Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.309/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]               
{T 0/2}
                             
6B_309/2015, 6B_314/2015

Urteil vom 19. November 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Unseld.

Verfahrensbeteiligte
1. A.________,
2. B.________,
3. C.________,
4. D.________,
5. E.________,
alle vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Mirko Ros,
Beschwerdeführer,

gegen

6B_309/2015
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
2. F.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lorenz Erni,
Beschwerdegegner,

und

6B_314/2015
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
2. G.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Lucius Richard Blattner,
3. H.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
6B_309/2015
Einstellungsverfügung (Veruntreuung, ungetreue Geschäftsbesorgung,
Urkundenfälschung), Beschwerdelegitimation,

6B_314/2015
Nichtanhandnahmeverfügung (Veruntreuung etc.), Beschwerdelegitimation,

Beschwerden gegen die Beschlüsse des Obergerichts des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, vom 16. Februar 2015.

Sachverhalt:

A.
Die Erben A.________, B.________, C.________, D.________ und E.________
erstatteten am 19. April 2012 Strafanzeige gegen F.________,
Willensvollstrecker im Nachlass I.________ sel., wegen Veruntreuung, ungetreuer
Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung zum Nachteil der Erbengemeinschaft.
Sie werfen diesem zusammengefasst vor, er habe den Nachlass von I.________ sel.
ohne Information und Einwilligung der Erben unter Wert versilbert,
Nachlassgegenstände unter der Hand an Bekannte verkauft bzw. verschenkt sowie
seine Pflichten zur Aufnahme eines Inventars und zur Information der Erben
nicht ausreichend erfüllt.
Am 11. September 2014 beantragten A.________, B.________, C.________,
D.________ und E.________ zudem, das Strafverfahren sei auf G.________ und
H.________ auszudehnen, welche von F.________ mit der Erstellung eines
Inventars betraut worden seien. G.________ und H.________ sollen Letzteres nur
unvollständig erstellt, den Erben gegenüber aber dessen Vollständigkeit
vorzutäuschen versucht haben. Sodann sollen sie Nachlassgegenstände zu von
ihnen selbst festgesetzten Freundschaftspreisen erworben und an Nahestehende
verkauft oder gar verschenkt haben.

B.
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich stellte das Strafverfahren gegen
F.________ am 17. September 2014 ein. Das Strafverfahren gegen G.________ und
H.________ nahm sie mit Verfügung vom gleichen Tag nicht an die Hand.

C.
Das Obergericht des Kantons Zürich trat auf die von A.________, B.________,
C.________, D.________ und E.________ gegen die Verfügungen vom 17. September
2014 erhobenen Beschwerden am 16. Februar 2015 mangels Beschwerdelegitimation
nicht ein.

D.
A.________, B.________, C.________, D.________ und E.________ beantragen mit
Beschwerde in Strafsachen, die Beschlüsse vom 16. Februar 2015 seien aufzuheben
und ihre Beschwerdelegitimation sei vollumfänglich zu bejahen. Eventualiter sei
die Sache zum Neuentscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.

E.
Das Obergericht, F.________ und G.________ verzichteten auf eine Stellungnahme.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und H.________ liessen sich nicht
vernehmen.

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht vereinigt mehrere Verfahren, wenn sie in einem engen
sachlichen Zusammenhang stehen, namentlich, wenn sie auf einem im Wesentlichen
gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhen und wenn sie gleiche
Parteien sowie ähnliche oder gleiche Rechtsfragen betreffen (vgl. Art. 71 BGG
i.V.m. Art. 24 Abs. 2 lit. b BZP; BGE 133 IV 215 E. 1 S. 217; 126 V 283 E. 1 S.
285; 113 Ia 390 E. 1 S. 394). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Es
rechtfertigt sich daher, die Verfahren 6B_309/2015 und 6B_314/2015 zu
vereinigen.

2.

2.1. Die Privatklägerschaft kann mit Beschwerde in Strafsachen ungeachtet der
Legitimation in der Sache im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG eine
Verletzung ihrer Parteirechte rügen, die ihr nach dem Verfahrensrecht, der
Bundesverfassung oder der EMRK zustehen und deren Missachtung auf eine formelle
Rechtsverweigerung hinausläuft. Zulässig sind Rügen, die formeller Natur sind
und von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Das nach Art. 81 Abs. 1
lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls
aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 5; 138
IV 78 E. 1.3 S. 79 f.; 136 IV 29 E. 1.9 S. 40).

