Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1267/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_1267/2015

Urteil vom 25. Mai 2016

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Näf.

Verfahrensbeteiligte
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Peyer,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB); Wahrung
berechtigter Interessen,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 27. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. Dem Journalisten X.________ wird im Strafbefehl des Statthalteramts des
Bezirks Zürich vom 11. März 2013 vorgeworfen, er habe in zwei in der Zeitung
"A.________" in den Ausgaben vom 28. August 2012 und 10. September 2012
erschienenen Artikeln Passagen aus dem Entwurf des noch unter Verschluss
gehaltenen Schlussberichts der Zürcher Parlamentarischen
Untersuchungskommission (PUK) über die Beamtenversicherungskasse (BVK) des
Kantons Zürich zitiert, wobei er mehrfach ausdrücklich den Bericht der PUK als
Quelle angegeben habe.

X.________ wurde mit Strafbefehl des Statthalteramts des Bezirks Zürich vom 11.
März 2013 wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293
StGB) mit einer Busse von 800 Franken beziehungsweise, bei schuldhafter
Nichtbezahlung der Busse, mit einer Ersatzfreiheitsstrafe von 8 Tagen bestraft.

A.b. X.________ erhob gegen den Strafbefehl Einsprache. Das Statthalteramt
hielt am Strafbefehl fest und überwies die Akten dem erstinstanzlichen Gericht
zur Durchführung des Hauptverfahrens. Der Strafbefehl gilt damit als
Anklageschrift (Art. 356 Abs. 1 StPO).

B.

B.a. Das Bezirksgericht Zürich, Einzelgericht, sprach X.________ mit Urteil vom
13. November 2014 vom Vorwurf der Veröffentlichung amtlicher geheimer
Verhandlungen (Art. 293 StGB) frei.

Dagegen erhob das Statthalteramt des Bezirks Zürich Berufung.

B.b. Das Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, sprach X.________ am
27. Oktober 2015 vom Vorwurf der Veröffentlichung amtlicher geheimer
Verhandlungen (Art. 293 StGB) frei.

C. 
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt Beschwerde in Strafsachen.
Sie stellt die Anträge, das Urteil der II. Strafkammer des Obergerichts des
Kantons Zürich vom 27. Oktober 2015 sei aufzuheben und X.________ sei wegen
Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) mit einer
angemessenen Busse zu bestrafen. Eventualiter sei die Sache zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
X.________ beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht des Kantons
Zürich hat auf eine Stellungnahme verzichtet.

Erwägungen:

1.
Wer, ohne dazu berechtigt zu sein, aus Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen
einer Behörde, die durch Gesetz oder durch Beschluss der Behörde im Rahmen
ihrer Befugnis als geheim erklärt worden sind, etwas an die Öffentlichkeit
bringt, wird wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen mit Busse
bestraft (Art. 293 Abs. 1 StGB). Die Gehilfenschaft ist strafbar (Art. 293 Abs.
2 StGB). Der Richter kann von jeglicher Strafe absehen, wenn das an die
Öffentlichkeit gebrachte Geheimnis von geringer Bedeutung ist (Art. 293 Abs. 3
StGB).

1.1. Der Gesetzgeber unternahm schon verschiedentlich Anstrengungen, Art. 293
StGB zu ändern oder aufzuheben. Der Bundesrat schlug im Jahr 1996 die
ersatzlose Streichung von Art. 293 StGB vor. Die eidgenössischen Räte
beschlossen im Jahr 1997 - nicht zuletzt unter dem Eindruck der Gegenstand von
BGE 126 IV 236 bildenden Affäre - knapp die Beibehaltung von Art. 293 StGB. Im
Sinne eines Kompromisses wurde auf Antrag der Minderheit der nationalrätlichen
Kommission der Bestimmung der neue Absatz 3 betreffend Geheimnisse von geringer
Bedeutung beigefügt (zum Ganzen BGE 126 IV 236 E. 2b mit Hinweisen).

