Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Revision 5F.11/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5F_11/2015

Urteil vom 2. Februar 2016

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Herrmann, Schöbi,
Gerichtsschreiber von Roten.

Verfahrensbeteiligte
K.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Stephanie Selig,
Gesuchstellerin,

gegen

B.________,
vertreten durch Fürsprecher Ernst Reber,
Gesuchsgegner,

Obergericht des Kantons Bern, Zivilabteilung, 1. Zivilkammer.

Gegenstand
Ehescheidung
(berufliche Vorsorge; Teilung der Austrittsleistungen),

Gesuch um Revision des Urteils des Bundesgerichts 5C.224/2006 vom 14. Juni
2007.

Sachverhalt:

A. 
K.________, Jahrgang 1975, und B.________, Jahrgang 1968, lernten sich im
Dezember 1991 kennen und heirateten am 16. Dezember 1995. Sie haben zwei
gemeinsame Söhne, geboren in den Jahren 1994 und 2000. B.________, der aus dem
Kosovo stammt, war im Zeitpunkt der Heirat bereits Vater zweier Söhne. Ende
September 2002 trennten sich die Ehegatten.

B.

B.a. Im September 2004 leitete K.________ den Scheidungsprozess ein. B.________
trug widerklageweise ebenfalls die Scheidung an. Vereinbarungen über sämtliche
Scheidungsfolgen mit Ausnahme der beruflichen Vorsorge konnten gerichtlich
genehmigt werden. Die Scheidung, die Belange der gemeinsamen Kinder, der
gegenseitige Verzicht auf nachehelichen Unterhalt und die güterrechtliche
Auseinandersetzung wurden am 18./19. April 2006 rechtskräftig.

B.b. Strittig blieb die Aufteilung der während der Ehe erworbenen
Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge. Die Gerichte des Kantons Bern
verweigerten die Teilung der Austrittsleistungen in Anwendung von Art. 123 Abs.
2 ZGB (Urteile vom 6. April 2006 und vom 19. Juli 2006). Die II. Zivilabteilung
des Bundesgerichts hiess die Berufung von B.________ gut und ordnete die
Teilung der während der Ehe erworbenen Austrittsleistungen gestützt auf Art.
122 ZGB an (Urteil 5C.224/2006 vom 14. Juni 2007).

B.c. Das Obergericht überwies die Sache an das Verwaltungsgericht
(Sozialversicherungsrechtliche Abteilung), das die Austrittsleistungen der
Ehegatten feststellte. Es wies die Vorsorgeeinrichtung von K.________ an, von
deren Austrittsleistung den Betrag von Fr. 27'092.60 zugunsten von B.________
an dessen Vorsorgeeinrichtung zu überweisen (Urteil vom 15. Mai 2008).

C. 
Mit Eingabe vom 18. Dezember 2015 ersucht K.________ (Gesuchstellerin) das
Bundesgericht, sein Urteil 5C.224/2006 zu revidieren und die Teilung der
Austrittsleistungen gestützt auf Art. 2 Abs. 2 ZGB zu verweigern. B.________
(Gesuchsgegner) hat seine Rechtsvertretung angezeigt. Es sind die kantonalen
Akten, hingegen keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Erwägungen:

1. 
Das Revisionsgesuch betrifft ein Urteil, auf das das Bundesgesetz über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) nicht anwendbar war
(Urteil 5C.224/2006 vom 14. Juni 2007 E. 1). Gleichwohl ist das Gesuch
praxisgemäss aufgrund der Art. 121 ff. BGG zu beurteilen (BGE 134 III 45 E. 1
S. 47; 136 I 158 E. 1 S. 162). Auf das Revisionsgesuch kann eingetreten werden.
Formelle Fragen sind im Sachzusammenhang zu erörtern.

