Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.43/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_43/2015

Urteil vom 13. Oktober 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Marazzi, Herrmann, Schöbi, Bovey,
Gerichtsschreiber Traub.

Verfahrensbeteiligte
A.A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Läuffer,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas C. Huwyler,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Ehescheidung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer,
vom 26. November 2014.

Sachverhalt:

A.
A.A.________ (geb. 28. August 1953) und B.A.________ (10. November 1963)
heirateten im Jahr 1989 in U.________ (damalige DDR). Sie sind Eltern von
C.A.________ (1988) und D.A.________ (1991). Im Jahr 1999 nahm die Familie
A.________ Wohnsitz in der Schweiz; seither waren beide Ehegatten erwerbstätig.
Seit April 2011 lebten die Eheleute A.________ getrennt. Auf ihr gemeinsames
Scheidungsbegehren hin sprach das Bezirksgericht V.________ mit Urteil vom 19.
Mai 2014 die Scheidung der Ehe aus und setzte die Parteien güterrechtlich und
vorsorgerechtlich auseinander. Das Begehren der A.A.________ um
Unterhaltsbeiträge wies es ab.

B.
A.A.________ focht den bezirksgerichtlichen Entscheid mit kantonaler Berufung
an. Sie beantragte unter anderem, B.A.________ sei zu verpflichten, ihr ab
Rechtskraft des Scheidungsurteils bis 31. August 2017 (Eintritt ihres
AHV-Pensionsalters) einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 3'000.-- zu
bezahlen, vom 1. September 2017 bis zum Erreichen seines AHV-Pensionsalters
einen solchen von Fr. 5'000.-- und danach einen solchen von Fr. 2'000.--.
Das Obergericht des Kantons Aargau wies die Berufung ab (Urteil vom 26.
November 2014).

C.
Gegen dieses Urteil hat A.A.________ (Beschwerdeführerin) am 16. Januar 2015
Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie verlangt, in Abänderung des
vorinstanzlichen Urteils sei B.A.________ (Beschwerdegegner) zu verpflichten,
ihr von September 2017 bis November 2028 (Eintritt des AHV-Pensionsalters des
Beschwerdegegners) einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 3'000.- zu
bezahlen. Eventuell sei die Sache hinsichtlich des nachehelichen Unterhalts für
den bezeichneten Zeitraum zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.
Der Beschwerdegegner beantragt am 28. August 2015, die Beschwerde sei
abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Die Beschwerdeführerin hat
am 14. September 2015 repliziert, der Beschwerdegegner am 2. Oktober 2015
dupliziert. Die Vorinstanz verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen den Endentscheid (Art. 90 BGG) einer
letzten kantonalen Instanz (Art. 75 Abs. 1 BGG), der eine Zivilsache im Sinne
von Art. 72 Abs. 1 BGG zum Gegenstand hat. Der gesetzliche Mindeststreitwert
(Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) ist erreicht. Auf die rechtzeitig (Art. 100 Abs. 1
BGG) eingereichte Beschwerde ist demnach grundsätzlich einzutreten.

1.2. Das Bundesgericht prüft behauptete Rechtsverletzungen an sich frei (Art.
95 f. und 42 Abs. 2 BGG). Es hält sich allerdings zurück, sofern das Gesetz das
Sachgericht auf sein Ermessen verweist (Art. 4 ZGB). Dies trifft jedenfalls
dann zu, wenn es um die Festsetzung der  Höhe des Unterhalts geht (BGE 127 III
136 E. 3a S. 141). Doch überbinden Art. 125 Abs. 1 und 2 ZGB den Gerichten auch
für die Beurteilung, ob eine Unterhaltsverpflichtung  grundsätzlich bestehen
soll, ein weites Tatbestandsermessen. So kommt den Vorinstanzen im Zusammenhang
mit der Frage der Lebensprägung (vgl. unten E. 3.1) insbesondere dort ein
erheblicher Beurteilungsspielraum zu, wo auf die konkreten Verhältnisse des
Einzelfalles abzustellen ist (Urteil 5A_701/2007 vom 10. April 2008 E. 4). Auch
hier greift das Bundesgericht nur ein, wenn die kantonale Instanz von dem
Ermessen falschen Gebrauch gemacht hat. Das ist namentlich dann der Fall, wenn
sie grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen
ist, wenn sie Gesichtspunkte berücksichtigt hat, die keine Rolle hätten spielen
dürfen, oder wenn sie rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen hat.
Aufzuheben und zu korrigieren sind ausserdem Ermessensentscheide, die sich als
im Ergebnis offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen
(BGE 132 III 97 E. 1 S. 99 mit Hinweisen).

