Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.715/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_715/2015

Urteil vom 14. April 2016

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Herrmann, Bovey,
Gerichtsschreiber von Roten.

Verfahrensbeteiligte
1. A.________,
2. B.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Grass,
Beklagte und Beschwerdeführer,

gegen

1. C.________,
2. D.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Willi Egloff,
Kläger und Beschwerdegegner.

Gegenstand
Nacherbschaft (Auslieferungspflicht),

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Bern, Zivilabteilung, 2. Zivilkammer,
vom 24. Juli 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. E.________ und F.________ wurden am 16. Oktober 1942 getraut. Ihre Ehe
blieb kinderlos. Die Ehegatten schlossen am 17. Juli 1954 einen Erbvertrag und
setzten sich gegenseitig als Vorerben ein. Für den Fall, dass der Ehemann
zuerst stirbt, bestimmten sie, dass dessen gesamtes Nachlassvermögen an die
Ehefrau als Vorerbin und bei deren Tod an den Bruder des Ehemannes, G.________,
als Nacherben und bei dessen Vorabsterben je zu gleichen Teilen an seine Kinder
fällt (Ziff. VI). Die Ehefrau wurde von jeder Sicherstellungspflicht als
Vorerbin entbunden und berechtigt, im Notfall das ihr als Vorerbin zugefallene
Nachlassvermögen des Ehemannes anzugreifen, sofern ihr Einkommen und ihr
eigenes Vermögen zur Bestreitung des Lebensunterhalts nicht ausreichen sollten
(Ziff. VIII des Erbvertrags).

A.b. Am 13. Dezember 1991 starb E.________ (Erblasser), Jahrgang 1914. Das
Erbschaftsinventar bezifferte das Vermögen der Ehegatten auf Fr. 1'412'110.80
und die darin enthaltene Vorerbschaft auf Fr. 345'775.45. Die güterrechtliche
Auseinandersetzung und die Erbteilung wurden rein rechnerisch durchgeführt,
aber nicht durch Zuweisung von Vermögenswerten vollzogen.

A.c. Am 7. Juni 1996 starb G.________ (Nacherbe), Jahrgang 1916. Gesetzliche
Erben sind seine beiden Söhne C.________ und D.________ (Ersatznacherben).

A.d. Am 4. Dezember 2008 starb F.________ (Vorerbin), Jahrgang 1917.
Gesetzliche Erben sind die Geschwisterkinder H.________ und I.________ sowie
A.________ und B.________. Die Vorerbin hatte mit öffentlicher letztwilliger
Verfügung vom 8. April 2008 ihre Neffen A.________ und B.________ zu gleichen
Teilen als Erben eingesetzt und Vermächtnisse zugewendet. Im ersten Halbjahr
2009 wurden ein Erbschaftsinventar aufgenommen, die Vermächtnisse ausgerichtet
und die Erbschaft geteilt.

A.e. Der Erbvertrag vom 17. Juli 1954 und die letztwillige Verfügung vom 8.
April 2008 wurden den Ersatznacherben des Erblassers nachträglich am 3.
Dezember 2010 amtlich eröffnet. Gegenüber den Erben der Vorerbin hatte die
Eröffnung der letztwilligen Verfügung bereits am 14. Januar 2009 stattgefunden.

B.

B.a. C.________ und D.________ (Kläger) klagten gegen I.________ (Beklagte 1)
und H.________ (Beklagter 2) sowie gegen A.________ (Beklagter 3) und
B.________ (Beklagter 4) auf Auslieferung der Erbschaft.

