Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.509/2015
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2015
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_509/2015

Urteil vom 10. Juni 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Unseld.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Advokat Alain Joset,
Beschwerdeführer,

gegen

Sicherheitsdirektion des Kantons Basel-Landschaft, Rathausstrasse 2, 4410
Liestal,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Entlassung aus dem Massnahmenvollzug; Zuständigkeit,

Beschwerde gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons
Basel-Landschaft vom 14. April 2015.

Sachverhalt:

A. 
Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft verurteilte X.________ am 23.
Juli 2004 wegen versuchter vorsätzlicher Tötung (Art. 111 i.V.m. aArt. 22 Abs.
1 StGB) und einfacher Körperverletzung mit einer Waffe (Art. 123 Ziff. 2 StGB)
zu fünf Jahren Zuchthaus. Es schob den Strafvollzug nach aArt. 43 Ziff. 2 Abs.
1 StGB auf und wies den Verurteilten nach aArt. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB in eine
Heil- oder Pflegeanstalt ein. Es hielt u.a. für erwiesen, dass er und
A.________ am 28. Oktober 2002 den Geschäftsführer des Restaurants "B.________"
in Binningen, C.________, mit drei Schüssen aus zwei verschiedenen
Faustfeuerwaffen niederstreckten und lebensgefährlich verletzten.
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft sprach X.________ am 2. März 2005 in
teilweiser Gutheissung der Appellationen C.________s und der Staatsanwaltschaft
wegen versuchter vorsätzlicher Tötung und versuchter schwerer Körperverletzung
schuldig und bestrafte ihn mit acht Jahren Zuchthaus; wie bereits die erste
Instanz schob es den Strafvollzug auf und wies X.________ in eine Heil- und
Pflegeanstalt ein. Das Bundesgericht wies die dagegen gerichtete Beschwerde von
X.________ am 19. Oktober 2005 ab (Verfahren 1P.400/2005).

B. 
Die Sicherheitsdirektion Basel-Landschaft verfügte am 18. Juni 2008 die
Aufhebung der stationären Massnahme wegen Undurchführbarkeit und ersuchte das
Kantonsgericht Basel-Landschaft, weitere Massnahmen zu prüfen. Diese Verfügung
blieb unangefochten. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft ordnete am 9. Februar
2010 gestützt auf eine neue psychiatrische Begutachtung die Weiterführung der
stationären Massnahme an. Nach diesem Entscheid verblieb X.________ zunächst im
Untersuchungs- und Strafgefängnis Stans, wo er eine ambulante Psychotherapie
erhielt. Am 10. Februar 2011 konnte er die stationäre Massnahme im
Massnahmenzentrum St. Johannsen in Le Landeron antreten.

C. 
Am 17. März 2015 beantragte X.________ beim Zwangsmassnahmengericht
Basel-Landschaft, er sei unverzüglich aus dem stationären Massnahmenvollzug zu
entlassen. Eventualiter sei festzustellen, dass er sich seit dem 9. Februar
2015 ohne gerichtlichen Titel und damit widerrechtlich im Freiheitsentzug
befinde. Das Zwangsmassnahmengericht trat auf den Antrag zufolge
Unzuständigkeit am 14. April 2015 nicht ein.

D. 
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Entscheid vom 14. April
2015 sei aufzuheben und er sei unverzüglich aus der stationären Massnahme zu
entlassen. Eventualiter sei die Streitsache an die Vorinstanz (resp. den Kanton
Basel-Landschaft) zur materiellen Entscheidung zurückzuweisen. Er ersucht um
unentgeltliche Rechtspflege.

Erwägungen:

1. 
Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen Entscheid in Strafsachen,
gegen welchen die Beschwerde in Strafsachen zulässig ist (Art. 78 Abs. 1 BGG).
Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ein
rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des Entscheids (Art. 81 Abs. 1
lit. a und b BGG). Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide letzter
kantonaler Instanzen und des Bundesstrafgerichts (Art. 80 Abs. 1 BGG). Die
Kantone setzen als letzte kantonale Instanzen obere Gerichte ein. Diese
entscheiden als Rechtsmittelinstanzen. Ausgenommen sind die Fälle, in denen
nach der StPO ein Zwangsmassnahmengericht oder ein anderes Gericht als einzige
kantonale Instanz entscheidet (Art. 80 Abs. 2 BGG). Entscheide des
Zwangsmassnahmengerichts sind gemäss Art. 393 Abs. 1 lit. c StPO nur in den in
der StPO vorgesehenen Fällen mit Beschwerde anfechtbar. Vorliegend sieht die
StPO gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts kein Rechtsmittel vor.
Die Beschwerde richtet sich daher gegen einen letztinstanzlichen kantonalen
Entscheid, weshalb darauf einzutreten ist.

2. 