2.

2.1. Die Vorinstanz beurteilte den Unterhaltsanspruch der Beschwerdeführerin
nach Art. 125 ZGB zunächst für die Zeit, in welcher sie noch erwerbstätig sein
wird. Diesbezüglich stellte das Obergericht fest, der gebührende Unterhalt der
Klägerin belaufe sich auf Fr. 7'611.50, soweit er aus dem bis zur Aufhebung des
gemeinsamen Haushalts gelebten Standard abgeleitet werde (E. 3.4 des
angefochtenen Urteils), respektive auf Fr. 7'968.90, wenn man die sog.
einstufig-konkrete Methode anwende. Mit ihrem Einkommen von (mindestens) Fr.
8'600.-- verfüge die Klägerin in jedem Fall über eine
Eigenversorgungskapazität, welche den gewohnten Lebensstandard gewährleiste.
Insoweit stehe ihr kein Unterhaltsanspruch zu (E. 3.5).

2.2.

2.2.1. Vor Bundesgericht beansprucht die Beschwerdeführerin für die Zeit vor
ihrer ordentlichen Pensionierung, das heisst bis August 2017, sowie für die
Zeit nach Eintritt des AHV-Pensionsalters des Beschwerdegegners, somit ab
Dezember 2028, keinen nachehelichen Unterhalt mehr. Hingegen verlangt sie für
den dazwischen liegenden Zeitraum (September 2017 bis November 2028) von ihrem
geschiedenen Ehemann eine Unterhaltsrente von monatlich Fr. 3'000.--.

2.2.2. Hinsichtlich dieser Periode erwog die Vorinstanz, die Klägerin sei seit
1999 wieder erwerbstätig gewesen, habe sich also eine genügende Altersvorsorge
aufbauen können. Ausserdem bestehe kein zeitlich unbeschränkter Anspruch auf
Weiterführung des in der Ehe befolgten Lebensstandards. Diesen hätte die
Klägerin auch bei fortgesetzter Ehe nicht uneingeschränkt weiterverfolgen
können (E. 3.7). Ergänzend verweist die Vorinstanz auf das erstinstanzliche
Urteil (E. 3.4.2 S. 18 ff.), worin sich das Bezirksgericht einlässlich mit dem
Unterhaltsanspruch für die Zeit ab vollendetem 64. Altersjahr der
Beschwerdeführerin befasst hat. Das Bezirksgericht schloss einen ehebedingten
Nachteil in der Altersvorsorge aus. Zudem könne die Unterhaltspflicht nicht
mehr aufleben, nachdem die Ansprecherin während sechs Jahren für ihren
Unterhalt vollständig selber aufkommen konnte und in dieser Zeit folglich kein
Vertrauensschutz zum Tragen gekommen sei.

2.2.3. Dem hält die Beschwerdeführerin entgegen, das angefochtene Urteil
erweise sich als in stossender Weise ungerecht. Nach 22 Jahren ehelichen
Zusammenlebens sei "ihr Vertrauen aufgrund der nachhaltig gelebten und insofern
auch für die Zukunft irreversiblen Versorgungsgemeinschaft in der Ehe zu
schützen". Das Obergericht habe ausser Acht gelassen, dass sie zehn Jahre älter
sei als der Beschwerdegegner und als Frau zudem ein Jahr früher pensioniert
werde als dieser. Unter dem Aspekt der Eigenversorgungskapazität fehlten ihr
aufgrund der erst 1999 erfolgten Übersiedlung in die Schweiz bedeutend mehr
AHV- und BVG-Beitragsjahre, als es beim Beschwerdegegner anlässlich dessen
Pensionierung der Fall sein werde. Dieser habe bedeutend mehr Zeit, um sein
Vorsorgeguthaben zu äufnen, und könne sich so höhere Rentenanwartschaften
erarbeiten. Ihr hingegen sei es in den 18 Jahren zwischen Wiederaufnahme der
Erwerbstätigkeit (1999) und Pensionierung nicht möglich, eine ausreichende
Altersvorsorge aufzubauen. Sie werde auch unter Berücksichtigung der mit dem
Ruhestand verbundenen tieferen Lebenshaltungskosten nicht in der Lage sein, mit
den Renten aus Erster und Zweiter Säule, welche zusammen Fr. 3'000.--
ausmachten, den zuletzt gelebten Lebensstandard zu finanzieren. Der gebührende
Unterhalt werde nach ihrer Pensionierung von Fr. 7'968.90 auf Fr. 6'139.--
sinken. Die dereinst resultierende Unterdeckung von Fr. 3'139.-- mache sie im
Umfang von Fr. 3'000.-- als Unterhaltsbeitrag geltend. Der Beschwerdegegner
werde mit einem Einkommen von Fr. 12'500.-- bis zu seiner Pensionierung im
Dezember 2028 wirtschaftlich leistungsfähig genug sein, um diese
Unterhaltsrente bezahlen zu können.
Der geschiedene Ehemann betont in seiner Beschwerdeantwort, die
Beschwerdeführerin gehe nach wie vor einer Erwerbstätigkeit nach, obwohl sie im
Scheidungsverfahren eine Frühpensionierung geltend gemacht habe. Somit sei sie
in der Lage, die Altersvorsorge aus ihrem Einkommen weiter aufzubauen. Für den
gebührenden Unterhalt, der nach Erreichen des Rentenalters ohnehin angemessen
zu reduzieren sei, könne sie daher weiterhin selber aufkommen. Die frühere Ehe
garantiere keine Aufrechterhaltung des einmal gelebten Standards auf
unbeschränkte Zeit.