B.b. Die Kläger und die Beklagten 1 und 2 unterzeichneten am 1. und 8.
September 2011 eine Vereinbarung, wonach die Beklagten 1 und 2 den Anspruch der
Kläger gegen die Erbengemeinschaft der Vorerbin auf Auslieferung des Nacherbes
im Umfang von Fr. 345'775.45 nebst 5 % Zins seit 5. Dezember 2008 anerkennen
und die Kläger sich verpflichten, die Vollstreckung dieser Forderung gegen die
Beklagten 1 und 2 erst im Zeitpunkt und nur insoweit zu verlangen, als den
Beklagten 1 und 2 aufgrund der von ihnen beabsichtigten Erbschaftsklage gegen
die Beklagten 3 und 4 aus dem Nachlass der Vorerbin Fr. 5'000.-- übersteigende
Beträge zufliessen. Mit Klage vom 11. Oktober 2011 begehrten die Kläger, die
zwischen ihnen und den Beklagten 1 und 2 am 1./8. September 2011 abgeschlossene
Vereinbarung gerichtlich zu genehmigen. Das Regionalgericht Bern-Mittelland
genehmigte die Vereinbarung (Dispositiv-Ziff. 1 des Entscheids vom 16. Juni
2014). Der Genehmigungsentscheid ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen.

B.c. Mit Klage vom 11. Oktober 2011 begehrten die Kläger, die Beklagten 3 und 4
seien unter solidarischer Haftbarkeit zu verpflichten, den Klägern aus dem
Nachlassvermögen der Vorerbin deren Erbanteil von Fr. 345'775.45 nebst 5 % Zins
seit 5. Dezember 2008 auszuliefern. Die Beklagten 3 und 4 schlossen auf
Abweisung der Klage, soweit darauf einzutreten sei. Das Regionalgericht
verurteilte die Beklagten 3 und 4, den Klägern unter solidarischer Haftbarkeit
einen Betrag von Fr. 345'775.45 nebst Zins zu 5 % seit 5. Dezember 2008 zu
bezahlen (Dispositiv-Ziff. 2 des Entscheids vom 16. Juni 2014). Die Beklagten 3
und 4 legten dagegen Berufung ein, die das Obergericht des Kantons Bern abwies.
Es verurteilte die Beklagten, den Klägern unter solidarischer Haftbarkeit einen
Betrag von Fr. 345'775.45 nebst Zins zu 5 % seit 5. Dezember 2008 zu bezahlen
(Entscheid vom 24. Juli 2015).

C. 
Mit Eingabe vom 14. September 2015 erneuern die Beklagten 3 und 4 (hiernach:
die Beklagten) vor Bundesgericht ihren Antrag, die Klage abzuweisen, soweit
darauf einzutreten sei. Sie ersuchen, ihrer Beschwerde die aufschiebende
Wirkung zu erteilen. Während das Obergericht auf eine Stellungnahme verzichtet
hat, schliessen die Kläger auf Abweisung des Gesuchs. Der Präsident der II.
zivilrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts hat der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung zuerkannt (Verfügung vom 30. September 2015). Es sind die
kantonalen Akten, in der Sache hingegen keine Vernehmlassungen eingeholt
worden.

Erwägungen:

1. 
Der angefochtene Entscheid betrifft die Auslieferung der Erbschaft durch die
Beklagten als eingesetzte Erben der Vorerbin an die Kläger als Ersatznacherben
des Erblassers (Art. 487 und Art. 488 ff. ZGB) auf Erbschaftsklage hin (Art.
598 ff. ZGB) und damit eine Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG) in einer
vermögensrechtlichen Angelegenheit, deren Streitwert Fr. 345'775.45 beträgt und
die gesetzliche Mindestsumme überschreitet (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG; Urteile
5A_330/2013 vom 24. September 2013 E. 1 und 5A_294/2014 vom 5. Februar 2015 E.
1). Der angefochtene Entscheid ist kantonal letztinstanzlich (Art. 75 BGG),
lautet zum Nachteil der zur Auslieferung der Erbschaft verurteilten Beklagten
(Art. 76 Abs. 1 BGG) und beendet das kantonale Verfahren (Art. 90 BGG). Auf die
- fristgerecht erhobene (Art. 100 Abs. 1 i.V.m. Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG) -
Beschwerde kann eingetreten werden.

2.

