Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.117/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_117/2015

Urteil vom 17. Juni 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Frésard, Maillard,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Laube,
Beschwerdeführerin,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 24. Dezember 2014.

Sachverhalt:

A. 
Die 1972 geborene A.________ war zu 25 % im Front Office bei der Unternehmung
B.________ angestellt und damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch unfallversichert. Am 27. Juli
2011 erlitt sie in Italien einen Autounfall. Danach wurde eine Distorsion der
Halswirbelsäule (HWS) diagnostiziert und bestanden u.a. Kopfschmerzen. Die SUVA
holte diverse Arztberichte ein und kam für die Heilbehandlung sowie das Taggeld
auf. Mit Verfügung vom 21. März 2013 bzw. Einspracheentscheid vom 2. September
2013 stellte sie die Leistungen per 31. März 2013 ein, da die von der
Versicherten geklagten Beschwerden nicht auf einem objektivierbaren organischen
Substrat beruhten; zudem seien die natürliche und adäquate Unfallkausalität der
Beschwerden zu verneinen.

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 24. Dezember 2014 ab.

C. 
Mit Beschwerde beantragt die Versicherte, in Aufhebung des kantonalen
Entscheids seien ihr die gesetzlichen UVG-Leistungen, insbesondere Taggeld und
Heilkosten, auch ab 31. März 2013 auszurichten.
Die SUVA schliesst auf Beschwerdeabweisung. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E.
2.2.1 S. 389).
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Die Vorinstanz hat die Grundlagen über den für die Leistungspflicht des
obligatorischen Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen und adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden im
Allgemeinen (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111 f.) und bei Folgen eines Unfalls mit
HWS-Schleudertrauma oder äquivalenter Verletzung ohne organisch nachweisbare
Funktionsausfälle im Besonderen (BGE 134 V 109) zutreffend dargelegt. Richtig
ist auch, dass von organisch objektiv ausgewiesenen Unfallfolgen - bei denen
die Unfalladäquanz praktisch keine Rolle spielt - erst gesprochen werden kann,
wenn die erhobenen Befunde mit apparativen/ bildgebenden Abklärungen bestätigt
werden und die angewendeten Untersuchungsmethoden wissenschaftlich auf breiter
Basis anerkannt sind (BGE 134 V 231 f. E. 5.1; SVR 2009 UV Nr. 30 S. 105 E. 2.1
[8C_413/2008]); dies gilt auch für neuropsychologische Defizite (Urteil 8C_765/
2014 vom 9. Februar 2015 E. 5.1). Darauf wird verwiesen.

3. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die SUVA aufgrund des Unfalls der Versicherten
vom 27. Juli 2011 nach dem 31. März 2013 weiterhin leistungspflichtig ist.
Der von der Versicherten neu aufgelegte Auszug aus ihrem individuellen Konto
vom 29. März 2012 ist unbeachtlich, da sie keine nach Art. 99 Abs. 1 BGG
relevanten Gründe vorbringt (nicht publ. E. 1.3 des Urteils BGE 138 V 286, in
SVR 2012 FZ Nr. 3 S. 7 [8C_690/2011]).

4.

4.1. Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, angesichts des Unfallhergangs, des
Verhaltens der Versicherten direkt im Anschluss daran, der zeitnah erhobenen
Befunde und mangels Anhaltspunkten für eine Kopfverletzung erscheine es -
entsprechend den Ausführungen des Dr. med. C.________, Facharzt für Neurologie
FMH, SUVA Versicherungsmedizin, vom 21. Februar 2013 - nicht überwiegend
wahrscheinlich, dass die Mikroblutung in einer frontalen Hirnwindung rechts und
die kleinfleckigen Gliosen unfallbedingt seien. Jeder MRI-Befund sei
interpretationsbedürftig und auch die Dres. med. D.________ und E.________,
Fachärzte FMH für Radiologie und Neuroradiologie, seien keineswegs zu den
gleichen Ergebnissen gekommen. Frau Dr. med. D.________ habe die kleinfleckigen
Gliosen am 18. November 2011 für mikroangiopathische Veränderungen gehalten,
während Dr. med. E.________ am 16. Mai 2012 - je nach Stärke des Aufpralls -
eine unfallbedingte Ursache für möglich gehalten habe. Die Möglichkeit eines
Zusammenhangs reiche beweisrechtlich nicht aus, zumal auch von einer Hirnläsion
in der Kindheit die Rede sei. Insbesondere aber unter Berücksichtigung der
Unfallschwere erschienen die Ausführungen des Dr. med. C.________ als schlüssig
und nachvollziehbar, so dass darauf abzustellen sei. Kranial könne deshalb
nicht überwiegend wahrscheinlich von organisch objektiv ausgewiesenen
Unfallfolgen ausgegangen werden. Die bei der MRI-Untersuchung vom 18. November
2011 als wahrscheinlich traumatisch taxierten HWS-Befunde seien im Verlauf
nicht mehr festgestellt worden. Bereits bei dieser Untersuchung sei als nicht
traumatisch eine ausgeprägte Uncovertebralarthrose und Spondylophytenbildung
auf Höhe C5/6 recessal und intraforaminal mit einer möglichen Affektion der
Radix C6 rechts diagnostiziert worden. Zusammenfassend liege den Beschwerden
kein unfallbedingtes organisches Substrat im Sinne einer bildgebend oder sonst
klar nachweisbaren strukturellen Veränderung mehr zugrunde. Die Unfalladäquanz
sei nach der Schleudertraumapraxis zu verneinen.

