Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.425/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_425/2015

Urteil vom 12. November 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stephan Schlegel,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
2. A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stefan Flachsmann,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Einstellung des Strafverfahrens (Art. 319 Abs. 1 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 StPO),

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, vom 9. März 2015.

Sachverhalt:

A.
Am 30. Juni 2013 kam es um 19.15 Uhr bei einem Parkplatz in Glattbrugg zu einer
tätlichen Auseinandersetzung zwischen X.________ und A.________. Letzterer
stellte am 10. Juli 2013 einen Strafantrag wegen Tätlichkeit bzw.
Körperverletzung. Am 12. und 17. Juli 2013 erhob X.________ Strafantrag wegen
Tätlichkeit bzw. Körperverletzung und Sachbeschädigung.

A.a. Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland stellte die Strafuntersuchung
mit Verfügung vom 20. Januar 2014 gegen beide Parteien in allen Punkten ein.
Das Obergericht des Kantons Zürich hiess am 23. April 2014 eine Beschwerde von
X.________ gut, hob die Verfügung auf, soweit sie die Einstellung des
Verfahrens gegen A.________ und eine allfällige Zivilklage von X.________
betraf, und wies die Sache an die Staatsanwaltschaft zurück.

A.b. Die Staatsanwaltschaft stellte nach ergänzter Untersuchung, gescheiterter
Vergleichsverhandlung, angekündigtem Verfahrensabschluss mit Fristansetzung für
Beweiseingaben und Ablehnung eines am 29. August gestellten und am 1. September
2014 eingegangenen Fristerstreckungsgesuchs am 1. September 2014 das
Strafverfahren gegen A.________ wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung ein
und überwies die Akten dem Statthalteramt Bülach zur weiteren Veranlassung.
X.________ reichte einen Tag nach Ablauf der nicht erstreckten Frist am 2.
September 2014 eine Stellungnahme zum bisherigen Beweisergebnis ein und
beantragte, es seien zum Beweis, dass er ohne Veranlassung körperlich
angegriffen wurde, drei Personen als Zeugen einzuvernehmen. Gleichentags erhob
er gegen die Verweigerung der Fristerstreckung Beschwerde, auf welche das
Obergericht am 5. September 2014 mit dem Hinweis nicht eintrat,
Unregelmässigkeiten seien mit Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung zu
rügen.
X.________ erhob am 26. September 2014 rechtzeitig Beschwerde mit den Anträgen,
die Einstellungs- und Überweisungsverfügung vom 1. September 2014 aufzuheben
und die Staatsanwaltschaft anzuweisen, die Untersuchung unter Beachtung seiner
am 2. September 2014 gestellten Beweisanträge fortzuführen bzw. Anklage zu
erheben.

A.c. Das Statthalteramt Bülach stellte am 8. Dezember 2014 (vor Eintritt der
Rechtskraft der Einstellungsverfügung vom 1. September 2014) das Verfahren
gegen A.________ wegen Tätlichkeit ein.
X.________ erhob gegen diese Verfügung Beschwerde.
Das Obergericht sistierte am 13. Januar 2015 dieses Beschwerdeverfahren bis zur
Erledigung des ersten Verfahrens (oben Bst. A.b).

B.
Das Obergericht des Kantons Zürich wies am 9. März 2015 die Beschwerde vom 26.
September 2014 von X.________ gegen die Einstellungs- und Überweisungsverfügung
der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland vom 1. September 2014 ab, soweit es
darauf eintrat.

C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, in Gutheissung der
Beschwerde das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer
Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesgerichts an die
Vorinstanz zurückzuweisen.
Obergericht und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichteten auf
Vernehmlassung. A.________ liess sich nicht vernehmen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt, erstens sei das Verfahren in Verletzung von
Art. 319 Abs. 1 lit. a und b StPO eingestellt worden, denn der bestehende
Tatverdacht hätte nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zur Anklage führen
müssen. Zweitens verletze die Vorinstanz Art. 382 Abs. 1 StPO, weil sie auf
seine Beschwerde insoweit nicht eingetreten sei, als er geltend gemacht habe,
die Verfahrenseinstellung mit gleichzeitiger Überweisung der Akten an die
Übertretungsstrafbehörde unter dem Aspekt der Tätlichkeit verstosse gegen Art.
319 Abs. 1 StPO.