2.1. Gemäss Art. 488 Abs. 1 ZGB ist der Erblasser befugt, in seiner Verfügung
den eingesetzten Erben als Vorerben zu verpflichten, die Erbschaft einem andern
als Nacherben auszuliefern. Beide - Vorerbe wie Nacherbe - sind Erben des
Erblassers und erben nacheinander ein und dieselbe Erbschaft. Neben dieser sog.
gewöhnlichen Nacherbeneinsetzung erwähnt das Gesetz (Art. 492a Abs. 1 ZGB) die
von der Rechtsprechung schon früh anerkannte Nacherbeneinsetzung auf den
Überrest. Danach ist der Vorerbe nicht verpflichtet, den Bestand und die
Zusammensetzung der Erbschaft so zu erhalten, dass sie im Zeitpunkt des
Nacherbfalls möglichst unversehrt an den Nacherben ausgeliefert werden kann.
Die Nacherbschaft auf den Überrest berechtigt den Vorerben vielmehr, über die
Erbschaftsgegenstände zu verfügen und das Erbschaftsvermögen anzugreifen. Seine
Auslieferungspflicht beschränkt sich auf das, was beim Nacherbfall noch übrig
ist, und kann sogar entfallen, wenn die geerbten Vermögenswerte inzwischen
vollständig verbraucht worden sind (BGE 100 II 92 S. 94; ausführlich: Urteil
5A_713/2011 vom 2. Februar 2012 E. 4.2, in: ZBGR 94/2013 S. 327 f.).

2.2. Der Erblasser hat seine Ehefrau als Vorerbin seines gesamten
Nachlassvermögens eingesetzt (Ziff. VI) und berechtigt, im Notfall das ihr als
Vorerbin zugefallene Nachlassvermögen anzugreifen (Ziff. VIII des Erbvertrags).
Im kantonalen Verfahren war die Auslegung des Erbvertrags streitig (E. IV/3 S.
11 ff. des angefochtenen Entscheids). Das Obergericht hat festgestellt, dass
der im Erbvertrag vorbehaltene Notfall nicht eingetreten sei (E. III/7 S. 7 und
E. IV/5.6 S. 19). Es ist davon ausgegangen, die Frage, um welche Art von
Nacherbschaft es sich handle, könne offen bleiben, da die Vorerbin noch
genügend Vermögenswerte hinterlassen habe, mit denen der Anspruch der Nacherben
gedeckt werden könne (E. IV/3.6 S. 13 des angefochtenen Entscheids). Die
Beklagten erneuern ihren Einwand nicht, dass eine Zwischenform der gewöhnlichen
Nacherbeneinsetzung und der Nacherbeneinsetzung auf den Überrest aus
erbrechtlicher Sicht unzulässig sei (vgl. zur Bedingung "Notlage": PETER H.
SCHMUKI, Die Nacherbeneinsetzung auf den Überrest, 1982, S. 49 bei/in Anm. 11).

2.3. In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass die Vorerbin nach dem Tod des
Erblassers insgesamt Fr. 1'412'110.80 erhalten hat, davon Fr. 345'775.45 als
Vorerbschaft (Bst. A.b oben). Letzterer Betrag entspricht fünf Achteln des
reinen Nachlassvermögens. Die kantonalen Gerichte (E. IV/4.3 S. 15) haben somit
die Belastung mit der Nacherbeneinsetzung im Umfang des Pflichtteils der
Vorerbin als überlebender Ehefrau von drei Achteln gestrichen (Art. 462 Ziff. 2
i.V.m. Art. 471 Ziff. 3 ZGB und Art. 531 ZGB). Von keiner Partei wird in Frage
gestellt, ob in der vorbehaltlosen gegenseitigen Nacherbeneinsetzung ein
Verzicht eines jeden Ehegatten auf seinen Pflichtteil an der Erbschaft des
anderen zu sehen gewesen wäre (vgl. BGE 95 II 519 E. 4 S. 522).

