Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.672/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_672/2015

Urteil vom 2. September 2016

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichterin Escher,
Bundesrichter Marazzi, Schöbi, Bovey,
Gerichtsschreiber Monn.

Verfahrensbeteiligte
A.________ Limited,
vertreten durch Rechtsanwalt Olivier Vuillaume,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________ AG (vormals C.________ AG bzw. GmbH),
vertreten durch Rechtsanwalt Bruno Schelbert,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Definitive Rechtsöffnung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Zug, II. Beschwerdeabteilung,
vom 30. Juni 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die Gesellschaft A.________ Limited ist in U.________ (Vereinigte Arabische
Emirate) domiziliert. Sie will gegen die Schweizer Gesellschaft B.________ AG
auf dem Betreibungsweg Forderungen von Fr. 106'745.65 (US-Dollar 117'737.64 zum
Kurs von Fr. 0.90664) nebst Zins zu 15 % seit 16. April 2014 und von Fr.
52'105.81 (US-Dollar 57'471.33 zum Kurs von Fr. 0.90664) durchsetzen. Die
Gläubigerin stützt sich auf ein Säumnisurteil aus den Vereinigten Arabischen
Emiraten. Am 16. April 2014 hatte das erstinstanzliche Gericht des Dubai
International Financial Centre (nachfolgend DIFC-Gericht) die Schuldnerin zu
den erwähnten Geldzahlungen verurteilt.

B. 
A.________ Limited leitete am 8. August 2014 beim Betreibungsamt Zug die
Zwangsvollstreckung ein (Betreibung Nr. xxx). Der Zahlungsbefehl wurde der
B.________ AG am 28. August 2014 zugestellt. Die Betriebene erhob gleichentags
Rechtsvorschlag. Am 19. September 2014 ersuchte A.________ Limited den
Einzelrichter am Kantonsgericht Zug darum, das Urteil des DIFC-Gerichts (Bst.
A) zu anerkennen und für vollstreckbar zu erklären und in der Betreibung die
definitive Rechtsöffnung zu erteilen. Der Einzelrichter entsprach diesen
Begehren mit Entscheid vom 23. Januar 2015.

C. 
Die B.________ AG erhob Beschwerde beim Obergericht des Kantons Zug. Dieses
hiess das Rechtsmittel gut. Es verweigerte A.________ Limited sowohl die
Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des ausländischen Urteils als auch die
definitive Rechtsöffnung (Urteil vom 30. Juni 2015).

D. 
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 2. September 2015 wendet sich A.________
Limited (Beschwerdeführerin) an das Bundesgericht. Sie beantragt, das
obergerichtliche Urteil aufzuheben, das Urteil des DIFC-Gerichts zu anerkennen
und für vollstreckbar zu erklären und ihr in der Betreibung Nr. xxx des
Betreibungsamts Zug die definitive Rechtsöffnung zu erteilen.

E. 
Eingeladen, zur Beschwerde Stellung zu nehmen, stellt die B.________ AG
(Beschwerdegegnerin) das Begehren, die Beschwerde abzuweisen, das Urteil des
DIFC-Gerichts (Bst. A) nicht anzuerkennen und nicht für vollstreckbar zu
erklären und in der Betreibung Nr. xxx des Betreibungsamts Zug die definitive
Rechtsöffnung nicht zu erteilen (Eingabe vom 16. März 2016). Das Obergericht
des Kantons Zug beantragt mit Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen
Entscheid, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann
(Schreiben vom 28. Januar 2016). Am 31. März 2016 reagierte die
Beschwerdeführerin darauf mit einer Replik, in der sie an ihren Anträgen
festhält. Die Eingabe wurde der Beschwerdegegnerin zur Wahrung des rechtlichen
Gehörs zur Kenntnis gebracht.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde richtet sich gegen den Endentscheid einer letzten kantonalen
Instanz in einer vermögensrechtlichen Schuldbetreibungs- und Konkurssache (Art.
72 Abs. 2 Bst. a, 75, 90 BGG). Die gesetzliche Streitwertgrenze von Fr.
30'000.-- (Art. 74 Abs. 1 Bst. b BGG) ist erreicht. Die Beschwerdefrist (Art.
100 i.V.m. 46 Abs. 1 Bst. b BGG) ist eingehalten. Nach entsprechender
Aufforderung weist sich der Anwalt der Beschwerdeführerin als Parteivertreter
aus (Art. 40 Abs. 2 BGG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2. 
Im ordentlichen Beschwerdeverfahren sind vor Bundesgericht in rechtlicher
Hinsicht alle Rügen gemäss Art. 95 f. BGG zulässig. Unter Vorbehalt der
Verletzung verfassungsmässiger Rechte wendet das Bundesgericht das Recht in
diesem Bereich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es kann eine
Beschwerde daher auch aus andern als den geltend gemachten Gründen gutheissen
oder den Entscheid mit einer Begründung bestätigen, die von jener der
Vorinstanz abweicht (BGE 136 III 247 E. 4 S. 252; 132 II 257 E. 2.5 S. 262).
Demgegenüber ist das Bundesgericht grundsätzlich an den Sachverhalt gebunden,
den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG).