2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei aus dem stationären
Massnahmenvollzug zu entlassen, da die fünfjährige Frist gemäss Art. 59 Abs. 4
StGB am 9. Februar 2015 abgelaufen sei. Streitig ist dabei, ob die Frist von
fünf Jahren im Sinne von Art. 59 Abs. 4 StGB mit dem Entscheid betreffend die
Verlängerung der stationären Massnahme am 9. Februar 2010 oder mit dem
effektiven Antritt der Massnahme am 10. Februar 2011 zu laufen begann (siehe
dazu etwa MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, 3. Aufl.
2013, N. 129 zu Art. 59 StGB). Insoweit geht es um eine Frage des
Massnahmenvollzugs.

2.2. Für den Vollzug von Freiheitsstrafen und Massnahmen ist im Kanton
Basel-Landschaft die Sicherheitsdirektion zuständig. Sie ist "zuständige
Behörde" im Sinne des 3. Titels des StGB, sofern nicht anderweitige Regelungen
bestehen (§ 4 Abs. 1 des Gesetzes des Kantons Basel-Landschaft vom 21. April
2005 über den Vollzug von Strafen und Massnahmen [Strafvollzugsgesetz, StVG/
BL]). Gegen Verfügungen der Sicherheitsdirektion kann beim Regierungsrat des
Kantons Basel-Landschaft Beschwerde geführt werden (vgl. §§ 27 ff. des
Verwaltungsverfahrensgesetzes des Kantons Basel-Landschaft vom 13. Juni 1988
[VwVG/BL]). Gegen dessen Entscheid steht die Beschwerde an das Kantonsgericht
(vgl. § 43 Abs. 1 des Gesetzes des Kantons Basel-Landschaft vom 16. Dezember
1993 über die Verfassungs- und Verwaltungsprozessordnung
[Verwaltungsprozessordnung, VPO/BL]) und letztinstanzlich die Beschwerde in
Strafsachen an das Bundesgericht (Art. 78 ff. BGG) offen.

2.3. Nicht einzusehen ist, weshalb dieser Rechtsmittelweg, der auch für Gesuche
um bedingte Entlassung vorgesehen ist, vorliegend nicht zur Anwendung gelangen
soll. Wie aus den Akten hervorgeht, beschritt der Beschwerdeführer gleichzeitig
auch diesen Weg, wobei er gegen die abweisende Verfügung der
Sicherheitsdirektion vom 18. Februar 2015 mit Beschwerde an den Regierungsrat
gelangte (angefochtener Entscheid S. 2).
Das Zwangsmassnahmengericht ist auf das Gesuch um Entlassung aus dem
stationären Massnahmenvollzug daher zu Recht nicht eingetreten. Dieses ist
gemäss Art. 18 Abs. 1 StPO zuständig für die Anordnung der Untersuchungs- und
der Sicherheitshaft und, soweit in der StPO vorgesehen, für die Anordnung oder
Genehmigung weiterer Zwangsmassnahmen, die hier nicht zur Diskussion stehen.
Vorliegend geht es weder um die Anordnung von Untersuchungs- oder
Sicherheitshaft noch um die Aufhebung einer solchen Massnahme.

2.4. Der Beschwerdeführer argumentiert, der Nichteintretensentscheid des
Zwangsmassnahmengerichts verletze Art. 31 Abs. 4 BV sowie sein Recht auf eine
raschmöglichste richterliche Haftkontrolle nach der Garantie von Art. 5 Ziff. 4
EMRK. Der verwaltungsrechtliche Beschwerdeweg vermöge im Kanton
Basel-Landschaft dem Anspruch auf eine rasche richterliche Überprüfung der
Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs nicht zu genügen. Die Zuständigkeit des
Zwangsmassnahmengerichts ergebe sich direkt aus der Garantie von Art. 5 Ziff. 4
EMRK. Es wäre sinnvoll, in Fragen rund um den Vollzug stationärer Massnahmen,
die in materieller Hinsicht das Kernstrafrecht beträfen, auch in formeller
Hinsicht Strafprozessrecht und nicht das relativ träge und in grossen Teilen
schriftliche Verwaltungsverfahrensrecht anzuwenden.
Die Vorbringen des Beschwerdeführers überzeugen nicht. Zwar führt das
verwaltungsinterne Rechtsmittel an den Regierungsrat zu einer gewissen
Verzögerung der richterlichen Überprüfung der Rechtmässigkeit des
Freiheitsentzugs. Dies muss mit Art. 31 Abs. 4 BV und Art. 5 Ziff. 4 EMRK
jedoch nicht zwingend unvereinbar sein. Entscheidend ist, dass die Behörden
ihren Entscheid innert nützlicher Frist unter Beachtung des
Beschleunigungsgebots fällen. Eine Änderung des Rechtsmittelweges würde dem
Gesetzgeber obliegen. Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, entgegen der
klaren gesetzlichen Regelung eine Zuständigkeit des Zwangsmassnahmengerichts zu
schaffen.

3. 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist
infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2
BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist bei der Festsetzung der
Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons
Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Juni 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Unseld

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben