Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.70/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_70/2015

Urteil vom 20. April 2016

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Held.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Diego Reto Gfeller,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
2. A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin
lic. iur. Snezana Blickenstorfer,
Beschwerdegegnerinnen.

Gegenstand
Willkür (Vergewaltigung, sexuelle Nötigung); Strafzumessung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, vom 23. September 2014.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft erhob gegen X.________ unter anderem Anklage wegen
mehrfacher Vergewaltigung, Nötigung, sexueller Nötigung und versuchter
Vergewaltigung zu Lasten seiner damaligen Ehefrau A.________. Sie wirft ihm
zusammengefasst vor, während der Ehe von Dezember 2006 bis März 2007
regelmässig einmal am Wochenende gegen den Willen seiner damaligen Ehefrau den
Geschlechtsverkehr mit ihr erzwungen zu haben. Er soll ihr mehrmals damit
gedroht haben, den gemeinsamen Sohn zu entführen und ihr Gesicht zu
verunstalten, falls sie ihn verlasse. Im März 2010 - als sie bereits getrennt
lebten - soll er sie gegen ihren Willen während einiger Minuten mit einem
Vibrator vaginal penetriert haben und bei einem weiteren Vorfall mit zwei
Fingern vaginal gegen ihren Willen in sie eingedrungen sein und anschliessend
versucht haben, sie zu vergewaltigen. Hiervon habe er nur Abstand genommen, da
der gemeinsame Sohn aufgewacht sei und nach seiner Mutter gerufen habe.
Weitere Strafverfahren wegen sexueller Handlungen mit Kindern zum Nachteil des
gemeinsamen Sohnes, sexueller Nötigung, Nötigung, Vernachlässigung der
Unterhaltspflicht (alles zum Nachteil von A.________) und Widerhandlung gegen
das Ausländergesetz wurden eingestellt.

B.
Das Bezirksgericht Winterthur verurteilte X.________ am 23. August 2013 wegen
versuchter und mehrfacher vollendeter Vergewaltigung, sexueller Nötigung,
mehrfacher Nötigung und weiterer Straftaten (Tätlichkeiten, Fahrens ohne
Berechtigung und Verletzung von Verkehrsregeln) zu einer bedingten
Freiheitsstrafe von 22 Monaten und einer Busse von Fr. 300.-. Es verpflichtete
ihn, A.________ eine Genugtuung von Fr. 10'000.- zu zahlen und wies deren
Genugtuungsbegehren im Mehrbetrag ab.

C.
X.________ erhob gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung. Die
Staatsanwaltschaft erklärte hinsichtlich des Strafmasses Anschlussberufung. Mit
Präsidialverfügung vom 2. Mai 2014 wies die Verfahrensleitung des Obergerichts
u.a die Beweisanträge von X.________ auf Erstellung eines
Glaubhaftigkeitsgutachtens und Einvernahme von A.________ ab. Das Obergericht
des Kantons Zürich verurteilte X.________ am 23. September 2014 wegen sexueller
Nötigung, versuchter Vergewaltigung und mehrfacher Nötigung unter
Berücksichtigung der nicht angefochtenen erstinstanzlichen Schuldsprüche zu
einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 28 Monaten und einer Busse von Fr. 300.
- als teilweise Zusatzstrafe zu einem Strafbefehl der Staatsanwaltschaft
Zürich-Sihl. Vom Vorwurf der mehrfachen Vergewaltigung sprach es ihn frei. Es
verpflichtete ihn, A.________ eine Genugtuung von Fr. 3'000.- zu zahlen und
wies die Genugtuungsforderung im Mehrbetrag ab.

