Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.163/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_163/2015

Urteil vom 16. Juni 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Grunder.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Integration Handicap,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Graubünden,
Ottostrasse 24, 7000 Chur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 25. November 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________ meldete sich am 14. November 2012 wegen eines Lymphödems zum
Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons
Graubünden klärte den Sachverhalt in beruflicher und medizinischer Hinsicht ab.
Laut dem Gutachten der Dr. med. B.________, Fachärztin Innere Medizin und
Angiologie, Spital C.________, vom 18. September 2013 litt die Versicherte an
einem sekundären Lymphödem der linken unteren Extremität nach erweiterter
abdominaler Hysterektomie mit radikaler Lymphonodektomie und Adnexektomie
beidseits wegen Adenokarzinoms der Cervix uteri, weswegen die Arbeitsfähigkeit
bleibend im Umfang von 30 bis 50 % eingeschränkt war. Nach durchgeführtem
Vorbescheidverfahren sprach die IV-Stelle der Versicherten ab 1. August 2013
eine Viertelsrente zu (Verfügung vom 22. April 2014).

B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden ab (Entscheid vom 25. November 2014).

C. 
Mit Beschwerde lässt A.________ beantragen, unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids sei die Sache an das kantonale Gericht
zurückzuweisen, damit dieses bezüglich vermehrtem Pausenbedarf ergänzende
Fragen an die Gutachterin Dr. med. B.________ stelle und danach neu entscheide.

Während die IV-Stelle Beschwerdeabweisung beantragt - wozu sich die Versicherte
nochmals vernehmen lässt -, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen
auf Stellungnahme.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht,
unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art.
42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die
rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1
S. 254).

1.3. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit bzw. deren Veränderung in einem bestimmten Zeitraum handelt es
sich um Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Gleiches gilt für die
konkrete Beweiswürdigung (nicht publ. E. 4.1 des Urteils BGE 135 V 254, in SVR
2009 IV Nr. 53 S. 164 [9C_204/2009]). Dagegen sind die Beachtung des
Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c
ATSG, die unvollständige Feststellung rechtserheblicher Tatsachen sowie die
Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG)
Rechtsfragen.

1.4. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich
unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und
augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine
offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in
Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (BGE 129 I 8 E.
2.1 S. 9). Diese Grundsätze gelten auch bei der konkreten Beweiswürdigung, bei
welcher dem kantonalen Versicherungsgericht ein erheblicher Ermessensspielraum
zusteht. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn es diesen missbraucht,
insbesondere offensichtlich unhaltbare Schlüsse gezogen, erhebliche Beweise
übersehen oder solche willkürlich ausser Acht gelassen hat (BGE 132 III 209 E.
2.1 S. 211; zum Begriff der Willkür BGE 137 I 1 E. 2.4 S. 5; Urteil 9C_1019/
2012 vom 23. August 2013 E. 1.2.3). Inwiefern das kantonale Gericht sein
Ermessen missbraucht haben soll, ist in der Beschwerde klar und detailliert
aufzuzeigen (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261; SVR 2013 BVG Nr. 40 S. 174 E. 1.2
[9C_592/2012]; Urteil 8C_76/2014 vom 30. April 2014 E. 1.2).

2.

2.1. Das kantonale Gericht hat erkannt, dass zur Beurteilung des
Gesundheitszustands und der Arbeitsfähigkeit auf das in allen Teilen
beweiskräftige Gutachten der Dr. med. B.________ vom 18. September 2013
abzustellen sei. Die Sachverständige habe insbesondere nachvollziehbar
dargelegt, dass wegen des postoperativ aufgetretenen Lymphödems im Bereich des
linken Beines eine bleibende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit zwischen 30 und
50 % bestehe. Entgegen der Auffassung der Versicherten habe Dr. med. B.________
dabei den benötigten erhöhten Pausenbedarf vollumfänglich berücksichtigt, was
sich zwanglos aus ihren Antworten auf die gestellten Fragen ergebe. Daher sei
von den beantragten weiteren Abklärungen abzusehen.

2.2. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf die im bundesgerichtlichen
Verfahren eingereichte Telefonnotiz des Hausarztes vom 2. März 2015, wonach Dr.
med. B.________ angegeben habe, der vermehrte Pausenbedarf schränke die von ihr
eingeschätzte Arbeitsfähigkeit zusätzlich ein. Gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG dürfen
neue Tatsachen und Beweismittel nur so weit vorgebracht werden, als erst der
Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt. Diese Voraussetzung liegt hier nicht
vor, zumal nicht ersichtlich ist, weshalb die Beschwerdeführerin die
beantragten Auskünfte nicht schon früher hätte einholen und ins kantonale
Verfahren einbringen können. Im Übrigen legt sie nicht dar, inwiefern die
Vorinstanz den medizinischen Sachverhalt offensichtlich unrichtig oder
unvollständig und damit willkürlich festgestellt hat (vgl. E. 1 hievor).