2.2. Die Beschwerdeführer rügen, die Vorinstanz habe ihnen als Privatkläger zu
Unrecht die Beschwerdelegitimation gegen die Einstellungs- und die
Nichtanhandnahmeverfügung, je vom 17. September 2014, abgesprochen. Damit
machen sie eine Verletzung von formellen Rechten geltend, wozu sie unabhängig
von der Legitimation in der Sache berechtigt sind. Auf die Beschwerden ist
daher einzutreten.

3. 

3.1. Die Vorinstanz argumentiert zur Hauptsache, da vorliegend Dritten
strafbare Handlungen zum Nachteil der Erbengemeinschaft vorgeworfen würden,
seien die Erben nur gemeinsam zur Beschwerde legitimiert. Die Beschwerden seien
indessen anerkanntermassen lediglich von einem Teil der ursprünglich als Erben
von I.________ sel. anerkannten Personen eingereicht worden. Die Vorinstanz
verweigert den Beschwerdeführern folglich die Beschwerdelegitimation mit der
Begründung, alle Erben hätten gemeinsam Beschwerde gegen die angefochtenen
Beschlüsse erheben müssen.

3.2. Die Parteien können die Einstellungsverfügung innert 10 Tagen bei der
Beschwerdeinstanz anfechten (Art. 322 Abs. 2 StPO). Das Verfahren bei einer
Nichtanhandnahme richtet sich sinngemäss nach den Bestimmungen über die
Verfahrenseinstellung (Art. 310 Abs. 2 StPO). Die Privatklägerschaft nimmt am
Strafverfahren als Partei teil (Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO). Als
Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich
am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1
StPO). Der Strafantrag ist dieser Erklärung gleichgestellt (Art. 118 Abs. 2
StPO). Die geschädigte Person kann sich gemäss Art. 119 Abs. 2 StPO als Straf-
und/oder Zivilklägerin am Strafverfahren beteiligen. Geschädigt ist, wer durch
die Straftat in seinen Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Art. 115 Abs. 1
StPO). Durch eine Straftat unmittelbar verletzt und damit Geschädigter im Sinne
von Art. 115 Abs. 1 StPO ist nach ständiger Rechtsprechung, wer Träger des
durch die verletzte Strafnorm geschützten oder zumindest mitgeschützten
Rechtsgutes ist. Zivilforderungen sind keine notwendige Voraussetzung für die
Bejahung der strafrechtlichen Geschädigtenstellung nach Art. 115 Abs. 1 StPO
und die Beteiligung am Strafverfahren als Strafkläger. Die
Rechtsmittellegitimation im kantonalen Verfahren hängt - anders als die
Legitimation zur Beschwerde in Strafsachen in der Sache an das Bundesgericht
(vgl. Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG; BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4 f. mit
Hinweisen) - nicht davon ab, ob der Geschädigte Zivilforderungen hat (zum
Ganzen Urteil 6B_1198/2014 vom 3. September 2015 E. 2.3.1 mit Hinweisen, zur
Publikation vorgesehen).
Geschädigte, die sich nicht als Privatkläger konstituiert haben, können eine
Nichtanhandnahme- oder Einstellungsverfügung mangels Parteistellung
grundsätzlich nicht anfechten. Diese Einschränkung gilt dann nicht, wenn die
geschädigte Person noch keine Gelegenheit hatte, sich zur Frage der
Konstituierung zu äussern (Urteil 6B_1198/2014 vom 3. September 2015 E. 2.2 mit
Hinweis, zur Publikation vorgesehen).