D.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt sinngemäss, das
obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er
sei von den Vorwürfen der versuchten Vergewaltigung, der sexuellen Nötigung und
der mehrfachen Nötigung freizusprechen. Er ersucht um aufschiebende Wirkung
seiner Beschwerde.
Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben auf
Vernehmlassungen verzichtet. A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde
und ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 182 und Art. 343 StPO
und eine darauf beruhende willkürliche Sachverhaltsfeststellung. Er habe mit
der Berufungserklärung die Erstellung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens in Bezug
auf die Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 und deren persönliche Befragung
anlässlich der Berufungsverhandlung beantragt, was die Vorinstanz abgelehnt
habe. Die Einholung eines Gutachtens sei erforderlich, da die
Beschwerdegegnerin 2 ihn bereits in anderen Strafverfahren zu Unrecht belastet
und viele strafrechtlich relevante Vorwürfe erstmalig im Rahmen der
staatsanwaltlichen Einvernahmen erhoben habe. Es gebe deutliche Anzeichen für
Suggestiveffekte bei der staatsanwaltlichen Einvernahme und die ihm
vorgeworfenen Handlungen lägen lange zurück.
Obwohl es sich um eine klassische "Aussage gegen Aussage"-Situation handle und
die Schuldsprüche einzig auf den Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 beruhten,
sei diese nie gerichtlich einvernommen worden. Die Videoaufzeichnungen der
staatsanwaltlichen Befragungen könnten diesen Mangel nicht heilen. Sie
ermöglichten zwar eine Einschätzung des Aussageverhaltens, jedoch nicht die
unmittelbare Befragung der Beschwerdegegnerin 2 und die Beleuchtung von
Widersprüchen und Diskrepanzen durch das Gericht. Trotz klarer Hinweise auf
Widersprüchlichkeiten in den Aussagen bejahe die Vorinstanz deren
Glaubhaftigkeit. Soweit sie überhaupt darlege, warum sie die Aussagen der
Beschwerdegegnerin 2 als lebensnah, detailreich, anschaulich und authentisch
halte, begründe sie dies ausschliesslich mit Schilderungen von Umständen, die
den Tatvorwürfen vorausgingen, sich jedoch nicht auf das strafrechtliche
Kerngeschehen bezögen.

1.2. Die Vorinstanz erwägt, als Beweismittel lägen die Aussagen der
Beschwerdegegnerin 2 und des Beschwerdeführers vor. Zwar liege eine "Aussage
gegen Aussage"-Konstellation vor, bei der ein persönlicher Eindruck der
Parteien wichtig sei, jedoch ergebe sich aufgrund der Videobefragungen ein
umfassender Eindruck des Aussageverhaltens der Beschwerdegegnerin 2, unabhängig
davon, dass diese nicht persönlich durch das Gericht befragt worden ist. Den
Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts zur Glaubwürdigkeit der
Beschwerdegegnerin 2 sei zuzustimmen.
Der angeklagte Sachverhalt der mehrfachen Nötigung sei gestützt auf die
vorstehenden Erwägungen zur Glaubwürdigkeit der Beschwerdegegnerin 2 und unter
Verweis auf die zutreffenden Erwägungen des Bezirksgerichts erstellt. Der
Beschwerdeführer sei geständig, einmal geäussert zu haben, den gemeinsamen Sohn
(im Falle der Trennung) zu entführen. Es sei nicht ersichtlich, warum die
Beschwerdegegnerin 2 die Drohung, er werde ihr Gesicht verunstalten, erfunden
haben sollte. Hätte sie den Beschwerdeführer falsch belasten wollen, hätte es
genügt, ihn der (einmal) angedrohten Kindesentführung zu beschuldigen. Der
Beschwerdeführer habe eingeräumt, nachvollziehen zu können, dass die
Beschwerdegegnerin 2 aufgrund seiner Äusserung Angst gehabt habe.
Entgegen der Auffassung des Bezirksgerichts seien die Aussagen der
Beschwerdegegnerin 2 zum Vorwurf der mehrfachen Vergewaltigung während der Ehe
(Dezember 2006 bis März 2007) inkonstant und wiesen überdies eine deutliche
Aggravierungstendenz auf. In ihrer ersten Einvernahme habe die
Beschwerdegegnerin 2 verneint, jemals gegen ihren Willen Geschlechtsverkehr mit
dem Beschwerdeführer gehabt zu haben. Er habe immer vorher aufgehört, wenn sie
den Geschlechtsverkehr nicht gewollt habe. In den folgenden Einvernahmen habe
sie hingegen angegeben, der Beschwerdeführer habe sie teilweise geschlagen oder
ihr mit Gewalt gedroht, wenn sie sich geweigert habe. Das unterschiedliche
Aussageverhalten spreche gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen. Es sei
vielmehr davon auszugehen, dass die Beschwerdegegnerin 2 den Geschlechtsverkehr
jeweils einfach über sich habe ergehen lassen, auch wenn sie keine Lust darauf
gehabt habe, so wie sie es zu Beginn des Strafverfahrens ausgesagt habe.
Aufgrund der divergierenden und aggravierenden Aussagen bestünden erhebliche
Zweifel, dass die Beschwerdegegnerin 2 sich mit genügender Deutlichkeit gegen
die Annäherungen des Beschwerdeführers zur Wehr gesetzt habe und für diesen
erkennbar gewesen sei, dass sie keinen Geschlechtsverkehr wolle.
Hinsichtlich der sexuellen Nötigung und der versuchten Vergewaltigung könne auf
die zutreffende Zusammenfassung der Aussagen des Beschwerdeführers und der
Beschwerdegegnerin 2 durch das erstinstanzliche Gericht verwiesen werden. Es
bestünde kein Anlass, an den authentischen Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 zu
zweifeln. Dass sie die beiden ähnlich gelagerten Fälle der sexuellen Nötigung
und der versuchten Vergewaltigung zunächst durcheinander gebracht und dies auch
eingeräumt habe, spreche für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen. Ihre
Schilderungen seien detailreich, authentisch und glaubhaft, insbesondere wie es
zur sexuellen Nötigung gekommen sei. Ebenso spreche für die Glaubhaftigkeit der
Aussagen, dass die Beschwerdegegnerin 2 sich an Details erinnern könne, die der
Tat voraus gegangen seien. Die eingeklagten Sachverhalte der sexuellen Nötigung
und der versuchten Vergewaltigung seien gestützt auf die Aussagen der
Beschwerdegegnerin 2 und mit der Vorinstanz erstellt.

