Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.586/2015
Zurück zum Index II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2015
Retour à l'indice II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2015


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_586/2015

Urteil vom 28. September 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Gerichtsschreiber Möckli.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Denise Wettstein,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Wüthrich,
Beschwerdegegner,

C.________,
vertreten durch Fürsprecherin Sabine Schmutz.

Gegenstand
Rückführung eines Kindes,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, 2.
Zivilkammer, vom 16. Juli 2015.

Sachverhalt:

A. 
B.________ (amerikanischer Staatsangehöriger) und A.________ (schweizerische
und australische Staatsangehörige) lebten von 2006 bis 2011 zusammen in den
USA. Am 11. Juni 2008 kam ihr gemeinsamer Sohn C.________ zur Welt, welcher die
amerikanische und schweizerische Staatsbürgerschaft besitzt.

 Im Jahr 2012 haben sich die Eltern getrennt. Für die Regelung des
Aufenthaltsbestimmungs- sowie des Besuchs- und Kontaktrechts haben sie am 5.
August 2013 einen "parenting plan" unterzeichnet, welcher vom Superior Court of
Washington County genehmigt wurde. Die Vereinbarung sah u.a. vor, dass
C.________ während vier Tagen von der Mutter und während drei Tagen vom Vater
betreut werde. Sodann wurde eine Umzugsverbotsklausel stipuliert.

B. 
Am 12. Januar 2015 reichte die Mutter beim zuständigen amerikanischen Gericht
eine "notice of intended relocation of children" ein und kündigte einen
geplanten Umzug in die Schweiz an. Der Vater erhob Einspruch.

 Im Februar 2015 organisierte die Mutter die heimliche Ausreise, indem sie
einen als Ferienreise getarnten Flug nach Costa Rica buchte und vom Vater
vorgängig die Zustimmung zu einem dortigen Ferienaufenthalt einholte. Von Costa
Rica flog sie indes nicht zurück in die USA, sondern weiter in die Schweiz, wo
sie am 24. Februar 2015 mit C.________ eintraf.

 Der Vater gelangte am 26. Februar 2015 an die amerikanische Zentralbehörde für
Kindesentführungen und stellte am 31. März 2015 beim Obergericht des Kantons
Bern einen Antrag auf Rückführung von C.________.

 Mit Urteil vom 16. Juli 2015 ordnete das Obergericht des Kantons Bern nach
eingehender Prüfung der Rückführungsvoraussetzungen und Ausschlussgründe
gestützt auf das Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ, SR 0.211.230.2)
die Rückführung von C.________ an, indem es die Mutter verpflichtete, den Sohn
innert 10 Tagen dem Vater an einem vom Kantonalen Jugendamt als Vollzugsbehörde
zu bezeichnenden Ort im Kanton Bern zu übergeben.

C. 
Gegen diesen Entscheid hat die Mutter am 27. Juli 2015 eine Beschwerde in
Zivilsachen erhoben mit dem Begehren um dessen Aufhebung und Abweisung des
Rückführungsgesuches; ferner hat sie ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
gestellt. Mit Vernehmlassung vom 7. August 2015 verlangte der Vater die
Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Kindesvertreterin
beantragte in ihrer Vernehmlassung vom 24. August 2015 die Gutheissung der
Beschwerde und die Abweisung des Rückführungsgesuches.

 In der Folge gelang den Parteien eine umfassende Einigung über sämtliche
Kinderbelange, welche am 9. September 2015 von der Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörde (KESB) U.________ genehmigt wurde. Gestützt darauf
ersuchten die Parteien mit Eingaben vom 21. bzw. 22. September 2015, das
bundesgerichtliche Verfahren wegen Gegenstandslosigkeit abzuschreiben und die
notwendigen Verfügungen zu erlassen (Herausgabe der Pässe, Löschung des RIPOL-
und ISA-Eintrages, Aufhebung der Bewegungsbeschränkung).

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht ist die zuständige Rechtsmittelbehörde gegen den vom
Obergericht des Kantons Bern als einzige kantonale Instanz (Art. 7 Abs. 1
BG-KKE, SR 211.222.32) gefällten Rückführungsentscheid (Art. 72 Abs. 2 lit. b
Ziff. 1 BGG, SR 173.110; BGE 133 III 584).

 Der Abteilungspräsident leitet als Instruktionsrichter das Verfahren (Art. 32
Abs. 1 BGG) und er ist als Einzelrichter für die Abschreibung des Verfahrens
infolge Gegenstandslosigkeit zuständig (Art. 32 Abs. 2 BGG).

 Weil das Bundesgericht grundsätzlich reformatorisch entscheidet (vgl. Art. 107
Abs. 2 BGG), ist es befugt, die vom Obergericht verfügten vorsorglichen
Sicherungsmassnahmen antragsgemäss selbst aufzuheben, so dass sich eine
diesbezügliche Rückweisung an das Obergericht erübrigt.

