Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.955/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_955/2015

Urteil vom 29. August 2016

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Herrmann, Schöbi,
Gerichtsschreiber Möckli.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokat Silvan Ulrich,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________,
vertreten durch Advokat Dr. Jascha Schneider-Marfels,
Beschwerdegegner,

Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) E.________.

Gegenstand
Regelung der elterlichen Sorge,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 30. September 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ und B.________ sind die Eltern des 2014 geborenen C.________.
Bereits am 7. März 2014 hatte B.________ der KESB E.________ mitgeteilt, dass
die schwangere Mutter in desolaten Wohnverhältnissen lebe und das Wohl des
Säuglings in dieser Umgebung gefährdet wäre. Am 10. April 2014 machte die
Hebamme der KESB eine Gefährdungsmeldung.
Am 9. Mai 2014 entzog die KESB der Mutter vorläufig die elterliche Obhut über
C.________. Dieser wurde vorläufig in der Wöchnerinnen-Station des
Kantonsspitals Liestal und später in einem Mutter-Kind-Haus platziert. Ferner
wurde eine Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB errichtet. Die von der
Mutter hiergegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft
am 12. Juni 2014 ab und das Bundesgericht trat auf die dagegen erhobene
Beschwerde nicht ein (5A_579/2014).
Am 7. Juli 2014 erteilte die KESB dem Vater vorsorglich ein Besuchsrecht. Auf
die hiergegen erhobene Beschwerde der Mutter trat das Kantonsgericht nicht ein.
Mit Entscheid vom 30. September 2014 hob die KESB den Entzug des
Aufenthaltsbestimmungsrechts der Mutter auf und beendete die Platzierung von
C.________ in der Stiftung F.________. Die vorläufig errichtete Beistandschaft
wurde als definitive Massnahme bestätigt. Ferner wurde eine wöchentliche
Familienbegleitung und eine zweiwöchentliche Mütterberatung angeordnet sowie
das Besuchsrecht des Vaters geregelt. Das Kantonsgericht hiess die hiergegen
von der Mutter erhobene Beschwerde in Bezug auf die Familienbegleitung gut und
wies sie im Übrigen ab. Das Bundesgericht wies die hiergegen erhobene
Beschwerde der Mutter ab, soweit es darauf eintrat (5A_151/2015).
Mit Entscheid vom 22. Dezember 2014 regelte die KESB das Besuchsrecht des
Vaters. Die hiergegen erhobene Beschwerde der Mutter schrieb das Kantonsgericht
wegen ausgebliebenen Kostenvorschusses ab.

B. 
Am 3. August 2014 beantragte der Vater die Übertragung der gemeinsamen
elterlichen Sorge über C.________.
Mit Entscheid vom 13. April 2015 übertrug die KESB den Eltern die gemeinsame
elterliche Sorge. Dem Vater wurde die Betreuung an drei Tagen pro Woche
übertragen und ein Ferienrecht von vier Wochen eingeräumt. Weiter wurde eine
Beistandschaft errichtet und die Mutter angewiesen, dem Vater Kopien des
Gesundheitsbüchleins und des Impfausweises von C.________ zu übergeben. Dem
Beistand wurden folgende Aufgaben übertragen: Verwaltung des Kindesvermögens;
Beratung der Eltern bei der Betreuung und ggf. Umsetzung der Betreuungsanteile;
Beratung der Eltern in medizinischen und therapeutischen Fragen; Beratung in
religiösen Fragen; Beratung in schulischen Fragen.
Die hiergegen von der Mutter erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht mit
Urteil vom 30. September 2015 ab. Ferner wies es mangels Einreichung von
Belegen für den geltend gemachten Bedarf auch das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege ab.