1.3. Das Rechtsmittelverfahren beruht auf den Beweisen, die im Vorverfahren und
im erstinstanzlichen Hauptverfahren erhoben worden sind (Art. 389 Abs. 1 StPO).
Beweisabnahmen des erstinstanzlichen Gerichts werden im Rechtsmittelverfahren
nur unter den in Art. 389 Abs. 2 StPO genannten Voraussetzungen wiederholt.
Nach Abs. 3 der Vorschrift erhebt die Rechtsmittelinstanz von Amtes wegen oder
auf Antrag einer Partei die erforderlichen zusätzlichen Beweise. Eine
unmittelbare Beweisabnahme im Rechtsmittelverfahren hat gemäss Art. 343 Abs. 3
i.V.m. Art. 405 Abs. 1 StPO auch zu erfolgen, wenn eine solche im
erstinstanzlichen Verfahren unterblieb oder unvollständig war und die
unmittelbare Kenntnis des Beweismittels für die Urteilsfällung notwendig
erscheint. Der Wahrheits- und Untersuchungsgrundsatz gilt auch im
Rechtsmittelverfahren (BGE 140 IV 196 E. 4.4.1; Urteil 6B_430/2015 vom 15. Juni
2015 E. 2.2; je mit Hinweisen).
Die unmittelbare Kenntnis des Beweismittels erscheint für die Urteilsfällung
als notwendig im Sinne von Art. 343 Abs. 3 StPO, wenn sie den Ausgang des
Verfahrens beeinflussen kann. Dies ist namentlich der Fall, wenn die
Beweiskraft des Beweismittels in entscheidender Weise vom Eindruck abhängt, der
bei seiner Präsentation entsteht, beispielsweise wenn es in besonderem Masse
auf den unmittelbaren Eindruck einer Zeugenaussage ankommt, so etwa wenn
Aussage gegen Aussage steht. Das Gericht verfügt beim Entscheid über die Frage,
ob die unmittelbare Kenntnis des Beweismittels im Sinne von Art. 343 Abs. 3
StPO für die Urteilsfällung notwendig erscheint, über einen Ermessensspielraum
(BGE 140 IV 196 E. 4.4.2; 6B_430/2015 vom 15. Juni 2015 E. 2.3.2; je mit
Hinweisen).

1.4.