2.4. Die Vorerbin hat die beiden Beklagten als Erben eingesetzt, Vermächtnisse
ausgerichtet und vollständig über ihre Vermögenswerte letztwillig verfügt (Bst
A.d oben), ungeachtet der Nacherbeneinsetzung der Kläger. Soweit sie deren
Rechte als Ersatznacherben verletzt, ist die letztwillige Verfügung der
Vorerbin nicht rechtsbeständig. Die Nacherben können ihre Rechte an der
Erbschaft mit Klage nach Art. 598 ff. ZGB geltend machen (Urteil 5C.95/2006 vom
26. September 2006 E. 2.3, zit. in: BESSENICH, Basler Kommentar, 2015, N. 7 zu
Art. 491 ZGB, mit Hinweisen).

2.5. Auf die vorstehenden, in der Beschwerde unangefochten gebliebenen Punkte
ist heute nicht zurückzukommen. Das Bundesgericht kann sich darauf beschränken,
den angefochtenen Entscheid einzig aufgrund der Beschwerdebegründung und in
deren Rahmen zu prüfen (BGE 140 III 86 E. 2 S. 88).

3. 
Der Hauptstreitpunkt betrifft die Frage, ob die Auslieferungspflicht der
Vorerbin voraussetzt, dass die mit der Nacherbeneinsetzung belastete Erbschaft
als Sondervermögen vom übrigen Vermögen der Vorerbin ausgeschieden wird.

3.1. Die Pflicht zur Auslieferung der Erbschaft an die Nacherben trifft die
Vorerbin (Art. 488 Abs. 1 und Art. 491 Abs. 2 ZGB). Mangels Regelung im
Erbvertrag ist als Zeitpunkt der Auslieferung der Tod der Vorerbin zu
betrachten (Art. 489 Abs. 1 ZGB). Deren Erben haften für die Erfüllung der
Auslieferungspflicht (Art. 560 Abs. 2 ZGB), und zwar solidarisch (Art. 603 ZGB;
für die vergleichbare Rückleistung nach Beendigung der Nutzniessung: BGE 60 II
172 E. 3 S. 175). Der gegenteilige Standpunkt der Beklagten trifft nicht zu (S.
26 ff. Ziff. 6 der Beschwerdeschrift).

3.2. Der Vorerbe hat den Nacherben die Erbschaft grundsätzlich in natura
auszuliefern (BGE 129 III 113 E. 4.3.2 S. 117). Insoweit bildet die Erbschaft
ein Sondervermögen im Vermögen des Vorerben. Mit dem in allen Fällen der
Nacherbeneinsetzung - von Amtes wegen (BGE 60 II 24 S. 25) - anzuordnenden
Inventar (Art. 490 Abs. 1 ZGB) wird der Umfang der Erbschaft festgestellt und
deren Erhaltung gewährleistet. Das Inventar hat folglich Beweisfunktion für den
Umfang der Auslieferungspflicht im Zeitpunkt des Nacherbfalles (Urteil 5A_294/
2014 vom 5. Februar 2015 E. 4.2.2 mit Hinweisen). Was der Vorerbe seinerzeit
erhalten und den Nacherben grundsätzlich in natura auszuliefern hat, ist
beweisbar. Dass im konkreten Einzelfall gleichwohl Beweisschwierigkeiten
bestehen, kann nicht zu einer Beweiserleichterung führen (BGE 130 III 321 E.
3.2 S. 324), wie sie das Obergericht befürwortet hat. Es genügt deshalb im
Allgemeinen nicht, wenn die Nacherben als Grundlage der Auslieferungspflicht
beweisen, dass Nacherbschaftsvermögen  wertmässig noch vorhanden ist, ohne dass
sie die Zugehörigkeit einzelner Vermögenswerte des Nachlasses der Vorerbin zum
Nacherbschaftsvermögen beweisen müssten (E. IV/4 S. 14 ff. des angefochtenen
Entscheids).