3. 
Streitig ist (als Vorfrage im Rechtsöffnungsprozess) die Anerkennung und
Vollstreckbarerklärung des Urteils des DIFC-Gerichts vom 16. April 2014 (s.
Sachverhalt Bst. A). Da s Obergericht lässt ausdrücklich offen, ob es sich beim
DIFC-Gericht um ein staatliches Gericht handelt und sich die Anerkennung und
Vollstreckbarerklärung nach Art. 25 ff. des Bundesgesetzes über das
Internationale Privatrecht vom 18. Dezember 1987 (IPRG; SR 291) richtet, oder
ob das DIFC-Gericht - wie die Beschwerdegegnerin in ihrer kantonalen Beschwerde
geltend macht - ein Schiedsgericht ist und deshalb für die Anerkennung und
Vollstreckbarerklärung gemäss Art. 194 IPRG das New Yorker Übereinkommen über
die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni
1958 ("NYÜ"; SR 0.277.12) anwendbar ist. Das Obergericht argumentiert, selbst
wenn das DIFC-Gericht ein staatliches Gericht wäre, seien die Voraussetzungen
zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des Urteils vom 16. April 2014 nicht
gegeben, weil die in Art. 27 Abs. 2 Bst. a IPRG (SR 291) verankerte Garantie
der gehörigen Ladung verletzt sei.

4. 
Die geschilderte Art und Weise, wie das Obergericht die Frage nach der
Rechtsnatur des DIFC-Gerichts und - im Anschluss daran - diejenige nach den auf
die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung anwendbaren Vorschriften offenlässt,
vermag nicht zu überzeugen.

4.1. Würde sich auch das Bundesgericht auf die Prüfung der Frage beschränken,
ob die Beschwerdegegnerin im Sinne von Art. 27 Abs. 2 Bst. a IPRG gehörig
geladen wurde, bestünde unabhängig vom Ergebnis dieser Prüfung die Möglichkeit,
dass in Tat und Wahrheit das NYÜ anwendbar ist und dessen Anwendung zum
gegenteiligen Ergebnis führt. Müsste das Urteil des DIFC-Gerichts als Entscheid
eines staatlichen Gerichts gelten und käme das Bundesgericht unter dieser
Annahme - anders als das Obergericht - zum Schluss, dass Art. 27 Abs. 2 Bst. a
IPRG der Anerkennung und Vollstreckung des Urteils des DIFC-Gerichts nicht im
Weg stünde, so bliebe immer noch die Möglichkeit, dass das Urteil, falls es in
der Schweiz als Schiedsspruch anzusehen wäre, nach den Regeln des NYÜ nicht
anerkannt und vollstreckbar erklärt werden könnte. Diese Überlegungen zeigen,
dass die Frage nach den anwendbaren Vorschriften nicht nur streitig, sondern
für den Ausgang des Verfahrens sehr wohl von Bedeutung ist. Das Obergericht
durfte diese Frage deshalb nicht offenlassen.