3.
Strittig ist, ob das mit dem Erreichen des ordentlichen Pensionierungsalters ab
September 2017 tiefere Einkommen der Beschwerdeführerin durch
Unterhaltsbeiträge des voraussichtlich bis November 2028 erwerbstätigen
Beschwerdegegners soweit auszugleichen ist, dass die Beschwerdeführerin in
diesem Zeitraum ihrerseits über ein Einkommen verfügt, welches dem dannzumal
mutmasslich geübten ehelichen Lebensstandard entspricht.

3.1. Hat die Ehe, wie hier, bis zur Beendigung des Zusammenlebens (BGE 132 III
598 E. 9.2 S. 600) mehr als zehn Jahre gedauert oder sind aus ihr Kinder
hervorgegangen und erscheint deshalb das Vertrauen des Ansprechers auf
Fortführung der ehelichen Lebensverhältnisse als schutzwürdig, ist, soweit
nicht im Einzelfall widerlegt (Urteil 5A_275/2009 vom 25. November 2009 E. 2.1
und 2.2), eine Lebensprägung zu vermuten.
Bei einer lebensprägenden Ehe ist der Unterhaltsanspruch in drei Schritten zu
prüfen: Vorab ist der gebührende Unterhalt zu bestimmen, wofür die massgebenden
Lebensverhältnisse der Parteien festzustellen sind. Der gebührende Unterhalt
bemisst sich an dem in der Ehe zuletzt gemeinsam gelebten Standard. Auf dessen
Fortführung haben bei genügenden Mitteln beide Teile Anspruch; gleichzeitig
bildet der betreffende Standard aber auch die Obergrenze des gebührenden
Unterhalts. Verunmöglichen scheidungsbedingte Mehrkosten es, den früheren
Lebensstandard aufrechtzuerhalten, so hat der Unterhaltsgläubiger Anrecht auf
die gleiche Lebenshaltung wie der Unterhaltsschuldner. Sodann ist zu prüfen,
inwiefern die Ehegatten diesen Unterhalt je selber finanzieren können. Der
Vorrang der Eigenversorgung ergibt sich direkt aus dem Wortlaut von Art. 125
Abs. 1 ZGB. Ist sie einem Ehegatten vorübergehend oder dauerhaft nicht möglich
bzw. zumutbar, so dass er auf Unterhaltsleistungen des anderen angewiesen ist,
muss in einem dritten Schritt dessen Leistungsfähigkeit ermittelt und ein
angemessener Unterhaltsbeitrag festgesetzt werden; dieser beruht auf dem
Prinzip der nachehelichen Solidarität (BGE 137 III 102 E. 4.2 S. 106; 135 III
158 E. 4.3 S. 160; 134 III 145 E. 4 S. 146). Dagegen wird bei der Auflösung
einer nicht lebensprägenden Ehe prinzipiell an den vorehelichen Verhältnissen
angeknüpft, das heisst die Ehegatten sind so zu stellen, wie wenn die Ehe nie
geschlossen worden wäre (BGE 135 III 59 E. 4.1 S. 61; Urteil 5A_95/2012 vom 28.
März 2012 E. 3.1).

3.2.

