Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.957/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_957/2015

Urteil vom 11. Dezember 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Hofer,
Beschwerdeführer,

gegen

Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Verletzung von Verkehrsregeln, Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung,
2. Strafkammer, vom 14. August 2015.

Sachverhalt:

A.
Das Regionalgericht Bern-Mittelland sprach am 26. November 2014 X.________ von
der Anschuldigung der groben Verkehrsregelverletzung (durch brüskes, unnötiges
Bremsen) sowie der einfachen Verkehrsregelverletzung (durch Nichtgewähren des
Vortritts im Kreisverkehr und Nichtwahren eines genügenden Abstands beim
Nebeneinanderfahren) frei. Es verurteilte ihn wegen einfacher
Verkehrsregelverletzung (durch widerrechtliches Befahren der Busspur am 13.
Juli 2013 in Köniz) zu einer Übertretungsbusse von Fr. 60.--.

B.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern erhob Berufung und beschränkte sie auf
die beiden Freisprüche sowie den Strafpunkt. X.________ verzichtete auf
Anschlussberufung. Beide Parteien erklärten sich mit der Durchführung des
schriftlichen Verfahrens einverstanden.
Das Obergericht des Kantons Bern stellte am 14. August 2015 fest, dass der
erstinstanzliche Schuldspruch wegen einfacher Verkehrsregelverletzung (durch
widerrechtliches Befahren der Busspur) in Rechtskraft erwachsen ist.
Das Obergericht erklärte X.________ der groben Verkehrsregelverletzung (durch
brüskes, unnötiges Bremsen) sowie der einfachen Verkehrsregelverletzung (durch
Nichtgewähren des Vortritts im Kreisverkehr und Nichtwahren eines genügenden
Abstands beim Nebeneinanderfahren) schuldig. Es verurteilte ihn zu einer
bedingten Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr. 40.--, einer Verbindungsbusse
von Fr. 200.-- und einer Übertretungsbusse von Fr. 610.-- sowie zur Bezahlung
der erst- und oberinstanzlichen Verfahrenskosten.

C.
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil
aufzuheben und ihn freizusprechen, eventualiter die Sache zu neuer Beurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung
zu erteilen. Es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.

Erwägungen:

1.
Wie dem Beschwerdeführer im Schreiben des Bundesgerichts vom 22. September 2015
mitgeteilt wurde, können mit der aufschiebenden Wirkung gemäss Art. 103 Abs. 3
BGG nur die im angefochtenen Urteil direkt angeordneten Rechtsfolgen bis zum
Entscheid des Bundesgerichts suspendiert werden. Sie kann nicht hinsichtlich
eines (separaten) Administrativverfahrens erteilt werden. Die Beschwerde ist
nur im Rahmen des Streitgegenstandes zulässig (vgl. BGE 133 II 181 E. 3.3).

2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 343 Abs. 3 StPO. Die
Vorinstanz stütze sich auf Aussagen der Beteiligten im Strafverfahren, ohne sie
selber direkt zu befragen, und obwohl der Fall einer "Aussage gegen Aussage"
vorliege.
Das vorinstanzliche Vorgehen im schriftlichen Verfahren ist üblich, sofern -
wie hier - keine besonderen Umstände vorliegen. Der Beschwerdeführer
verzichtete auf Anschlussberufung und nahm im Schriftenwechsel zur Berufung
Stellung (Urteil S. 3). Damit wurde ihm das rechtliche Gehör gewährt. Er konnte
angesichts der Berufung gegen die in dubio pro reo erfolgten erstinstanzlichen
Freisprüche eine Verurteilung nicht von vornherein ausschliessen. Er stellte
keine Beweisanträge und war mit dem schriftlichen Verfahren einverstanden. Im
Widerspruch zu diesem prozessualen Verhalten beruft er sich vor Bundesgericht
auf das Unmittelbarkeitsprinzip. Gemäss Art. 390 Abs. 4 StPO fällt die
Berufungsinstanz ihren Entscheid "aufgrund der Akten und der zusätzlichen
Beweisabnahmen". Die Vorinstanz prüfte die Glaubhaftigkeit der Aussagen und sah
sich nicht veranlasst, die Beweisabnahmen zu wiederholen (vgl. Art. 389 Abs. 2
StPO).
Der Beschwerdeführer verzichtete auf Beweisbegehren und mündliche Verhandlung.
Er kann nach ungünstigem Prozessausgang nicht vor Bundesgericht mit Erfolg
beantragen, worauf er vor der Vorinstanz verzichtet hatte, und rügen, was er in
einem früheren Verfahrensstadium hätte geltend machen können (vgl. Urteile
6B_841/2015 vom 10. November 2015 E. 1 und 6B_883/2015 vom 24. November 2015 E.
2 mit Hinweisen).

3.
Der Beschwerdeführer macht eine willkürliche Beweiswürdigung insbesondere
hinsichtlich der Auswertung des Fahrtenschreibers und der Aussagen der
Beteiligten geltend.
Für das Bundesgericht ist grundsätzlich der vorinstanzlich beweismässig
festgestellte Sachverhalt massgebend (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche
Sachverhaltsfeststellung kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die
Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 140 III 264 E. 2.3).
Für die Anfechtung des Sachverhalts gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 42 Abs.
2 i.V.m. Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht prüft in
diesem Fall nur klar anhand der angefochtenen Beweiswürdigung detailliert
erhobene und aktenmässig belegte Rügen. Auf appellatorische Kritik tritt es
nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3; 133 IV 286 E. 1.4 und 6.2; Urteil 6B_841/
2015 vom 10. November 2015 E. 2.2 mit Hinweisen).
Mit der Argumentation, es hätte "ebenso gut" anders sein können (Beschwerde S.
5), lässt sich eine willkürliche Beweiswürdigung nicht aufzeigen. Die
Vorinstanz schliesst ein erstes Bremsen vor dem Kreisel aus. Sie setzt sich mit
der Auswertung des Fahrtenschreibers auseinander, entscheidet aber gestützt auf
ihre Würdigung der Aussagen der beiden Beteiligten unter wesentlicher
Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und berücksichtigt auch die
erstinstanzliche Begründung. Die Vorinstanz prüft die Glaubhaftigkeit der
massgebenden Aussagen. Der Beschwerdeführer vermag mit der Behauptung einer
"Gleichwertigkeit der Glaubhaftigkeit der Aussagen" der beiden Beteiligten
(Beschwerde S. 6) eine Willkür nicht darzulegen.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das
Rechtsbegehren und damit das Gesuch um unentgeltliche Rechtsprechung lässt sich
angesichts des erstinstanzlichen Urteils nicht als zum vornherein aussichtslos
bezeichnen. Es ist teilweise gutzuheissen und im Übrigen abzuweisen.
Entsprechend sind die Gerichtskosten herabzusetzen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. 65
Abs. 2 BGG). Die teilweise Parteientschädigung aus der Gerichtskasse (Art. 64
Abs. 2 BGG) ist praxisgemäss dem Rechtsvertreter auszurichten.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird teilweise gutgeheissen und im
Übrigen abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 400.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Urs Hofer, wird aus der
Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Dezember 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Briw

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