Zurzeit sind erneut gesetzgeberische Bemühungen zur Änderung beziehungsweise
Aufhebung von Art. 293 StGB im Gange. Die Kommission für Rechtsfragen des
Nationalrats schlägt in ihrem Bericht vom 13. November 2014 zwei Varianten vor.
Die Kommissionsminderheit ist für ersatzlose Aufhebung von Art. 293 StGB. Die
Kommissionsmehrheit schlägt eine Änderung von Art. 293 Abs. 1 und Abs. 3 vor,
die neu wie folgt lauten sollen: "Wer aus Akten, Verhandlungen oder
Untersuchungen einer Behörde, die durch Gesetz oder durch einen gesetzmässigen
Beschluss der Behörde als geheim erklärt worden sind, etwas an die
Öffentlichkeit bringt, wird mit Busse bestraft" (Abs. 1). "Die Handlung ist
nicht strafbar, wenn der Veröffentlichung kein überwiegendes öffentliches oder
privates Interesse entgegengestanden hat" (Abs. 3). Die Behandlungsfrist des
Geschäfts wurde bis zur Wintersession 2016 verlängert.

1.2. Die Vorinstanz setzt sich einleitend mit der Frage auseinander, ob unter
Berücksichtigung der Entscheide des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte (EGMR) Nr. 69698/01 vom 10. Dezember 2007 in Sachen Stoll c.
Schweiz und Nr. 56925/08 vom 1. Juli 2014 in Sachen A.B. c. Schweiz beim
Tatbestand der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen im Sinne von
Art. 293 StGB abweichend von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht von
einem formellen, sondern von einem materiellen Geheimnisbegriff auszugehen ist.
Die Vorinstanz lässt die Frage offen, da ihres Erachtens der Beschwerdeführer
unabhängig davon ohnehin freizusprechen ist.

1.3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt dem Tatbestand der
Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) ein formeller
Geheimnisbegriff zugrunde. Den Tatbestand erfüllt, wer aus Untersuchungen etc.
einer Behörde, die durch Gesetz oder Beschluss "als geheim erklärt worden
sind", etwas an die Öffentlichkeit bringt. Dabei ist es unerheblich, ob die
Untersuchungen etc. etwa als "streng geheim" oder bloss als "vertraulich"
klassifiziert worden sind; es muss nur klar sein, dass damit die Öffentlichkeit
hat ausgeschlossen werden wollen (BGE 126 IV 236 E. 2a mit Hinweisen). Dieser
formelle Geheimnisbegriff unterscheidet sich vom materiellen Geheimnisbegriff,
welcher den meisten Tatbeständen des Strafgesetzbuches betreffend
Geheimnisverletzung zugrunde liegt. Im materiellen Sinne geheim ist eine
Tatsache, wenn sie nur einem begrenzten Personenkreis bekannt oder zugänglich
ist, der Geheimnisträger sie geheim halten will und ein berechtigtes
Geheimhaltungsinteresse hat (BGE 126 IV 236 E. 2a mit Hinweis). Art. 293 StGB
stellt wie andere Bestimmungen des 15. Titels des Strafgesetzbuches betreffend
die strafbaren Handlungen gegen die öffentliche Gewalt einen Ungehorsam unter
Strafe, nämlich die Missachtung der Geheimhaltungserklärung. Die Bestimmung
will den Prozess der Meinungsbildung und Entscheidfindung innerhalb der
staatlichen Organe vor Störungen schützen. Das Tatunrecht liegt in der
Missachtung der Geheimhaltungserklärung. Weil es in der Regel nicht schwer
wiegt, droht Art. 293 StGB lediglich Busse an. Es handelt sich also um eine
Übertretung (BGE 126 IV 236 E. 2c/aa). Das Bundesgericht hat seine Auffassung,
dass Art. 293 StGB der formelle Geheimnisbegriff zugrunde liegt, in den
Urteilen 6P.153/2006 vom 29. April 2008 E. 7.1 und 6B_186/2012 vom 11. Januar
2013 E. 2.1 bestätigt. Ein Teil der Lehre folgt der bundesgerichtlichen Ansicht
(TRECHSEL/VEST, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2. Aufl.
2013, Art. 293 StGB N. 4; STRATENWERTH/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht,
Besonderer Teil II, Straftaten gegen Gemeininteressen, 7. Aufl. 2013, § 53 N.
42; BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, vol. II, 3ème édition
2010, art. 293 CP n. 2; GUIDO JENNY, ZBJV 139/2003 S. 380).

