Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.249/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_249/2015

Urteil vom 11. Juni 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Gerichtsschreiber M. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Yann Moor,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Bahnhofstrasse 29, 8200
Schaffhausen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür; Verletzung des Beschleunigungsgebots,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 27.
November 2014.

Sachverhalt:

A.

 X.________ fuhr am 13. Dezember 2011, um 16.35 Uhr, mit seinem Personenwagen
auf der Schaffhauserstrasse in Neuhausen am Rheinfall südwärts Richtung
Kreisverkehrsplatz Scheidegg. Nachdem er auf der linken Fahrspur fahrend
mehrere Fahrzeuge überholt hatte, wechselte er vor dem Kreisverkehrsplatz auf
den rechten Fahrstreifen. Dabei kam es zu einer Streifkollision mit dem
Personenwagen von A.________, welcher im Begriff war, aus dem Charlottenweg in
die Schaffhauserstrasse Richtung Kreisverkehrsplatz Scheidegg einzubiegen.

B.

 Das Obergericht das Kantons Schaffhausen verurteilte X.________ in Abweisung
seiner Berufung am 27. November 2014 zweitinstanzlich wegen grober Verletzung
der Verkehrsregeln. Es bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 14
Tagessätzen zu Fr. 100.-- sowie mit einer Busse von Fr. 400.-- und auferlegte
ihm die Verfahrenskosten.

C.

 X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, er sei von Schuld und
Strafe freizusprechen. Eventualiter sei wegen Verletzung des
Beschleunigungsgebots auf eine Bestrafung zu verzichten, subeventualiter sei
die Strafe auf vier Tagessätze zu reduzieren.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt willkürlich
festgestellt. Sie nehme ohne nähere Begründung und insbesondere ohne konkrete
Distanzangabe an, die Strecke zwischen dem vordersten Personenwagen auf der
rechten Fahrspur der Schaffhauserstrasse und dem Beginn der Sicherheitslinie
vor dem Kreisverkehrsplatz Scheidegg sei zu kurz gewesen, damit der
Beschwerdeführer den Fahrstreifen habe wechseln können, ohne die
Sicherheitslinie zu überfahren. Die Vorinstanz lasse bei der Würdigung der
Aussagen der Unfallbeteiligten zudem die Eigeninteressen von B.________
unberücksichtigt. Dieser habe sich als Lenker des vordersten Autos der Kolonne
auf dem rechten Fahrstreifen verkehrsregelwidrig verhalten. Weiter ignoriere
sie den Umstand, dass B.________ ausgesagt habe, der Verkehr im
Kreisverkehrsplatz Scheidegg sei zum Erliegen gekommen.

1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung
kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich im
Sinne von Art. 9 BV ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 mit Hinweisen; zum
Begriff der Willkür BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 139 III 334 E. 3.2.5 S. 339;
138 I 49 E. 7.1 S. 51; je mit Hinweisen) oder wenn sie auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Eine entsprechende Rüge muss klar vorgebracht und substanziiert begründet
werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 225 E. 3.2 S. 228 mit Hinweis). Auf eine
rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht
nicht ein (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445; 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5; je mit
Hinweisen).
Dem Grundsatz in dubio pro reo kommt als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor
Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende
Bedeutung zu (BGE 138 V 74 E. 7 S. 82 mit Hinweisen).

1.3. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit
vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt
(Art. 99 Abs. 1 BGG). Hierbei handelt es sich um unechte Noven. Echte Noven,
das heisst Tatsachen, die sich zugetragen haben, nachdem vor der Vorinstanz
keine neuen Tatsachen mehr vorgetragen werden durften, sind vor Bundesgericht
unbeachtlich (BGE 139 III 120 E. 3.1.2 S. 123; 133 IV 342 E. 2.1 S. 343 f.; je
mit Hinweisen).
Soweit der Beschwerdeführer sein Vorbringen, wonach genügend Platz vorhanden
gewesen sei, um vor Beginn der Sicherheitslinie von der linken auf die rechte
Fahrspur der Schaffhauserstrasse zu wechseln, mit dem im bundesgerichtlichen
Verfahren eingereichten Kurzbericht eines Unfallsachverständigen vom 9. März
2015 begründet, ist darauf nicht einzutreten. Es handelt sich dabei um ein
echtes Novum, das im Verfahren vor Bundesgericht nicht zulässig ist.