C. 
Gegen dieses Urteil sowie den Entscheid der KESB hat die Mutter am 30. November
2015 eine Beschwerde eingereicht mit den Begehren um deren Aufhebung sowie um
Anweisung der Vorinstanz, die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen und
eine parteiöffentliche Verhandlung durchzuführen. Ferner wurde die
aufschiebende Wirkung und die unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren verlangt.
Mit Vernehmlassungen zum Gesuch um aufschiebende Wirkung, je vom 14. Dezember
2015, haben der Vater und die KESB darauf hingewiesen, dass mit
superprovisorischer Verfügung vom 29. September 2015 bzw. vorsorglichem
Entscheid vom 5. Oktober 2015 der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht
entzogen und C.________ beim Vater untergebracht worden ist. Bei Gewährung der
aufschiebenden Wirkung und damit verbundener vorübergehender Rückplatzierung
des Kindes bei der Mutter wäre das Kindeswohl gefährdet. Im Übrigen sei zu
bemerken, dass die Mutter seit der Umplatzierung trotz des eingeräumten
Besuchsrechts keinerlei Kontakt zum Sohn gesucht und weder je angerufen noch
sich nach seinem Wohlbefinden erkundigt habe. Der Vater verlangte ferner die
unentgeltliche Rechtspflege.
Mit Präsidialverfügung vom 16. Dezember 2015 wurde das Gesuch um aufschiebende
Wirkung abgewiesen.
Mit Beschwerdeantwort vom 21. Januar 2016 hat die KESB die Abweisung der
Beschwerde verlangt, unter Beilage des Urteils des Kantonsgerichtes vom 22.
Dezember 2015, mit welchem die von der Mutter gegen die Unterbringung von
C.________ beim Vater erhobene Beschwerde abgewiesen wurde (die hiergegen
erhobene Beschwerde der Mutter hat das Bundesgericht am 25. April 2015 mit
Urteil 5A_70/2016 abgewiesen).
Mit Beschwerdeantwort vom 18. Februar 2016 hat der Vater die Abweisung der
Beschwerde verlangt, unter Beilage des Entscheides der KESB vom 18. Januar
2016, mit welchem der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes der Mutter und
die Platzierung von C.________ beim Vater bestätigt wurde, unter Einräumung
eines begleiteten Besuchsrechts an die Mutter.
Mit Replik vom 7. März 2016 hat sich die Mutter zu den Beschwerdeantworten
geäussert.
Am 24. März 2016 hat die KESB dazu Stellung genommen.
Mit Eingabe vom 18. April 2016 hat sich die Mutter hierzu nochmals geäussert.

Erwägungen:

1. 
Soweit der Entscheid der KESB angefochten und dessen Aufhebung verlangt wird,
kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden, weil nur der kantonal
letztinstanzliche Entscheid Anfechtungsobjekt sein kann (Art. 75 Abs. 1 BGG).
Dieser betrifft eine Sorgerechtsangelegenheit und die sich daraus ergebenden
Nebenfolgen; dagegen steht die Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich offen
(Art. 72 Abs. 1 und Art. 90 BGG).

2. 
Vorab ist zu prüfen, ob das Kantonsgericht Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt hat,
weil es entgegen dem Antrag der Beschwerdeführerin keine öffentliche
Verhandlung durchgeführt hat.

2.1. Die Beschwerdeführerin hatte mit Schreiben vom 10. Juli 2015 eine
mündliche Parteiverhandlung vor dem Kantonsgericht verlangt mit der Begründung,
es müsse zu den Ausführungen der KESB und des Vaters noch Stellung genommen
werden. Mit Verfügung vom 15. Juli 2015 liess das Kantonsgericht die
Beschwerdeführerin wissen, dass kein Anspruch auf eine Parteiverhandlung
bestehe und von einer solchen abzusehen sei; es stehe ihr frei, im Rahmen der
schriftlichen Replik Stellung zu nehmen. In der Replik vom 17. August 2015
hielt die Beschwerdeführerin fest, aufgrund von Art. 6 Ziff. 1 EMRK stehe ihr
ein Anspruch zumindest auf eine parteiöffentliche Verhandlung zu, da es sich um
eine zivilrechtliche Angelegenheit handle; insofern sei es nicht richtig, ihren
Antrag auf eine mündliche Parteiverhandlung abzuweisen.

2.2. Im vorliegend angefochtenen Urteil vom 30. September 2015 anerkannte das
Kantonsgericht, dass der Streitgegenstand in den Schutzbereich von Art. 6 Ziff.
1 EMRK fällt, hielt aber fest, dass die Beschwerdeführerin die mündliche
Verhandlung wolle, um sich zu den Stellungnahmen äussern zu können; damit habe
sie einen Antrag auf eine mündliche Anhörung im Sinn eines Beweisantrages und
nicht auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im Sinn von Art. 6 Ziff.
1 EMRK gestellt.