2. 
Die Gesuchstellerin beruft sich auf Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG, wonach die
Revision eines Entscheids des Bundesgerichts in Zivilsachen verlangt werden
kann, wenn die ersuchende Partei nachträglich erhebliche Tatsachen erfährt oder
entscheidende Beweismittel auffindet, die sie im früheren Verfahren nicht
beibringen konnte, unter Ausschluss der Tatsachen und Beweismittel, die erst
nach dem Entscheid entstanden sind. Sie macht geltend, am 21. September 2015
habe sie herausgefunden, dass der Gesuchsgegner seit dem 12. Juni 1989 im
Kosovo verheiratet gewesen sei und durch die Heirat mit ihr in der Schweiz eine
Mehrfachehe eingegangen sei. Ihre Ehe habe somit von Beginn weg an einem
Ungültigkeitsgrund gelitten. Ein Verfahren betreffend Eheungültigkeit sei
eingeleitet. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Gesuchsgegner die Ehe
mit der Gesuchstellerin nur eingegangen sei, um sich einen gültigen
Aufenthaltstitel in der Schweiz und damit verbundene finanzielle Vorteile zu
erschleichen. Es liege eine (einseitige) Scheinehe vor. Nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung könne - so die Gesuchstellerin - die Teilung
der Austrittsleistung auch dann verweigert werden, wenn sie gegen das
Rechtsmissbrauchsverbot nach Art. 2 Abs. 2 ZGB verstosse, und ein offenbarer
Rechtsmissbrauch könne z.B. bei einer Scheinehe vorliegen. Das Verhalten des
Gesuchsgegners erfülle den Tatbestand des offenbaren Rechtsmissbrauchs.

3. 
Das Urteil 5C.224/2006 vom 14. Juni 2007 (teilweise veröffentlicht in BGE 133
III 497) betraf die Ansprüche der Gesuchsparteien aus beruflicher Vorsorge im
Falle der Scheidung, wenn bei keinem der Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten
ist (Art. 122 f. ZGB). Das Bundesgericht hat anerkannt, dass das Gericht die
gesetzlich vorgesehene hälftige Teilung der während der Ehe erworbenen
Austrittsleistungen (Art. 122 Abs. 1 ZGB) nicht nur dann ganz oder teilweise
verweigern kann, wenn sie aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder
der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung offensichtlich unbillig
wäre (Art. 123 Abs. 2 ZGB). Eine Verweigerung fällt auch dort in Betracht, wo
die Teilung im konkreten Einzelfall und bei Vorliegen eines dem gesetzlichen
vergleichbaren oder ähnlichen Tatbestandes gegen das Verbot des offenbaren
Rechtsmissbrauchs (Art. 2 Abs. 2 ZGB) verstiesse (BGE 133 III 497 E. 4.7 S.
505). Fallbezogen hat das Bundesgericht ausgeführt, dass das ehewidrige
Verhalten des Gesuchsgegners den Tatbestand des offenbaren Rechtsmissbrauchs
nicht erfüllt und nicht zur Verweigerung der Teilung führen kann und dass im
Kontext der Teilung der Austrittsleistungen gemäss Art. 122 ZGB ein offenbarer
Rechtsmissbrauch z.B. bei einer Scheinehe vorliegen könnte oder wenn die Ehe
gar nicht gelebt bzw. ein gemeinsamer Haushalt nie aufgenommen wurde, aber
trotzdem auf der Teilung beharrt wird (BGE 133 III 497 E. 5.2 S. 506; vgl. zum
Grundsatz seither: BGE 136 III 449 E. 4.5 S. 454; Urteile 5A_178/2012 vom 20.
September 2012 E. 6.3.2, in: FamPra.ch 2013 S. 174, und 5A_796/2011 vom 5.
April 2012 E. 6.1, in: FamPra.ch 2012 S. 760).