1.4. Die Vorinstanz erwägt, B.________ habe als Lenker des vordersten
Personenwagens der Kolonne auf dem rechten Fahrstreifen angehalten, um
A.________ das Einbiegen in die Schaffhauserstrasse zu ermöglichen. Dabei habe
sich B.________ mindestens auf der Höhe der Haltelinie des Lichtsignals
befunden. Die Vorinstanz kommt mit Blick auf die Distanz zwischen der
Haltelinie des Lichtsignals und dem Beginn der Sicherheitslinie vor dem
Kreisverkehrsplatz zum Schluss, dass der Beschwerdeführer den Spurwechsel nicht
vollzogen haben konnte, ohne die Sicherheitslinie zu überfahren. Obwohl die
Stelle des Spurwechsels des Beschwerdeführers von B.________ und A.________
nicht deckungsgleich geschildert werde, hätten jedenfalls beide ausgesagt,
dieser habe die Fahrbahn nicht vor Beginn der Sicherheitslinie gewechselt.
Der Beschwerdeführer bestreitet den von der Vorinstanz festgestellten
Geschehensablauf nicht. Er dementiert lediglich, die Sicherheitslinie
überfahren zu haben.
Die Rüge ist unbegründet. Entgegen seiner Ansicht kommt die Vorinstanz nicht
ausschliesslich aufgrund der von ihr geschätzten Distanz zwischen der
Haltelinie des Lichtsignals und dem Beginn der Sicherheitslinie zum Schluss,
dass der Beschwerdeführer die Sicherheitslinie überfahren hat. Sie
berücksichtigt vielmehr auch die Aussagen von B.________ und A.________. Diese
haben übereinstimmend ausgesagt, der Beschwerdeführer habe sein Manöver nicht
vor Beginn der Sicherheitslinie abgeschlossen (Urteil, S. 10 E. 3.4.2). Auch
wenn ihre Angaben zur genauen Stelle des Spurwechsels nicht vollständig
übereinstimmen, sind sie jedenfalls nicht widersprüchlich. Die Vorinstanz
durfte aufgrund der gesamten Umstände willkürfrei schliessen, dass der
Beschwerdeführer beim Spurwechsel die Sicherheitslinie überfahren hat. Nichts
Gegenteiliges ergibt sich aus den Aussagen von A.________ und dessen Ehefrau
gegenüber der Polizei unmittelbar nach der Streifkollision. Aufgrund der im
Wesentlichen gleichlautenden Angaben von B.________ und A.________ kann
dahingestellt bleiben, ob es dem Beschwerdeführer möglich gewesen wäre, die
Fahrbahn rechtzeitig zu wechseln.
Inwiefern B.________ aufgrund eines eigenen Verkehrsregelverstosses ein
Interesse gehabt haben sollte, den Darstellungen des Beschwerdeführers zu
widersprechen, ist unerfindlich. B.________ wurde - soweit ersichtlich - nie
ein verkehrsregelwidriges Verhalten vorgeworfen. Wenn der Beschwerdeführer ein
allfällig strafbares Verhalten von B.________ aufgrund eigener
Sachverhaltsdarstellungen annimmt, ist darauf nicht einzutreten (vgl. Art. 105
Abs. 1 und 2 BGG). Für die Beurteilung des Sachverhalts nicht entscheidend ist,
ob der Verkehr im Kreisverkehrsplatz Scheidegg vor der Streifkollision zum
Erliegen gekommen ist oder nicht. B.________ sprach anlässlich seiner
Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft lediglich von 2-3 Fahrzeugen, die sich
im Kreisverkehrsplatz befunden hätten (act. 52). Gemäss den Akten hat niemand
je behauptet, der Beschwerdeführer habe seine Fahrt nach der Streifkollision
ohne jede Behinderung durch andere Verkehrsteilnehmer fortgesetzt, sodass auch
darin kein Widerspruch zu erkennen ist.

2.

2.1. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Beschleunigungsgebots
geltend und beruft sich auf Art. 84 Abs. 4 StPO i.V.m. Art. 5 Abs. 1 StPO. Zum
einen habe es die Staatsanwaltschaft versäumt, die Unfallbeteiligten zeitnah
einzuvernehmen. Zum andern habe das erstinstanzliche Gericht die Frist für die
Zustellung des schriftlich begründeten Entscheids nicht eingehalten.

2.2. Die Vorinstanz stellt fest, das erstinstanzliche Gericht habe Art. 84 Abs.
4 StPO i.V.m. Art. 5 Abs. 1 StPO verletzt, weil zwischen dem Eingang der
Berufungsanmeldung und dem Versand des schriftlich begründeten Urteils fast
sieben Monate vergingen. Für den Beschwerdeführer sei diese Verzögerung aber
nicht besonders belastend gewesen, weshalb sich eine Strafreduktion nicht
rechtfertige.

2.3. Der Beschwerdeführer bringt vor Bundesgericht erstmals vor, die
Staatsanwaltschaft habe das Beschleunigungsgebot verletzt, indem sie es
unterlassen habe, die Unfallbeteiligten zeitnah einzuvernehmen. Darauf ist
mangels Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs nicht einzutreten (vgl. Art.
80 Abs. 1 BGG). Zudem wäre die Rüge verspätet und würde dem Grundsatz von Treu
und Glauben widersprechen, wonach es nicht zulässig ist, verfahrensrechtliche
Einwendungen, die in einem früheren Verfahrensstadium hätten geltend gemacht
werden können, später noch vorzubringen (BGE 135 III 334 E. 2.2 S. 336; 134 I
20 E. 4.3.1 S. 21; je mit Hinweisen).

