Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.980/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_980/2015

Urteil vom 13. Juni 2016

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Gerichtsschreiber M. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Josef Schaller,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Revision eines Strafbefehls; Willkür,

Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom
13. August 2015.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern sprach X.________ mit Strafbefehl vom
18. September 2013 wegen Betrugs, begangen von Januar bis Februar 2010 in
Triengen, schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 30
Tagessätzen zu Fr. 110.-- sowie mit einer Busse von Fr. 800.--.

B.
X.________ reichte am 22. Mai 2015 beim Kantonsgericht Luzern ein Gesuch um
Revision des Strafbefehls vom 18. September 2013 ein. Darin beantragte er, der
Strafbefehl sei aufzuheben und er von Schuld und Strafe freizusprechen.
Mit Beschluss vom 13. August 2015 wies das Kantonsgericht Luzern das
Revisionsgesuch ab.

C.
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Beschluss des
Kantonsgerichts Luzern vom 13. August 2015 sei aufzuheben und die Sache zur
Gutheissung des Revisionsgesuchs an dieses zurückzuweisen. Allenfalls sei der
Strafbefehl vom 18. September 2013 durch das Bundesgericht aufzuheben und er
von Schuld und Strafe freizusprechen. X.________ ersucht um aufschiebende
Wirkung seiner Beschwerde sowie um unentgeltliche Rechtspflege in dem Sinn,
dass von einem Kostenvorschuss abzusehen sei.

D.
Das Kantonsgericht Luzern beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Die
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern verzichtet unter Verweis auf den
angefochtenen Beschluss auf eine Vernehmlassung.
X.________ erhielt Gelegenheit, zu den Vernehmlassungen Stellung zu nehmen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, der Strafbefehl vom 18.
September 2013 stehe in unverträglichem Widerspruch zum Urteil des
Bezirksgerichts Baden vom 2. März 2015. Ihm werde vorgeworfen, von Januar bis
April 2010 Arbeitslosenentschädigung bezogen zu haben, ohne der
Arbeitslosenkasse mitzuteilen, dass er gleichzeitig einer Arbeitstätigkeit
nachgegangen sei. Für diesen Sachverhalt sei er von der Staatsanwaltschaft des
Kantons Luzern hinsichtlich der Monate Januar und Februar 2010 mit Strafbefehl
vom 18. September 2013 wegen Betrugs verurteilt worden. Wegen desselben
Lebenssachverhalts sei er nach seinem Umzug in den Kanton Aargau per März 2010
von der Staatsanwaltschaft Baden am 10. Februar 2014 hinsichtlich der Monate
März und April 2010 verurteilt worden. Gegen diesen Strafbefehl habe er, anders
als gegen jenen der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Einsprache erhoben.
Daraufhin sei er vom Bezirksgericht Baden mit Urteil vom 2. März 2015
freigesprochen worden. Aufgrund dieses späteren, ihn für das gleiche Verhalten
freisprechenden Strafentscheides sei der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des
Kantons Luzern vom 18. September 2013 aufzuheben und er von Schuld und Strafe
freizusprechen.

1.2. Die Vorinstanz erwägt, der durch das Bezirksgericht Baden beurteilte
Sachverhalt betreffe ein dem Beschwerdeführer zugeschriebenes Handeln zum
Nachteil der Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau, begangen zwischen März und
April 2014 in Baden. Der dem Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons
Luzern zugrunde liegende Sachverhalt beschlage einen Betrug zu Lasten der
Arbeitslosenkasse Luzern, begangen zwischen Januar und Februar 2010 in
Triengen. Damit unterschieden sich die beiden Sachverhalte hinsichtlich
Tatzeit, Tatort und Geschädigten. Es liege nicht der gleiche Sachverhalt vor.
Selbst wenn man vom gleichen Sachverhalt ausginge, läge kein unverträglicher
Widerspruch zwischen dem Luzerner Strafbefehl und dem Badener Urteil vor. Die
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern werte das Verhalten des Beschwerdeführers
als Betrug, währenddem das Bezirksgericht Baden keinen Straftatbestand als
erfüllt ansehe. Subsumption sei eine Rechtsfrage und als solche nicht
revisionsbegründend.

1.3.

1.3.1. Wer durch ein rechtskräftiges Strafurteil oder einen Strafbefehl
beschwert ist, kann nach Art. 410 Abs. 1 lit. b StPO die Revision verlangen,
wenn der Entscheid mit einem späteren Strafentscheid, der den gleichen
Sachverhalt betrifft, in unverträglichem Widerspruch steht.

