Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.964/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_964/2015

Urteil vom 14. Oktober 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dominic Frey,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin,

Gegenstand
Anordnung von Sicherheitshaft,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau,
Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 19. August 2015.

Sachverhalt:

A.

 Am 20. August 2002 tötete X.________ die Prostituierte A.________, welcher er
über die Jahre grössere Geldsummen hatte zukommen lassen in der Hoffnung, sie
würde mit ihm eine Beziehung eingehen, mit über 30 Messerstichen.
Das Bezirksgericht Lenzburg verurteilte X.________ am 29. April 2004 wegen
vorsätzlicher Tötung zu 13 Jahren Zuchthaus. Gleichzeitig ordnete es eine
vollzugsbegleitende ambulante Massnahme gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 aStGB an.
X.________ befindet sich seit dem 20. August 2002 in Haft (zunächst in
Untersuchungshaft, ab 22. Oktober 2002 im vorzeitigen und ab 29. April 2004 im
ordentlichen Strafvollzug). Das ordentliche Vollzugsende fiel auf den 18.
August 2015.

B.

 Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau beantragte am 22. Mai 2015, der mit
Urteil des Bezirksgerichts Lenzburg vom 29. April 2004 angeordnete Vollzug der
Freiheitsstrafe sei gestützt auf Art. 65 Abs. 1 StGB in eine stationäre
Massnahme umzuwandeln. [...]. Zudem stellte sie den Antrag, es sei durch die
Verfahrensleitung des Gerichts Sicherheitshaft im Sinne von Art. 221 Abs. 1
lit. c StPO anzuordnen, sollte bis zum endgültigen Entlassungsdatum, spätestens
dem 18. August 2015, noch kein rechtskräftiger und vollstreckbarer Entscheid
vorliegen.
Das Bezirksgericht Lenzburg versetzte X.________ am 9. Juli 2015 zur Sicherung
des Massnahmenvollzugs in Haft. Mit Beschluss vom gleichen Tag ordnete es gegen
X.________ gestützt auf Art. 65 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 59 StGB eine stationäre
therapeutische Massnahme zur Behandlung von psychischen Störungen in einer
geschlossenen Einrichtung an. Dagegen erhob X.________ mit Eingabe vom 17. Juli
2015 Beschwerde mit den Anträgen auf Aufhebung des angefochtenen Beschlusses
und umgehende Entlassung aus der Haft. Die Beschwerdekammer des Obergerichts
des Kantons Aargau erachtete den Haftentscheid infolge Unzuständigkeit als
nichtig und schrieb die dagegen erhobene Beschwerde von X.________ am 23. Juli
2015 als gegenstandslos ab. Das Bezirksgericht Lenzburg entschied am 31. Juli
2015 erneut, X.________ sei zur Sicherung des Massnahmenvollzugs in Haft zu
versetzen. Gegen diesen Entscheid erhob X.________ gleichentags Beschwerde. Er
beantragte, er sei in Aufhebung des bezirksgerichtlichen Beschlusses vom 31.
Juli 2015 umgehend aus der Sicherheitshaft zu entlassen.
Das Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, wies die
von X.________ erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 19. August 2015 ab.

C.

 X.________ gelangt am 19. September 2015 mit Beschwerde in Strafsachen an das
Bundesgericht. Er beantragt, der angefochtene Entscheid des Obergerichts des
Kantons Aargau vom 19. August 2015 sei aufzuheben und er sei aus der
Sicherheitshaft zu entlassen. Eventualiter sei der angefochtene Entscheid vom
19. August 2015 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht
zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.

 Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Haftentscheid des Obergerichts.
Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach den Art. 78 ff. BGG gegeben. Der
Beschwerdeführer ist durch die Anordnung der Sicherheitshaft in seinen
rechtlich geschützten Interessen betroffen und damit zur Beschwerde befugt
(Art. 81 Abs. 1 BGG). Er macht die Verletzung von Bundesrecht geltend, was
zulässig ist (Art. 95 lit. a BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben
zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist.

2.

 Gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO ist Sicherheitshaft zulässig, wenn die
beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist
und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie durch schwere Verbrechen oder
Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher
gleichartige Straftaten verübt hat. Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO ist entgegen
dem deutschsprachigen Gesetzeswortlaut dahin auszulegen, dass "Verbrechen oder
schwere Vergehen" drohen müssen (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85 f.). Der Haftgrund
der Wiederholungsgefahr ist restriktiv zu handhaben (BGE 135 I 71 E. 2.3, 2.6
und 2.11 S. 73 ff.).
Wird die Sicherheitshaft im Verfahren betreffend nachträgliche Änderung der
Sanktion angeordnet, so entfällt die Prüfung des dringenden Tatverdachts, da
eine rechtskräftige Verurteilung bereits vorliegt. Hingegen bedarf es für die
Anordnung und die Weiterführung von Sicherheitshaft einer hinreichenden
Wahrscheinlichkeit, dass das Verfahren zu einer Massnahme führt, welche die
Sicherstellung des Betroffenen erfordert (BGE 137 IV 333 E. 2.3.1 S. 337).
Zu prüfen ist folglich, ob ein besonderer Haftgrund vorliegt und ob die
Anordnung einer stationären Massnahme als wahrscheinlich erscheint.

