Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.687/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_687/2015

Urteil vom 20. Januar 2016

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Herrmann, Schöbi,
Gerichtsschreiberin Friedli-Bruggmann.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichter im Personen-, Erb- und Sachenrecht,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
unentgeltliche Rechtspflege (vorsorgliche Massnahmen, Erbteilung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Einzelrichter im
Personen-, Erb- und Sachenrecht, vom 6. August 2015.

Sachverhalt:

A. 
Zwischen A.________ (Beschwerdeführerin) und ihrer Schwester und Miterbin
B.________ wird vor dem Kreisgericht Rheintal und den übergeordneten Instanzen
ein langjähriger Erbstreit um das Erbe ihrer Eltern ausgetragen. Im Rahmen des
Hauptverfahrens ersuchte die Beschwerdeführerin um den Erlass vorsorglicher
Massnahmen (Antrag auf sofortige Versteigerung zweier im Nachlass befindlicher
Eigentumswohnungen in U.________ TI bzw. V.________ GR), was mit Entscheid des
Kreisgerichts vom 18. September 2014 abgewiesen wurde. Diesen Entscheid
betreffend vorsorgliche Massnahmen zog die Beschwerdeführerin mit Berufung vom
8. Oktober 2014 an das Kantonsgericht St. Gallen weiter.

B. 
Am 19. Februar 2015 liess die Beschwerdeführerin durch Rechtsanwalt C.________
ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege inkl. Verbeiständung im
Berufungsverfahren betreffend vorsorgliche Massnahmen einreichen. Das
Kantonsgericht St. Gallen wies das Gesuch mit Entscheid vom 6. August 2015
wegen Aussichtslosigkeit der Berufung ab.

C. 
Gegen diesen Entscheid gelangt die Beschwerdeführerin mit Beschwerde vom 5.
September 2015 (Postaufgabe: 7. September 2015) ohne anwaltliche Vertretung an
das Bundesgericht. Sie verlangt, ihr sei im kantonalen Berufungsverfahren die
unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und Rechtsanwalt C.________ als ihr
Rechtsvertreter einzusetzen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht sie
um den Erlass allfälliger Kosten.

D. 
Das Bundesgericht hat die Akten, aber keine Vernehmlassungen eingeholt. Am 28.
Oktober, 23. November und 21. Dezember 2015 reichte die Beschwerdeführerin
unaufgefordert weitere Ausführungen und Unterlagen nach.

Erwägungen:

1.

1.1. Angefochten ist der Entscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75
Abs. 1 BGG), mit welchem die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wurde. Der
die unentgeltliche Rechtspflege abweisende Entscheid ist ein Zwischenentscheid,
der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1
lit. a BGG; BGE 133 V 402 E. 1.2 S. 403). Dass das Kantonsgericht über die
unentgeltliche Rechtspflege nicht auf Rechtsmittel hin, sondern als einzige
Instanz (vgl. Art. 75 BGG) entschieden hat, schadet nicht, da es mit einem
Berufungsverfahren befasst war und den Zwischenentscheid über die
unentgeltliche Rechtspflege in diesem Rahmen gefällt hat (BGE 138 III 41 E. 1.1
S. 42; 137 III 424 E. 2.2 S. 426). Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg
demjenigen der Hauptsache (BGE 137 III 380 E. 1.1 S. 382). In dieser geht es um
vorsorgliche Massnahmen im Rahmen einer Erbstreitigkeit, deren Streitwert
gemäss Angabe der Vorinstanz Fr. 30'000.-- überschreitet, womit die Beschwerde
in Zivilsachen nach Art. 72 ff. BGG gegeben ist. Indes kann nur die Verletzung
verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (beschränkte Beschwerdegründe bei
vorsorglichen Massnahmen gemäss Art. 98 BGG; vgl. BGE 133 III 589 E. 2 S. 591
f.).

1.2. Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde, soweit die Beschwerdeführerin
direkt den Entscheid betreffend vorsorgliche Massnahmen der ersten Instanz in
inhaltlicher Weise anficht. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nur die
unentgeltliche Rechtspflege. Ebenfalls nicht eingetreten werden kann auf das
Rechtsbegehren 2, welches nicht die unentgeltliche Rechtspflege, sondern das
Berufungsverfahren in der Sache betrifft, und auf das Rechtsbegehren 3, soweit
die Beschwerdeführerin beantragt, die Kosten seien ihrer Miterbin aufzuerlegen.
Letztere ist nicht Partei des Verfahrens um unentgeltliche Rechtspflege. Die
nachträglichen Eingaben vom 28. Oktober, 23. November und 21. Dezember 2015
können infolge Fristablaufs (Art. 100 Abs. 1 BGG) nicht berücksichtigt werden.

2. 
Eine Verfassungsrüge muss in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet
werden (sog. Rügeprinzip, Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 135 III 127 E. 1.6 S.
130; 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254; je mit Hinweisen). Es muss klar und
detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids dargelegt
werden, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE
133 III 393 E. 6 S. 397 mit Hinweis). Wird eine Verletzung des Willkürverbots -
einschliesslich der Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung (BGE 133 II 249 E.
1.4.3 S. 254 f.) - geltend gemacht, muss im Einzelnen aufgezeigt werden, in
welcher Hinsicht der Entscheid an einem qualifizierten und offensichtlichen
Mangel leidet (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246 mit Hinweis). Auf rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid ist nicht einzutreten (BGE
133 II 396 E. 3.1 S. 399; 133 III 589 E. 2 S. 591 f.).

