Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.116/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
8C_116/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 5. Mai 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Frésard, Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
Visana Versicherungen AG,
Weltpoststrasse 19/21, 3000 Bern 15,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Haag,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 6. Januar 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1985, studierte Medizin und absolvierte im Studienjahr 2005
/2006 ein Einzeltutoriat bei Dr. med. B.________, Allgemeine Innere Medizin
FMH. Am 5. April 2006 stürzte sie in C.________ mit ihrem Fahrrad und zog sich
ein schweres Schädelhirntrauma zu. Die Visana Versicherungen AG (nachfolgend:
Visana) lehnte ihre Leistungspflicht als obligatorischer Unfallversicherer der
Hausarztpraxis des Dr. med. B.________ mit Verfügung vom 31. Mai 2013 und
Einspracheentscheid vom 16. September 2013 ab.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Luzern mit Entscheid
vom 6. Januar 2015 gut und stellte fest, dass A.________ für den Unfall vom 5.
April 2006 obligatorisch bei der Visana versichert gewesen sei, welche die
gesetzlichen Leistungen nach UVG prüfen werde.

C. 
Die Visana führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides und Bestätigung ihres
Einspracheentscheides vom 16. September 2013.
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen und ersucht um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Beschwerdegegnerin sei als
Medizinstudentin während ihres Einzeltutoriats bei Dr. med. B.________ nicht
obligatorisch unfallversichert gewesen. Streitig und zu prüfen ist damit die
Versicherungsdeckung. Das Bundesgericht entscheidet mit beschränkter Kognition
(BGE 135 V 412).

2.

2.1. Nach Art. 1a Abs. 1 UVG sind die in der Schweiz beschäftigten
Arbeitnehmer, einschliesslich der Heimarbeiter, Lehrlinge, Praktikanten,
Volontäre sowie der in Lehr- oder Invalidenwerkstätten tätigen Personen,
obligatorisch nach den Bestimmungen des UVG versichert. Gleiches galt bereits
nach Art. 60 KUVG. Nach dem Wortlaut von dessen Abs. 3 galten Lehrlinge,
Volontäre und Praktikanten als Arbeiter (vgl. BBl 1976 III 141 ff., 144; Karl
Dürr, Kommentar zum KUVG, 2. Aufl. 1945 S. 69 f., 72, 230; Maurice Roullet, La
détermination du cercle des personnes assurées en matière d'assurance
obligatoire contre les accidents, Diss. Genf 1928, S. 37, 40, 42 f.). Nach Art.
1a Abs. 1 UVV sind Personen, die zur Abklärung der Berufswahl bei einem
Arbeitgeber tätig sind, auch obligatorisch versichert.
Das UVG umschreibt den Begriff des Arbeitnehmers, an den es für die
Unterstellung unter die obligatorische Versicherung anknüpft, nicht. Die
Rechtsprechung hat im Sinne leitender Grundsätze als Arbeitnehmer gemäss UVG
bezeichnet, wer um des Erwerbes oder der Ausbildung willen für einen
Arbeitgeber, mehr oder weniger untergeordnet, dauernd oder vorübergehend tätig
ist, ohne hiebei ein eigenes wirtschaftliches Risiko tragen zu müssen (BGE 115
V 55      E. 2d S. 58; ebenso SVR 2012 UV Nr. 9 S. 32, 8C_503/2011 E. 3.4). Aus
diesen Grundsätzen allein lassen sich indessen noch keine einheitlichen,
schematisch anwendbaren Lösungen ableiten. Die Arbeitnehmereigenschaft ist
daher jeweils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls zu
beurteilen (SZS 2015 S. 144, 8C_183/2014 E. 7.1; Jean-Maurice Frésard/Margit
Moser-Szeless, L'assurance-accidents obligatoire, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Basel 2007, S. 839
Rz. 2). Im Regelfall besteht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein
Arbeitsvertrag gemäss Art. 319 ff. OR oder ein öffentlich-rechtliches
Anstellungsverhältnis. Sind solche Rechtsverhältnisse gegeben, besteht kaum
Zweifel, dass es sich um einen Arbeitnehmer gemäss UVG handelt. Das
Vorhandensein eines Arbeitsvertrages ist jedoch nicht Voraussetzung für die
Versicherteneigenschaft gemäss Art. 1a Abs. 1 UVG. Liegt weder ein
Arbeitsvertrag noch ein öffentlich-rechtliches Anstellungsverhältnis vor, ist
unter Würdigung der wirtschaftlichen Umstände in ihrer Gesamtheit zu
beurteilen, ob die Arbeitnehmereigenschaft gegeben ist. Dabei ist zu beachten,
dass das UVG im Interesse eines umfassenden Versicherungsschutzes auch Personen
einschliesst, deren Tätigkeit mangels Erwerbsabsicht nicht als
Arbeitnehmertätigkeit einzustufen wäre, wie beispielsweise
Volontärverhältnisse, bei welchen der für ein eigentliches Arbeitsverhältnis
typische Lohn in der Regel weder vereinbart noch üblich ist (BGE 124 V 301 E. 1
S. 303; 115 V 55 E. 2d S. 58; Thomas Locher/Thomas Gächter, Grundriss des
Sozialversicherungsrechts, 4. Aufl. 2014, S. 198 Rz. 14). Wo die unselbständige
Tätigkeit ihrer Natur nach nicht auf die Erzielung eines Einkommens, sondern
auf Ausbildung gerichtet ist, kann eine Lohnabrede somit kein ausschlaggebendes
Kriterium für oder gegen den Unfallversicherungsschutz sein. Von der
obligatorischen Unfallversicherung werden somit auch Tätigkeiten erfasst, die
die Begriffsmerkmale des Arbeitnehmers nicht vollumfänglich erfüllen. Der
Begriff des Arbeitnehmers gemäss Art. 1a Abs. 1 UVG ist damit weiter als im
Arbeitsvertragsrecht (SZS 2015 S. 144, 8C_183/2014 E. 7.2; André Ghélew/Olivier
Ramelet/Jean-Baptiste Ritter, Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents
[LAA], 1992, S. 21).

2.2. Nach der Rechtsprechung fielen unter das Versicherungsobligatorium etwa
die Volontärin an einer Universität, die ohne Arbeitsvertrag und
Lohnvereinbarung für ein Forschungsprojekt in Afrika tätig war und dort als
Mitfahrerin eines Dienstfahrzeuges bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt
wurde (SZS 2015 S. 144, 8C_183/2014), der Schnupperlehrling bei den
Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) ohne Lohnanspruch im letzten Schuljahr, dem
nach einem schweren Stromunfall am ersten Arbeitstag der linke Unterschenkel
amputiert werden musste (BGE 124 V 301), oder die Schülerin, welche in ihrer
Freizeit regelmässig in einem Reitstall Stallarbeiten verrichtete und
Gelegenheit zum Reiten erhielt und dort von einem Pferd gebissen wurde (BGE 115
V 55; vgl. zum Arbeitsversuch in einem Restaurant SVR 2012 UV Nr. 9 S. 32,
8C_503/2011).

3. 
Die Betätigung der Beschwerdegegnerin bei Dr. med. B.________ ist in erster
Linie mit einer Lehre, einem Volontariat oder einem Praktikum, welche von
Gesetzes wegen obligatorisch versichert sind (Art. 1a Abs. 1 UVG),
beziehungsweise mit einer Schnupperlehre zu vergleichen, für welche nach der
Rechtsprechung das Gleiche gilt (BGE 124 V 301). Ihre Tätigkeit diente nach den
vorinstanzlichen Feststellungen nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch
Ausbildungszwecken. Dies ist ebenso der Fall bei einem Lehrverhältnis und einem
Praktikum und genügt nach der Rechtsprechung, wenn die Tätigkeit in
Abhängigkeit von einem Betriebsinhaber nach dessen Anweisungen im Interesse des
Betriebes, aber ohne eigenes ökonomisches Risiko ausgeübt wird (Erwerb oder
Ausbildung; BGE 115 V 55 E. 2b S. 57; SZS 2015 S. 144, 8C_183/2014 E. 8.3;
Alfred Maurer, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 2. Aufl. 1989, S. 107;
Peter Schlegel, Gedanken zum Arbeitnehmerbegriff in der obligatorischen
Unfallversicherung, SZS 1986 S. 239 ff., 241; Maurice Roullet, a.a.O.). Dass
sich die Beschwerdegegnerin zu Ausbildungszwecken in der Praxis des Dr. med.
B.________ aufgehalten hat, ist insoweit unbestritten. Auch die
Beschwerdeführerin geht davon aus, dass die Beschwerdegegnerin bei Dr. med.
B.________ das praktische Arbeiten geübt habe. Nicht nachvollziehbar ist der
Einwand, dass das Versicherungsobligatorium für Praktikanten und Volontäre nur
Beschäftigte mit abgeschlossener Ausbildung erfasse. Dies liesse sich weder mit
dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck der Bestimmung von Art. 1a Abs. 1 UVG
vereinbaren.

4.

4.1. Die Vorinstanz ist zu Recht von einem Innominatkontrakt ausgegangen mit
den essenziellen Wesenszügen eines Arbeitsvertrages, insbesondere denjenigen
der Arbeitsleistung im Rahmen eines Subordinationsverhältnisses. Dieses ist im
vorliegenden Fall bei der Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft im Sinne von
Art. 1a Abs. 1 UVG unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls (oben
E. 2.1) von entscheidwesentlicher Bedeutung (vgl. auch EVGE 1952 S. 231 ff.,
233).

4.2. Das frühere Eidgenössische Versicherungsgericht, heute Bundesgericht, hat
sich zur Natur von Praktikanten- beziehungsweise Ausbildungsverhältnissen (im
Zusammenhang mit paritätischen bundes- und kantonalrechtlichen
Sozialversicherungsbeiträgen zuhanden der Ausgleichskasse) etwa im Fall einer
Rechtspraktikantin geäussert, die zum Erwerb des Anwaltspatents in eine Kanzlei
eingetreten war, und eine arbeitsorganisatorische Abhängigkeit bejaht.
Entscheidend sei, dass die Praktikanten während des gesamten Praktikums ihre
Arbeit unter der Verantwortung des ausbildenden Anwalts ausübten. Dieser
entscheide darüber, inwieweit er Weisungen und Kontrollen für nötig erachte. Es
verhalte sich letztlich nicht anders als bei einer qualifizierten
Arbeitnehmerin, zum Beispiel einer angestellten Rechtsanwältin, die nach
angemessener Einführung und bei entsprechender Qualifikation ihre
unselbständige Berufstätigkeit meistens recht selbständig organisieren und
abwickeln könne, ohne dauernden Kontrollen ihrer Vorgesetzten ausgesetzt zu
sein. Das ändere indes nichts daran, dass auch hier eine Weisungsbefugnis der
Vorgesetzten und damit, als Gegenstück, ein Unterordnungsverhältnis bestehen
bleibe. Umgekehrt, aus der Sicht der Praktikanten gesehen, könnten diese die
Anwaltstätigkeit, in die sie eingeführt werden, nicht selbständig ausüben. Vor
Gericht treten sie als Substituten des verantwortlichen Rechtsanwalts auf und
im Schriftverkehr benützen sie den Briefkopf des ausbildenden Anwalts, auch
wenn sie Briefe und Eingaben in eigenem Namen verfassen und unterschreiben. Sie
tragen den Klienten gegenüber keine unmittelbare, eigene Verantwortung für eine
korrekte Mandatsführung. Diese treffe den sie beschäftigenden Rechtsanwalt,
weshalb die ein Praktikum absolvierende Person ihm gegenüber weisungsgebunden
sei. Bedeutsam sei (beitragsrechtlich) weiter, dass Praktikanten zur
persönlichen Arbeitsleistung beziehungsweise Aufgabenerfüllung verpflichtet
seien. Das stelle ein wesentliches Element unselbständiger Erwerbstätigkeit dar
(Urteil H 211/00 vom 19. August 2002 E. 5.2.2). Auch im Fall der Volontärin in
Afrika war das Subordinationsverhältnis beziehungsweise waren die Pflichten der
Verunfallten als Mitglied der von Verantwortlichen der Universität geleiteten
Expeditionsgruppe zur Feldforschung ausschlaggebend (SZS 2015 S. 144, 8C_183/
2014 E. 8.3). Es ist nicht einzusehen, weshalb für die Beschwerdegegnerin in
dieser Hinsicht etwas anderes gelten sollte.