2.3. Vor Bundesgericht rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 6
Ziff. 1 EMRK. Sie macht geltend, der Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung
in zivilrechtlichen Angelegenheiten sei absolut. Die Parteien hätten das Recht,
sich vor dem urteilenden Gremium zu äussern und dieses zu kennen. Es sei auch
wichtig, dass sich dieses ein persönliches Bild von den Parteien machen könne.

2.4. Ein Antrag auf "persönliche Anhörung" schliesst den Antrag auf eine
mündliche (öffentliche) Verhandlung im Sinn von Art. 6 Ziff. 1 EMRK ein, soweit
es nicht nur um die Befragung im Sinn einer Beweisabnahme, sondern um die
Darlegung des persönlichen Standpunktes zum Beweisergebnis vor einem
unabhängigen Gericht geht (Urteile 2C_100/2011 vom 10. Juni 2011 E. 2.5; 8C_390
/2012 vom 10. Oktober 2012 E. 2.3). Vorliegend hat sich die Beschwerdeführerin
ausdrücklich auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK berufen. Wer unter Bezugnahme auf Art. 6
EMRK eine Anhörung verlangt, will damit offenkundig von seinem
konventionsmässigen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung Gebrauch machen;
anders kann ein solcher Antrag nach Treu und Glauben kaum verstanden werden
(Urteil 1C_324/2012 vom 26. September 2012 E. 2.3). Dies gilt nach der
zitierten Rechtsprechung insbesondere für den Fall, dass - wie vorliegend - die
mündliche Verhandlung beantragt worden ist, um sich zu den Stellungnahmen
äussern zu können.
Nachfolgend ist deshalb zu prüfen, ob das Kantonsgericht zu Recht von einer
öffentlichen Verhandlung abgesehen hat. Wann dies in familienrechtlichen
Verfahren ausnahmsweise möglich ist, hat das Bundesgericht kürzlich an einer
öffentlichen Sitzung beraten. Die nachfolgenden Ausführungen fassen das
diesbezügliche, zur Publikation bestimmte Urteil 5A_724/2015 vom 2. Juni 2016
zusammen; für weitere Einzelheiten und Quellennachweise wird auf dessen E. 3.1
verwiesen.

2.5. Die Pflicht, eine öffentliche Verhandlung durchzuführen, ergibt sich aus
dem Wortlaut von Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte (EGMR) begründet dies mit der Absage an jede Form von
Geheimjustiz und der (demokratischen) Kontrolle der Behörden, was letztlich
auch das Vertrauen in diese stärke (Urteil  Osinger gegen Österreich Nr. 54645/
00 vom 24. März 2005 § 44). Aus dem Anspruch auf eine (publikums-) öffentliche
Verhandlung folgt grundsätzlich ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung
(Urteil  Sporer gegen Österreich Nr. 35637/03 vom 3. Februar 2011 § 43; Urteil 
Salomonsson gegen Schweden Nr. 38978/97 vom 12. November 2002 § 34).
Die Pflicht, eine öffentliche Verhandlung durchzuführen, ist indes in
zweifacher Hinsicht nicht absolut. Zunächst können die Parteien auf eine
öffentliche Verhandlung - explizit oder stillschweigend - verzichten (statt
vieler: Urteil  Schuler-Zgraggen gegen Schweiz Nr. 14518/89 vom 24. Juni 1993).
Sodann sind in verschiedener Hinsicht Ausnahmen vom Grundsatz zulässig (Urteil 
Pakozdi gegen Ungarn Nr. 51269/07 vom 25. November 2014 § 27; Urteil 
Stallinger und Kuso gegen Österreich Nrn. 14696/89 und 14697/89 vom 23. April
1997 § 51; Urteil  Allan Jacobsson gegen Schweden Nr. 16970/90 (no. 2) vom 19.
Februar 1998 § 46). Eine Reihe von Gründen, aus welchen keine öffentliche
Verhandlung durchgeführt werden muss, ergibt sich unmittelbar aus Art. 6 Ziff.
1 EMRK ("... im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der
nationalen Sicherheit... liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der
Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen...").
Familienrechtliche Angelegenheiten, in denen sich Familienmitglieder,
jedenfalls aber Private gegenüberstehen, fallen grundsätzlich in die Kategorie
"Schutz des Privatlebens der Prozessparteien" (Urteil  B. und P. gegen
Vereinigtes Königreich Nrn. 36337/97 und 35974/97 vom 24. April 2001 § 38).
Geht es hingegen um eine familienrechtliche Angelegenheit im weiteren Sinn, in
welcher sich nicht Private gegenüberstehen, sondern der Staat und ein Privater,
wie dies bei einem Obhutsentzug und der Fremdplatzierung eines Kindes der Fall
ist, kann die Öffentlichkeit nicht pauschal unter Hinweis auf den "Schutz des
Privatlebens" ausgeschlossen werden; der Ausschluss bedarf einer besonderen
Begründung, welche eine sorgfältige Abwägung erfordert (Urteil  Moser gegen
Österreich Nr. 12643/02 vom 21. September 2006 § 97).