3.

3.1.

3.1.1. Die Vorinstanz hat weiter erwogen, dass das hypothetische
Invalideneinkommen, das der Bestimmung des Invaliditätsgrades gemäss Art. 16
ATSG zugrunde zu legen ist, anhand der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung des
Bundesamtes für Statistik des Jahres 2010 (LSE 2010), Tabelle TA1, Randziffer
47 (Detailhandel), Anforderungsniveau 3 (Tätigkeiten, welche Berufs- und
Fachkenntnisse voraussetzen), Frauen, festzulegen sei. Da die Arbeitsfähigkeit
für solche Berufe von Dr. med. B.________ in der Bandbreite von 50 bis 70 %
eingeschätzt worden sei, müsse rechtsprechungsgemäss (vgl. die in BGE 137 V 71
nicht publizierte E. 4.2 mit Hinweis auf das Urteil I 822/04 vom 21. April 2005
E. 4.4) vom Mittelwert (60 %) ausgegangen werden. Mit Blick auf den zu
unterstellenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt sei anzunehmen, dass der
Versicherten im Detailhandel genügend Einsatzmöglichkeiten offen ständen, bei
welchen sie in Kombination von Verrichtungen im Verkauf und in der
Administration abwechselnd sitzend, stehend und gehend tätig sein könne. Daher
habe die IV-Stelle zu Recht eine Reduktion des Tabellenlohnes gemäss BGE 126 V
75 abgelehnt.

3.1.2. Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, gerade bei
Tätigkeiten im Detailhandel im Anforderungsniveau 3 wirke sich der vermehrte
Pausenbedarf lohnmindernd aus, zumal oft nur eine Verkäuferin für eine
Geschäftsstelle verantwortlich sei.

3.2.

3.2.1. Ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Abzug vom
Tabellenlohn vorzunehmen ist, stellt eine vom Bundesgericht frei überprüfbare
Rechtsfrage dar (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72; in BGE 135 V 297 nicht publizierte
E. 4 des Urteils 8C_652/2008 vom 8. Mai 2009).

3.2.2. Bestehen über das ärztlich beschriebe Beschäftigungspensum hinaus
zusätzliche Einschränkungen, wie beispielsweise ein vermindertes Rendement pro
Zeiteinheit wegen verlangsamter Arbeitsweise oder ein Bedarf nach
ausserordentlichen Pausen oder ist die funktionelle Einschränkung ihrer
besonderen Natur nach nicht ohne weiteres mit den Anforderungen vereinbar, wie
sie sich aus den gewöhnlichen betrieblichen Abläufen ergeben, kann dies bei der
Bemessung des leidensbedingten Abzugs vom statistischen Tabellenlohn
berücksichtigt werden (Urteil 8C_260/2011 vom 25. Juli 2011 E. 5.5 mit
Hinweisen). Allerdings ist zu beachten, dass allfällige bereits in der
Beurteilung der medizinischen Arbeitsfähigkeit enthaltene gesundheitliche
Einschränkungen nicht zusätzlich in die Bemessung des leidensbedingten Abzuges
einfliessen können, weil damit ein- und derselbe Gesichtspunkt bei der
Bestimmung des Invalideneinkommens doppelt angerechnet würde. Die Vorinstanz
hat zutreffend erkannt, dass Dr. med. B.________ die Arbeitsfähigkeit in der
angestammten oder einer anderen adaptierten Erwerbstätigkeit in der Bandbreite
von 50 % - 70 % angab, wobei aus der (mehrfachen) Unterstreichung des höheren
Niveaus (70 %) zu schliessen war, dass die Versicherte eher in diesem Umfang
ohne Leistungseinschränkung arbeiten könnte. Unter diesen Umständen hat das
kantonale Gericht zu Recht erkannt, dass kein triftiger Grund bestand, in das
Ermessen der Verwaltung einzugreifen, zumal auch sonst kein abzugsbegründendes
Merkmal gemäss BGE 126 V 75 vorlag, welches die Vorinstanz, auf deren Entscheid
im Übrigen verwiesen wird, nicht berücksichtigt hätte.

3.2.3. Die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird ansonsten zu Recht nicht in
Frage gestellt, weshalb der vorinstanzliche Entscheid zu bestätigen ist.

4. 
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens als
unterliegende Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. Juni 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Grunder

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