Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.558/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_558/2015

Urteil vom 29. Januar 2016

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Moses.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510
Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Entschädigung der amtlichen Verteidigung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 9.
April 2015.

Sachverhalt:

A. 
Rechtsanwalt X.________ wurde am 22. Juli 2013 als amtlicher Verteidiger von
A.________ eingesetzt. Das Bezirksgericht Münchwilen sprach ihm am 16. Oktober
2014 für diese Tätigkeit eine pauschale Entschädigung von Fr. 10'000.-- zu.
X.________ erhob dagegen Beschwerde beim Obergericht des Kantons Thurgau.
Dieses hielt fest, dass bei der Bemessung der Entschädigung der vom amtlichen
Verteidiger geltend gemachte Aufwand zu berücksichtigen sei und wies die Sache
am 27. November 2014 an das Bezirksgericht Münchwilen zur Neubeurteilung
zurück.

B. 
Das Bezirksgericht Münchwilen setzte die Entschädigung am 5. Februar 2015 neu
auf Fr. 12'020.35 fest. Das Obergericht wies die von X.________ dagegen
gerichtete Beschwerde am 9. April 2015 ab. Es hielt fest, dass nach der
neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 141 I 124) pauschale
Entschädigungen zulässig seien und eine Beurteilung der einzelnen Positionen
der eingereichten Honorarnote nicht notwendig sei.

C. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, der Entscheid des
Obergerichts sei aufzuheben und er sei für seine Tätigkeit als amtlicher
Verteidiger mit Fr. 19'342.35 zu entschädigen. Das Obergericht beantragt, die
Beschwerde sei abzuweisen. Die Staatsanwaltschaft reichte keine Vernehmlassung
ein.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz sei an den
Rückweisungsentscheid vom 27. November 2014 gebunden. BGE 141 I 124 stelle
entgegen der Auffassung der Vorinstanz keine Änderung der Rechtsprechung dar.
Das Bundesgericht habe lediglich seine bisherige Praxis, pauschale
Entschädigungen noch zu tolerieren, bestätigt. Die Vorinstanz sei deshalb auch
nicht gehalten gewesen, auf den Rückweisungsentscheid vom 27. November 2014
zurückzukommen. Indem sie nicht auf seine Einwände zu den einzelnen, von der
ersten Instanz vorgenommenen Kürzungen eingegangen sei, habe sie seinen
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

1.2.

1.2.1. Art. 135 Abs. 1 StPO bestimmt, dass die amtliche Verteidigung nach dem
Anwaltstarif des Bundes oder desjenigen Kantons entschädigt wird, in dem das
Strafverfahren geführt wurde. Nach der im Kanton Thurgau geltenden Verordnung
des Obergerichts über den Anwaltstarif für Zivil- und Strafsachen vom 9. Juli
1991 (AnwT/TG; RB 176.31) beträgt die Grundgebühr für die Vertretung im
Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren bis Fr. 4'000.-- und für die Vertretung
im Gerichtsverfahren bis Fr. 5'000.--. Für die Vertretung im Untersuchungs- und
Gerichtsverfahren macht die Gebühr bis Fr. 7'000.-- aus (§ 5 Abs. 1). In
aussergewöhnlichen Fällen kann das Maximum überschritten werden (§ 5 Abs. 2).
Unter bestimmten Umständen werden Zuschläge von je 10 bis 40 Prozent berechnet
(§ 6). Barauslagen wie Porto, Telefon, Kopien und Reisespesen, sowie die
Mehrwertsteuer sind zusätzlich zu vergüten (§ 14). Die Vorinstanz hält fest,
dass vorliegend die vom Bezirksgericht zugesprochene Entschädigung über der im
kantonalen Tarif festgelegten Pauschale liege und aufgrund des
Verschlechterungsverbots nicht zu reduzieren sei. Eine Beurteilung der
Honorarnote des Beschwerdeführers nahm die Vorinstanz nicht vor.