1.2. Indem der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe sich geweigert, auf
seine Beschwerde einzutreten, macht er eine Verletzung seiner Parteirechte
geltend und ist insoweit gemäss Art. 81 BGG beschwerdeberechtigt (BGE 141 IV 1
E. 1.1 S. 5 [déni de justice formel/formelle Rechtsverweigerung]).

1.3. Unter dem Gesichtspunkt von Art. 319 StPO führt die Vorinstanz nach
eingehender Würdigung aus, die Staatsanwaltschaft sei zu Recht davon
ausgegangen, dass die Anschuldigungen des Beschwerdeführers zu wenig
verlässlich und tragfähig seien, um eine Verurteilung des Beschwerdegegners
wegen einfacher Körperverletzung für wahrscheinlich zu halten.
Unter dem zweiten Gesichtspunkt nimmt die Vorinstanz an, nach Eintritt der
Rechtskraft der Einstellung der Untersuchung wegen Körperverletzung und
Sachbeschädigung werde die Übertretungsstrafbehörde aufgrund der Überweisung
eine allfällige Tätlichkeit des Beschwerdegegners zu beurteilen haben. Durch
diese Überweisung sei der Beschwerdeführer nicht beschwert, könne er doch in
diesem Punkt keinen für ihn günstigeren Entscheid bewirken. Es fehle an einem
rechtlich geschützten Interesse an der Aufhebung der Überweisung und damit eine
Prozessvoraussetzung. Ob sich das Statthalteramt korrekt verhalten habe, sei
daher nicht zu prüfen. Auf die Beschwerde sei in diesem Punkt nicht
einzutreten.

1.4. Die Staatsanwaltschaft erhebt gemäss Art. 324 Abs. 1 StPO beim zuständigen
Gericht Anklage, wenn sie aufgrund der Untersuchung die Verdachtsgründe als
hinreichend erachtet und keinen Strafbefehl erlassen kann. Sie verfügt gemäss
Art. 319 Abs. 1 StPO die Einstellung des Verfahrens, namentlich wenn kein
Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a) oder wenn kein
Straftatbestand erfüllt ist (lit. b; vgl. BGE 138 IV 186 E. 4.1; Urteil 6B_743/
2013 vom 24. Juni 2014 E. 3.1). Mit der Einstellung schliesst sie das Verfahren
ab. Eine rechtskräftige Einstellungsverfügung kommt einem freisprechenden
Endentscheid gleich (Art. 320 Abs. 4 StPO). Einer erneuten strafrechtlichen
Verfolgung wegen der gleichen Tat steht die materielle Rechtskraft des Urteils
und der Grundsatz "ne bis in idem" entgegen, wonach eine beschuldigte Person
"wegen der gleichen Straftat nicht erneut verfolgt werden" darf (Art. 11 Abs. 1
StPO). Es handelt sich um Verfahrenshindernisse im Sinne von Art. 339 Abs. 2
lit. c StPO (vgl. Urteil 6B_653/2013 vom 20. März 2014 E. 3.1).
Die Staatsanwaltschaft kann das Verfahren vollständig oder teilweise einstellen
(Art. 319 Abs. 1 StPO). Eine Teileinstellung kommt nur in Betracht, wenn
mehrere Lebensvorgänge oder Straftaten vorliegen, die getrennt beurteilt werden
können (vgl. BGE 138 IV 241 E. 2.4; Urteil 6B_690/2014 vom 12. Juni 2015 E.
4.2). Sie ist unzulässig, wenn der gleiche Lebensvorgang oder Tatkomplex
lediglich anders gewürdigt wird. So kann die gleiche Straftat nicht unter einem
Gesichtspunkt eine Verurteilung und unter einem anderen eine
Verfahrenseinstellung zur Folge haben (vgl. Urteil 6B_653/2013 vom 20. März
2014 E. 3.2).
Die Staatsanwaltschaft hatte eine "gleiche Straftat" im Sinne von Art. 11 Abs.
1 StPO zu beurteilen. Sie stellte das Strafverfahren unter einem rechtlichen
Gesichtspunkt (Körperverletzung und Sachbeschädigung) ein und überwies es unter
einem anderen (Tätlichkeit) zur Beurteilung an die Übertretungsstrafbehörde.
Eine solche Teileinstellung und Teilüberweisung ist unzulässig.