4.3. Die Beschwerdegegnerin war als Praktikantin bei Dr. med. B.________ anders
als bei den Vorlesungen an der Universität in arbeitnehmerähnlicher Stellung in
dessen Betrieb eingebunden. Sie hatte unter Anleitung oder selbständig auch
praktische Tätigkeiten durchzuführen. Ziel des Einzeltutoriats ist die aktive
Mitarbeit im Berufsfeld des Tutors. Es sollen der direkte Umgang und die
verantwortliche Arbeit mit kranken Menschen erlernt werden. Dabei sollen
insbesondere auch untersuchungstechnische Fertigkeiten geübt werden wie zum
Beispiel Blutentnahmen oder Untersuchungen von Blut und Urin im Labor (Ruedi
Isler und andere, Das Einzeltutoriat in Basel - eine zehnjährige
Erfolgsgeschichte, PrimaryCare 9/2009 S. 74 ff.; Hans-Ruedi Banderet, Das
Einzeltutoriat - Jahr für Jahr eine neue Herausforderung, PrimaryCare 14/2014
S. 48 ff.). Dem Lernbericht der Beschwerdegegnerin ist zu entnehmen, dass sie
bei den Patienten Anamnesen erhob und teilweise selbständig Untersuchungen
(etwa von Herz und Lunge), Blutdruckmessungen, Reflex-Tests,
Elektrokardiogramme, Laborarbeiten und Impfungen durchführte oder auch einen
Notfallpatienten betreute. Als sie verunfallte, hatte sie ein eigenes
Stethoskop im Gepäck. Ihre Tätigkeiten für Dr. med. B.________ standen wie bei
einem Assistenten unter dessen Anleitung und Weisungsbefugnis und gingen über
blosse Handreichungen im Sinne von Gefälligkeiten weit hinaus (BGE 115 V 55 E.
2d S. 59; EVGE 1952 S. 231 ff., 234: "a titre occasionnel"; 1939 S. 3 ff., 5:
"a titolo di favore"; SZS 2015 S. 144, 8C_183/2014 E. 7.1; Peter Schlegel,
a.a.O., S. 240). Dass die Beschäftigung von der Universität als "Tutoriat"
bezeichnet wird, ändert nichts daran, dass die Beschwerdegegnerin in der
Privatpraxis des Dr. med. B.________ eine praktische Tätigkeit ausgeübt hat.
Die Beschwerdeführerin räumt ein, dass sie in der Arztpraxis namentlich auch
mit technischen Geräten umzugehen und Dr. med. B.________ ihr gegenüber eine
erhöhte Sorgfalts- und Aufsichtspflicht hatte. Zu bedenken ist in diesem
Zusammenhang, dass die Einführung der obligatorischen Unfallversicherung mit
dem früheren KUVG die Fabrikhaftpflicht abgelöst hat und dementsprechend
zunächst nebst den Betrieben, die bereits im Fabrikgesetz geregelt gewesen
waren, Fabriken und Unternehmungen mit erhöhten Betriebsgefahren (wie etwa der
Eisenbahn- und Dampfschifffahrt, des Baugewerbes oder des Strassenbaus) der
Versicherung unterstellt wurden. Ziel des UVG war es später, das
Unfallversicherungssystem auf alle Arbeitnehmer auszudehnen, insbesondere weil
die Unfallgefahren in zahlreichen industriellen Betrieben dank den technischen
Fortschritten geringer, in Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben (zum Beispiel
Hotels, Spitäler) mindestens gleich geblieben seien (BBl 1976 III 141 ff., 160
f.). Das Bedürfnis nach UVG-Schutz einer Praktikantin in einer Arztpraxis ist
mit Blick darauf offensichtlich, denn mit der untergeordneten,
arbeitnehmerähnlichen Stellung der Beschwerdegegnerin in diesem Betrieb war sie
auch den entsprechenden Gefahren ausgesetzt.

4.4. Die Versicherteneigenschaft gemäss Art. 1a Abs. 1 UVG setzt hingegen nicht
voraus, dass ein (schriftlicher) Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde, wie die
Beschwerdeführerin geltend macht (oben E. 2.1). Nicht ausschlaggebend ist auch,
dass der Beschwerdegegnerin kein Lohn ausgerichtet wurde, wie die oben (E. 2.1
und 2.2) dargelegte Rechtsprechung zeigt. Damit begründet die
Beschwerdeführerin jedoch ihren Haupteinwand gegen die vorinstanzliche Annahme
eines Innominatskontrakts mit Subordinationsverhältnis. Eine Erwerbsabsicht
wird nach der Rechtsprechung nicht vorausgesetzt, sondern es genügt, dass sich
die Beschwerdegegnerin zu Ausbildungszwecken im Betrieb des Dr. med. B.________
aufgehalten hat. Dass ein objektives wirtschaftliches Interesse des Dr. med.
B.________ an der Arbeitsleistung der Beschwerdegegnerin nicht erkennbar sei,
ist aus diesem Grund ebenfalls nicht von Bedeutung.