1.4. Ein Teil der Lehre ist demgegenüber der Auffassung, dass jedenfalls seit
dem Urteil Nr. 69698/01 des EGMR vom 10. Dezember 2007 in Sachen Stoll c.
Schweiz bei der Auslegung von Art. 293 StGB von einem materiellen
Geheimnisbegriff auszugehen ist (DONATSCH/WOHLERS, Strafrecht IV, Delikte gegen
die Allgemeinheit, 4. Aufl. 2011, S. 426; MATTHIAS SCHWAIBOLD, Stoll gegen die
Schweiz 1:6, FP 2006 S. 180 ff., 185). Die Veröffentlichung aus Akten,
Verhandlungen und Untersuchungen einer Behörde erfüllt demnach den Tatbestand
von Art. 293 StGB nur, wenn die veröffentlichte Tatsache ein Geheimnis im
materiellen Sinne ist. Ein solches setzt unter anderem voraus, dass ein
berechtigtes Geheimhaltungsinteresse besteht. Bei der Prüfung dieser Frage ist
das entgegenstehende Informationsinteresse der Öffentlichkeit
mitzuberücksichtigen. Wenn dieses gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse
überwiegt, ist Letzteres nicht berechtigt, fehlt es somit an einem Geheimnis im
materiellen Sinne und ist daher, ungeachtet der Geheimhaltungserklärung, die
Veröffentlichung nicht tatbestandsmässig. Bei dieser Betrachtungsweise kommt
dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit tendenziell ein grösseres Gewicht
zu als auf der Grundlage eines formellen Geheimnisbegriffs. Denn im
letztgenannten Fall ist das Informationsinteresse der Öffentlichkeit nur ein
Kriterium neben andern bei der Prüfung der Frage, ob die angesichts der
Geheimhaltungserklärung tatbestandsmässige Veröffentlichung durch den
aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen
gerechtfertigt ist, an welchen strenge Anforderungen gestellt werden.

1.5. Der EGMR hat in seinem Urteil Nr. 69698/01 vom 10. Dezember 2007 in Sachen
Stoll c. Schweiz, welches den BGE 126 IV 236 zugrunde liegenden Fall betrifft,
erwogen, dass die Bestrafung eines Journalisten mit einer relativ geringfügigen
Busse wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen mit Art. 10 EMRK
(Meinungsfreiheit) vereinbar ist, wenn im konkreten Einzelfall unter
Berücksichtigung der massgebenden Umstände das staatliche
Geheimhaltungsinteresse gewichtiger ist als das Informationsinteresse der
Öffentlichkeit. Der EGMR (Grosse Kammer) hat im konkret zu beurteilenden Fall
eine Verletzung von Art. 10 EMRK verneint, nachdem zuvor die 4. Kammer des EGMR
mit Entscheid vom 25. April 2006 die EMRK als verletzt gesehen hatte. Der EGMR
(Grosse Kammer) hat mit Urteil Nr. 56925/08 vom 29. März 2016 in Sachen Bédat
c. Schweiz unter den gegebenen Umständen (siehe das diesbezügliche Urteil des
Bundesgerichts 6P.153/2006, 6S.347/2006 vom 29. April 2008) eine Verletzung von
Art. 10 EMRK durch die Verurteilung eines Journalisten gemäss Art. 293 StGB
verneint, nachdem zuvor eine Kammer des EGMR mit Entscheid vom 1. Juli 2014
eine Verletzung von Art. 10 EMRK bejaht hatte.