3.3. Der Umkehrschluss der Beklagten, dass bei fehlender Spezifikation des
Sondervermögens der Auslieferungsanspruch entfällt (S. 15 ff. Ziff. 2 und S. 25
f. Ziff. 5 der Beschwerdeschrift), trifft in seiner Allgemeinheit allerdings
ebenso wenig zu.

3.3.1. Besteht die Erbschaft aus verbrauchbaren Sachen, zu denen
sachenrechtlich auch Geld zählt, erwirbt der Vorerbe daran freies und
unbedingtes Eigentum. Im Nacherbfall hat er den Nacherben den Wert der
erhaltenen verbrauchbaren Sachen zu ersetzen (Urteil 5A_294/2014 vom 5. Februar
2015 E. 6.2; BESSENICH, a.a.O., N. 6 Abs. 3 zu Art. 491 ZGB; je mit Hinweisen;
a.A. PAUL EITEL, Die Anwartschaft des Nacherben, 1991, S. 143 ff., soweit es
sich um Geld handelt).

3.3.2. Kraft Surrogation hat der Vorerbe den Nacherben auch auszuliefern, was
er für nicht mehr in natura vorhandene Erbschaftsgegenstände erhalten hat. Der
Auslieferungspflicht im Nacherbfall unterworfen sind deshalb mit Mitteln der
Erbschaft erworbene Sachen wie auch Erlöse aus Verkäufen von
Erbschaftsgegenständen (z.B. Urteil 5C.53/2006 vom 12. April 2007 E. 3.2, 5.4
und 6.2, zit. in: BESSENICH, a.a.O., N. 8 zu Art. 491 ZGB). Entgegen der
Darstellung der Beklagten (S. 17) nimmt das Bundesgericht in seinem letzten
Urteil nicht dingliche, sondern vermögensrechtliche Surrogation an (Urteil
5A_294/2014 vom 5. Februar 2015 E. 6.2 mit Hinweis auf PAUL PIOTET, Transferts
de propriété, expectatives réelles et substitutions fidéicommissaires, 1992, N.
538 S. 131).

3.3.3. In Anwendung der beiden Tatbestände hat das Bundesgericht den Fall
beurteilt, in dem die mit der Nacherbeneinsetzung belastete Erbschaft aus Geld
bestanden hat (Bankguthaben und Ausgleichszahlungen) und in den Händen des
Vorerben geblieben ist, der darüber frei hat verfügen können. Nach dessen Tod
wurden die Erbschaft des Vorerben und die mit der Nacherbeneinsetzung belastete
Erbschaft vermischt und in Unkenntnis bzw. ohne Berücksichtigung der
Nacherbeneinsetzung unter den Erben des Vorerben geteilt. Die mit der
Nacherbeneinsetzung belastete Erbschaft als Sondervermögen war also in der
Erbschaft des Vorerben mitenthalten, ohne dass die zu den jeweiligen Vermögen
zugehörigen Aktiven unterschieden werden konnten. Unter diesen Umständen - hat
das Bundesgericht festgehalten - ist es nicht bundesrechtswidrig, den Nacherben
zu gestatten, sich am Aktivsaldo dieser Erbmasse schadlos zu halten. Das
Sondervermögen hat sich nämlich in der Zeit zwischen dem Tod der Erblasserin
und dem Nacherbfall wahrscheinlich verändert mit der Folge, dass die Erbschaft
des Vorerben so oder anders nicht mehr dieselben Werte enthalten hat, die auf
ihn beim Tod der Erblasserin übergegangen sind. Mit seinem Entscheid, dass die
Nacherben aus den hinterlassenen Werten der Erbschaft des Vorerben oder aus dem
Ergebnis der Verwertung derselben zu entschädigen sind, hat das Obergericht die
Art. 488 ff. ZGB über die Nacherbeneinsetzung somit nicht verletzt (Urteil
5A_294/2014 vom 5. Februar 2015 E. 6.3). Insoweit hat die Auslieferung des
Vorerbes an den Nacherben nicht zwingend in natura zu erfolgen (PETER
BREITSCHMID/ANNASOFIA KAMP, Entwicklungen im Erbrecht, SJZ 112/2016 S. 123, S.
125 bei/in Anm. 20).