2.6. Vorliegend geht es vorab um Fragen der elterlichen Sorge. Indes handelt es
sich nicht um eine klassische familienrechtliche Angelegenheit zwischen
Privaten, wie dies bei einem Eheschutz- oder Scheidungsverfahren der Fall ist,
sondern um die gestützt auf Art. 298b ZGB gegen den Willen der
Beschwerdeführerin als Mutter erfolgte Verfügung der gemeinsamen elterlichen
Sorge durch die Kindesschutzbehörde. Dabei rückt das hoheitliche Auftreten des
Staates in den Vordergrund. Darüber hinaus erteilte die Kindesschutzbehörde der
Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 307 ZGB verschiedene Weisungen und sie
errichtete eine Beistandschaft, wobei sie dem Beistand eine ganze Reihe von
Aufgaben übertrug. In diesem Zusammenhang ist die Kindesschutzbehörde gegenüber
der Beschwerdeführerin als staatliches Organ aufgetreten, so dass die
Öffentlichkeit nicht ohne spezifische Begründung ausgeschlossen werden kann.
Das Kantonsgericht hat nicht begründet, weshalb der in Art. 6 Ziff. 1 EMRK
erwähnte "Schutz des Privatlebens" im vorliegenden Einzelfall den Ausschluss
der Öffentlichkeit erfordern würde. Es könnten durchaus Gründe bestehen, welche
aber nicht in einer Weise offenkundig sind, dass das Bundesgericht diese ohne
Weiteres von sich aus benennen könnte. Das Kantonsgericht wird deshalb im
Einzelnen zu prüfen und zu begründen haben, ob es spezielle Gründe gibt,
weshalb im vorliegenden Fall trotz des entsprechenden Antrages von einer
öffentlichen Verhandlung im Sinn von Art. 6 Ziff. 1 EMRK abzusehen ist.
Für den Fall, dass Gründe, welche vor Art. 6 Ziff. 1 EMRK standhalten, gegeben
wären, ist ergänzend festzuhalten, dass es dabei sein Bewenden hätte und keine
mündliche Verhandlung durchgeführt werden müsste. Art. 6 Ziff. 1 EMRK gibt
keinen zusätzlichen abstrakten Anspruch, sich persönlich äussern, namentlich
mündlich vor dem Spruchkörper plädieren zu dürfen (vgl. das zur Publ. bestimmte
Urteil 5A_724/2015 vom 2. Juni 2016 E. 3.2 mit weiteren Hinweisen auf die
diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR). Solches sowie die Anwesenheit bei der
Abnahme von Beweismitteln oder die Anhörung im Sinn eines Beweismittels könnte
sich einzig aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinn von Art. 29 Abs. 2
BV oder aus konkreten Verfahrensvorschriften ergeben. Indes fehlt es an einer
entsprechenden Rüge, beruft sich doch die Beschwerdeführerin ausschliesslich
auf eine Verletzung von Art. 6 EMRK.
Aufgrund der formellen Natur des Anspruches ist das angefochtene Urteil
unabhängig von der Begründetheit der Beschwerde in der Sache selbst aufzuheben
(vgl. BGE 135 I 187 E. 2.2 S. 190; 137 I 195 E. 2.2 S. 197).