4.2. Gewiss macht die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht nicht geltend, das
DIFC-Gericht sei ein Schiedsgericht und dessen Urteil vom 16. April 2014 müsse
nach Massgabe des NYÜ anerkannt und vollstreckbar erklärt werden. Ihre
Vorbringen drehen sich ausschliesslich um die Voraussetzungen der Anerkennung
und Vollstreckbarerklärung nach Art. 27 Abs. 2 Bst. a IPRG. Vielmehr ist es die
Beschwerdegegnerin, die auch im hiesigen Beschwerdeverfahren argumentiert, dass
das DIFC-Gericht "kein ordentliches staatliches Gericht darstellt", das NYÜ "in
casu massgebend ist" und das Schiedsgerichtsurteil des DIFC-Gerichts
vorschriftswidrig nie einem ordentlichen Gericht in Dubai vorgelegt wurde. Zwar
teilt die Beschwerdegegnerin die vorinstanzliche Einschätzung, wonach
offenbleiben kann, ob das DIFC-Gericht ein staatliches Gericht oder ein
Schiedsgericht ist und - abhängig davon - nach welchen Regeln sich die
Anerkennung und Vollstreckung des ausländischen Richterspruchs in der Schweiz
richtet. Dieser Beurteilung könnte das Bundesgericht nur dann beipflichten,
wenn dem streitigen Urteil aus Dubai tatsächlich in beiden Fällen dasselbe
Schicksal beschieden wäre. Diesen Schluss lässt der angefochtene Entscheid aber
gerade nicht zu (s. E. 4.1).

4.3. Nun wendet das Bundesgericht das Recht - auch das Völkerrecht (Art. 95
Bst. b BGG) - zwar von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es könnte deshalb
auch der Frage nachgehen, ob Art. 25 ff. IPRG oder die Vorschriften des NYÜ
anwendbar sind und ob das ausländische Urteil nach den einschlägigen
Vorschriften in der Schweiz anerkannt und vollstreckbar erklärt werden kann
oder nicht. Entsprechend könnte das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid
mit einer Ersatzbegründung schützen oder reformatorisch im Sinne der
Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin (s. Sachverhalt Bst. D) entscheiden (Art.
107 Abs. 2 BGG). Allerdings würde eine solche rechtliche Prüfung entsprechende
tatsächliche Feststellungen voraussetzen, namentlich Erkenntnisse zur Frage,
wie es zum Urteil des DIFC-Gerichts vom 14. April 2014 gekommen ist, und vor
allem auch Angaben darüber, ob das Urteil dem Rechtsöffnungsrichter - entgegen
den Einwendungen der Beschwerdegegnerin im erstinstanzlichen Verfahren - unter
Einhaltung der verschiedenen Formalien gemäss Art. IV NYÜ vorgelegt wurde (Art.
105 Abs. 1 BGG). Solche Feststellungen lassen sich dem angefochtenen Entscheid
nicht entnehmen. Die Sache ist deshalb zu neuem Entscheid an das Obergericht
zurückzuweisen, damit es zunächst die streitige Frage entscheidet, nach welchen
Vorschriften die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des besagten Urteils zu
beurteilen ist, und gestützt darauf das Rechtsöffnungsgesuch beurteilt.

4.4. Ist nach dem Gesagten noch ungewiss, ob dem Urteil des DIFC-Gerichts vom
14. April 2014 nach den Regeln des NYÜ die Anerkennung und Vollstreckung zu
versagen wäre, braucht das Bundesgericht nicht zu erörtern, ob es vor
Bundesrecht standhält, wenn das Obergericht die in Art. 27 Abs. 2 Bst. a IPRG
verankerte Garantie der gehörigen Ladung für verletzt hält. Entsprechend
erübrigt es sich, auf die diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführerin
einzugehen.

5. 
Bei diesem Ausgang ist die Beschwerde gutzuheissen. Die Beschwerdegegnerin hat
als unterliegende Partei für die Gerichtskosten aufzukommen und der
Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1,
Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug,
II. Beschwerdeabteilung, vom 30. Juni 2015, wird aufgehoben. Die Sache wird im
Sinne der Erwägungen zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, II.
Beschwerdeabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. September 2016
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Monn

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