Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1025/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_1025/2015

Urteil vom 4. November 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Näf.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Tobias Figi,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln; Nachfahrmessung, Videoaufzeichnung,
Verwertungsverbot,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 20. August 2015.

Sachverhalt:

A. 
X.________ fuhr am 25. Mai 2014 mit seinem Personenwagen auf der Autobahn. Im
Gemeindegebiet Opfikon fuhr er auf dem Normalstreifen in Richtung "St. Gallen/
Schaffhausen/Zürich-City" hinter einem Personenwagen. Er wechselte in der Folge
nach rechts auf den Fahrstreifen in Richtung "Bülach/Zürich-Flughafen",
überholte das genannte und ein weiteres Fahrzeug rechts und wechselte danach
wieder nach links auf den Normalstreifen in Richtung "St. Gallen/Schaffhausen/
Zürich-City", wobei er eine Doppellinie überfuhr.
Kurze Zeit später fuhr X.________ auf der Höhe des Heizkraftwerks Zürich auf
dem Überholstreifen in Richtung "St. Gallen/Schaffhausen" hinter einem
Personenwagen. Er wechselte ohne Betätigung des Richtungsanzeigers nach rechts
auf den Normalstreifen, überholte den Personenwagen rechts und wechselte danach
wieder nach links auf den Überholstreifen.
Diese Fahrmanöver sind in einer Videoaufzeichnung festgehalten, die im Rahmen
einer Nachfahrkontrolle aus einem zivilen Dienstfahrzeug der Polizei gemacht
worden war.

B. 
Die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich sprach X.________ am
20. August 2015 in Bestätigung des Urteils des Bezirksgerichts Bülach,
Einzelgericht, vom 25. Februar 2015 der groben Verletzung der Verkehrsregeln im
Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG i.V.m. Art. 35 Abs. 1 SVG und Art. 8 Abs. 3 VRV
(Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen auf Fahrstreifen mit
gleichen Fahrzielen) sowie der mehrfachen einfachen Verletzung der
Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 35 Abs. 1 SVG i.V.m.
Art. 8 Abs. 3 VRV (Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen auf
Fahrstreifen mit getrennten Fahrzielen) i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG und Art. 73
Abs. 4 und Abs. 6 lit. c SSV (Überfahren einer Doppellinie) i.V.m. Art. 39 Abs.
1 lit. a SVG und Art. 28 Abs. 1 VRV (Unterlassen der Richtungsanzeige)
schuldig. Sie bestrafte ihn mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu CHF
85.--, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren, und mit einer
Busse von CHF 500.-- beziehungsweise, im Falle schuldhafter Nichtbezahlung der
Busse, mit einer Ersatzfreiheitsstrafe von fünf Tagen.

C. 
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil das
Obergerichts sei aufzuheben und er sei vollumfänglich freizusprechen.

Erwägungen:

1. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Unterstellung, er sei in rasanter Fahrt
unterwegs gewesen, verletze das Anklageprinzip. Die Rüge geht an der Sache
vorbei, da der Beschwerdeführer nicht wegen Überschreitung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit verurteilt worden ist.

2. 

2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, das zivile Polizeifahrzeug, das weder
mit Blaulicht noch mit Sirene unterwegs gewesen sei, habe einen Lieferwagen
rechts überholt. Dies sei eine grobe Verkehrsregelverletzung. Das
Rechtsüberholmanöver seitens des Führers des zivilen Polizeifahrzeugs sei in
keinem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Zweck der Identifikation des
fehlbaren Lenkers gewesen und deshalb unverhältnismässig. Die Videoaufzeichnung
sei in strafbarer Weise erhoben worden. Sie sei daher gemäss Art. 141 Abs. 2
StPO nicht als Beweismittel verwertbar. Polizeibeamte, welche bei Erfüllung
ihrer Aufgaben eine Rechtsverletzung begingen, könnten sich nicht auf Art. 14
StGB (gesetzlich erlaubte Handlung) berufen, wenn ihr Handeln
unverhältnismässig sei. Dies sei hier der Fall. Der Lenker des Lieferwagens sei
durch das Rechtsüberholmanöver seitens der Polizeibeamten nicht bloss abstrakt,
sondern konkret gefährdet worden.

2.2. Als die Polizeibeamten auf der Autobahn in ihrem zivilen Dienstfahrzeug
unterwegs waren, wurden sie auf der Höhe des Rastplatzes "Büsisee-Süd" vom
Beschwerdeführer links überholt, der dabei nach ihrer Einschätzung mit einer
Geschwindigkeit fuhr, welche die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120
km/h überschritt. Die Polizeibeamten führten daher auf der Autobahn nach dem
Gubristtunnel im Bereich des Stelzentunnels und bis nach dem Heizkrakftwerk
Zürich in Fahrtrichtung St. Gallen eine Nachfahrkontrolle mit Videoaufzeichnung
durch. Das vom Beschwerdeführer als gefährliches, strafbares Rechtsüberholen
seitens der Polizeibeamten qualifizierte Manöver erfolgte nicht vor, sondern
erst während der Nachfahrkontrolle, bei welcher die Polizeibeamten die
Fahrweise des Beschwerdeführers per Video aufzeichneten. Der vorliegende
Sachverhalt entspricht daher insoweit dem im Urteil 6B_694/2011 vom 23. Januar
2012 beurteilten Sachverhalt. Da das fragliche Manöver der Polizeibeamten im
Rahmen der Nachfahrkontrolle erfolgte, kann es grundsätzlich durch die
gesetzlichen Bestimmungen gerechtfertigt sein, welche die polizeilichen
Aufgaben im Strassenverkehr im Allgemeinen und die Nachfahrkontrolle im
Besonderen regeln, und ist es gegebenenfalls keine strafbare Handlung.