1.3.2. Das Revisionsverfahren gemäss StPO gliedert sich grundsätzlich in zwei
Phasen, nämlich eine Vorprüfung (Art. 412 Abs. 1 und 2 StPO) sowie eine
materielle Prüfung der geltend gemachten Revisionsgründe (Art. 412 Abs. 3 und 4
sowie Art. 413 StPO). Es handelt sich dabei um ein zweistufiges Verfahren, für
welches das Berufungsgericht zuständig ist (Art. 412 Abs. 1 und 3 StPO). Gemäss
Art. 412 Abs. 2 StPO tritt das Gericht auf das Revisionsgesuch nicht ein, wenn
es offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist oder es mit den gleichen
Vorbringen schon früher gestellt und abgelehnt wurde. Bei dieser vorläufigen
und summarischen Prüfung sind grundsätzlich die formellen Voraussetzungen zu
klären. Das Gericht kann jedoch auf ein Revisionsgesuch auch nicht eintreten,
wenn die geltend gemachten Revisionsgründe offensichtlich unwahrscheinlich oder
unbegründet sind (Urteil 6B_791/2014 vom 7. Mai 2015 E. 2.2 mit Hinweisen,
nicht publ. in: BGE 141 IV 298).

1.3.3. Ein Gesuch um Revision eines Strafbefehls muss als missbräuchlich
qualifiziert werden, wenn es sich auf Tatsachen stützt, die dem Verurteilten
von Anfang an bekannt waren, die er ohne schützenswerten Grund verschwieg und
die er in einem ordentlichen Verfahren hätte geltend machen können, welches auf
Einsprache hin eingeleitet worden wäre. Demgegenüber kann die Revision eines
Strafbefehls in Betracht kommen wegen wichtiger Tatsachen oder Beweismitteln,
die der Verurteilte im Zeitpunkt, als der Strafbefehl erging, nicht kannte oder
die schon damals geltend zu machen für ihn unmöglich war oder keine
Veranlassung bestand (BGE 130 IV 72 E. 2.3 S. 75 f.). An dieser Rechtsprechung
ist grundsätzlich festzuhalten (Urteil 6B_791/2014 vom 7. Mai 2015 E. 2.3 mit
Hinweisen, nicht publ. in: BGE 141 IV 298). Rechtsmissbrauch ist nur mit
Zurückhaltung anzunehmen. Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob unter den
gegebenen Umständen das Revisionsgesuch dazu dient, den ordentlichen Rechtsweg
zu umgehen (vgl. BGE 130 IV 72 E. 2.2 S. 74 und E. 2.4 S. 76; Urteil 6B_791/
2014 vom 7. Mai 2015 E. 2.3 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 141 IV 298).

1.4. Die Bestimmung von Art. 410 Abs. 1 lit. b StPO stellt einen Sonderfall der
neuen Tatsachen oder Beweismittel gemäss Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO dar. Es
handelt sich dabei um einen absoluten Revisionsgrund, bei dessen Vorliegen der
frühere Entscheid ungeachtet seiner materiellen Richtigkeit aufzuheben ist
(MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2.
Aufl. 2014, N. 87 f. zu Art. 410 StPO; THOMAS FINGERHUTH, in: Kommentar zur
Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2.
Aufl. 2014, N. 63 zu Art. 410 StPO; NIKLAUS SCHMID, Handbuch des
schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, N. 1598). Steht das spätere
Urteil in unverträglichem Widerspruch zu einem zuvor ergangenen Strafbefehl,
ist anders als in den Fällen von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO nicht massgebend,
ob sich der spätere Entscheid auf Tatsachen stützt, die dem Betroffenen von
Anfang an bekannt waren, die er im ersten Verfahren ohne schützenswerten Grund
verschwieg und die er in einem ordentlichen Verfahren hätte geltend machen
können. Dass der Verurteilte die Möglichkeit gehabt hätte, gegen den
Strafbefehl Einsprache zu erheben und diese nicht zu begründen gewesen wäre
(vgl. Art. 354 Abs. 2 StPO), schliesst eine Revision aufgrund eines
anderslautenden späteren Entscheids nicht aus. Art. 410 Abs. 1 lit. b StPO soll
ungeachtet des Grundes hierfür verhindern, dass sich zwei Strafentscheide in
unverträglichem Widerspruch gegenüberstehen, so dass einer von ihnen
notwendigerweise falsch sein muss (vgl. MARIANNE HEER, a.a.O., N. 87 zu Art.
410 StPO; NIKLAUS SCHMID, a.a.O., N. 1598).

