Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.960/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_960/2015

Urteil vom 22. Dezember 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Marazzi, Herrmann,
Gerichtsschreiber Zbinden.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Adriano Marti,
Beschwerdeführerin,

gegen

KESB Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde U.________.

Gegenstand
stationäre Begutachtung nach Art. 449 ZGB,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, vom 27. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A. 

A.a. Am 14. August 2015 wurde A.________ (geb. 1970; Betroffene) durch ihren
Hausarzt in Anwendung von Art. 426 und 429 ZGB in die Klinik B.________
eingewiesen. Mit Entscheid vom 21. August 2015 wies das Einzelgericht im FU
Verfahren des Bezirksgerichts Meilen das Entlassungsgesuch von A.________ ab.

A.b. Am 18. August 2015 ordnete die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB)
U.________ die stationäre Begutachtung (Art. 449 Abs. 1 ZGB) der Betroffenen in
der Klinik B.________ an, um zu klären, welche Wohnform für die Betroffene
geeignet sei, bzw. welche Institution in Frage komme, und ob eventuell eine
fürsorgerische Unterbringung in der entsprechenden Institution nötig sei. Mit
der Begutachtung wurde Dr. med. C.________, Fachärztin für Psychiatrie, betraut
mit dem Auftrag, die Begutachtung bis spätestens 26. August 2015 durchzuführen
und das schriftliche Gutachten bis spätestens 4. September 2015 einzureichen.
Der Betroffenen wurde Gelegenheit geboten, allfällig begründete Einwände gegen
die Person der Gutachterin sowie gegen den Fragenkatalog zuhanden der
Gutachterin bis spätestens 20. August 2015, 12.00 Uhr bei der KESB zu erheben.
Die Klinik wurde dazu verhalten, die Betroffene nach durchgeführter
Begutachtung umgehend aus der Klinik zu entlassen, sofern nicht (aus Sicht der
Klinik) medizinische Gründe dagegen sprechen. Einer allfälligen Beschwerde
wurde die aufschiebende Wirkung entzogen. Die Betroffene hat diesen Entscheid
am 1. September 2015 beim Einzelgericht in Zivil- und Strafsachen des
Bezirksgerichts Hinwil angefochten.

A.c. Da die Begutachtung wegen gesundheitlicher Beschwerden der Betroffenen
binnen angegebener Frist nicht durchgeführt werden konnte, beauftragte die KESB
mit Entscheid vom 27. August 2015 in Abänderung des Entscheides vom 18. August
2015 die Gutachterin, mit der Klinik B.________ "im Austausch" über den
Gesundheitszustand der Betroffenen zu stehen und deren Begutachtung
durchzuführen, sobald es die Verhältnisse erlauben.

A.d. Die Betroffene hat auch gegen den Entscheid der KESB vom 27. August 2015
am 7. September 2015 beim Einzelgericht in Zivil- und Strafsachen des
Bezirksgerichts Hinwil Beschwerde erhoben. Der Beschwerde wurde die
aufschiebende Wirkung entzogen. Mit Entscheid vom 21. September 2015 wies die
angerufene Instanz die Beschwerde gegen beide Entscheide ab.

B. 
Die Betroffene gelangte dagegen am 12. Oktober 2015 an das Obergericht des
Kantons Zürich. Am 22. Oktober 2015 teilte die KESB dem Obergericht mit, die
Begutachtung sei per 15. September 2015 abgeschlossen worden und die Betroffene
am 15. September 2015 aus der Klinik ausgetreten. Der Anwalt der
Beschwerdeführerin hat dies seinen Angaben zufolge erst am 21. Oktober 2015
erfahren. Mit Urteil vom 27. Oktober 2015 trat das Obergericht des Kantons
Zürich auf die Beschwerde nicht ein.

C. 
Die anwaltlich verbeiständete Betroffene hat am 30. November 2015 (Postaufgabe)
beim Bundesgericht gegen das obergerichtliche Urteil Beschwerde erhoben. Sie
beantragt, das Urteil vom 27. Oktober 2015 aufzuheben und die Vorinstanz zur
materiellen Behandlung der verfügten Massnahme (stationäres Gutachten in
Anwendung von Art. 449 ZGB) zu verpflichten. Für das bundesgerichtliche
Verfahren ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege.