2.3. Gesetzliche Grundlage für die Nachfahrkontrolle sind verschiedene
Bestimmungen in der Strassenverkehrskontrollverordnung (SKV; SR 741.013) und in
der Verordnung des ASTRA hiezu (VSKV-ASTRA; SR 741.013.1) einerseits sowie im
Polizeigesetz des Kantons Zürich (PolG/ZH; LS 550.1) andererseits. Die
Kontrolle des Verkehrs auf öffentlichen Strassen obliegt der nach kantonalem
Recht zuständigen Polizei (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 SKV). Die kantonalen Behörden
richten die Kontrollen schwerpunktmässig unter anderem nach
sicherheitsrelevantem Fehlverhalten (Art. 5 Abs. 1 SKV). Die Kontrollen
erfolgen stichprobenweise, systematisch oder im Rahmen von Grosskontrollen
(Art. 5 Abs. 2 SKV). Nach Möglichkeit sind bei den Kontrollen technische
Hilfsmittel einzusetzen (Art. 9 Abs. 1 SKV), insbesondere unter anderem (a) bei
der Kontrolle der Geschwindigkeit. Geschwindigkeitskontrollen können gemäss
Art. 6 lit. c Ziff. 2 VSKV-ASTRA unter anderem durchgeführt werden durch
Nachfahren und Ermittlung der Geschwindigkeit durch einen
Geschwindigkeitsvergleich zwischen den beiden Fahrzeugen (Nachfahrkontrolle).
Die Polizei trägt durch Information, Beratung, sichtbare Präsenz und andere
geeignete Massnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung bei (§ 3 Abs. 1 PolG/ZH). Sie trifft gemäss § 3 Abs. 2 PolG/ZH
insbesondere unter anderem Massnahmen (a) zur Verhinderung und Erkennung von
Straftaten, (b) zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und Verhütung von Unfällen
im Strassenverkehr. Stellt sie dabei strafbare Handlungen fest, ermittelt sie
nach Art. 306 f. StPO (§ 3 Abs. 3 PolG/ZH). Dabei hat sie gemäss Art. 306 Abs.
2 lit. a StPO namentlich Spuren und Beweise sicherzustellen und auszuwerten.
Polizeiliches Handeln muss verhältnismässig sein (§ 10 PolG/ZH). Es muss zur
Erfüllung der polizeilichen Aufgaben notwendig und geeignet sein (§ 10 Abs. 1
PolG/ZH). Die Massnahmen dürfen nicht zu einem Nachteil führen, der in einem
erkennbaren Missverhältnis zum verfolgten Zweck steht (§ 10 Abs. 3 PolG/ZH).
Erfüllt die Polizei ihre Amts- und Berufspflicht, wie es das Gesetz gebietet
oder erlaubt, verhält sie sich rechtmässig, auch wenn die Tat nach dem
Strafgesetzbuch oder einem andern Gesetz mit Strafe bedroht ist (§ 8 Abs. 3
PolG/ZH).
Die letztgenannte Bestimmung des Zürcher Polizeigesetzes entspricht im
Wesentlichen Art. 14 StGB. Wer handelt, wie es das Gesetz gebietet oder
erlaubt, verhält sich nach dieser Bestimmung rechtmässig, auch wenn die Tat
nach diesem oder einem andern Gesetz mit Strafe bedroht ist. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts können sich Polizeibeamte, die bei der
Erfüllung ihrer Aufgaben Rechtsverletzungen begehen, nicht auf Art. 14 StGB
berufen, wenn ihr Handeln unverhältnismässig ist. Das Handeln der
Polizeibeamten muss mit andern Worten zur Erreichung des angestrebten Ziels
geeignet und erforderlich sein, und das beeinträchtigte Rechtsgut sowie das
Ausmass der Rechtsgutverletzung müssen in einem angemessenen Verhältnis zum
angestrebten Zweck stehen (Urteile 6B_1006/2013 vom 25. September 2014 E. 4.3;
6B_288/2009 vom 13. August 2009 E. 3.5; 6B_20/2009 vom 14. April 2009 E.
4.4.2).