2.4. Das in Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 14 Ziff. 3 lit. c
UNO-Pakt II (SR 0.103.2) und Art. 5 StPO garantierte Beschleunigungsgebot
verpflichtet die Behörden, das Strafverfahren zügig voranzutreiben, um die
beschuldigte Person nicht unnötig über die gegen sie erhobenen Vorwürfe im
Ungewissen zu lassen. Es gilt für das ganze Verfahren. Welche Verfahrensdauer
angemessen ist, hängt von den konkreten Umständen ab, die in ihrer Gesamtheit
zu würdigen sind. Kriterien hierfür bilden etwa die Schwere des Tatvorwurfs,
die Komplexität des Sachverhalts, die dadurch gebotenen
Untersuchungshandlungen, das Verhalten der beschuldigten Person und dasjenige
der Behörden sowie die Zumutbarkeit für die beschuldigte Person (BGE 133 IV 158
E. 8 S. 170; 130 I 269 E. 3.1 S. 273; je mit Hinweisen).

2.5. Muss das Gericht das Urteil begründen, so stellt es innert 60 Tagen,
ausnahmsweise 90 Tagen, der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft das
vollständige begründete Urteil zu (Art. 84 Abs. 4 StPO). Dabei handelt es sich
um Ordnungsfristen, welche das Beschleunigungsgebot konkretisieren (Urteil
6B_855/2013 vom 5. November 2013 E. 3.2). Deren Nichteinhaltung kann ein Indiz
für eine Verletzung des Beschleunigungsgebots sein (Urteil 6B_1036/2013 vom 1.
Mai 2014 E. 3.3.3 mit Hinweisen).

2.6. Wie der Beschwerdeführer zu Recht vorbringt und auch die Vorinstanz
feststellt, hat das erstinstanzliche Gericht das Beschleunigungsgebot verletzt,
indem es die Frist für die schriftliche Urteilsbegründung gemäss Art. 84 Abs. 4
StPO nicht einhielt. Die Dauer von fast sieben Monaten für die
Urteilsbegründung ist klar zu lange, zumal der zu beurteilende Sachverhalt
keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Natur aufwies.
Das schriftlich begründete Urteil des erstinstanzlichen Gerichts umfasste
sodann lediglich 13 Seiten. Es sind daher keine Gründe ersichtlich, weshalb es
nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist hätte zugestellt werden
können.
Der Beschwerdeführer beantragt, aufgrund der Verletzung des
Beschleunigungsgebots sei von einer Bestrafung Umgang zu nehmen oder die Strafe
zu reduzieren. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Verletzung wiegt nicht derart
schwer, dass ein Verzicht auf eine Bestrafung angezeigt wäre. Inwiefern der
Beschwerdeführer durch die Verfahrensverzögerung "schwer belastet" sein sollte,
ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht anzunehmen, dass ein hängiges
Strafverfahren wegen eines Strassenverkehrsunfalls, bei welchem keine Personen
zu Schaden gekommen sind, zu einem Verlust an Lebensfreude und -qualität führt.
Daran vermag auch ein allfällig aufgeschobenes Administrativverfahren nichts zu
ändern. Von einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückweisung der Sache
an die Vorinstanz zwecks Neufestsetzung der Strafe ist abzusehen. Selbst wenn
man davon ausgeht, dass aufgrund der Verletzung des Beschleunigungsgebots eine
Reduktion der (Einsatz-) Strafe angezeigt wäre, kann jedenfalls vorliegend auf
eine Rückweisung verzichtet werden. Die Vorinstanz bezeichnet die vom
erstinstanzlichen Gericht ausgefällte Strafe als sehr mild. Aufgrund der
Bindung an das Verschlechterungsverbot war es ihr jedoch verwehrt, diese zu
erhöhen (vgl. Urteil, S. 14 E. 5.7). Es ist daher zu erwarten, dass die
Vorinstanz selbst bei einer (geringfügigen) Reduktion der Einsatzstrafe
aufgrund der Verletzung des Beschleunigungsgebots keine tiefere Strafe
aussprechen würde. Dies ist nicht zu beanstanden, zumal die Strafe im Ergebnis
auch bei einer strafreduzierenden Berücksichtigung der Verletzung des
Beschleunigungsgebots innerhalb des Ermessens der Vorinstanz liegt (vgl. Urteil
6B_980/2014 vom 2. April 2015 E. 2.4.3). Dass das Beschleunigungsgebot verletzt
wurde, muss nicht im Urteilsdispositiv festgehalten werden (vgl. Urteil 6B_1036
/2013 vom 1. Mai 2014 E. 3.4.3 mit Hinweis).

3.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Juni 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: M. Widmer

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