D. 
Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Erwägungen:

1. 

1.1. Die Beschwerdeführerin hat die ärztliche fürsorgerische Einweisung vom 14.
August 2014 zwar beim Einzelgericht im FU Verfahren des Bezirkgerichts Meilen
angefochten und um Entlassung ersucht. Sie zeigt aber nicht auf, dass sie
dessen abweisenden Entscheid vom 21. August 2014 bezüglich der ärztlichen
Einweisung an das Obergericht des Kantons Zürich weitergezogen hat. Insoweit
liegt demnach kein Entscheid eines oberen kantonalen Gerichts als
Rechtsmittelinstanz vor (Art. 75 Abs. 2 BGG). Insoweit ist auf die Beschwerde
von vornherein nicht einzutreten.

1.2. Zu behandeln ist somit einzig die Beschwerde gegen den
Nichteintretensentscheid des Obergerichts betreffend die Beschwerde gegen die
fürsorgerische Einweisung zur Begutachtung (Art. 449 ZGB). Beim angefochtenen
Entscheid handelt es sich um einen letztinstanzlichen Endentscheid eines oberen
kantonalen Gerichts als Rechtsmittelinstanz (Art. 75 Abs. 1 und 2 BGG, Art. 90
BGG). Er beschlägt eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit nicht
vermögensrechtlicher Natur, die in engem Zusammenhang mit dem Zivilrecht steht
(Art. 72 Abs. 1 lit. b Ziff. 6 BGG). Die übrigen Eintretensvoraussetzungen
geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Insoweit ist die Beschwerde grundsätzlich
gegeben (dazu: Urteile 5A_900/2013 vom 11. Dezember 2013 E. 1.1; 5A_576/2012
vom 27. August 2012 E. 1).

2. 
Das Obergericht ist auf die Beschwerde gegen die Entscheide der KESB vom 18.
August/27. August 2015 betreffend Einweisung zur Begutachtung nicht eingetreten
mit der Begründung, das angeforderte Gutachten liege inzwischen vor; die
Beschwerdeführerin sei mittlerweile nach abgeschlossener Begutachtung aus der
Klinik ausgetreten und habe damit kein aktuelles schützenswertes Interesse an
der Behandlung der Beschwerde.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Nichteintretensentscheid verstosse
gegen Art. 449 ZGB i.V.m. Art. 319 ff. ZPO und verletze den Grundsatz von Treu
und Glauben (Art. 9 BV) sowie den Anspruch auf gerechte Behandlung (Art. 29
BV). Die Vorinstanz könne ihren Anspruch nur aufrecht erhalten, indem sie ihren
eigenen Standpunkt, wonach Rügen im Rahmen des Verfahrens vorzubringen seien,
in dem das Gutachten angeordnet und erstellt worden sei, nicht näher ausführe;
zudem widerspreche sie sich, zumal die Beschwerdeführerin die Beschwerde im
Rahmen des Verfahrens erhoben habe, in dem das Gutachten angeordnet worden sei.
Der Anwalt der Beschwerdeführerin habe in einem anderen, den Kanton Bern
betreffenden Fall betreffend fürsorgerische Unterbringung Beschwerde
eingereicht. Auch das dortige Verfahren habe eine stationäre Begutachtung in
Verbindung mit einer fürsorgerischen Unterbringung betroffen. Das Obergericht
des Kantons Bern sei auf die Beschwerde eingetreten und habe sie materiell
behandelt. Eine unterschiedliche Behandlung sei mit der Verfassung nicht zu
vereinbaren.

2.1. Nicht zu hören ist die Beschwerdeführerin mit ihrer Rüge der Verletzung
von Art. 319 ff. ZPO. Soweit das Obergericht die ZPO anwendet, handelt es sich
kraft des Verweises in Art. 450f ZGB um kantonales Recht (BGE 140 III 167 E.
2.3), womit vorliegend nur dessen willkürliche Anwendung gerügt werden kann
(Urteil 5A_198/2015 vom 28. Mai 2015 E. 1.3; BGE 134 III 379 E. 1.2 S. 382/
383). Die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, inwiefern die besagten
Bestimmungen der ZPO willkürlich angewendet worden sind (Art. 42 Abs. 2 BGG;
BGE 140 III 86 E. 2).