3.

3.1. Im vorliegenden Fall entfällt die Prüfung des dringenden Tatverdachts
(vorstehend E. 2, BGE 137 IV 333 E. 2.3.1 S. 337). Der Beschwerdeführer stellt
dies nicht in Frage.

3.2.

3.2.1. Er macht indes geltend, es fehle am Vortatenerfordernis, welches auch
bei der Anordnung einer Sicherheitshaft im Zusammenhang mit der nachträglichen
Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme erfüllt sein müsse. Er
sei am 29. April 2004 wegen eines im Jahr 2002 begangenen Tötungsdelikts
verurteilt worden. Weitere Verbrechen oder schwere Vergehen habe er nicht
begangen. Die Vorinstanz äussere sich nicht dazu. Sie wende das Gesetz falsch
an und verletze die Begründungspflicht, die sich aus der Bundesverfassung und
der Strafprozessordnung ergebe.

3.3. Vorliegend besteht der rechtskräftige gerichtliche Nachweis eines
Tötungsdelikts. Der Beschwerdeführer wurde am 29. April 2004 wegen vollendeter
vorsätzlicher Tötung schuldig gesprochen. Bei Sicherheitshaft während
nachträglichen richterlichen Massnahmenverfahren reicht grundsätzlich der (im
Sanktionspunkt nochmals hängige) Gegenstand der bereits erfolgten Verurteilung
als Vordelinquenz im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO (BGE 139 IV 175,
nicht publizierte E. 3.5.1; s.a. BGE 137 IV 333 E. 2.3.3 S. 338). Weshalb hier
etwas anderes gelten sollte, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Das
Vortatenerfordernis liegt im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vor.
Darauf verweist die Vorinstanz in ihrem Entscheid (S. 6). Von einer unrichtigen
Gesetzesanwendung oder einer Verfassungsverletzung kann nicht gesprochen
werden.

3.4.

3.4.1. Ausschlaggebend ist die Frage der potentiellen Gefährlichkeit der hier
wegen eines Tötungsdeliktes als Anlasstat inhaftierten Person (vgl. BGE 137 IV
13 E. 3-4 S. 18 ff.; 137 IV 333 E. 2.3.3 S. 338). Aus dem Gutachten vom 30.
April 2014 und dem Ergänzungsgutachten vom 22. Dezember 2014 geht hervor, dass
beim Beschwerdeführer nicht (nur) akzentuierte Persönlichkeitszüge gegeben
sind, sondern eine abhängige Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.7) mit unreifen
Zügen vorliegt. Daneben seien eine leichte Intelligenzverminderung und eine
leichte kognitive Störung gegeben. Das Störungsbild sei deutlich relevant für
sein zukünftiges Verhalten. Der Beschwerdeführer sei im Freiheitsentzug
stationär und ambulant behandelt worden. Der Vollzugsverlauf sei bis 2010 als
positiv bezeichnet und das Rückfallrisiko in Bezug auf ein schweres
Gewaltdelikt im Gutachten vom 31. Mai 2010 trotz zwei Verstössen in den
Hafturlauben (u.a. Kontaktaufnahme und -aufrechterhaltung zu einer
Prostituierten trotz Verbot) als gering beschrieben worden. Seit der letzten
Begutachtung habe der Beschwerdeführer trotz weitergeführter Therapie erneut
gegen das Kontaktverbot verstossen. Er habe sich von 2012 bis Spätsommer 2013
während seines Aufenthalts im Arbeitsexternat mehrfach mit einer Prostituierten
getroffen. Er habe damit einen erneuten Rückfall in ein Risikoverhalten gezeigt
und seine Unfähigkeit dokumentiert, nach langjähriger Behandlung
Therapieinhalte und -ziele umzusetzen. Deutlich ungünstig sei, dass er den
Rückfall und den Verstoss gegen das Kontaktverbot verschwiegen habe. Im
Gutachten vom 30. April 2010 sei man noch zum Schluss gekommen, der
Beschwerdeführer könne aus seinem Fehlverhalten lernen. Der Verlauf bis 2014
zeige jedoch, dass er auch bei Vollzugslockerungen stetig die gleichen Fehler
begehe, den Kontakt zu Prostituierten aufnehme und sich damit in eine abhängige
Position und in ähnliche Beziehungsmuster begebe wie damals vor dem Delikt. Er
bediene sich der Möglichkeit, durch sexuellen Kontakt zu Frauen aus dem
Rotlichtmilieu in eine Art Beziehung zu gelangen. Er könne dabei erneut in ein
Abhängigkeitsgefüge geraten, welches ihn in gewissen (konfliktreichen)
Situationen überfordere. Die Prognose sei ungünstig bzw. ungünstiger als bisher
vermutet. Ein schweres Gewaltdelikt sei somit durchaus möglich, da dem
Beschwerdeführer auch die intellektuellen und kognitiven Ressourcen fehlten,
andere Konfliktbewältigungsstrategien anzuwenden. Das Risiko für eine schwere
Gewalttat werde insgesamt als moderat erachtet (Entscheid, S. 6 f.; kantonale
Akten, Gutachten vom 30. April 2014, S. 25 ff., S. 34 ff., S. 36 ff.;
Ergänzungsgutachten vom 22. Dezember 2014, S. 2 ff., S. 9, S. 11).