1.4.1. Die Vorinstanz verletzt Bundesrecht, indem sie den Antrag auf
Einvernahme der Beschwerdegegnerin 2 abweist. In "Aussage gegen
Aussage"-Situationen, in denen keine weiteren Sachbeweise oder Indizien
vorliegen, ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung die unmittelbare
Wahrnehmung der aussagenden Personen durch das Sachgericht grundsätzlich
unverzichtbar. Fehlt es an einer gerichtlichen Einvernahme, beruht die
Aussagewürdigung auf einer unvollständigen Grundlage (vgl. BGE 140 IV 196 E.
4.4.1 - 4.4.3; 6B_98/2014 vom 30. September 2014 E. 3.8). Die Anschuldigungen
der Beschwerdegegnerin 2 sind neben der Aussage des Beschwerdeführers das
einzige Beweismittel in Bezug auf die schwerwiegenden Tatvorwürfe der
versuchten Vergewaltigung und der mehrfachen sexuellen Nötigung. Den sich
widersprechenden Aussagen kommt hinsichtlich des Verfahrensausgangs
entscheidende Bedeutung zu, weshalb die persönliche Einvernahme des
Beschwerdeführers und der Beschwerdegegnerin 2 durch die Vorinstanz gemäss Art.
343 Abs. 3 i.V.m. Art. 405 Abs. 1 StPO notwendig ist.

