Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.810/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_810/2015

Urteil vom 12. Mai 2016

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Oberholzer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Rüedi,
Besetzung
Gerichtsschreiberin Siegenthaler.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Advokat Sandro Horlacher,
Beschwerdeführer,

gegen

1.       Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4051
Basel,
2.       A.________,
3.       B.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Zweifelhafte Schuldfähigkeit (mehrfache üble Nachrede),

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt,
Ausschuss, vom 26. Juni 2015.

Sachverhalt:

A.
Seit einigen Jahren bezichtigt X.________ regelmässig seine Nachbarn B.________
und A.________ bei der Stockwerkeigentümergemeinschaft, in ihrer Wohnung einen
Escortservice zu betreiben. Weiter äusserte X.________ gegenüber anderen
Stockwerkeigentümern den Verdacht, dass B.________ als Prostituierte in einem
Bordell arbeite und A.________ Frauen für diese Geschäftstätigkeit anwerbe.
Schliesslich unterstellte X.________ den beiden auch, in der von ihnen
bewohnten Liegenschaft ein "Bed and Breakfast" zu führen, um ihrer bisherigen
Geschäftstätigkeit ein weniger anstössiges Image zu vermitteln.

B.
Am 23. Juli 2013 verurteilte das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt
X.________ wegen mehrfacher übler Nachrede zu einer bedingten Geldstrafe von 50
Tagessätzen zu Fr. 60.-- bei einer Probezeit von 2 Jahren.
Auf Berufung von X.________ bestätigte das Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt dieses Urteil am 26. Juni 2015 vollumfänglich.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid des
Appellationsgerichts vom 26. Juni 2015 sei aufzuheben und die Sache zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Appellationsgericht Basel-Stadt beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt sowie die Privatkläger A.________
und B.________ verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 20 StGB und macht
geltend, es habe in sämtlichen Verfahrensstadien Anlass zu Zweifeln an seiner
Schuldfähigkeit bestanden. So habe sich seine Ehefrau mehrfach an die
Strafverfolgungsbehörden gewandt und auf seine psychische Erkrankung
hingewiesen. Das erstinstanzliche Gericht und die Vorinstanz hätten sogar
selbst Zweifel an seiner Schuldfähigkeit geäussert. Während die erste Instanz
festgestellt habe, seinen Anschuldigungen liege erkennbar eine gewisse
Fehlwahrnehmung zugrunde, sei die Vorinstanz der Auffassung gewesen, dass er
"etwas gebastelt habe in seiner Phantasie" und es ihm schwer falle, "von seiner
Wahrnehmung abzurücken und die Realität wahrzunehmen". Insgesamt hätten klare
Zweifel an seiner Schuldfähigkeit bestanden, was zwingend zu einer Begutachtung
hätte führen müssen.

1.2. Nach Art. 20 StGB ordnet die Untersuchungsbehörde oder das Gericht die
Begutachtung durch einen Sachverständigen an, wenn ernsthafter Anlass besteht,
an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln. Ein Gutachten ist nicht nur
einzuholen, wenn das Gericht tatsächlich Zweifel an der Schuldfähigkeit hat,
sondern auch, wenn es nach den Umständen des Falls ernsthafte Zweifel haben
sollte (BGE 133 IV 145 E. 3.3 mit Hinweisen; Urteile 6B_352/2014 vom 22. Mai
2015 E. 5.1, nicht publ. in BGE 141 IV 273, und 6B_130/2012 vom 22. Oktober
2012 E. 2.3, nicht publ. in BGE 138 IV 209).

1.3. Zu Recht bringt der Beschwerdeführer vor, seine Frau habe sich mehrmals an
die Strafverfolgungsbehörden gewandt mit dem Hinweis, er sei psychisch krank.
Die entsprechenden Telefonate führte sie jeweils in seiner Abwesenheit, einmal
sogar aus einer Telefonkabine, weil er nichts von diesen Gesprächen erfahren
sollte. Bei diesen Gelegenheiten schilderte sie, dass der Beschwerdeführer
teilweise ausgeprägte Verkennungen und eventuell auch Wahnideen habe. Selber
sei er jedoch nicht dieser Meinung, weshalb er sich nicht behandeln lasse.
Ausserdem erwähnte sie, dass sich sein Gesundheitszustand nach längerer
Arbeitslosigkeit mit Depressionen verschlechtert habe (vgl. pag. 29 und 55).
Diese wiederholten Hinweise sowie die jeweiligen Einschätzungen der beiden
Vorinstanzen selbst sprechen dafür, dass diese ernsthafte Zweifel an der vollen
Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers hätten haben sollen oder allenfalls sogar
hatten. So führte das erstinstanzliche Gericht aus, die inkriminierten
Behauptungen des Beschwerdeführers seien von den meisten Personen nicht allzu
ernst genommen worden, wohl weil "den Anschuldigungen erkennbar eine gewisse
Fehlwahrnehmung zugrunde liegt". Dem Beschwerdeführer falle es schwer, von
seiner Wahrnehmung abzurücken und die Realität wahrzunehmen. Die Vorinstanz
ihrerseits hielt fest, "die ganzen Anwürfe erscheinen vielmehr als ein
Konstrukt seiner Phantasie, welches durchaus schon Krankheitswert erreicht
haben dürfte".
Indem die Vorinstanz die Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers trotz der
Zweifel, die sie hätte haben sollen oder sogar äusserte, nicht durch eine
sachverständige Person abklären liess, verletzte sie Bundesrecht. Die Rüge
erweist sich als begründet.

2.
Die Beschwerde ist gutzuheissen und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird die Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers
durch einen Sachverständigen abklären lassen müssen.
Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Basel-Stadt
hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu
entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt vom 26. Juni 2015 wird aufgehoben und die Sache zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Basel-Stadt hat dem Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Mai 2016

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Oberholzer

Die Gerichtsschreiberin: Siegenthaler

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