2.4. Bei der Nachfahrkontrolle eines Fahrzeuglenkers, der mit übersetzter
Geschwindigkeit fährt, kommen die Polizeibeamten nicht darum herum, ihrerseits
die Vorschriften betreffend die zulässige Höchstgeschwindigkeit und allenfalls
weitere Vorschriften beispielsweise betreffend das Gebot des Linksüberholens zu
missachten. Solche Verstösse im Rahmen einer Nachfahrkontrolle sind erlaubt und
daher nicht strafbar, wenn sie im genannten Sinne verhältnismässig sind. Diese
Voraussetzung ist nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanzen vorliegend
auch in Bezug auf das vom Beschwerdeführer als Rechtsüberholen qualifizierte
Manöver seitens der Polizeibeamten erfüllt. Die Videoaufzeichnung
(Untersuchungsakten act. 3) enthält keine Anhaltspunkte, die dafür sprechen,
dass der Lenker des Lieferwagens dadurch, dass das zivile Polizeifahrzeug
rechts an ihm vorbeifuhr, konkret gefährdet worden sein könnte. Nichts weist
darauf hin, dass der Lenker des Lieferwagens zum Fahrstreifenwechsel nach
rechts ansetzte, als das zivile Polizeifahrzeug rechts an ihm vorbeifuhr. Weder
wurde ein Blinker gesetzt noch ist eine Verschiebung des Lieferwagens nach
rechts erkennbar (siehe angefochtenes Urteil S. 10). Zu sehen ist einzig ein
kurzes Aufleuchten der Bremslichter. Dass der Lenker des Lieferwagens kurz
bremste, spricht entgegen den Mutmassungen in der Beschwerde (Rz. 8.4) nicht
dafür, dass er ob der Fahrweise des zivilen Polizeifahrzeugs erschrocken sei,
unbewusst gebremst habe und dabei leicht die Herrschaft über sein Fahrzeug
hätte verlieren können. Das kurze Bremsen lässt sich damit erklären, dass der
Lenker des Lieferwagens einen ausreichenden Abstand zum Vordermann wahren
wollte. Zudem diente die Nachfahrkontrolle nicht allein der Identifikation des
Beschwerdeführers, der bereits eine Verkehrswiderhandlung begangen hatte. Sie
diente auch der Erkennung und Ermittlung von Straftaten, welche der
Beschwerdeführer weiterhin mehrfach beging. Unerheblich ist in diesem
Zusammenhang, dass gegen den Beschwerdeführer nicht auch wegen Überschreitung
der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, sondern allein wegen zweifachen
Rechtsüberholens und wegen der damit zusammenhängenden SVG-Widerhandlungen
(Überfahren einer Doppellinie, Unterlassen der Richtungsanzeige) Strafanzeige
erstattet und Anklage erhoben wurde.

2.5. Das fragliche Fahrmanöver der Polizeibeamten im Rahmen der gesetzlich
vorgesehenen Nachfahrkontrolle war demnach verhältnismässig im Sinne von § 10
PolG/ZH und der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 14 StGB und somit
erlaubt. Die Polizeibeamten erhoben die als Beweis dienende Videoaufzeichnung
nicht im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO in strafbarer Weise. Dass und inwiefern
sie diesen Beweis im Sinne der zitierten Bestimmung unter Verletzung von
Gültigkeitsvorschriften erhoben hätten, legt der Beschwerdeführer nicht dar und
ist nicht ersichtlich. Die Videoaufzeichnung wurde somit von der Vorinstanz zu
Recht als Beweismittel verwertet.

3. 

3.1. Inwiefern die vom Beschwerdeführer behaupteten "weiteren groben
Verkehrsregelverletzungen (massiv ungenügender Abstand und
Geschwindigkeitsüberschreitung) " der Polizeibeamten in einem krassen
Missverhältnis zum verfolgten Zweck stünden (Beschwerde Rz. 8.7), legt der
Beschwerdeführer nicht dar.

3.2. Dass die Polizeibeamten weder das Blaulicht noch das Wechselklanghorn
eingeschaltet hatten, ist unerheblich, da vorliegend nicht eine dringliche
Dienstfahrt (Art. 100 Ziff. 4 SVG) zur Diskussion steht. Liegt keine dringliche
Dienstfahrt vor, so steht der beschuldigten Person grundsätzlich weiterhin die
Berufung auf den Rechtfertigungsgrund von Art. 14 StGB (oder § 8 Abs. 3 PolG/
ZH) offen (Urteile 6B_20/2009 vom 14. April 2009 E. 4.4.2; 6B_288/2009 vom 13.
August 2009 E. 3.5). Verkehrsregelverletzungen durch Polizeibeamte sind auch in
Fällen, in denen, wie etwa bei Nachfahrkontrollen, weder Blaulicht noch
Wechselklanghorn eingesetzt werden, gestützt auf Art. 14 StGB und allenfalls
kantonales Polizeirecht erlaubt und somit nicht strafbar, wenn die
Verkehrsregelverletzung im Rahmen der Erfüllung polizeilicher Aufgaben erfolgt
und verhältnismässig ist. Eine Revision von Art. 100 Ziff. 4 SVG ist hiefür
entgegen einer Bemerkung in der Beschwerde (Rz. 8.8) nicht erforderlich.

4. 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten
zu tragen.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. November 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Näf

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