1.4.2. Die Videoaufzeichnungen der staatsanwaltlichen Einvernahmen können
vorliegend die Befragung der Beschwerdegegnerin 2 durch die Vorinstanz nicht
ersetzen respektive machen diese nicht verzichtbar. Zwar stellen auf Video
aufgezeichnete Einvernahmen nicht per se ein ungenügendes Beweismittel bei der
Aussagewürdigung dar, sondern können genügen, um sich ein hinreichendes Bild
von der Glaubwürdigkeit der Auskunftsperson oder des Zeugen respektive der
Glaubhaftigkeit deren Aussagen zu verschaffen (vgl. Urteil 6B_430/2015 vom Juni
2015 E. 2.5.2 f.). Dies ist namentlich der Fall, wenn weitere Sachbeweise oder
Indizien vorliegen und die einvernommene Person konstant und in sich logisch
konsistent aussagt. Vorliegend wich die Beschwerdegegnerin 2 in der
staatsanwaltlichen Einvernahme von ihren Aussagen anlässlich der polizeilichen
Befragungen und den in ihrer Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer erhobenen
Vorwürfen ab und erhob weitergehende Anschuldigungen. Diese Unregelmässigkeiten
hat auch die Vorinstanz ausgemacht und die von der Beschwerdegegnerin 2
erhobenen Anschuldigungen der mehrfachen Vergewaltigung als unglaubhaft
erachtet. Die Erforderlichkeit der gerichtlichen Einvernahme ergibt sich aus
den Abweichungen, Widersprüchen und Weiterungen zu den früheren Einlassungen
und nicht aufgrund der Form der Beweiserhebung mittels Videoaufzeichnung. Die
Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Beschwerdegegnerin 2 und der
Glaubhaftigkeit deren Aussagen hängt im entscheidenden Masse davon ab, ob sich
die Unklarheiten plausibel erklären oder nachvollziehbar auflösen lassen, was
die persönliche Einvernahme durch die Vorinstanz erforderlich macht.
Den Videoaufzeichnungen kommt vorliegend zudem nur eine eingeschränkte
Beweiskraft zu. Die Beschwerdegegnerin 2 hat die Tatvorwürfe zu keinem
Zeitpunkt frei und zusammenhängend geschildert bzw. schildern können. Sie
antwortet (fast) ausschliesslich auf die Fragen der Staatsanwaltschaft und
wurde regelmässig zwecks Protokollierung unterbrochen. Das in den Akten
befindliche Einvernahmeprotokoll gibt auch nicht den Wortlaut ihrer Aussagen
wieder, sondern deren diktierte Zusammenfassung durch die Staatsanwaltschaft.
Umfang und Inhalt der vom Beschwerdeführer als widersprüchlich gerügten
Aussagen sind nicht das Ergebnis einer eigenständigen Schilderung durch die
Beschwerdegegnerin 2, sondern beruhen in erster Linie auf der Art der
(polizeilichen und) staatsanwaltlichen Befragung, insbesondere der mehrfachen
Wiederholung und dem Insistieren auf Fragen, bevor die Antworten protokolliert
wurden. Dies zeigt, dass die unmittelbare Befragung durch das jeweils
erkennende Sachgericht in der Regel hilfreich und gerade in Aussage gegen
Aussage-Konstellationen für die Urteilsfindung unerlässlich ist. Eine
persönliche Anhörung der Beschwerdegegnerin 2 ist unerlässlich und hätte sich
hinsichtlich sämtlicher Anklagevorwürfe aufgedrängt und zwar umso mehr, weil
die Vorinstanz die von der Beschwerdegegnerin 2 erhobenen schwersten Vorwürfe
der mehrfachen Vergewaltigung als inkonstant erachtet und eine deutliche
Aggravierungstendenz erkennt, die gegen die Glaubhaftigkeit der Aussagen
spreche. Der Verweis auf die "zutreffenden Erwägungen" des erstinstanzlichen
Gerichts hinsichtlich der Vorwürfe der sexuellen Nötigung kann die durch die
Vorinstanz vorzunehmende eigene Beweiswürdigung nicht ersetzen, da das
Bezirksgericht eine gesamthafte Würdigung sämtlicher Aussagen der
Beschwerdegegnerin 2 zu allen Tatvorwürfen vornimmt und diese auch hinsichtlich
des am schwersten wiegenden Vorwurfs der mehrfachen Vergewaltigung, von dem die
Vorinstanz den Beschwerdeführer freispricht, als glaubhaft erachtet.
Zudem übersieht die Vorinstanz, dass die Beweiswürdigung des Bezirksgericht
seinerseits auf einer unvollständigen Beweiserhebung basiert und es gemäss Art.
343 Abs. 3 i.V.m. Art. 405 Abs.1 StPO im mündlichen Berufungsverfahren
verpflichtet ist, im Vorverfahren und erstinstanzlichen Hauptverfahren
ordnungsgemäss erhobene Beweise nochmals zu erheben, sofern deren unmittelbare
Kenntnis für die Urteilsfällung notwendig erscheint. Die Berufung nach Art. 398
ff. StPO ist ein reformatorisches Rechtsmittel (BBl 2006 1318 Ziff. 2.9.3.3)
und das Berufungsgericht verfügt über umfassende Kognition in tatsächlicher und
rechtlicher Hinsicht (vgl. Art. 398 Abs. 2 und 3 StPO; Urteile 6B_497/2014 vom
6. März 2015 E. 1.4; 6B_339/2014 vom 27. November 2014 E. 1.3, nicht publ. in:
BGE 140 IV 145). Das Berufungsgericht kann sich nicht mit der Überprüfung der
Sachverhaltsfeststellungen und Rechtsanwendung des erstinstanzlichen Gerichts
begnügen. Ist jedoch die unmittelbare Kenntnis des Beweismittels für die
Urteilsfällung notwendig, gilt dies sowohl für das erstinstanzliche als auch
das Berufungsverfahren, denn die Beweiserhebung durch das Erstgericht kann die
erforderliche unmittelbare Kenntnis des Berufungsgerichts nicht ersetzen.

1.4.3. Auch der von der Vorinstanz zur Begründung herangezogene Opferschutz
vermag keinen Verzicht auf die gerichtliche Einvernahme der Beschwerdegegnerin
2 zu begründen. Art. 116 Abs. 1 StPO ermöglicht es den Strafbehörden - im
Rahmen der gesetzlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten - den Belangen der
durch die Straftat vermeintlich Betroffenen Rechnung tragen. Allfällige
Opferschutzmassnahmen finden jedoch ihre Grenzen im Wahrheits- und
Untersuchungsgrundsatz, der auch im Rechtsmittelverfahren gilt. Die prozessuale
Stellung als Opfer nimmt die vom Gericht zu treffende materielle Entscheidung,
welcher Sachverhalt sich tatsächlich abgespielt hat, nicht vorweg und kann sich
nicht zu Ungunsten der beschuldigten Person (hier des Beschwerdeführers)
auswirken. Auch kann die wiederholte Einvernahme eines "Opfers" im Vorverfahren
nicht dazu führen, dass auf eine gerichtliche Einvernahme verzichtet werden
muss, denn andernfalls könnten die Strafverfolgungsbehörden darüber
entscheiden, welche Auskunftspersonen dem Gericht als Beweismittel zugänglich
sind.