4. 
Einzig mit dem Rechtsmissbrauchstatbestand "Scheinehe" begründet die
Gesuchstellerin ihr Revisionsbegehren.

4.1. Ob die Scheinehe im Lichte der Rechtsprechung (E. 3 oben) von einem oder
von beiden Ehegatten gewollt sein muss, kann dahingestellt bleiben.
Entscheidend für den Tatbestand des offenbaren Rechtsmissbrauchs ist erstens,
dass der Wille fehlt, eine Ehe als echte Lebens- und Schicksalsgemeinschaft zu
begründen oder später zu leben, und dass sich deshalb kein Ehegatte auf
Rechtswirkungen der Ehe soll berufen können (vgl. PICHONNAZ, Commentaire
romand, 2010, N. 43 zu Art. 123 ZGB; z.B. für den Unterhalt: Urteil 5P.142/2003
vom 9. Juli 2003 E. 2.2, in: FamPra.ch 2003 S. 912). Hinzukommen muss zweitens,
dass durch die Eheschliessung ausländerrechtliche Bestimmungen umgangen werden
wollen (vgl. A MARCA, Commentaire romand, 2010, N. 31-34, und GEISER, Basler
Kommentar, 2014, N. 14-14e, je zu Art. 105 ZGB; für Art. 97a ZGB: Urteil 5A_30/
2014 vom 15. April 2014 E. 3.3, in: FamPra.ch 2014 S. 695 f., mit Hinweisen).

4.2. Der vorausgesetzte Ehegattenwille betrifft eine innere Tatsache und lässt
sich unmittelbar nur durch die Parteiaussage beweisen, im Übrigen aber bloss
durch Schlussfolgerungen aus dem äusseren Verhalten der betreffenden Person und
den äusseren Gegebenheiten, die auf sie eingewirkt haben (vgl. BGE 134 III 452
E. 4.1 S. 456; 140 III 193 E. 2.2.1 S. 197; zit. Urteile 5P.142/2003 E. 2.3.2,
in: FamPra.ch 2003 S. 912, und 5A_30/2014 E. 3.3, in: FamPra.ch 2014 S. 696).

4.3. Die Gesuchstellerin begründet ihr Revisionsgesuch mit der Tatsache, dass
der Gesuchsgegner im Zeitpunkt ihrer Heirat (1995) bereits verheiratet war. Sie
stützt ihre Tatsachenbehauptung auf die Kopien eines Eheregisterauszugs vom 12.
Juni 1989 (Gesuchsbeilage Nr. 4) und eines Heiratszertifikats vom 15. September
2000 (Gesuchsbeilage Nr. 5), aus denen hervorgeht, dass ein "B.________" eine
"C.________" am 12. Juni 1989 geheiratet hat. Die Vorbringen für sich allein
sagen unmittelbar nichts zum entscheiderheblichen Ehewillen. Sie vermögen auch
als Indizien in Verbindung mit dem festgestellten ehewidrigen Verhalten des
Gesuchsgegners (E. 3) nicht von einem fehlenden Ehewillen zu überzeugen.
Dagegen sprechen, dass das eheliche Zusammenleben fast sieben Jahre gedauert
hat und aus der bereits vier Jahre vor der Heirat eingegangenen Beziehung zwei
Söhne hervorgegangen sind (Bst. A). Es bedürfte somit gewichtigerer Indizien,
um vorliegend auf einen fehlenden Ehewillen zu schliessen (vgl. dagegen zu
einer eindeutigen Indizienbeweislage: BGE 98 II 1 E. 2c S. 7 f.; 113 II 472 E.
1 S. 473).

4.4. Im Sinne von Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG kann für den fehlenden Ehewillen
insgesamt nicht davon ausgegangen werden, die nachträglich erfahrenen Tatsachen
seien erheblich, d.h. geeignet, die tatbeständliche Grundlage des angefochtenen
Urteils zu verändern und bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer andern
Entscheidung zu führen (BGE 134 III 669 E. 2.2 S. 671), oder die nachträglich
aufgefundenen Beweismittel seien entscheidend und hätten zu einem anderen
Urteil geführt, falls das Gericht im Hauptverfahren davon Kenntnis gehabt hätte
(vgl. zum gleichlautenden Art. 137 lit. b OG: BGE 118 II 199 E. 5 S. 205; 127 V
353 E. 5b S. 358).

4.5. Aus den dargelegten Gründen erweist sich das Revisionsgesuch als
unbegründet.

5. 
Die Gesuchstellerin wird kosten-, aber nicht entschädigungspflichtig, da keine
Vernehmlassungen eingeholt wurden (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Gesuchstellerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Zivilabteilung, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. Februar 2016
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: von Roten

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