1.2.2. In dem von der Vorinstanz erwähnten BGE 141 I 124 fasste das
Bundesgericht die Rechtsprechung zur Entlohnung des amtlichen Verteidigers
zusammen. Demnach sei es nach ständiger Rechtsprechung zulässig, das Honorar
für amtliche Mandate im Vergleich zu jenem der freien Mandate tiefer
anzusetzen. Es wiederholte den in BGE 132 I 201 E. 8.6 und 8.7 statuierten
Grundsatz, wonach eine Verletzung des Willkürverbotes und mittelbar auch der
Wirtschaftsfreiheit vorliege, wenn die zugesprochene Entschädigung die
Selbstkosten nicht zu decken und einen zwar bescheidenen, nicht aber bloss
symbolischen Verdienst nicht zu gewähren vermag. Im Sinne einer Faustregel
müsse sich die Entschädigung für einen amtlichen Anwalt im schweizerischen
Durchschnitt in der Grössenordnung von Fr. 180.-- pro Stunde (zuzüglich
Mehrwertsteuer) bewegen, um vor der Verfassung standzuhalten (BGE 141 I 124 E.
3.2). Im selben Entscheid verwies das Bundesgericht auf das frühere Urteil
6B_856/2009 vom 9. November 2009 E. 4.4, wonach es zulässig sei, für das
Anwaltshonorar Pauschalen vorzusehen. Pauschalen nach Rahmentarifen seien aber
dann verfassungswidrig, wenn sie auf die konkreten Verhältnisse in keiner Weise
Rücksicht nehmen und im Einzelfall ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses
zu den vom Rechtsanwalt geleisteten Diensten stehen (BGE 141 I 124 E. 4.4).
Das Bundesgericht hat in BGE 141 I 124 - entgegen der Auffassung der Vorinstanz
- seine Rechtsprechung, dass die Entschädigung des amtlichen Verteidigers sich
in der Grössenordnung von Fr. 180.-- die Stunde bewegen muss, nicht aufgegeben.
Vielmehr hat es diese sowohl in dem erwähnten Entscheid selbst als auch in
späteren Urteilen ausdrücklich bestätigt (vgl. Urteil 6B_423/2015 vom 27.
November 2015 E. 2.4 mit Hinweisen). Die Möglichkeit einer pauschalen
Entschädigung ist damit nicht unvereinbar. So erwog das Bundesgericht in einem
Urteil vom 12. November 2015, dass die in einem kantonalen Tarif vorgesehene
Pauschalisierung das Gericht zunächst davon entlastet, sich mit der Aufstellung
des erbrachten Zeitaufwandes im Einzelnen auseinandersetzen zu müssen. Der
Pauschalisierung sind aber insoweit Grenzen gesetzt, als von einer Prüfung der
Frage, ob der mit Kostennote ausgewiesene Zeitaufwand notwendig war, erst
abgesehen werden darf, wenn die verfassungsmässig garantierte Entschädigung
jedenfalls im Ergebnis gewährleistet ist. Mit andern Worten setzt das
pauschalisierende Vorgehen voraus, dass der Mindestansatz von rund Fr. 180.--
auch im Falle einer Anerkennung des gesamten ausgewiesenen Zeitaufwandes
eingehalten wird (Urteil 5A_157/2015 vom 15. November 2015 E. 3.3.2).

1.2.3. Der amtliche Verteidiger machte im erstinstanzlichen Verfahren einen
Aufwand von 80.9167 Stunden geltend. Dieser wäre bei einem Satz von Fr. 180.--
die Stunde mit Fr. 14'565.-- zu entlohnen. Diese Summe ist höher als die dem
Beschwerdeführer gewährte Pauschale, weshalb die Vorinstanz nicht davon absehen
durfte, im Einzelnen zu prüfen, ob der vom Beschwerdeführer ausgewiesene
Zeitaufwand notwendig war. Es erübrigt sich, auf die weiteren Rügen des
Beschwerdeführers einzugehen.

2. 
Die Beschwerde ist gutzuheissen und die Sache zur neuen Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren sind keine
Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Thurgau hat dem
Beschwerdeführer eine angemessene Entschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons
Thurgau vom 9. April 2015 wird aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an
die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Es werden keine Kosten erhoben.

3. 
Der Kanton Thurgau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Januar 2016

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Moses

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