4.2. Streitig und zu prüfen ist als Erstes die Hirnproblematik.

4.2.1. Frau Dr. med. D.________ legte gestützt auf ein am 18. November 2011
durchgeführtes MRI im Bericht gleichen Datums dar, die punktförmige kortikale/
subkortikale chronische Mikroblutung im Gyrus frontalis inferior rechts dürfte
durch das Trauma erklärt werden. Weiter bestehe eine alte Blutungsaktivität mit
randständigen Hämosiderinablagerungen im Caput nuclei caudati rechts. Dr. med.
E.________ gab aufgrund eines MRI vom 15. Mai 2012 im Bericht vom 16. Mai 2012
an, im Vergleich mit dem kranialen MRI vor 7 Monaten bestehe ein
gleichbleibendes Ausmass der multiplen kleinfleckigen Gliosen des präfrontalen
Frontallappens sowie eine Mikrohämorrhagie rechts im lateralen orbitalen Gyrus,
bei entsprechend schwerem Trauma mit diffus axonalen Verletzungen vereinbar,
differenzialdiagnostisch unspezifisch postinflammatorische Gliosen, keine akute
oder subakute Läsion. Gleichbleibend sei die Darstellung der
posthemorrhagischen Narbe rechts im Caudatuskopf.

4.2.2. Wenn der von der Vorinstanz ins Feld geführte Dr. med. C.________ am 21.
Februar 2013 darlegte, die klinisch-neurologische Untersuchung durch Frau Dr.
med. F.________ am 5. Dezember 2011 sei unauffällig ausgefallen, ist dem
entgegenzuhalten, dass diese und die Neuropsychologin Frau Prof. Dr. phil.
G.________ im entsprechenden Bericht vom 8. Dezember 2011 diverse
neuropsychologische Störungen feststellten. Sie führten aus, diese Befunde
seien hinweisend auf eine rechtshemisphärisch betonte Dysfunktion
fronto-temporaler Areale. Ein Teil dieser neuropsychologischen Symptome sei
vorbestehend und gut vereinbar mit Folgen der im Schädel-MRI nachgewiesenen,
frühkindlich erlittenen Blutung im Nucleus caudatis rechts, zusätzlich
aggraviert durch die neuroradiologisch nachgewiesene unfallbedingte Läsion im
Gyrus frontalis inferior rechts. Die neuroradiologisch nachgewiesenen
unfallbedingten Läsionen zerebral und zusätzlich auch zervikal (siehe
MRI-Befund vom November 2011) erklärten den bisherigen protrahierten Verlauf,
wobei sich die vorbestehenden Symptome (sowohl kognitiv als auch degenerative
Wirbelsäulenveränderungen) zusätzlich ungünstig auswirkten. Im Bericht vom 7.
Juni 2012 gaben Frau Dr. med. F.________ und Frau Prof. Dr. phil. G.________
gestützt auf das MRI vom 15. Mai 2012 an, es zeige sich ein unverändertes
kognitives Ausfallmuster, das lokalisatorisch einer rechtsbetonten
fronto-temporalen Dysfunktion entspreche und mit dem MRI-Befund vereinbar sei.
Die Lernschwäche und das verminderte sprachliche Konzeptdenken seien zum Teil
vorbestehend (frühkindliche zerebrale Dysfunktion nach Hirnblutung) und durch
den Unfall wahrscheinlich aggraviert worden.
Frau Dr. med. F.________ und Frau Prof. Dr. phil. G.________ stellten mithin
vorbestehende und unfallbedingte Pathologien fest. Da es genügt, wenn der
Unfall überwiegend wahrscheinlich zumindest eine Teilursache der
gesundheitlichen Beschwerden ist (BGE 134 V 109 E. 9.5 S. 125), überzeugt der
Verweis der Vorinstanz auf die von der Versicherten in der Kindheit erlittene
Hirnläsion nicht.