3.4.2. Wie der Beschwerdeführer vorbringt, mag die Vorinstanz bei der
richterlichen Würdigung der Wiederholungsgefahr über die gutachterliche
Einschätzung der Rückfallgefahr hinausgegangen sein, indem sie Rückfälle bei
einer Freilassung des Beschwerdeführers als hoch wahrscheinlich bezeichnet
(Entscheid, S. 9). Die dahingehende Kritik in der Beschwerde an der
vorinstanzlichen Würdigung der Gutachten ist insofern verständlich (Beschwerde,
S. 9). Allerdings ist nicht zu übersehen, dass die in den Gutachten getroffenen
Feststellungen zum Risikoverhalten des Beschwerdeführers und zu seiner
Unfähigkeit, die Problematik seines Verhaltens zu erkennen und Therapieinhalte
und -ziele umzusetzen, eine ungünstige Prognose und eine rechtlich relevante
Rückfallgefahr zu begründen vermögen. Zudem hat die Vorinstanz die Schwere der
zu befürchtenden Delikte zu Recht mitberücksichtigt. Vorliegend geht es um
(sehr) schwere Gewaltdelikte und damit um den Schutz von Leib und Leben. Es
steht das höchste Rechtsgut auf dem Spiel. Insoweit ist es angezeigt, an die
Annahme von Wiederholungsgefahr keinen allzu strengen Massstab anzulegen.
Andernfalls setzte das Gericht mögliche Opfer einer nicht verantwortbaren
Gefahr aus (vgl. BGE 123 I 268 E. 2e S. 271; Urteile 1B_440/2011 vom 23.
September 2011 E. 2.2 und 1B_21/2007 vom 6. März 2007 E. 3.1). Würdigt man
diese Umstände gesamthaft, hält es vor Bundesrecht stand, wenn die Vorinstanz
Wiederholungsgefahr im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO bejaht.

3.5.

3.5.1. Die nachträgliche Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme
ist angesichts der psychischen Störung des Beschwerdeführers und der von ihm
ausgehenden Rückfallgefahr für schwere Gewaltdelikte nicht von vornherein
ausgeschlossen. Damit ist auch das Erfordernis der hinreichenden
Wahrscheinlichkeit betreffend die Anordnung der Massnahme im Sinne der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung gegeben.

3.5.2. Allerdings ist auf das Folgende hinzuweisen: Die Staatsanwaltschaft
beantragt in der Sache, es sei die Freiheitsstrafe in eine stationäre
therapeutische Massnahme umzuwandeln. Sie stützt ihren Antrag auf Art. 65 Abs.
1 StGB (vgl. Entscheid, S. 3; siehe auch kantonale Akten, act. 18, Antrag auf
Änderung der Sanktion vom 22. Mai 2015). Diese Gesetzesbestimmung regelt
(einzig) den Wechsel von einer Strafe oder Verwahrung in eine stationäre
therapeutische Massnahme ( MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Strafrecht,
Band I, 3. Aufl. 2013, N. 18 zu Art. 63b Abs. 5 StGB sowie N. 7 und 9 zu Art.
65 StGB; eingehend insbesondere Urteil 6B_253/2015 vom 23. Juli 2015 E. 2.2.2).

3.5.3. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil vom 29. April 2004 indes nicht nur
zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Es wurde gegen ihn
gleichzeitig eine ambulante vollzugsbegleitende Massnahme im Sinne von Art. 43
Ziff. 1 Abs. 1 aStGB (bzw. Art. 63 StGB) angeordnet.

