Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.924/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_924/2015

Urteil vom 27. April 2016

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Herrmann,
Gerichtsschreiber Zingg.

Verfahrensbeteiligte
1. A.________,
2. B.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marco Chevalier,
Beschwerdeführer,

gegen

Obergericht des Kantons Aargau,
Beschwerdegegner,

sowie

1. C.________,
2. D.________,
3. E.________,
4. F.________,
alle vier vertreten durch Rechtsanwältin Ama Mülthaler.

Gegenstand
unentgeltliche Rechtspflege (Anfechtung der Enterbung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 4. Kammer, vom 12. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ und B.________ (Kläger) reichten am 18. Mai 2015 eine Klage
betreffend Anfechtung der Enterbung beim Bezirksgericht Rheinfelden ein. Sie
beantragten die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Das Bezirksgericht erteilte den Klägern mit Verfügungen vom 24. Juli 2015 die
unentgeltliche Rechtspflege.
Die Beklagten, C.________, D.________, E.________ und F.________, ersuchten am
6. August 2015 um Begründung der Verfügungen, mit denen den Klägern die
unentgeltliche Rechtspflege bewilligt worden war.
Das Bezirksgericht wies mit Verfügung vom 7. August 2015 das Gesuch um
Begründung jener Verfügungen ab.

B. 
Die Beklagten erhoben gegen diese Verfügung am 21. August 2015 Beschwerde an
das Obergericht des Kantons Aargau. Sie verlangten die Aufhebung der Verfügung
vom 7. August 2015. Das Bezirksgericht sei zu verpflichten, die Verfügungen vom
24. Juli 2015 begründet zuzustellen, und ihnen sei ein Beschwerderecht
einzuräumen. F.________ verlangte am 18. September 2015 die Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege für das Beschwerdeverfahren.
Mit Beschwerdeantwort vom 25. September 2015 beantragten die Kläger die
Abweisung der Beschwerde, allenfalls sei auf sie nicht einzutreten. Ziff. 4
ihrer Begehren lautete sodann: "Es sei den [Klägern] die unentgeltliche
Rechtspflege mit dem Unterzeichnenden als Rechtsbeistand zu bestätigen."
Mit Entscheid vom 12. Oktober 2015 hiess das Obergericht die Beschwerde gut
(Ziff. 1 des Erkenntnisses). Das Gesuch der Kläger um Bestätigung der
unentgeltlichen Rechtspflege wies es ab (Ziff. 1 des Beschlusses). Ausserdem
wies es das Gesuch von F.________ um Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege
ab, soweit es darauf eintrat (Ziff. 2 des Beschlusses). Die Kosten des
obergerichtlichen Verfahrens auferlegte es den Klägern, ebenso eine
Parteientschädigung zugunsten der Beklagten (Ziff. 2 und 3 des Erkenntnisses).

C. 
Am 20. November 2015 haben die Kläger (fortan: Beschwerdeführer) Beschwerde in
Zivilsachen an das Bundesgericht erhoben. Sie verlangen die Aufhebung des
angefochtenen Entscheids, soweit ihnen die unentgeltliche Rechtspflege für das
obergerichtliche Verfahren verweigert worden ist und soweit ihnen Gerichts- und
Parteikosten auferlegt worden sind (Ziff. 1 des Beschlusses und Ziff. 2 und 3
des Erkenntnisses). Das Obergericht sei anzuweisen, ihnen eine Frist für die
Einreichung der Belege zum Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege zu setzen und
danach über diesen Antrag zu befinden. Zudem ersuchen sie um unentgeltliche
Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren.
Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Beklagten beantragen die
Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Beschwerdeführer
seien zur Sicherstellung einer Parteientschädigung in der Höhe von ca. Fr.
2'500.-- zu verpflichten. F.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren.
Die Beschwerdeführer haben sich nach Zustellung der Vernehmlassungen nicht mehr
geäussert.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid einer letzten kantonalen
Instanz (Art. 75 BGG), mit dem den Beschwerdeführern die unentgeltliche
Rechtspflege für das Rechtsmittelverfahren verweigert worden ist (zur Ausnahme
vom Erfordernis der double instance BGE 138 III 41 E. 1.1 S. 42). Das ist ein
Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann
(Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131). Bei
Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache (BGE 137 III 380
E. 1.1 S. 382). Vorliegend betrifft der Streit vor der Vorinstanz die Pflicht
zur Begründung einer Verfügung über die Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege vor der ersten Instanz; dies stellt indes nicht die Hauptsache
dar, gilt doch der entsprechende Entscheid seinerseits als Zwischenentscheid.
Als Hauptsache erweist sich vielmehr das zugrunde liegende Verfahren, in dem es
um die Anfechtung einer Enterbung geht. Damit liegt eine vermögensrechtliche
Zivilsache im Sinne von Art. 72 ff. BGG vor, deren Streitwert nach den
unbestrittenen Angaben der Vorinstanz Fr. 30'000.-- übersteigt (Art. 74 Abs. 1
lit. b BGG). Die Beschwerdeführer sind gemäss Art. 76 Abs. 1 BGG zur Beschwerde
berechtigt. Die Beschwerdefrist ist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 BGG). Auf die
Beschwerde kann eingetreten werden.

