni 2011 E. 2.2.3 mit Hinweisen).

3. 
Soweit die Beschwerdeführerin die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und
die Rückweisung der Sache aus formellrechtlichen Gründen beantragt, ist ihr
nicht zu folgen. Selbst wenn die Beschwerdegegnerin ihrer Begründungspflicht
bezüglich des Nichteintretens auf das Leistungsgesuch nicht hinreichend
nachgekommen wäre, handelte es sich nicht um eine schwerwiegende Verletzung des
Gehörsanspruchs, weil der Versicherten dadurch eine sachgerechte Anfechtung des
Verwaltungsaktes nicht verunmöglicht wurde. Auch konnte sich das von der
Beschwerdeführerin in der Folge angerufene kantonale Gericht mit voller
Kognition zu den beschwerdeweise vorgetragenen Sachverhalts- und Rechtsfragen
äussern, was den allfälligen Verfahrensmangel einer Heilung vor der
Beschwerdeinstanz zugänglich machte (zu den diesbezüglichen Voraussetzungen
vgl. BGE 127 V 431 E. 3d/aa S. 437 f. mit Hinweis).

4.

4.1. Zur Untermauerung der geltend gemachten gesundheitlichen Verschlechterung
liegen einzig die Berichte der Frau Dr. med. C.________, Neurologie FMH, vom
27. Juni 2006, des Dr. med. D.________, Chefarzt an der Klinik für Urologie,
Spital E.________, vom 10. Oktober 2012 sowie des Dr. med. F.________, Leiter
Rheumatologie, Spital E.________, vom 12. November 2012 bei den Akten der
IV-Stelle. Zudem nahm Frau Dr. med. G.________, FMH Physikalische Medizin und
Rehabilitation, vom Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) am 15. Februar 2013 zur
medizinischen Situation Stellung (IV-Protokoll S. 6 f.). Die während des
vorinstanzlichen Beschwerdeverfahrens nachgereichten medizinischen Dokumente
sind mit der Vorinstanz unbeachtlich (vgl. E. 2.1). Mit der der
Beschwerdeführerin offen gestandenen Möglichkeit, im Rahmen des
Vorbescheidverfahrens nach Eröffnung des vorgesehenen Nichteintretens innert
angesetzter 30-tägiger Frist nochmals (weitere) in Aussicht gestellte
Beweismittel beizubringen, welchen Umstand ihr die IV-Stelle in einem am 16.
Juni 2014 geführten Telefonat verdeutlichte, beachtete die IV-Stelle im
Verwaltungsverfahren die bundesrechtlichen Grundsätze hinsichtlich des
Eintretens auf eine Neuanmeldung nach vorangegangener rechtskräftiger
Rentenaufhebung (BGE 130 V 64 E. 5.2.5 S. 69). Die gegenteilige Auffassung in
der Beschwerde geht fehl. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
(Art. 29 Abs. 2 BV) und auf ein faires Verfahren (Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6
Ziff. 1 EMRK) liegt damit nicht vor.

4.2. Die Vorinstanz hat mit Blick auf den Vergleichszeitpunkt bei Erlass der
Verfügung vom 27. Oktober 2005 festgestellt, die migräneformen Kopfschmerzen
seien bereits bei der letzten Beurteilung bekannt gewesen, die rechtsseitige,
rezidivierende Nephrolithiasis führe zu keiner Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit, zumal bereits im Jahre 2012 keine urologischen
Verlaufskontrollen indiziert gewesen seien. Da die Beschwerdeführerin
betreffend dieser Diagnosen keine Verschlechterung geltend mache, könne auf
Weiterungen hierzu verzichtet werden. Neu hinzugetreten sei die Polymyalgia
rheumatica, weswegen ihr der Hausarzt Dr. med. B.________ am 28. Januar 2013
eine vollständige Arbeitsunfähigkeit seit dem 19. November 2012 und eine 50%ige
Arbeitsunfähigkeit seit dem 23. Dezember 2012 bescheinigt habe. Eine
wesentliche und dauerhafte Veränderung in den tatsächlichen Verhältnissen sei
damit aber nicht hinreichend glaubhaft gemacht, nachdem der behandelnde Dr.
med. F.________ anlässlich der erstmaligen Behandlung festgehalten habe, nach
einer Steroidstosstherapie sei der Schmerz innerhalb von zwei bis drei Tagen um
80 % reduziert worden. Die Polymyalgia rheumatica sei gut behandelbar. Zu
erneuten Schmerzen sei es erst gekommen, als aufgrund einer deutlichen
Abneigung der Beschwerdeführerin gegen eine orale Medikamenteneinnahme auf die
Weiterführung der Steroidtherapie verzichtet worden sei. Indizien, die gegen
die Behandelbarkeit der Erkrankung sprechen würden, lägen keine vor. Das
kantonale Gericht verneinte damit die Erheblichkeit dieser - an sich glaubhaft
gemachten - Veränderung des Gesundheitszustands.

4.3. Dass diese Sachverhaltsfeststellungen offensichtlich unrichtig sein oder
auf einer Rechtsverletzung beruhen sollen, ist nicht ersichtlich. Sie bleiben
daher für das Bundesgericht verbindlich (E. 1). Dies gilt auch für den daraus
gezogenen Schluss, mit den vorliegend zu beachtenden medizinischen Akten (E.
4.1) sei keine rentenbeeinflussende Verschlechterung des Gesundheitszustands
glaubhaft gemacht worden. Auch wenn durch die nach der bisherigen
Leistungsverweigerung aufgetretene Polymyalgia rheumatica eine Veränderung in
den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten ist, durfte die Vorinstanz ohne
Bundesrecht zu verletzen davon ausgehen, dass mit diesem Leiden gestützt auf
die sorgfältig gewürdigte medizinischen Aktenlage keine (voraussichtlich
dauerhafte) rentenrelevante erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands
glaubhaft gemacht wurde. Überhöhte Anforderungen an den Begriff des
Glaubhaftmachens hat sie dabei nicht gestellt und - wie dargelegt - auch nicht
aufgrund einer unvollständigen Aktenlage entschieden. Die Beschwerde ist
unbegründet.

5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. Juni 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Polla

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