Das Bundesgericht hat im Entscheid des EGMR in Sachen Stoll keinen Grund für
eine Änderung seiner Rechtsprechung gesehen. An der in den Urteilen 6P.153/2006
vom 29. April 2008 E. 7.1 und 6B_186/2012 vom 11. Februar 2013 E. 2.1
bestätigten Auffassung, dass Art. 293 StGB ein formeller Geheimnisbegriff
zugrunde liegt, ist weiterhin festzuhalten. Der Wortlaut von Art. 293 StGB,
dessen Sinn und Zweck sowie dessen Stellung im Gesetz und die darin angedrohte
Strafe (Busse bis höchstens 10'000 Franken) sprechen dafür, dass dem Tatbestand
der formelle Geheimnisbegriff zugrunde liegt (BGE 126 IV 236 E. 2c/aa). Daran
ändert Absatz 3 von Art. 293 StGB nichts. Er betrifft nicht Geheimnisse im
materiellen Sinn, sondern die unnötige, übertriebene, schikanöse
Geheimniskrämerei, mithin unnötige Geheimhaltungserklärungen (BGE 126 IV 236 E.
2c/bb).

1.6. Der PUK-Bericht war für geheim erklärt worden. Diese
Geheimhaltungserklärung war sachlich vertretbar. Sie galt auch noch zur Zeit
der inkriminierten Taten. Der PUK-Bericht sollte, was der Beschwerdegegner
wusste, gemäss den Absichten der PUK Anfang Oktober 2012 veröffentlicht werden.
Der Beschwerdegegner hat durch das inkriminierte Verhalten den Tatbestand der
Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen im Sinne von Art. 293 StGB
erfüllt.

Zu prüfen ist, ob sein Verhalten gerechtfertigt war. Dabei fällt der
aussergesetzliche Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen in
Betracht.

2.

2.1. Der aussergesetzliche Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter
Interessen setzt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung voraus, dass die
Tat ein notwendiges und angemessenes Mittel ist, um ein berechtigtes Ziel zu
erreichen, sie insoweit den einzig möglichen Weg darstellt und offenkundig
weniger schwer wiegt als die Interessen, welche der Täter zu wahren sucht (BGE
134 IV 216 E. 6.1 mit Hinweisen; Urteile 6B_225/2008 vom 7. Oktober 2008 E.
3.2; 6B_305/2011 vom 12. Dezember 2011 E. 3.1).

2.2.

2.2.1. Die Vorinstanz nimmt eine Interessenabwägung vor, und zwar nach Massgabe
der Kriterien, die sich ihres Erachtens dem Entscheid des EGMR Nr. 69698/01 vom
10. Dezember 2007 in Sachen Stoll c. Schweiz entnehmen lassen. Das Interesse
des Staates an Geheimhaltung einerseits und das öffentliche Interesse an
Information andererseits seien demnach sowohl grundsätzlich beziehungsweise
allgemein als auch konkret zu gewichten, wobei der konkreten Gewichtung die
vorrangige Bedeutung zukomme. Die Vorinstanz bejaht im konkreten Fall den
aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund.

2.2.2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe den
aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen zu
Unrecht als gegeben erachtet. Sie habe die auf dem Spiel stehenden konkreten
Interessen falsch gewichtet. Das konkrete Interesse der Öffentlichkeit, einige
Wochen vor der für Anfang Oktober 2012 geplanten offiziellen Veröffentlichung
des Schlussberichts über gewisse Inhalte des Entwurfs informiert zu werden, sei
entgegen der Einschätzung der Vorinstanz nicht gewichtig gewesen. Es sei
entgegen den Mutmassungen der Vorinstanz nicht mit der Möglichkeit zu rechnen
gewesen, dass der Schlussbericht entgegen den Ankündigungen der PUK nicht
Anfang Oktober 2012 veröffentlicht würde. Eine Vorabveröffentlichung einzelner
Inhalte sei nicht notwendig oder dringlich gewesen. Das konkrete Interesse des
Staates an der Geheimhaltung des Schlussberichts bis zu dessen offiziellen
Veröffentlichung sei entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht gering
gewesen. Zur Zeit der inkriminierten Veröffentlichungen sei der Prozess der
Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen gewesen, hätten doch noch die
eingegangenen Stellungnahmen von Betroffenen mitberücksichtigt werden müssen.
Das konkrete Interesse des Staates an der Geheimhaltung des Schlussberichts bis
zu dessen geplanten offiziellen Veröffentlichung sei zumindest gleich gross
gewesen wie das konkrete Interesse der Öffentlichkeit an der Bekanntgabe von
Inhalten daraus vor der geplanten offiziellen Veröffentlichung. Somit fehle es
zur Bejahung des aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrundes der Wahrung
berechtigter Interessen bereits am Erfordernis des offenkundig überwiegenden
Interesses an der Veröffentlichung. Auch die weiteren Voraussetzungen dieses
Rechtfertigungsgrundes seien nicht erfüllt. Die vorzeitige Berichterstattung
rund einen Monat vor der geplanten offiziellen Publikation des Schlussberichts
sei weder ein notwendiges noch ein angemessenes Mittel noch der einzige Weg zur
Erreichung des Ziels gewesen. Es sei dem Beschwerdegegner in Wahrheit lediglich
um die Publikation eines Primeurs gegangen. Abschliessend weist die
Beschwerdeführerin darauf hin, Schutzobjekt von Art. 293 StGB sei der Prozess
der möglichst freien Meinungsbildung und Entscheidfindung durch die Behörden
ohne Beeinflussung von aussen. Wenn geheim erklärte Verhandlungen ohne
Notwendigkeit und Dringlichkeit ungestraft veröffentlicht werden dürften, hätte
dies negative Auswirkungen auf die Tätigkeit von Untersuchungskommissionen.