1.5. Gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO kann jede Partei, die ein rechtlich
geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat, ein
Rechtsmittel ergreifen. Partei ist namentlich die Privatklägerschaft (Art. 104
Abs. 1 lit. b StPO; BGE 140 IV 155 E. 3.2). Der Beschwerdeführer konnte die
Einstellungsverfügung vom 1. September 2014 vollumfänglich anfechten. Gegen
staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügungen ist die Beschwerde gegeben, wie
auch immer das Dispositiv formuliert ist (Art. 322 Abs. 2 StPO, vgl. BGE 138 IV
241 E. 2.6 [keine Gabelung des Rechtswegs]).
Die Partei kann einen Entscheid grundsätzlich nur bezüglich Punkten anfechten,
die für sie selbst ungünstig lauten, sie also persönlich beschweren ( NIKLAUS
SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, Rz.
1458; vgl. BGE 139 IV 121 E. 4.5 sowie BGE 136 I 274 E. 1.3 und Urteil 6B_484/
2015 vom 7. September 2015 E. 3.1 [betr. Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG]; Urteil
2C_1060/2014 vom 31. August 2015 E. 1.3 [betr. Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG]). Die
Teilüberweisung erwies sich für den Beschwerdeführer als "ungünstig", da
einerseits nur noch eine Tätlichkeit in Betracht kam und andererseits die
verwiesene Behörde das Verfahren einzustellen hatte, um nicht den Grundsatz "ne
bis in idem" zu verletzen. Neben der unzulässigen Teilüberweisung begründete
dieser Rechtsverlust ein rechtlich geschütztes Interesse oder die Beschwer
gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO.

1.6. Die Vorinstanz hält ferner fest, es sei nicht abschliessend zu
beantworten, ob die Staatsanwaltschaft das Fristerstreckungsgesuch vom 29.
August 2014 (oben Bst. A.b) korrekt behandelt hatte. Der Sachverhalt sei
genügend abgeklärt. Dem Gesuch wäre nicht zu entsprechen, selbst wenn es als
rechtzeitig gestellt gelten müsste. Auch seien abgelehnte Beweisanträge nicht
anfechtbar (Art. 318 Abs. 3 StPO). Nachvollziehbar sei keine Fristerstreckung
gewährt worden.
Weil die Vorinstanz das staatsanwaltschaftliche Vorgehen nicht abschliessend
beurteilt, ist darauf angesichts des Verfahrensausgangs nicht einzutreten (zu
Art. 394 lit. b StPO vgl. Urteile 6B_995/2014 vom 1. April 2015 E. 5.2 und
1B_55/2013 vom 7. März 2013 E. 1.2).

1.7. Das Urteil ist aus prozessualen Gründen aufzuheben. Materiell ist auf die
Beschwerde nicht einzutreten.

2.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann, und das
Urteil ist aufzuheben. Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG).
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung
auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, der Beschluss
des Obergerichts des Kantons Zürich vom 9. März 2015 wird aufgehoben und die
Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr.
3'000.-- auszurichten.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. November 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Briw

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