1.4.4. Da sich die Beschwerde als begründet erweist, erübrigt es sich, die
weiteren Sach- und Rechtsrügen des Beschwerdeführers in Bezug auf die
Sexualdelikte zu behandeln. Im Hinblick auf die zu wiederholende
Berufungsverhandlung sei darauf hingewiesen, dass die Prüfung der
Glaubhaftigkeit von Beweisaussagen primär Sache der Gerichte ist und sich der
Beizug eines Sachverständigen für die Prüfung der Aussagen in der Regel erst
aufdrängt, wenn das Gericht aufgrund besonderer Umstände auf zusätzliches
medizinisches oder psychologisches Fachwissen angewiesen ist (BGE 129 I 49 E. 4
S. 57; 128 I 81 E. 2 S. 86 mit Hinweisen). Dass die Beschwerdegegnerin 2 in
ihrer Erinnerungs- oder Wiedergabefähigkeit beeinträchtigt und zur
wahrheitsgemässen Aussage nicht fähig gewesen wäre, macht der Beschwerdeführer
nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Die Vorinstanz wird sich hierüber
anlässlich der Berufungsverhandlung ein abschliessendes Bild machen können.

2.
Was der Beschwerdeführer gegen die Sachverhaltsfeststellungen und den
Schuldspruch wegen (einfacher) Nötigung vorbringt, erweist sich als
unbegründet, soweit die Rügen überhaupt den Begründungsanforderungen gemäss
Art. 42 Abs. 2, Art. 106 Abs. 2 BGG genügen. Er hat eingestanden, der
Beschwerdegegnerin 2 mit der Entführung des gemeinsamen Sohnes gedroht zu
haben, falls diese ihn verlasse, und könne nachvollziehen, dass sie verängstigt
gewesen sei. Was, wenn nicht die Fortführung der ehelichen Gemeinschaft, er mit
der Äusserung bezweckt haben will, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf und ist
auch nicht ersichtlich. Die vorinstanzliche Feststellung, die
Beschwerdegegnerin 2 hätte den Beschwerdeführer ohne Drohung früher verlassen,
erweist sich aufgrund der insoweit konstanten Aussagen nicht als willkürlich.

3.
Die Beschwerde erweist sich teilweise als begründet, so dass auf die Rügen
gegen die Strafzumessung nicht einzugehen ist. Das Gesuch der anwaltlich
vertretenen Beschwerdegegnerin 2 um unentgeltliche Rechtspflege ist mangels
ausgewiesener Bedürftigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG), soweit es nicht
gegenstandslos wird. Der Beschwerdeführer und die Beschwerdegegnerin 2 werden
im Umfang ihres Unterliegens kosten- und dem anderen gegenüber
entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 2 BGG). Die der
Beschwerdegegnerin 2 zustehende Entschädigung wird von ihrer an den
Beschwerdeführer zu zahlenden Entschädigung in Abzug gebracht. Der Kanton
Zürich hat keine Kosten zu tragen und ist nicht zu entschädigen (Art. 66 Abs.
4, Art. 68 Abs. 3 BGG).
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um die von Gesetzes wegen bei
ausgesprochenen Freiheitsstrafen vorgesehene aufschiebende Wirkung (Art. 103
Abs. 2 lit. b BGG) gegenstandslos.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Zürich vom 23. September 2014 aufgehoben und die Sache zu neuer
Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Das Gesuch der Beschwerdegegnerin 2 um unentgeltliche Rechtspflege wird
abgewiesen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist.

3.
Dem Beschwerdeführer werden Gerichtskosten von Fr. 400.- und der
Beschwerdegegnerin 2 von Fr. 800.- auferlegt.

4.
Der Beschwerdeführer ist für das bundesgerichtliche Verfahren vom Kanton Zürich
mit Fr. 1'200.- und von der Beschwerdegegnerin 2 mit Fr. 600.- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. April 2016

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Held

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