4.2.3. Soweit die Vorinstanz aufgrund des Hergangs des Unfalls vom 27. Juli
2011 eine unfallbedingte Hirnläsion verneinte, ist festzuhalten, dass die
Versicherte im Dokumentationsbogen für Erstkonsultation nach kranio-zervikalem
Beschleunigungstrauma vom 2. August 2011 angab, sie sei bei Regen wegen
Aquaplanings in einer Kurve nach rechts gerutscht und rund 10 m eine Böschung
hinunter gestürzt, wo sie mit dem Heck voraus in eine Steinmauer geprallt sei;
sie sei mit dem Kopf an die Kopfstütze geprallt; sie habe das Auto selber
verlassen und sei in Panik auf die Strasse hoch geklettert, worauf sie mit der
Ambulanz ins Spital gefahren worden sei; sie habe an HWS- und Kopfschmerzen
gelitten. In einem weiteren Dokumentationsbogen vom 17. August 2011 wurde
dargelegt, ein Kopfanprall habe an der Kopfstütze und höchst wahrscheinlich
auch ausserhalb derselben stattgefunden. Im SUVA-Erhebungsblatt für die
Abklärung von HWS-Fällen vom 26. September 2011 wurde festgehalten, die
Versicherte sei beim Abwärtsfahren bei nasser Fahrbahn mit ihrem PW
überraschend von der Strasse abgekommen. Das Fahrzeug habe sich mehrmals
gedreht und sei im mit Sträuchern und Bäumen besetzten Gelände nach einer
Kollision rückwärts mit einer Steinmauer zum Stillstand gekommen. Nicht bekannt
sei, ob ein Kopfanprall stattgefunden habe. Unbesehen der Frage, ob bzw. in
welcher Form ein Kopfanprall stattfand, kann entgegen der Vorinstanz nicht von
vornherein argumentiert werden, aufgrund des Unfallhergangs hätten keine
(Scher-) Kräfte auf den Kopf der Versicherten gewirkt, die eine Hirnverletzung
verursachen könnten (vgl. auch Urteil 8C_74/2013 vom 23. Mai 2013 E. 5.1.4 f.).

4.3. Hinsichtlich der HWS-Problematik legte Frau Dr. med. D.________ im Bericht
vom 18. November 2011 dar, die kleine Flüssigkeitsansammlung am inferioren Rand
und im Gelenkspalt des Facettengelenks C6/C7 rechts sowie die diffuse flaue T2w
Hyperintensität im Bereich des Ligamentum interspinalis auf Höhe C5/C6 dürften
durch das Trauma erklärt werden. Dr. med. E.________ führte am 16. Mai 2012
aus, im Vergleich mit dem kranialen MRI vor 7 Monaten gleichbleibend seien die
mediane Bandscheibenvorwölbung HWK5/6 ohne Kontakt zum Myelon und rechts die
relative Einengung des Intervertebralkanals für den Verlauf der C6. Entgegen
der Vorinstanz begründete Dr. med. C.________ in der Stellungnahme vom 21.
Februar 2013 nicht hinreichend substanziiert, weshalb diese HWS-Pathologien -
wie von ihm postuliert - nach dem 4. Juni 2012 nicht mehr zumindest teilweise
unfallbedingt gewesen sein sollen.

4.4. Insgesamt können die Berichte der Frau Dr. med. D.________ vom 18.
November 2011, der Frau Dr. med. F.________ und der Frau Prof. Dr. phil.
G.________ vom 8. Dezember 2011 und 7. Juni 2012 sowie des Dr. med. E.________
vom 16. Mai 2012 nicht als Beurteilungsgrundlage dienen. Sie wecken indessen
zumindest geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der
Aktenstellungnahme des versicherungsinternen Arztes Dr. med. C.________ vom 21.
Februar 2013; hierauf kann somit - entgegen der Vorinstanz - ebenfalls nicht
abgestellt werden (BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229; 135 V 465 E. 4.5 S. 470 f.; zum
Beweiswert von Aktenstellungnahmen siehe SVR 2010 UV Nr. 17 S. 63 E. 7.2
[8C_239/2008]). Nach dem Gesagten ist die Sache in Nachachtung des
Untersuchungsgrundsatzes (BGE 138 V 218 E. 6 S. 221) an die Vorinstanz
zurückzuweisen, damit sie ein Gerichtsgutachten veranlasse und gestützt hierauf
neu entscheide.

5. 
Die unterliegende SUVA trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs.
2 BGG; BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 24. Dezember 2014 wird
aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. Juni 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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