3. 
Unmittelbar vor der Fällung des vorliegend angefochtenen Urteils vom 30.
September 2015 hat sich - was dem Kantonsgericht offensichtlich nicht mehr
rechtzeitig bekannt werden und im Urteil Eingang finden konnte - der
Sachverhalt grundlegend geändert: Wie sich dem Entscheid des Kantonsgerichts
vom 22. Dezember 2015 und dem Entscheid der KESB vom 18. Januar 2016 entnehmen
lässt, hat sich die Polizei aufgrund von verschiedenen Delikten des am gleichen
Ort wie Mutter und Kind lebenden Neffen (Cousin von C.________) am 27.
September 2015 Zutritt zum Haus verschafft, welches sie in einem katastrophalen
Zustand vorfand und wo sie frei herumliegende Waffen und Munition
sicherstellte. Die Mutter von C.________ wurde in einer schlechten psychischen
Verfassung angetroffen. Auch die im Haus wohnende Grossmutter ist in schlechter
gesundheitlicher Verfassung. Am Folgetag nahm die Polizei auf Geheiss der
Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung vor, zwecks gleichzeitiger Überprüfung
der Wohnverhältnisse im Beisein einer Vertretung der KESB. Das Haus war derart
überstellt und zugemüllt, dass das Vorhandensein weiterer Waffen, Munition und
Drogen nicht ausgeschlossen werden konnte. Die Wohnverhältnisse wurden als
qualifiziert unordentlich, unhygienisch und desolat bzw. verwahrlost
beschrieben. Die Tante von C.________ zeigte sich physisch wie auch verbal
extrem aggressiv. Aufgrund der konkreten Situation machte die Polizei am 28.
September 2015 mündlich und am 2. Oktober 2015 schriftlich eine
Gefährdungsmeldung. Mit superprovisorischem Entscheid vom 29. September 2015
entzog die KESB der Mutter an Ort und Stelle im Beisein von 13 Polizisten das
Aufenthaltsbestimmungsrecht über C.________ und brachte diesen beim Vater
unter. Mit Entscheid vom 2. Oktober 2015 bestätigte die KESB den Entzug des
Aufenthaltsbestimmungsrechtes. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das
Kantonsgericht am 22. Dezember 2015 ab und die dagegen erhobene Beschwerde wies
das Bundesgericht am 25. April 2015 ab, soweit es darauf eintrat (5A_70/2016).
Die vorliegend zu behandelnde Beschwerde vom 30. November 2015 lässt den
bereits am 29. September 2015 eingetretenen neuen Sachverhalt unerwähnt und das
beschwerdeweise gestellte Begehren um Aufhebung des Entscheides vom 30.
September 2015 ist darauf gerichtet, dass angesichts des geltend gemachten
schweren Dauerkonfliktes zwischen den Eltern ein gemeinsames Sorgerecht
bundesrechtswidrig und der Mutter die alleinige Sorge zu belassen sei. Es baut
mithin auf einem Sachverhalt, welcher seit dem 29. September 2015 mit der
Platzierung des Kindes beim Vater überholt ist. Die Frage der
Sorgerechtszuweisung an den einen oder anderen Elternteil oder an die
Elternteile gemeinsam wird angesichts des Kindeswohls als oberster Leitmaxime
und der in Kinderbelangen geltenden Offizial- und Untersuchungsmaxime
unabhängig von den gestellten Begehren und aufgrund der aktuellen Verhältnisse
im Zeitpunkt des neuen Entscheides, nicht aufgrund des Sachverhaltes im
seinerzeitigen Entscheid des Kantonsgerichts zu klären sein (vgl. das zur Publ.
bestimmte Urteil 5A_581/2014 vom 11. August 2016 E. 2.7 mit Verweis auf das
Urteil 5A_106/2016 vom 7. Juni 2016 E. 3.2 und 3.4).