1.5.

1.5.1. Nach dem Vorstehenden kann dem Beschwerdeführer vorliegend kein
rechtsmissbräuchliches Verhalten, das ohnehin nur zurückhaltend anzunehmen ist
(vorne E. 1.3.3), vorgeworfen werden. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz
betrifft das Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 2. März 2015 sodann
offensichtlich den gleichen Lebenssachverhalt wie der Strafbefehl der
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern vom 18. September 2013. Wie der
Beschwerdeführer zu Recht vorbringt, ergibt sich dies klarerweise aus den den
beiden Entscheiden zugrunde liegenden Strafanzeigen vom 19. August 2013
(betreffend die Monate Januar und Februar 2010) und vom 18. November 2013
(betreffend die Monate März und April 2010) sowie den darin umschriebenen
Sachverhalten. Der formalistischen Betrachtungsweise der Vorinstanz, wonach
sich die beiden Sachverhalte hinsichtlich Tatzeit, Tatort und Geschädigten
unterschieden, kann nicht gefolgt werden. Dem Beschwerdeführer wird im einen
wie im andern Fall vorgeworfen, seiner Auskunfts- und Meldepflicht gegenüber
der jeweiligen Arbeitslosenkasse nicht nachgekommen zu sein, indem er
verschwiegen habe, für die A.________ GmbH zu arbeiten. So habe er gleichzeitig
Arbeitslosenentschädigung bezogen und einen Verdienst erzielt. Für dieses
Verhalten wurde der Beschwerdeführer im Kanton Luzern mit Strafbefehl vom 18.
September 2013 wegen Betrugs verurteilt. Das Bezirksgericht Baden sprach ihn
demgegenüber mit Urteil vom 2. März 2015 von Schuld und Strafe frei. Es kam zum
Schluss, dem Beschwerdeführer könne nicht nachgewiesen werden, vor Juni 2010
für die A.________ GmbH gearbeitet und bewusst falsche Angaben gegenüber der
Arbeitslosenkasse gemacht zu haben. Der Strafbefehl vom 18. September 2013
steht somit in unverträglichem Widerspruch mit dem Urteil vom 2. März 2015
(vgl. nachfolgend E. 1.5.2).
Nicht einzugehen ist auf die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz
verfalle in Willkür, wenn sie annehme, der durch das Bezirksgericht Baden
beurteilte Sachverhalt betreffe ein dem Beschwerdeführer zugeschriebenes
Handeln zum Nachteil der Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau, begangen
zwischen März und April 2014. Wie die Vorinstanz vernehmlassungsweise vorbringt
und sich aus dem angefochtenen Beschluss ergibt, handelt es bei der falschen
Jahresangabe um ein offensichtliches redaktionelles Versehen.

1.5.2. Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz, wenn sie im Sinne einer
Eventualbegründung festhält, dass, selbst wenn der gleiche Sachverhalt gegeben
wäre, kein unverträglicher Widerspruch vorläge, da das Verhalten des
Beschwerdeführers im Urteil vom 2. März 2015 und im Strafbefehl vom 18.
September 2013 lediglich anders subsumiert werde. Die beiden Entscheide
unterscheiden sich nicht hinsichtlich der rechtlichen Subsumption eines
Verhaltens, vielmehr weichen sie in der Würdigung des Anklagesachverhalts
voneinander ab. So wird dieser im Strafbefehl vom 18. September 2013 als
erstellt erachtet, währenddem er im Urteil vom 2. März 2015 als nicht
nachweisbar beurteilt wird. Ein solcher Widerspruch in tatsächlicher Hinsicht
stellt einen Revisionsgrund im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. b StPO dar (vgl.
Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts,
BBI 2006 1320 Ziff. 2.9.4; MARIANNE HEER, a.a.O., N. 89 zu Art. 410 StPO;
THOMAS FINGERHUTH, a.a.O., N. 63 zu Art. 410 StPO; NIKLAUS SCHMID, a.a.O., N.
1598).

2.
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und
die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende
Wirkung gegenstandslos. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4
BGG). Der Kanton Luzern hat dem Beschwerdeführer eine angemessene
Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Damit wird sein
Gesuch um teilweise unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Beschluss
des Kantonsgerichts des Kantons Luzern vom 13. August 2015 wird aufgehoben und
die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Luzern hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Juni 2016

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: M. Widmer

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