3.3. Beerben mehrere Erben den Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die
Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte
und Pflichten der Erbschaft (Art. 602 Abs. 1 ZGB). Sie werden Gesamteigentümer
der Erbschaftsgegenstände im Sinne von Art. 652 ff. ZGB (Art. 602 Abs. 2 ZGB),
wobei die Rechte eines jeden Erben gemäss Art. 652 ZGB auf die ganze Sache
gehen. Die Erbengemeinschaft ist - wie die einfache Gesellschaft (Art. 530 ff.
OR) - eine Gemeinschaft zur gesamten Hand. Als solche bildet sie eine
Rechtsgemeinschaft ohne Rechtspersönlichkeit, die mangels Rechtsfähigkeit nicht
Trägerin von Rechten und Pflichten sein kann (Urteil 6B_1198/2014 vom 3.
September 2015 E. 2.3.2 mit Hinweisen, zur Publikation vorgesehen). Da die
Erbengemeinschaft selber nicht rechtsfähig ist und somit nicht Trägerin des
durch die verletzte Strafnorm geschützten Rechtsgutes sein kann, gelten bei
strafbaren Handlungen zum Nachteil der Erbengemeinschaft nach der unter der
StPO ergangenen Rechtsprechung die einzelnen Erben als Geschädigte im Sinne von
Art. 115 Abs. 1 StPO (Urteile 6B_1198/2014 vom 3. September 2015 E. 2.3.3, zur
Publikation vorgesehen; 1B_348/2012 vom 3. Oktober 2012 E. 1.2.6; je mit
Hinweisen; siehe für die einfache Gesellschaft auch Urteile 6B_116/2015 vom 8.
Oktober 2015 E. 2.1; 1B_9/2015 vom 23. Juni 2015 E. 2.3.2). Das Bundesgericht
bestätigte im kürzlich ergangenen Grundsatzentscheid 6B_1198/2014 zudem seine
frühere Rechtsprechung, wonach das Strafantragsrecht bei Straftaten zum
Nachteil einer Gemeinschaft zur gesamten Hand jedem Mitglied persönlich zusteht
(Urteil 6B_1198/2014 vom 3. September 2015 E. 2.3.4 mit Hinweisen, zur
Publikation vorgesehen). Es entschied im erwähnten Grundsatzentscheid weiter,
der geschädigte Erbe, der persönlich Strafantrag stellen könne, könne sich
gemäss Art. 118 Abs. 1 und 2 StPO im Strafpunkt als Privatkläger (Strafkläger;
Art. 119 Abs. 2 lit. a StPO) konstituieren. Als Privatkläger im Strafpunkt ist
der einzelne Erbe Partei im Sinne von Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO, womit er
nach Art. 310 Abs. 2 und Art. 322 Abs. 2 StPO ohne die Mitwirkung der übrigen
Erben zur Beschwerde gegen die Nichtanhandnahme- oder Einstellungsverfügung
legitimiert ist (zum Ganzen Urteil 6B_1198/2014 vom 3. September 2015 E. 2.3.5
ff. mit Hinweisen, zur Publikation vorgesehen).

3.4. Aufgrund der Strafanzeige der Beschwerdeführer waren vorliegend - wie auch
im Verfahren 6B_1198/2014 - Delikte zum Nachteil des Nachlasses zu beurteilen,
d.h. Straftaten, die sich nach dem Tod des Erblassers zugetragen haben sollen.
Die Beschwerdeführer können sich nach der zitierten Rechtsprechung als
unmittelbar geschädigte Erben persönlich als Strafkläger am Strafverfahren
beteiligen, was sie zur Beschwerde gegen die Verfügungen vom 17. September 2014
berechtigt. Die Vorinstanz spricht ihnen die Beschwerdelegitimation zu Unrecht
mit der Begründung ab, die Erben seien nur gemeinsam zur Beschwerde
legitimiert. Damit braucht auf die Argumente der Beschwerdeführer betreffend
etwa die geltend gemachte partielle Erbteilung und den Verzicht der nicht
beschwerdeführenden Miterben auf weitergehende Ansprüche aus dem Nachlass nicht
mehr eingegangen zu werden.

4.
Die Beschwerden sind gutzuheissen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der
Kanton Zürich die Beschwerdeführer angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1
und 2 BGG). Dem Kanton Zürich sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 4 BGG). Die privaten Beschwerdegegner haben vor Bundesgericht auf Anträge
verzichtet. Es sind ihnen daher weder Kosten aufzuerlegen noch Entschädigungen
zuzusprechen.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Verfahren 6B_309/2015 und 6B_314/2015 werden vereinigt.

2. 
Die Beschwerden werden gutgeheissen. Die Beschlüsse des Obergerichts des
Kantons Zürich vom 16. Februar 2015 werden aufgehoben und die Verfahren zu
neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführern für das bundesgerichtliche
Verfahren je eine Entschädigung von Fr. 600.-- zu bezahlen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. November 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Unseld

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