4.5. Dass allenfalls zwischen der Universität und Dr. med. B.________ ein
Auftragsverhältnis bestand, weil das Einzeltutoriat eine Pflichtveranstaltung
der Universität und der Arzt honoriert worden sei, ist irrelevant und ändert
nichts an der Unterstellung unter Art. 1a UVG. Es schliesst keinesfalls aus,
dass die Beschwerdegegnerin als Mitarbeitende in der Praxis einem
arbeitsrechtsähnlichen Vertragsverhältnis unterstand. Entscheidend ist
vielmehr, dass Dr. med. B.________ keine Unterrichtsveranstaltung bot, sondern
dass die praktische Tätigkeit der Beschwerdegegnerin im Vordergrund stand. Dass
der Tutor als Vorgesetzter auch Ratschläge erteilt und seine Erfahrungen
weitergibt, ist auch in einem normalen Arbeitsverhältnis üblich und im
Verhältnis "Lehrmeister - Lernende" ja gerade gewollt (s.a. Ruedi Isler und
andere, a.a.O., S. 74).

4.6. Auf den Einwand der Beschwerdeführerin, dass eine Vereinbarung über die
Arbeitszeit gefehlt habe, ist nicht weiter einzugehen. Die Vorinstanz hat für
das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass Dr. med. B.________ die
Anwesenheit der Beschwerdegegnerin in seiner Praxis an acht Halbtagen bestätigt
habe (dazu auch unten E. 5).

4.7. Streitig ist allein, ob die Beschwerdegegnerin bei Dr. med. B.________
obligatorisch versichert war. Auf den nicht weiter begründeten Einwand der
Beschwerdeführerin, dass keine Prämien erhoben werden könnten, ist nicht näher
einzugehen.

4.8. Zusammengefasst ist die Beschäftigung der Beschwerdegegnerin in der
Hausarztpraxis des Dr. med. B.________ als Praktikum im Sinne von Art. 1a Abs.
1 UVG zu qualifizieren.

5. 
Die Beschwerdeführerin macht schliesslich geltend, dass sich der Unfall nicht
auf dem Arbeitsweg ereignet habe (vgl. Art. 7 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 UVG).
Sie führt zur Begründung an, dass bei der Qualifikation eines Unfalls auf dem
Arbeitsweg grundsätzlich nicht allein auf die Angaben der verunfallten Person
abzustellen sei, wonach sie beabsichtigt habe, zu ihrer Arbeits-
beziehungsweise Praktikumsstelle zu gelangen. Der Einwand ist nicht näher zu
prüfen, denn diese Angaben waren für die vorinstanzliche Beurteilung nicht
allein ausschlaggebend. Wie das kantonale Gericht für das Bundesgericht
verbindlich festgestellt hat, war die Beschwerdegegnerin kurz vor Arbeitsbeginn
mit dem Fahrrad unterwegs, der Unfall ereignete sich in unmittelbarer Nähe der
Arztpraxis und sie hatte ein Lehrbuch für innere Medizin sowie ein Stethoskop
bei sich. Es gibt keine vernünftige andere Erklärung für die Fahrradfahrt als
diejenige des Arbeitsweges, wohnte die Beschwerdegegnerin doch in D.________.
Es ist nicht einzusehen, wohin sie um diese Zeit mit dem Velo hätte fahren
sollen, wenn nicht in die Praxis des Dr. med. B.________.

6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der
unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Des Weiteren
hat sie der Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68
Abs. 2 BGG). Ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist damit
gegenstandslos. Nach Art. 68 BGG und Art. 2 des Reglements über die
Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im
Verfahren vor dem Bundesgericht vom 31. März 2006 (SR 173.110.210.3) umfasst
die Parteientschädigung die Anwaltskosten und die notwendigen Auslagen für die
Prozessführung, wobei sich die Anwaltskosten aus dem Anwaltshonorar und dem
Auslagenersatz zusammensetzen. Praxisgemäss werden für einen Normalfall 2'800
Franken zuge-sprochen, Auslagen und Mehrwertsteuer inbegriffen (Urteil 8C_418/
2012 vom 29. Oktober 2012 E. 4.2). Der Rechtsvertreter reicht eine Kostennote
über 5'112 Franken und 95 Rappen ein und macht für die Beschwerdeführung vor
dem Bundesgericht einen Aufwand von gut fünfzehn Stunden geltend. Mit Rücksicht
auf die Wichtigkeit und Schwierigkeit der Streitsache, den Arbeitsaufwand des
Rechtsvertreters sowie den im Allgemeinen üblichen Pauschalbetrag wird die
Entschädigung auf 3'800 Franken angesetzt (vgl. auch Art. 6 des erwähnten
Reglements).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von 800 Franken werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit 3'800 Franken zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern,          3.
Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. Mai 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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