4. 
Aufgrund der obergerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen, gegen die keine
ausnahmsweise zulässigen Rügen erhoben und begründet werden (Art. 97 Abs. 1
BGG), ergibt sich Folgendes:

4.1. Nach dem Tod des Erblassers wurde am 27. Februar 1992 ein
Erbschaftsinventar aufgenommen (Bst. A.b). Das Vermögen bestand aus
Liegenschaften, Hausrat und Mobilien, Wertschriften sowie Guthaben (Sparhefte
usw.). Es ging vollumfänglich in das Eigentum der Vorerbin über. Die mit der
Nacherbeneinsetzung belastete Erbschaft wurde rechnerisch ermittelt (Fr.
345'775.45), aber nicht als Sondervermögen ausgeschieden. Gemäss den
obergerichtlichen Feststellungen hat der mit der Inventaraufnahme betraute
Notar zwar eine Erbteilung vorgeschlagen, doch hat der Beklagte 3 dies
abgelehnt (E. III/3 S. 4 f. des angefochtenen Entscheids).

4.2. Nach dem Tod der Vorerbin wurde am 20. Januar 2009 ein Erbschaftsinventar
aufgenommen (Bst. A.d). Von den 1991 in das Eigentum der Vorerbin
übergegangenen, 1992 inventarisierten Vermögensgegenständen und -werten des
Erblassers war nichts mehr vorhanden. Das Vermögen der Vorerbin bestand im
Wesentlichen aus Kontoguthaben und Wertschriften. Es wurde versilbert und der
Erlös an die Vermächtnisnehmer und die Beklagten als eingesetzte Erben bar
ausbezahlt (E. III/6 S. 6 des angefochtenen Entscheids). Im Erbschaftsinventar
hat der mit der Inventaraufnahme betraute Notar in einer eigenen Ziffer
festgehalten, dass ihm kein Erbvertrag vorgelegt worden ist. Das Obergericht
hat daraus geschlossen, dass der Notar die anwesenden beiden Beklagten nach
einem allfälligen Erbvertrag ausdrücklich gefragt hat und ein solcher
wahrheitswidrig verschwiegen wurde, obwohl beide Beklagten um das Bestehen und
den Inhalt des Erbvertrags mit der Nacherbeneinsetzung der Kläger wussten. Das
Obergericht hat die beiden Beklagten insgesamt als bösgläubig bezeichnet (E.
III/8 S. 7 des angefochtenen Entscheids).

4.3. Im Zeitpunkt, in dem die Kläger als Ersatznacherben ihre Ansprüche erhoben
haben, waren die mit der Nacherbeneinsetzung zu ihren Gunsten belastete
Erbschaft ihres Onkels und die Erbschaft ihrer Tante als Vorerbin unauflöslich
vermischt, gegenständlich verändert und von den beiden Beklagten als Erben der
Vorerbin verwertet und verteilt. Die Beklagten haben denn auch bereits in ihrer
Klageantwort (S. 7; act. 83) eingewendet, dass die aus dem Nachlassvermögen der
Vorerbin erhaltenen Vermögenswerte durch (Geld-) Vermischung in ihr Vermögen
übergegangen seien und aus diesem Grund nicht der Auslieferung unterliegen
könnten. Unter diesen Umständen verletzt es kein Bundesrecht, dass das
Obergericht eine reale Ausscheidung der mit der Nacherbeneinsetzung belasteten
Erbschaft als Sondervermögen aus dem übrigen Vermögen der Vorerbin nicht für
notwendig gehalten und die Beklagten verpflichtet hat, dieses Sondervermögen im
Wert von Fr. 345'775.45 den Nacherben unter solidarischer Haftbarkeit
auszuliefern, zumal die aus der Teilung der Erbschaft der Vorerbin den
Beklagten zugefallenen Vermögenswerte dazu ausreichen.

5. 
Die Beklagten wenden ein, zumindest mit Bezug auf die ihnen angerechneten
Darlehen hätte eine Ausscheidung vorgenommen werden können und müssen.
Darlehensforderungen seien Surrogate veräusserter Vermögensgegenstände der
Vorerbin, so dass die klagenden Nacherben die Belastung gerade dieser
Gegenstände mit der Nacherbeneinsetzung hätten beweisen müssen. Eine reale
Ausscheidung mit Zuordnung der Surrogate wäre zwingend gewesen, sei aber nicht
erfolgt (S. 20 ff. Ziff. 3 und 4 der Beschwerdeschrift).

5.1. Die kantonalen Gerichte haben festgestellt, dass die beiden Beklagten aus
der Erbschaft der Vorerbin im Rahmen der Erbteilung insgesamt Fr. 195'578.20
ausbezahlt erhalten haben. Unter dem Titel "Zuweisung Darlehensschuld (Art. 614
ZGB) " hat das Obergericht den Beklagten insgesamt Fr. 975'050.-- angerechnet
(E. III/6 S. 6 des angefochtenen Entscheids). Die Darlehensschuld des Beklagten
3 geht zurück auf den Kauf einer Liegenschaft in U.________ vom 21. Dezember
1994. Die Vorerbin hat diese Liegenschaft, die vormals im Alleineigentum des
Erblassers stand, zum amtlichen Wert von Fr. 735'700.-- an den Beklagten 3
verkauft, wobei der Kaufpreis durch Überbindung der Grundpfandschulden und
durch Umwandlung der Kaufpreisrestanz von Fr. 420'700.-- in ein Darlehen gemäss
separatem Vertrag getilgt wurde. Die Darlehensschulden des Beklagten 4 rühren
zum einem aus dem Kauf einer Liegenschaft in V.________ vom 28. Dezember 1994
her. Die Vorerbin hat diese Liegenschaft, die vormals im Alleineigentum des
Erblassers stand, zum amtlichen Wert von Fr. 284'350.-- an den Beklagten 4
verkauft, wobei der Kaufpreis gemäss separater Vereinbarung bezahlt wurde. Zum
anderen hat die Vorerbin dem Beklagten 4 für seine Firma persönlich ein
Darlehen von Fr. 400'000.-- gewährt, das bis auf Fr. 270'000.-- zurückbezahlt
wurde (E. C/5 S. 9 ff. des erstinstanzlichen Entscheids).

5.2. In tatsächlicher Hinsicht steht unangefochten fest, dass die Beklagten die
als Darlehen erfassten Forderungen der Vorerbin nicht getilgt haben. Näheres
über die besagten Darlehen ist nicht erstellt. Namentlich die separaten
Vereinbarungen wurden nicht beigebracht. Es hilft deshalb nicht weiter, dass
die Beklagten vor Bundesgericht die inzwischen eingetretene Verjährung der
Rückerstattungsansprüche geltend machen (S. 24). Die Verjährung setzte voraus,
dass die Darlehen auf Kündigung der Vorerbin gestellt gewesen und deshalb
innert zehn Jahren und sechs Wochen nach Aushändigung der Darlehenssumme
verjährt wären (Art. 318 i.V.m Art. 130 Abs. 2 OR; BGE 50 II 401 S. 404/405; 91
II 442 E. 5b S. 451/452; Urteil 4A_699/2011 vom 22. Dezember 2011 E. 4). Dass
die Vorerbin die Darlehen auf unbestimmte Dauer gewährt hat, ist indessen nicht
erstellt. Eher ist anzunehmen, dass die Darlehen auf Lebenszeit der Vorerbin
eingeräumt und mit deren Tod fällig wurden. Aufgrund der festgestellten
Darlegungen der Beklagten an der Parteibefragung kann auch nicht ausgeschlossen
werden, dass Darlehen der Vorerbin mit deren Einverständnis vom einen an den
anderen Beklagten weitergegeben, ganz oder teilweise getilgt und erneut gewährt
wurden (S. 11 ff. des erstinstanzlichen Entscheids).