2. 
Die Eltern haben sich über die Kindesbelange umfassend und abschliessend
einigen können (Anerkennung des aktuellen faktischen Wohnsitzes des Kindes in
der Schweiz; gemeinsame elterliche Sorge über das Kind, welches unter die
alleinige Obhut der Mutter gestellt wird; Zustimmungsbedürftigkeit für eine
Wohnsitzveränderung, mit welcher ein Schulwechsel verbunden ist; Regelung der
AHV-Erziehungsgutschriften; detaillierte Regelung der Kontaktrechte
[Skype-Zeiten; ausgedehntes Ferienrecht, insb. gesamte Frühlingsferien, gesamte
Sommerferien, abwechslungsweise gesamte Winterferien; Besuchsmöglichkeiten in
der Schweiz; Regelung der Reisemodalitäten bei der Ausübung des Ferienrechts];
Beantragung der Errichtung einer Beistandschaft; Regelung des Kinderunterhalts,
unter Berücksichtigung der Kosten für die Ausübung der Kontaktrechte; Regelung
bezüglich der zu stellenden Anträge für die in den USA und in der Schweiz
hängigen Verfahren).

 Die KESB hat die zwischen den Eltern getroffene Vereinbarung mit Entscheid vom
9. September 2015 genehmigt. Die Vereinbarung und die behördliche Genehmigung
liegen dem Bundesgericht vor. Gestützt hierauf halten beide Parteien fest, dass
die Rückführung des Kindes hinfällig ist und sie beantragen dem Bundesgericht
die Abschreibung des hängigen Rückführungsverfahrens infolge
Gegenstandslosigkeit, unter Aufhebung der vorsorglichen Massnahmen.

3. 
Es ist festzustellen, dass aufgrund der von den Eltern getroffenen und von der
KESB als zuständiger Behörde genehmigten Vereinbarung die in Ziff. 1 und 2 des
obergerichtlichen Entscheides vom 16. Juli 2015 angeordnete Rückführung des
Kindes C.________ bzw. die materielle Beurteilung der hiergegen erhobenen
Beschwerde in Zivilsachen hinfällig geworden ist. Das Verfahren 5A_586/2015 vor
Bundesgericht ist demzufolge als gegenstandslos abzuschreiben.

 Das Obergericht des Kantons Bern hat mit Verfügung vom 1. April 2015 folgende
vorsorglichen Massnahmen getroffen, welche ebenfalls hinfällig bzw. aufzuheben
sind:

- Der Einzug der Reisepässe und Identitätskarten von Mutter und Kind durch das
Polizeikommando Bern. Die betreffenden Ausweise befinden sich derzeit beim
Obergericht des Kantons Bern. Sie sind der Mutter auf dem von ihr gewünschten
Weg (postalische Zusendung; persönliche Abholung) herauszugeben.
- Die bei der kantonalen Passbehörde angeordnete Schriftensperre im
"Informationssystem Ausweisschriften (ISA) " ist zu löschen.
- Die beim Polizeikommando angeordnete "Ausschreibung zur Verhinderung einer
internationalen Kindesentführung" (Art. 15 Abs. 1 lit. i BPI, SR 361) ist zu
löschen.
- Die angeordneten Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit sind vollumfänglich
aufzuheben.

4. 
Im bundesgerichtlichen Rückführungsverfahren werden keine Gerichtskosten
erhoben und die Rechtsvertreter der Beteiligten werden aus der
Bundesgerichtskasse entschädigt (Art. 26 Abs. 2 HKÜ i.V.m. Art. 14 BG-KKE). Das
Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege ist insofern
gegenstandslos. Die Kindesvertreterin hat ihre Kostennote bereits eingereicht.
Die Honorare der Rechtsanwälte der Beschwerdeführerin und des Beschwerdegegners
werden nach Eingang mit separater Verfügung bestimmt.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Es wird festgestellt, dass die Rückführung von C.________ in die USA aufgrund
der zwischen den Eltern getroffenen und von der KESB U.________ genehmigten
Vereinbarung hinfällig ist.

 Gestützt auf diese Vereinbarung wird das Verfahren 5A_586/2015 als
gegenstandslos abgeschrieben.

2. 
Die mit Verfügung des Obergerichts des Kantons Bern vom 1. April 2015
getroffenen vorsorglichen Massnahmen werden durch folgende Anordnungen
aufgehoben:
a) Es gelten keine Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit für C.________.
b) Das Polizeikommando des Kantons Bern wird angewiesen, die in Bezug auf die
Mutter A.________ und das Kind C.________ im Fahndungssystem RIPOL eingetragene
"Ausschreibung zur Verhinderung einer internationalen Kindesentführung" im Sinn
von Art. 15 Abs. 1 lit. i BPI zu löschen.
c) Die Passbehörde des Kantons Bern wird angewiesen, die in Bezug auf die
Mutter A.________ und das Kind C.________ im "Informationssystem
Ausweisschriften (ISA) " eingetragene Schriftensperre zu löschen.
d) Das Obergericht des Kantons Bern wird angewiesen, der Beschwerdeführerin
sämtliche hinterlegten Reisepässe und Identitätskarten auf dem von dieser
bezeichneten Weg herauszugeben.

3. 
Fürsprecherin Sabine Schmutz wird als Kindesvertreterin für das
bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 2'312.50
entschädigt.

 Die Festsetzung der Entschädigungen der Parteianwälte erfolgt nach Eingang von
deren Kostennoten mit separater Verfügung.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, C.________, dem Obergericht des Kantons Bern,
2. Zivilkammer, der KESB U.________, dem Jugendamt des Kantons Bern und dem
Bundesamt für Justiz, Zentralbehörde für Kindesentführungen, schriftlich
mitgeteilt.

 Das Rubrum und das Dispositiv dieses Urteils werden dem Polizeikommando des
Kantons Bern, Innendienst, und dem Ausweiszentrum Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. September 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Möckli

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben