Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.577/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_577/2015

Urteil vom 4. August 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Herrmann, Schöbi,
Gerichtsschreiber Zbinden.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Bern.

Gegenstand
Fürsorgerische Unterbringung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Bern, Zivilabteilung, Kindes- und Erwachsenenschutzgericht, vom 24.
Juni 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ befindet sich seit dem Jahr 2008 im Rahmen einer fürsorgerischen
Unterbringung gestützt auf Art. 426 Abs. 1 ZGB im Wohnheim U.________. Grund
für die Zurückbehaltung ist eine Schizophrenie mit stabilem Residuum sowie ein
Diabetes mellitus des Typs 2 und einem damit einhergehenden Ulkus am linken
Fuss.

B. 
Am 3. Juni 2015 wies die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Bern ein
Entlassungsgesuch der Betroffenen ab. Das Obergericht des Kantons Bern, Kindes-
und Erwachsenenschutzgericht, gab am 24. Juni 2015 der von der Betroffenen
gegen den Entscheid der KESB eingereichten Beschwerde nicht statt.

C. 
Die Betroffene (Beschwerdeführerin) hat am 21. Juli 2015 (Postaufgabe) beim
Bundesgericht gegen den Entscheid des Obergerichts Beschwerde in Zivilsachen
erhoben. Sie ersucht um Entlassung aus der fürsorgerischen Unterbringung. Es
sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Erwägungen:

1. 

1.1. Der Endentscheid eines oberen kantonalen Gerichts in seiner Eigenschaft
als Rechtsmittelinstanz betreffend fürsorgerische Unterbringung kann mit
Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht angefochten werden (Art. 75, 90,
72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG).

1.2. In der Beschwerde ist in Auseinandersetzung mit den Erwägungen des
angefochtenen Entscheids darzulegen, welche Rechte der Beschwerde führenden
Partei durch das kantonale Gericht verletzt worden sind (Art. 42 Abs. 2 BGG;
BGE 134 II 244 E. 2.1 S. 245), wobei eine allfällige Verletzung
verfassungsmässiger Rechte vom Bundesgericht nicht von Amtes wegen geprüft
wird, sondern nur dann, wenn solche Rügen in der Beschwerdeschrift ausdrücklich
erhoben und begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 II 305 E. 3.3 S.
310; 135 III 232 E. 1.2 S. 234). Wird eine Sachverhaltsfeststellung
beanstandet, muss in der Beschwerdeschrift dargelegt werden, inwiefern diese
Feststellung willkürlich oder durch eine andere Rechtsverletzung im Sinn von
Art. 95 BGG (z.B. Art. 29 Abs. 2 BV oder Art. 8 ZGB) zustande gekommen ist
(vgl. BGE 133 II 249 E. 1.2.2 und 1.4.3 S. 255) und inwiefern die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
in fine BGG; BGE 135 I 19 E. 2.2.2 S. 22). Auf rein appellatorische Kritik am
Sachverhalt tritt das Bundesgericht nicht ein. Die Beschwerde vermag den
Anforderungen über weite Strecken nicht zu entsprechen.

2. 
Die Beschwerdeführerin beklagt sich darüber, dass sie im Wohnheim mit geistig
behinderten Menschen zusammenleben muss, und macht zudem im Wesentlichen
geltend, sie sei nicht krank und nicht schizophren; bei ihr bestehe weder eine
akute Eigen- bzw. Fremdgefährdung noch sei sie verwahrlost. Die Ausführungen im
Gutachten seien falsch und hätten keinen Bezug zur Realität. Aus dem Gutachten
gehe zudem hervor, dass keine schwerwiegenden kognitiven Defizite und
Verhaltensauffälligkeiten im Sinne einer psychischen Störung zu verzeichnen
seien. Allein die Tatsache, dass sie selbst eine Beschwerdeschrift verfassen
und begründen könne, spreche gegen eine Hilfsbedürftigkeit.

2.1. Nach Art. 426 Abs. 1 ZGB darf eine Person, die an einer psychischen
Störung oder an geistiger Behinderung leidet oder schwer verwahrlost ist, in
einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung
oder Betreuung nicht anders erfolgen kann. Erste gesetzliche Voraussetzung für
eine Anordnung der Massnahme ist einer der drei abschliessend genannten
Schwächezustände: psychische Störung, geistige Behinderung oder schwere
Verwahrlosung. Erforderlich ist sodann eine durch den Schwächezustand
begründete Notwendigkeit der Behandlung bzw. Betreuung ("nötige Behandlung oder
Betreuung"; "l'assistance ou le traitement nécessaires" "le cure o l'assistenza
necessarie"). Weitere Voraussetzung bildet, dass der Person die nötige
Behandlung oder Betreuung nicht auf andere Weise als durch die Einweisung in
eine Einrichtung bzw. die dortige Zurückbehaltung gewährt werden kann.
Gesetzlich verlangt ist schliesslich eine geeignete Einrichtung. Bei der
Beurteilung der Voraussetzungen sind die Belastung und der Schutz von
Angehörigen und Dritten zu berücksichtigen (Art. 426 Abs. 2 ZGB). Die
betroffene Person wird entlassen, sobald die Voraussetzungen für die
Unterbringung nicht mehr erfüllt sind (Art. 426 Abs. 3 ZGB). Bei psychischen
Störungen ist ein Gutachten einer sachverständigen Person einzuholen (Art. 450e
Abs. 3 ZGB; zum Inhalt des Gutachtens: BGE 140 III 105 E. 2.4).