4. 
Das Kantonsgericht hat das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche
Rechtspflege abgewiesen mit der Begründung, die Ausgaben (Wohnkosten,
Krankenkassenkosten, Erwerbsunkosten, Kleinkredit, Steuern) würden entgegen der
bestehenden Mitwirkungspflicht nach wie vor unbelegt bleiben. Sie sei bereits
mit Verfügung vom 19. Mai 2015 explizit zur Einreichung der vollständigen
Belege gemäss Ziff. 9 des Formulares "Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege"
aufgefordert worden und auch in der ablehnenden Verfügung vom 15. Juli 2015 sei
festgehalten worden, dass sie insbesondere ihre Ausgaben nicht nachgewiesen
habe.
Vor Bundesgericht verweist die Beschwerdeführerin erneut einzig auf die
betreibungsamtliche Einkommenspfändung und auf die im Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege zusammengestellten Kosten. Sie macht geltend, die Kosten würden
sich gewissermassen von der Natur her ergeben und müssten deshalb nicht belegt
werden. Wenn das Kantonsgericht dies dennoch tue, handle es überspitzt
formalistisch.
Mit dieser Begründung ist keine Rechtsverletzung darzutun. Die
Beschwerdeführerin hatte im kantonalen Verfahren ihre Einkommens- und
Vermögensverhältnisse umfassend darzustellen und soweit möglich auch zu belegen
(BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181 f.). Dabei traf sie eine umfassende
Mitwirkungsobliegenheit (Urteile 5A_897/2013 vom 8. Juli 2014 E. 3.1; 5A_761/
2014 vom 26. Februar 2015 E. 3.2). Das bedeutet, dass nicht nur die
Einkommensbestandteile zu deklarieren, sondern auch die Ausgaben zu belegen
waren. Dass dies nicht möglich gewesen wäre, macht die Beschwerdeführerin nicht
geltend; sie behauptet einzig, selbstverständliche Ausgaben seien nicht zu
belegen. Dies trifft nach dem Gesagten nicht zu. Weil die Beschwerdeführerin
ihren Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist, durfte das Gericht die
Bedürftigkeit verneinen und das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abweisen
(BGE 125 IV 161 E. 4a S. 164 f.; Urteile 5A_382/2010 vom 22. September 2010 E.
3.1; 2C_683/2014 vom 24. Oktober 2014 E. 3.1.1; 5A_761/2014 vom 26. Februar
2015 E. 3.2; 5A_142/2015 vom 5. Januar 2016 E. 3.7).

5. 
Zusammenfassend ergibt sich, dass der angefochtene Entscheid, soweit anderes
als die unentgeltliche Rechtspflege betroffen ist, in Gutheissung der
Beschwerde aufzuheben und die Sache im Sinn der Erwägungen an das
Kantonsgericht zurückzuweisen ist.
Eine Rückweisung zu erneutem Entscheid mit offenem Ausgang gilt als Obsiegen (
BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271). Es rechtfertigt sich nicht, für den nicht
zurückgewiesenen Punkt der unentgeltlichen Rechtspflege Kosten auszuscheiden.
Folglich sind die Parteikosten für das bundesgerichtliche Verfahren
grundsätzlich der im Hauptpunkt unterliegenden Partei aufzuerlegen, was das
Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege - für welches
übrigens trotz Kenntnis der entsprechenden Begründungs- und
Dokumentationspflicht weder die Einkommens- und Vermögensverhältnisse noch der
Bedarf dargestellt werden und welches auch nicht mit Belegen dokumentiert ist -
gegenstandslos werden lässt.
Der Beschwerdegegner dokumentiert sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.
Angesichts seiner Mittellosigkeit ist ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu
gewähren und er ist durch Rechtsanwalt Jascha Schneider-Marfels zu
verbeiständen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).
Vor dem Hintergrund der vorstehend geschilderten konkreten Situation
rechtfertigt es sich, keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Ausgangsgemäss wäre der Beschwerdegegner an sich zu verpflichten, der
Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren die Parteikosten zu
entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Dies wäre aber in der vorliegenden Situation
stossend und es liegt näher, sie dem Kanton Basel-Land aufzuerlegen, da
unnötige Kosten zu bezahlen hat, wer sie verursacht (Art. 68 Abs. 4 BGG), was
eine Kostenüberbindung an das Gemeinwesen erlaubt, namentlich bei einer
Verletzung von Pflichten im Zusammenhang mit der Justizgewährleistung (Urteile
8C_276/2016 vom 23. Juni 2016 E. 8; 9C_857/2015 vom 2. Februar 2016 E. 4;
9C_483/2015 vom 28. Juli 2015 E. 5; 9C_903/2014 vom 15. Januar 2015 E. 3).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
In Gutheissung der Beschwerde wird das Urteil des Kantonsgerichtes
Basel-Landschaft vom 30. September 2015, soweit anderes als die unentgeltliche
Rechtspflege betroffen ist, aufgehoben und die Sache im Sinn der Erwägungen zur
weiteren Behandlung zurückgewiesen.

2. 
Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege wird
gutgeheissen und er wird durch Rechtsanwalt Jascha Schneider-Marfels
verbeiständet.

3. 
Der Kanton Basel-Landschaft hat die Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4. 
Rechtsanwalt Jascha Schneider-Marfels wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr.
2'500.-- entschädigt.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der KESB E.________ und dem Kantonsgericht
Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 29. August 2016
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Möckli

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