3. 
Die nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin rügt zumindest sinngemäss
eine Verletzung ihres verfassungsmässigen Anspruchs auf unentgeltliche
Rechtspflege. Eine Person hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn
sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und ihr Rechtsbegehren nicht
aussichtslos erscheint (Art. 29 Abs. 3 BV).
Vorliegend war die Voraussetzung der fehlenden Aussichtslosigkeit strittig. Ob
im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund
einer vorläufigen und summarischen Prüfung der Prozessaussichten, wobei die
Verhältnisse im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs massgebend sind (BGE 138
III 217 E. 2.2.4 S. 218 in fine; 133 III 614 E. 5 S. 616). Als aussichtslos
sind demnach Begehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich
geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft
bezeichnet werden können. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen
Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen
würde. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr
nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet
(BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218; 133 III 614 E. 5 S. 616; je mit Hinweisen).

4. 
Die Frage der Prozessaussichten ist anhand der konkret von der
Beschwerdeführerin gestellten Berufungsanträge und ihren gegen die Erwägungen
der Vorinstanz erhobenen Rügen zu prüfen.

4.1. In ihrer Berufung vom 8. Oktober 2014 verlangte die Beschwerdeführerin,
die Liegenschaften U.________ und V.________ seien "gemäss Art. 612 / 2 & 3 ZGB
(...) vorsorglich und aufgrund der Dringlichkeit so schnell als möglich" anhand
beigelegter Steigerungsbedingungen unter den Erbinnen zu versteigern (vgl. auch
Sachverhalt lit. A). Bezüglich V.________ sei eventualiter die freiwillige
öffentliche amtliche Versteigerung anzuordnen. Die Kosten seien dem
Erbteilungsprozess zuzuschlagen resp. alle Kosten der Miterbin aufzuerlegen.

4.2. Bereits das Kreisgericht Rheintal wies das Massnahmegesuch ab, weil für
die von der Beschwerdeführerin verlangten vorsorglichen Massnahmen eine
gesetzliche Grundlage fehle, wolle sie doch nicht einen bestehenden Zustand
erhalten, sondern subjektive Privatrechte schon während des laufenden
Verfahrens zu- bzw. aberkennen. Sie könne sich hierzu weder auf Art. 612 Abs. 2
und 3 ZGB noch auf kantonales Recht stützen.
Die Vorinstanz bestätigte dies nach der summarischen Prüfung (E. 3) im
Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege. Sie wies die Beschwerdeführerin im
angefochtenen Urteil darauf hin, dass die Art. 610 und 612 ZGB, auf welche sich
die Beschwerdeführerin stütze, die Durchführung der Erbteilung regeln würden,
aber keine gesetzliche Grundlage für den Erlass von vorsorglichen Massnahmen
bilden könnten.

4.3. Die Beschwerdeführerin übersieht in der Tat, dass ihr Ersuchen, die beiden
Liegenschaften seien in Anwendung von Art. 612 Abs. 2 oder Abs. 3 ZGB zu
versteigern, nicht Gegenstand eines Massnahmeverfahrens sein kann. Vorsorgliche
Massnahmen dienen definitionsgemäss dazu, einer Partei einstweiligen
Rechtsschutz zu gewähren, bis ein gerichtliches Endurteil vorliegt resp.
gefällt werden kann; ein bereits laufender oder anstehender Hauptprozess darf
dadurch indes nicht präjudiziert werden (vgl. LUCIUS HUBER, in: Sutter-Somm/
Hasenböhler/ Leuenberger, Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2.
Aufl. 2013, N. 1 zu Art. 261 ZPO; ANDREAS GÜNGERICH, in: Berner Kommentar zur
ZPO, 2012, N. 1-3 zu Art. 261 ZPO).
Bei Art. 612 ZGB handelt es sich demgegenüber um Teilungsvorschriften des
Erbrechts, mit deren Anwendung definitiv über das rechtliche Schicksal der
Liegenschaften entschieden würde. Die von der Beschwerdeführerin angerufenen
Absätze 2 und 3 kommen dabei nur in Anknüpfung an Art. 612 Abs. 1 ZGB zum Zug,
d.h. wenn die Erbschaftssache durch Teilung in mehrere Lose an Wert verlieren
würde, aber nicht in einem einzigen Los untergebracht werden kann (BGE 137 III
8 E. 2.1 und E. 2.2 S. 10 mit Hinweisen; vgl. auch ausführlich STEPHAN WOLF/
MARTIN EGGEL, Berner Kommentar, Die Teilung der Erbschaft, 2014, N. 33 ff. zu
Art. 612 ZGB). Es liegt grundsätzlich am zuständigen Teilungsgericht zu
entscheiden, ob die notwendigen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Diese
gesetzlich geregelten Verfahren und Zuständigkeiten kann die Beschwerdeführerin
nicht auf dem Wege vorsorglicher Massnahmen beschleunigen resp. umgehen. Die
Beschwerdeführerin muss ihre Begehren im hängigen Hauptprozess stellen.

4.4. Vor diesem Hintergrund brauchen die weiteren Gründe, weshalb die
Vorinstanz die Berufung als aussichtslos bezeichnet hat, nicht weiter geprüft
zu werden. Die Vorinstanz hat die Verfassung nicht verletzt, wenn sie das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen hat.

5. 
Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art.
66 Abs. 1 BGG). Ihrem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
für das bundesgerichtliche Verfahren kann nicht entsprochen werden, zeigen doch
die vorstehenden Erwägungen auf, dass die Beschwerde von Beginn weg keinen
Erfolg haben konnte (Art. 64 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 400.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. Januar 2016
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Die Gerichtsschreiberin: Friedli-Bruggmann

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