2.2. Gemäss dem psychiatrischen Gutachten vom 30. April 2015 leidet die
Beschwerdeführerin an einer paranoiden Schizophrenie mit stabilem Residuum und
in körperlicher Hinsicht an einem Diabetes mellitus des Typs 2 und einem damit
einhergehenden Ulkus am linken Fuss. Das Obergericht hat sich mit dem Einwand
der Beschwerdeführerin befasst, wonach sie keine schwerwiegenden kognitiven
Defizite und Verhaltensauffälligkeiten im Sinne einer psychischen Störung
aufweise. Es führt dies jedoch auf die anhaltende Medikation und Behandlung
zurück und hält dafür, es bestehe daher kein Grund an der Glaubwürdigkeit des
Gutachtens zu zweifeln. Die Beschwerdeführerin zeigt nicht rechtsgenügend auf,
inwiefern diese Würdigung willkürlich sein soll. Darauf ist nicht einzutreten.
Nach dem Gesagten ist nicht von Belang, dass die Beschwerdeführerin in der Lage
ist, selbstständig Beschwerde zu führen. Ein Schwächezustand im Sinn von Art.
426 Abs. 1 ZGB liegt vor.

2.3. Mit Bezug auf die Notwendigkeit der Behandlung und Betreuung führt das
Obergericht gestützt auf das Gutachten aus, die Beschwerdeführerin sei nicht in
der Lage, Informationen über gesundheitliche Empfehlungen und Risiken
vernünftig abzuwägen und deren Vor- und Nachteile zu erkennen. Es ergäben sich
Hinweise auf schwerwiegende Defizite bei der Fähigkeit, eine Situation
angemessen zu beurteilen. So nehme die Beschwerdeführerin bei der Behandlung
des Ulkus am Fuss gravierende Risiken für ihre Gesundheit in Kauf. Selbst unter
Einnahme der neuroleptischen Medikamente sei sie der Meinung, die Wunde am Fuss
rühre von einer Glasscheibe her. Den Rat, den Fuss weniger zu belasten, um so
die Heilungschancen zu verbessern, könne sie nicht nachvollziehen. Die
Beschwerdeführerin sei kaum krankheits- noch behandlungseinsichtig. Durch eine
falsche Beurteilung der Lage und einen Abbruch der Behandlung der Diabetes und
den damit zusammenhängenden Erkrankungen könne es unmittelbar zu schweren
gesundheitlichen Komplikationen (Infektion, Amputation), mithin zu einer
Gefährdung der Gesundheit kommen. Damit hat das Obergericht eine konkrete
Selbstgefahr angenommen und aufgrund dieser Gefahr zu Recht die Notwendigkeit
der Behandlung und Betreuung bejaht. Was die Beschwerdeführerin dagegen
vorträgt, erweist sich zum einen als appellatorische Kritik am Sachverhalt. Zum
andern geht sie nicht im Einzelnen auf die Erwägungen des obergerichtlichen
Urteils ein und sagt nicht rechtsgenügend, inwiefern die Vorinstanz damit
Bundesrecht verletzt haben soll. Darauf ist nicht weiter einzugehen.

2.4. Mit Bezug auf die Notwendigkeit einer  stationären Behandlung und
Betreuung führt das Obergericht aus, die Erfahrungen aus der Vergangenheit
lehrten, dass die Beschwerdeführerin ihre Medikamente immer wieder verweigere,
sodass diese unter Kontrolle abgegeben werden müssten. Wie bereits erwähnt, ist
die Beschwerdeführerin kaum krankheits- und behandlungseinsichtig. Es liegt
somit auf der Hand, dass sie früher oder später die ihr verschriebenen
Medikamente absetzt und die Behandlung ihres Ulkus einstellt, wenn sie sich
allein überlassen wird. Da überdies eine engmaschige Behandlung und Betreuung
erforderlich erscheint, kommt eine ambulante Betreuung und Behandlung bzw. eine
Betreuung durch die Spitex nicht infrage. Die Behandlung und Betreuung in einer
Einrichtung ist damit verhältnismässig.

2.5. Das Obergericht erachtet das Wohnheim als geeignete Einrichtung, da es
Menschen, welche aufgrund einer psychischen Störung auf Hilfe angewiesen seien,
ein betreutes Wohnen ermögliche. Zudem ist durch den angefochtenen Entscheid
erstellt, dass der Beschwerdeführerin im Wohnheim U.________ die nötige
Behandlung zuteil wird. Deckt die Einrichtung aber den notwendigen Betreuungs-
und Behandlungsbedarf ab, genügt sie den Anforderungen von Art. 426 Abs. 1 ZGB
(dazu Urteil 5A_500/2014 vom 8. Juli 2014 E. 4.1 mit Hinweis auf BGE 112 II 486
E. 4c S. 490; 114 II 213 E. 7 S. 218). Dass die Beschwerdeführerin dort auch
mit geistig behinderten Menschen zusammenleben muss, kann demnach nicht
entscheidend sein. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass das Obergericht die
KESB angewiesen hat, im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten dem Wunsch der
Beschwerdeführerin, wieder in die Nähe der Stadt zu ziehen, Rechnung zu tragen.

3. 
Damit ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Den
Umständen des konkreten Falles entsprechend werden keine Gerichtskosten erhoben
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Bern und dem Obergericht des Kantons Bern,
Zivilabteilung, Kindes- und Erwachsenenschutzgericht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. August 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Zbinden

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