2. 
Das Obergericht hat das Gesuch der Beschwerdeführer um Bestätigung der
unentgeltlichen Rechtspflege für das obergerichtliche Verfahren abgewiesen,
weil das Gesuch im Rechtsmittelverfahren neu zu stellen und deshalb auch neu zu
begründen sei (Art. 119 Abs. 5 ZPO). Eine Begründung fehle jedoch. Die
Beschwerdeführer könnten auch nichts daraus ableiten, dass das Obergericht in
seiner Verfügung vom 14. September 2015 (Aufforderung zur Beschwerdeantwort)
die Beschwerdeführer bereits als durch Rechtsanwalt Chevalier unentgeltlich
vertreten bezeichnet habe.

3.

3.1. Gemäss Art. 119 Abs. 5 ZPO ist im Rechtsmittelverfahren die unentgeltliche
Rechtspflege neu zu beantragen. Zu den Begründungsanforderungen im
Rechtsmittelverfahren äussert sich diese Norm nicht (vgl. allerdings allgemein
Art. 119 Abs. 2 ZPO).

3.2. In ihrer Beschwerdeantwort vom 25. September 2015 haben die
Beschwerdeführer ausdrücklich verlangt, es sei ihnen die unentgeltliche
Rechtspflege mit dem unterzeichnenden Rechtsanwalt als Rechtsbeistand zu
bestätigen. In der Begründung (Rz. 11 der Beschwerdeantwort) haben sie wörtlich
Folgendes ausgeführt: "Um nichts zu versäumen wiederholen die
[Beschwerdeführer] vor Obergericht im Rechtsbegehren 4 das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege. Da sie in der Verfügung des Obergerichtes vom 14.
September bereits als unentgeltlich vertreten bezeichnet werden, gehen sie
davon aus, dass dies aufgrund der Akten der Vorinstanz bestätigt werden kann
und keiner weiteren Belege bedarf."
Die Beschwerdeführer haben somit Art. 119 Abs. 5 ZPO insoweit Genüge getan, als
sie einen neuen Antrag um unentgeltliche Rechtspflege für das obergerichtliche
Verfahren gestellt haben. Das Obergericht scheint davon auszugehen, es fehle
jegliche Begründung dieses Gesuchs. Dies trifft nicht zu. Die Beschwerdeführer
haben ausgeführt, dass sie davon ausgingen, die unentgeltliche Rechtspflege
könne aufgrund der vorinstanzlichen Akten erteilt werden. Es fehlt damit nicht
jegliche Begründung, sondern sie haben zur Begründung auf die vorinstanzlichen
Akten verwiesen. Ob ein Verweis auf die Vorakten zur Begründung eines Gesuchs
um unentgeltliche Rechtspflege im Rechtsmittelverfahren genügt, braucht an
dieser Stelle nicht beurteilt zu werden (vgl. dazu etwa ALFRED BÜHLER, in:
Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 137 zu Art. 119
ZPO). Der Antrag der Beschwerdeführer vor Bundesgericht zielt nämlich nicht
dahin, das Obergericht anzuhalten, das Gesuch anhand der Vorakten zu
beurteilen, sondern dahin, Gelegenheit zur Einreichung von Belegen zu erhalten.
Dieses Ansinnen ist berechtigt: Die Beschwerdeführer haben in der zitierten
Stelle ihrer Beschwerdeantwort begründet, weshalb sie es mit einem Hinweis auf
die Vorakten haben bewenden lassen. Gemäss dieser Stelle haben sie dies getan,
weil das Obergericht sie bereits als unentgeltlich vertreten bezeichnet habe
und sie deshalb davon ausgegangen seien, es bedürfe keiner weiteren Belege
mehr. Durch ihre Formulierung deuteten sie zugleich an, dass sie Belege
einreichen könnten und dies unter anderen Umständen auch getan hätten. Zwar
kann die Bezeichnung der Beschwerdeführer im Rubrum der Verfügung vom 14.
September 2015 als "unentgeltlich vertreten" weder einen entsprechenden Antrag
noch eine genügende Begründung ersetzen. Das Obergericht hat mit der
entsprechenden Bezeichnung in seiner Verfügung die Beschwerdeführer aber
zumindest veranlasst anzunehmen, dass eine summarische Begründung genügen würde
und ist insoweit hiefür mitverantwortlich. Unter diesen Umständen hätte das
Obergericht das entstandene Missverständnis beheben müssen. Dazu hätte es die
Beschwerdeführer aufgrund der gerichtlichen Fragepflicht (Art. 56 ZPO)
auffordern müssen, die Begründung zu ergänzen. Insbesondere hätte es sie zur
Einreichung von Belegen auffordern müssen, sofern es solche für nötig befunden
hätte. Dies hat das Obergericht jedoch nicht getan und damit Art. 56 ZPO
verletzt. Angesichts dieses Ergebnisses kann offen bleiben, ob es das Gesuch
nicht bereits aufgrund des Hinweises der Beschwerdeführer auf die Vorakten
inhaltlich hätte beurteilen können und müssen.