2.2.3. Der Beschwerdegegner wendet in seiner Vernehmlassung ein, die
ungehinderte Meinungsbildung der staatlichen Gremien sei durch die
inkriminierten Veröffentlichungen nicht beeinflusst worden. Das staatliche
Geheimhaltungsinteresse sei als äusserst gering einzustufen. Demgegenüber habe
angesichts der Bedeutung der Angelegenheit ein überragendes
Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestanden. Es sei ihm nicht lediglich
um die Publikation eines Primeurs gegangen. Es habe gute Gründe gegeben, die im
Entwurf des PUK-Berichts enthaltenen Informationen nicht länger zurückzuhalten,
sondern ohne Verzug zu veröffentlichen. Ende August 2012 sei noch nicht klar
gewesen, welche Geschehnisse am Ende Eingang in den PUK-Bericht finden würden
und wann dieser veröffentlicht werden würde. Die inkriminierten Publikationen
seien offenkundig geeignet gewesen, einen Beitrag zur öffentlichen Debatte zum
Thema zu leisten. Es habe ein ausgeprägtes allgemeines und konkretes Interesse
der Öffentlichkeit an den inkriminierten Informationen bestanden, welches
deutlich gewichtiger als das staatliche Geheimhaltungsinteresse gewesen sei.

2.3. Die Arbeit einer Parlamentarischen Untersuchungskommission muss
vertraulich sein. Nur unter dieser Voraussetzung ist es den Beteiligten
möglich, frei und ohne Einflüsse von aussen eine konstruktive Arbeit zu leisten
und auch Kompromisse einzugehen (siehe auch Urteil 6B_186/2012 vom 11. Januar
2013 E. 3.1). Es besteht daher nach der zutreffenden Einschätzung der
Vorinstanz ein grosses allgemeines staatliches Interesse an der Geheimhaltung
der Arbeit einer PUK wie der PUK-BVK.

2.4. Der Prozess der Meinungsbildung und Entscheidfindung war im Zeitpunkt des
Erscheinens des zweiten Zeitungsartikels vom 10. September 2012 nach den
insoweit zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz praktisch abgeschlossen und
konnte nicht mehr durch äussere Einflüsse wie etwa eine Medienberichterstattung
gestört werden. Hingegen war im Zeitpunkt des Erscheinens des ersten
Zeitungsartikels vom 28. August 2012 eine Störung dieses Prozesses nach den
insoweit zutreffenden Vorbringen der Beschwerdeführerin grundsätzlich noch
möglich, erschien dieser Zeitungsartikel doch just an dem Tag, an dem die PUK
die Sitzung abhielt, an welcher sie die eingegangenen Stellungnahmen von
Betroffenen zur Kenntnis nahm, auswertete und über deren Berücksichtigung im
Schlussbericht entschied.