2.2. Gemäss Art. 450 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB ist die am Verfahren beteiligte Person
zur Beschwerde legitimiert. Vorausgesetzt ist indes ein tatsächliches,
aktuelles Interesse an der Beschwerde (DANIEL STECK, in: Basler Kommentar,
Erwachsenenschutz, 2012, N. 26 zu Art. 450 ZGB; PATRICK FASSBIND,
Erwachsenenschutz, 2012, S. 136; CHRISTOF BERNHART, Handbuch der
fürsorgerischen Unterbringung, 2011, S. 316 Rz. 834; Urteil 5A_656/2014 vom 12.
Februar 2015 E. 3.3.1). Nach dem angefochtenen Entscheid ist die angeordnete
Begutachtung per 15. September 2015 erfolgt und die Beschwerdeführerin per 15.
September 2015 aus der Klinik ausgetreten. War aber die fürsorgerische
Unterbringung zwecks Begutachtung (Art. 449 ZGB) am 15. September 2015 und
damit vor Einreichung der Beschwerde (12. Oktober 2015) aufgehoben worden und
die Begutachtung bereits durchgeführt, verfügte die Beschwerdeführerin bereits
im Zeitpunkt der Einreichung (12. Oktober 2015) über kein aktuelles Interesse
an der Behandlung ihrer Beschwerde. Der angefochtene Nichteintretensentscheid
verletzt damit kein Bundesrecht.

3. 
Soweit die Beschwerdeführerin nunmehr Verfahrensmängel hinsichtlich der
Bestellung der Gutachterin und der fehlenden Möglichkeit Ergänzungsfragen zu
stellen, geltend macht, so kann sie dies im Rahmen eines allfälligen gestützt
auf die Schlussfolgerungen des Gutachtens eingeleiteten Verfahrens betreffend
fürsorgerische Unterbringung vorbringen. In diesem Verfahren wird sie
gegebenenfalls ein Gegengutachten verlangen können. Jedenfalls sind die
Vorbringen nicht geeignet, ein schützenswertes aktuelles Interesse an der
Behandlung der Beschwerde an das Obergericht zu begründen.

4. 
Nichts zu ihren Gunsten abzuleiten vermag die Beschwerdeführerin aus dem
Umstand, dass das Obergericht des Kantons Bern in einem angeblich gleich
gelagerten Fall die Beschwerde materiell behandelt hat: Die Umstände des
konkreten Falles sind nicht bekannt. Zudem kann daraus, dass eine kantonale
Behörde ein aktuelles Interesse bejaht oder die Frage der
Beschwerdelegitimation nicht unter dem Aspekt des aktuellen Interesses prüft,
nicht hergeleitet werden, eine andere kantonale Behörde, die ein aktuelles
Interesse verneine, handle bundesrechtswidrig. Schliesslich lässt der
beigelegte Auszug des besagten Entscheides darauf schliessen, dass die Person,
deren stationäre Begutachtung angeordnet worden war, im Zeitpunkt des
Entscheides noch in der Anstalt untergebracht war.

5. 
Damit ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Den
Umständen des konkreten Falles entsprechend werden keine Gerichtskosten erhoben
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Frage der Entschädigung stellt sich nicht.

6. 
Der anwaltlich verbeiständeten Beschwerdeführerin musste bekannt sein, dass die
Beschwerde nach Art. 450 Abs. 1 ZGB ein aktuelles schützenswertes Interesse
voraussetzt. Zudem war sie vor Einreichung der Beschwerde entlassen worden; ihr
war überdies noch vor der Behandlung der kantonalen Beschwerde bekannt, dass
das Gutachten vorlag. Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, hat sich die
Beschwerde an das Bundesgericht als von vornherein aussichtslos erwiesen. Fehlt
es somit an einer der kumulativen Voraussetzungen (nicht aussichtslose
Beschwerde), muss das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche
Rechtspflege abgewiesen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG), soweit es aufgrund der
vorstehenden Kostenregelung nicht gegenstandslos geworden ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen, soweit es nicht
gegenstandslos geworden ist.

3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der KESB Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörde U.________ und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. Dezember 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Zbinden

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