3.5.4. Eine ambulante vollzugsbegleitende Massnahme zur Behandlung von
psychischen Störungen gemäss Art. 63 StGB ist zeitlich relativ unbestimmt. Ihre
Dauer hängt vom Behandlungsbedürfnis des Betroffenen und der Erfolgsaussicht
der Massnahme ab (vgl. Art. 56 Abs. 1 lit. b StGB). Die Massnahme wird ohne
Rücksicht auf Art und Dauer der ausgesprochenen Strafe angeordnet. Massgebend
sind der Geisteszustand des Täters und die Auswirkungen der Massnahme auf die
Gefahr weiterer Straftaten (BGE 136 IV 156 E. 2.3 S. 158 f. mit Hinweis). Eine
ambulante Behandlung nach Art. 63 StGB darf in der Regel nicht länger als fünf
Jahre dauern, kann jedoch um jeweils ein bis fünf Jahre verlängert werden. Eine
solche Verlängerung ist so oft möglich, wie dies erforderlich erscheint (Art.
63 Abs. 4 StGB; Urteil 6B_380/2013 vom 16. Januar 2014 E. 4.2; s.a. zu
publizierendes Urteil 6B_385/2014 vom 23. April 2015 E. 2.1 im Zusammenhang mit
stationären Massnahmen nach Art. 59 StGB). Eine Massnahme nach Art. 63 StGB zur
Behandlung von psychischen Störungen endet damit im Unterschied zu einer Strafe
nicht durch blossen Zeitablauf. Sie dauert vielmehr grundsätzlich so lange, bis
ihr Zweck erreicht ist oder sich eine Zweckerreichung als aussichtslos erweist
(BGE 136 IV 156 E. 2.3 S. 158; vgl. zu publizierendes Urteil 6B_385/2014 vom
23. April 2015 E. 3.5). Ein Scheitern darf nicht leichthin angenommen werden.
Die Massnahme ist in jedem Fall durch besonderen Rechtsakt aufzuheben. Das
ergibt sich aus Art. 63a Abs. 2 StGB und Art. 63b Abs. 2 StGB (siehe auch BGE
141 IV 49 E. 2.2 und 3.2 im Zusammenhang mit stationären Massnahmen nach Art.
59 StGB; Urteil 6B_253/2015 vom 23. Juli 2015 E. 2.1).

3.5.5. Die mit Urteil vom 29. August 2004 angeordnete vollzugsbegleitende
ambulante Massnahme wurde, soweit ersichtlich, nicht aufgehoben. Ihr Scheitern
wurde nie festgestellt. Sie fiel daher als solche - auch wenn nicht rechtzeitig
um ihre Verlängerung ersucht wurde - mit Erreichen der fünfjährigen Höchstfrist
nicht einfach dahin (kantonale Akten, Urteil des Bezirksgerichts Lenzburg vom
17. Dezember 2013), sondern hatte und hat weiterhin Bestand. Dies gilt auch
unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Beschwerdeführer die Strafe
vollständig verbüsst hat. Die zu vollziehende Freiheitsstrafe hat keinen
Einfluss auf die Dauer der Massnahme. Diese kann den Strafvollzug im Gegenteil
durchaus überdauern (vgl. BGE 136 IV 156 E. 2 und 3 S. 158 ff.; Urteil 6B_253/
2015 vom 23. Juli 2015 E. 2.2.2 mit Hinweisen; MARIANNE HEER, in: Basler
Kommentar, Strafrecht, Band I, 3. Aufl. 2013, N. 68 und 83 zu Art. 63 StGB; so
schon unter altem Recht vgl. DIESELBE, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Band
I, Basel 2003, N. 131 zu Art. 43 aStGB).

3.5.6. Art. 65 Abs. 1 StGB ist unter diesen Umständen als Rechtsgrundlage nicht
einschlägig. Die in der Sache beantragte nachträgliche Massnahmenanordnung kann
darauf nicht abgestützt werden. Massgebend sind hier vielmehr die Bestimmungen
gemäss Art. 63a und Art 63b StGB. Die am 29. August 2004 gerichtlich
angeordnete ambulante vollzugsbegleitende Massnahme ist vorliegend deshalb
durch die zuständige Behörde aufzuheben, bevor sich die Frage stellen kann, ob
auf der Grundlage von Art. 63b Abs. 5 StGB nachträglich eine stationäre
Massnahme angeordnet werden kann. Dem Beschwerdeführer stehen dagegen die
entsprechenden Rechtsmittel zur Verfügung (Urteil 6B_253/2015 vom 23. Juli 2015
E. 2.3.1 und 2.3.2). Das Verfahren ist - worauf mit Nachdruck hinzuweisen
bleibt - in strenger Nachachtung des Beschleunigungsgebots durchzuführen.

3.6. Dass Ersatzmassnahmen zur Bannung der Wiederholungsgefahr ausreichen
würden, macht der Beschwerdeführer schliesslich nicht geltend und ist im
Übrigen auch nicht ersichtlich.

4.

 Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Bei
diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und ist keine Parteientschädigung
zuzusprechen (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Oktober 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill

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