3.3. Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und die angefochtenen Ziffern des
Entscheides vom 12. Oktober 2015 sind aufzuheben. Die Sache ist zu erneuter
Behandlung an das Obergericht zurückzuweisen. Es hat die Beschwerdeführer zu
einer Ergänzung der Begründung ihres Gesuchs mit Belegen aufzufordern und
danach über das Gesuch zu befinden. Dementsprechend werden auch die Kosten des
obergerichtlichen Verfahrens neu zu regeln sein.

4. 
Das Gesuch der Beklagten um Sicherstellung einer allfälligen
Parteientschädigung ist als gegenstandslos abzuschreiben. Es hätte vor
Erstattung einer Beschwerdeantwort und damit vor Anfall der Parteikosten
gestellt werden müssen.

5. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten C.________,
D.________, E.________ und F.________ (unter Vorbehalt der Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege) unter solidarischer Haftung aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 1 und 5 BGG). C.________, D.________, E.________ und F.________ haben die
Beschwerdeführer - wiederum unter solidarischer Haftung - angemessen zu
entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und Abs. 4 BGG).
Das Gesuch von F.________ um unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren wird gutgeheissen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Ihr wird
Rechtsanwältin Ama Mülthaler beigeordnet, die aus der Bundesgerichtskasse
angemessen zu entschädigen ist (Art. 64 Abs. 2 BGG). F.________ hat der
Gerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn sie später dazu in der Lage sein sollte
(Art. 64 Abs. 4 BGG). Die Gewährung unentgeltlicher Rechtspflege befreit sie
nicht von der Bezahlung einer Parteientschädigung.
Das Gesuch der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege ist
gegenstandslos, soweit es die Gerichtskosten betrifft. Hingegen ist es für den
Fall der Uneinbringlichkeit der Parteientschädigung gutzuheissen. Ihrem
Rechtsbeistand Dr. Marco Chevalier ist diesfalls eine angemessene Entschädigung
aus der Bundesgerichtskasse auszurichten (Art. 64 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Ziffer 1 des Beschlusses und Ziffern 2 und 3
des Erkenntnisses im Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 4. Kammer, vom 12. Oktober 2015 werden aufgehoben. Die Sache wird
zur weiteren Behandlung im Sinne der Erwägungen an das Obergericht
zurückgewiesen.

2. 
Das Gesuch von C.________, D________, E.________ und F.________ um
Sicherstellung der Parteientschädigung wird als gegenstandslos abgeschrieben.

3. 
Das Gesuch der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren wird gutgeheissen, soweit
es nicht als gegenstandslos abzuschreiben ist. Ihnen wird Rechtsanwalt Dr.
Marco Chevalier als unentgeltlicher Rechtsvertreter beigeordnet.

4. 
Das Gesuch von F.________ um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für
das bundesgerichtliche Verfahren wird gutgeheissen. Ihr wird Rechtsanwältin Ama
Mülthaler als unentgeltliche Rechtsvertreterin beigeordnet.

5. 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden C.________, D.________, E.________
und F.________ unter solidarischer Haftung auferlegt. Soweit F.________
betreffend, werden die Gerichtskosten vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

6. 
C.________, D.________, E.________ und F.________ haben die Beschwerdeführer
unter solidarischer Haftung mit insgesamt Fr. 3'000.-- zu entschädigen. Bei
Uneinbringlichkeit der Parteientschädigung wird Rechtsanwalt Chevalier mit Fr.
2'500.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.

7. 
Für die Vertretung von F.________ wird Rechtsanwältin Mülthaler mit Fr. 800.--
aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.

8. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. April 2016
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Zingg

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