2.5. Seitens der PUK war vorgesehen, den definitiven Schlussbericht Anfang
Oktober 2012 zu veröffentlichen. Damit stellt sich die Frage, ob ein
berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit bestand, bereits am 28. August und am
10. September 2012 über Auszüge aus dem Entwurf des Schlussberichts informiert
zu werden. Die Vorinstanz bejaht dies. Zur Begründung führt sie aus, es sei
nachvollziehbar beziehungsweise könne dem Beschwerdegegner nicht widerlegt
werden, dass er befürchtet habe, dass einzelne Geschehnisse im definitiven
Schlussbericht nicht mehr aufgeführt werden könnten und/oder dass die
Veröffentlichung desselben entgegen einer Absichtserklärung der PUK nicht
Anfang Oktober 2012 erfolgen, sondern sich aus irgendwelchen Gründen auf
unbestimmte Zeit verzögern würde.

2.6. Dies ist indessen nach den zutreffenden Einwänden der Beschwerdeführerin
eine blosse Spekulation. Für die Gewichtung des konkreten
Informationsinteresses der Öffentlichkeit ist nach der Rechtsprechung des EGMR
von Bedeutung, ob die inkriminierten Informationen geeignet waren, einen
Beitrag zur öffentlichen Debatte über das Thema zu leisten (Entscheid des EGMR
Nr. 69698-01 vom 10. Dezember 2007 in Sachen Stoll c. Schweiz, §§ 121, 124;
Entscheid des EGMR Nr. 56925/08 vom 29. März 2016 in Sachen Bédat c. Schweiz, §
64). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern eine Vorabveröffentlichung von
Auszügen aus dem Entwurf des Schlussberichts insoweit sachdienlich sein konnte.
Die öffentliche Debatte hätte wenige Wochen später im Anschluss an die
offizielle Veröffentlichung des Schlussberichts stattfinden können. Der von der
Behörde verkündete Termin der Veröffentlichung Anfang Oktober 2012 war zeitnah.
Es ist nicht erkennbar, inwiefern gute Gründe bestanden haben könnten, schon
einige Wochen vor der geplanten offiziellen Veröffentlichung des
Schlussberichts Auszüge aus dem Entwurf zu publizieren. Das Interesse des
Beschwerdegegners, einen Primeur zu platzieren, d.h. der Vorteil im
publizistischen Wettbewerb, ist bei der Interessenabwägung nicht relevant.
Jedenfalls bei Erscheinen des ersten Zeitungsartikels vom 28. August 2012 war
der Meinungsbildungsprozess innerhalb der PUK noch nicht abgeschlossen. Ob der
Zeitungsartikel die Meinungsbildung tatsächlich beeinflusste, ist unerheblich;
ein diesbezügliches Risiko genügt (siehe auch Entscheid EGMR Nr. 56925/08 vom
29. März 2016 in Sachen Bédat c. Schweiz, §§ 68-71).

2.7. Das Interesse der Öffentlichkeit, einige Wochen vor der geplanten
offiziellen Publikation des Schlussberichts über Auszüge aus dem Entwurf des
Berichts informiert zu werden, war geringer als das staatliche Interesse an der
Geheimhaltung des Schlussberichts bis zur zeitnahen offiziellen
Veröffentlichung Anfang Oktober 2012. Der Staat hatte daher im Zeitpunkt der
inkriminierten Tat ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse.

Erst recht kann nicht gesagt werden, dass die Tat offenkundig weniger schwer
wiegt als die Interessen, die der Täter zu wahren suchte. Schon aus diesem
Grund ist der aussergesetzliche Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter
Interessen nicht gegeben. Die Tat war überdies weder notwendig noch der einzig
mögliche Weg zur Information der Bevölkerung, da der Schlussbericht ohnehin,
wie der Beschwerdegegner wusste, wenige Wochen später veröffentlicht werden
sollte.

2.8. Der Freispruch des Beschwerdegegners vom Vorwurf der Veröffentlichung
amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) verletzt demnach Bundesrecht.
Die Beschwerde ist daher gutzuheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich, II. Strafkammer, vom 27. Oktober 2015 aufzuheben und die Sache zur
neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

3. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdegegner, der die Abweisung
der Beschwerde beantragt hat, die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich, II. Strafkammer, vom 27. Oktober 2015 aufgehoben und die Sache zur
neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Mai 2016

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Näf

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