5.3. Unter diesen Umständen ist keine Bundesrechtsverletzung darin zu sehen,
die Darlehensforderungen nicht anders zu behandeln als für zu Lebzeiten der
Vorerbin veräusserte Liegenschaften hingegebene Geldmittel (vgl. S. 23 der
Beschwerdeschrift). Eine abweichende Beurteilung (E. 4.3 oben) rechtfertigt
sich nicht.

6. 
In verfahrensrechtlicher Hinsicht rügen die Beklagten eine Verletzung der
Dispositions- und der Verhandlungsmaxime. Sie machen geltend, die kantonalen
Gerichte hätten auf Schadenersatz erkannt, obwohl von den Klägern die
Auslieferung der Nacherbschaft im Wert von Fr. 345'775.45 begehrt und
Schadenersatz weder behauptet noch begründet worden sei (S. 9 ff. Ziff. 1 der
Beschwerdeschrift).

6.1. Die Darstellung trifft aufgrund der festgestellten Parteivorbringen zu.
Die Beklagten haben bereits gegenüber dem erstinstanzlichen Entscheid eine
Verletzung der beiden Prozessgrundsätze gerügt. Die Kläger haben darauf
geantwortet, sie hätten nicht Schadenersatz verlangt, sondern die Erfüllung der
mit der Nacherbschaft verbundenen Auslieferungspflicht; die Beklagten hätten
nicht einen Schaden zu ersetzen, sondern den Klägern den geltend gemachten, dem
ursprünglichen Wert des Nacherbes entsprechenden Betrag zu bezahlen (E. IV/1.2
S. 8 des angefochtenen Entscheids). Das Obergericht hat den eingeklagten Betrag
gleichwohl als Schadenersatz zuerkannt (E. IV/5.7 S. 19), eine Verletzung der
Dispositionsmaxime dabei aber verneint (E. IV/1.3-1.8 S. 8 f. des angefochtenen
Entscheids).

6.2. Nach dem hiervor Gesagten (E. 2-5) geht es um die Erfüllung der
Auslieferungspflicht im Betrag von Fr. 345'775.45 nebst Zins ab dem Tod der
Vorerbin als massgebendem Zeitpunkt der Auslieferung, wie es die Kläger begehrt
und dargelegt haben. Im Ergebnis ist deshalb keine Verletzung von
Prozessmaximen zu beanstanden.

6.3. Da die Kläger als Ersatznacherben aus der bereits verteilten Erbschaft der
Vorerbin zu entschädigen sind (E. 4-5 oben), verletzt es kein Bundesrecht, dass
das Obergericht die beiden Beklagten als eingesetzte Erben der Vorerbin nicht
zur Auslieferung des eingeklagten Betrags, sondern direkt zu dessen Bezahlung
verurteilt hat. Im Rahmen der Rechtsbegehren haben die Gerichte ein
vollstreckbares Urteil zu fällen (vgl. BGE 137 III 8 E. 3.4.1 S. 14).

7. 
Insgesamt muss die Beschwerde abgewiesen werden, soweit darauf einzutreten ist.
Die Beklagten werden damit kostenpflichtig, hingegen nicht
entschädigungspflichtig, zumal keine Beschwerdeantwort eingeholt und dem Gesuch
um aufschiebende Wirkung entgegen dem Antrag der Kläger entsprochen wurde (Art.
66 Abs. 1 und 5 BGG).

 

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 8'000.-- werden den Beklagten und Beschwerdeführern
unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

3. 
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Zivilabteilung, 2. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. April 2016
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Escher

Der Gerichtsschreiber: von Roten

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