3.2.1. Art. 125 ZGB sieht keine Befristung des nachehelichen Unterhalts vor.
Meist wird der Rentenanspruch indessen bis zum Eintritt des AHV-Alters des
Unterhalts  pflichtigen zugesprochen (zur Aufteilung des nachehelichen
Unterhalts in Phasen entsprechend der absehbaren Entwicklung: Urteil 5A_671/
2013 vom 29. Juli 2014 E. 6.3.2). Sobald der Leistungspflichtige das
Rentenalter erreicht, verringern sich die verfügbaren Mittel häufig. Damit
sinkt auch der gebührende Unterhalt, weil der während der Aktivitätsphase
gepflegte Lebensstandard auch bei weitergeführter Ehe nicht uneingeschränkt
fortgesetzt werden könnte (Urteile 5A_16/2014 vom 20. Juni 2014 E. 3.4, 5A_495/
2013 vom 17. Dezember 2013 E. 5.2 und 5A_435/2011 vom 14. November 2011 E. 7.2;
vgl. BGE 132 III 593 E. 7.2 S. 596). Anderseits verändert sich die
Eigenversorgungskapazität des Unterhaltsgläubigers, wenn dieser pensioniert
wird, je nach dem Verhältnis, in welchem die Rentenleistungen aus Erster und
Zweiter Säule zu einem vormaligen Erwerbseinkommen stehen. Nach beider
Pensionierung verfügen die Ehegatten im Regelfall über ungefähr die gleichen
Rentenleistungen: Bei der AHV gelten die Beitragsjahre des Unterhaltsschuldners
auch für den Unterhaltsgläubiger (vgl. Art. 29ter Abs. 2 lit. b AHVG); bei der
beruflichen Vorsorge werden die während der Ehe angesparten Altersguthaben
anlässlich der Scheidung hälftig geteilt (Art. 122 ff. ZGB), anschliessend
greift gegebenenfalls der sogenannte Vorsorgeunterhalt (vgl. Art. 125 Abs. 1
ZGB).
Erreicht der unterhaltsansprechende Ehegatte - wie hier - das Rentenalter
zuerst, hat er über diesen Zeitpunkt hinaus grundsätzlich Anspruch darauf, den
während der häuslichen Gemeinschaft gelebten Standard weiterführen oder
zumindest auf gleichem Niveau leben zu können wie der noch erwerbstätige
Ehegatte (Urteil 5A_474/2013 vom 10. Dezember 2013 E. 5.2; vgl. auch Urteil
5A_249/2007 vom 12. März 2008 E. 8.1). Dabei spielt es keine Rolle, ob in der
Einkommenssituation des pensionierten Ehegatten ein ehebedingter Nachteil zum
Ausdruck kommt oder nicht. Soweit die Beschwerdeführerin nach ihrem Eintritt
ins Rentenalter für den gebührenden Unterhalt nicht mehr selber aufkommen kann,
hat der Beschwerdegegner ihr somit bis zu seiner eigenen Pensionierung (nach
Massgabe des allenfalls bereits teilweise herabzusetzenden Lebensstandards)
grundsätzlich Unterhaltsbeiträge zu bezahlen (vgl. Urteil 5A_120/2008 vom 25.
März 2008 E. 2.4; Thomas Geiser, Aufbau einer angemessenen Altersvorsorge und
Dauer des nachehelichen Unterhalts, in: FamPra 2012 S. 367).

3.2.2. Die gegenteilige vorinstanzliche Rechtsauffassung (vgl. oben E. 2.2.2)
verbietet sich zunächst mit Blick auf das Vertrauen der Beschwerdeführerin in
den Weiterbestand der Vorsorgegemeinschaft mit dem um zehn Jahre jüngeren
Beschwerdegegner. Beide Eheleute waren nach ihrer Einwanderung in die Schweiz
1999 erwerbstätig; sie haben sich gleichzeitig den hiesigen
Sozialversicherungen angeschlossen und mit dem Aufbau von Vorsorgeguthaben
begonnen. Ende 2013 verfügte die Beschwerdeführerin über ein beträchtlich
höheres Freizügigkeitsguthaben als der Beschwerdegegner. Weil sie bei der
Scheidung noch als frühpensioniert betrachtet wurde, wurden die
Austrittsleistungen nicht nach Art. 122 ZGB geteilt. Dem Ehemann wurde
stattdessen eine Entschädigung nach Art. 124 ZGB zugesprochen, und dies, obwohl
er eine erheblich längere Aktivitätszeit vor sich hatte als die geschiedene
Ehefrau (E. 5.3 des bezirksgerichtlichen Urteils vom 19. Mai 2014). Freilich
ist es nicht Aufgabe des Unterhaltsrechts, einen allenfalls mangelhaften
Vorsorgeausgleich zu kompensieren (vgl. immerhin aber Art. 125 Abs. 2 Ziff. 8
ZGB). Der Altersunterschied der Parteien hat jedoch unter dem Gesichtspunkt der
Frage, ob der Beschwerdeführerin eine Aufrechterhaltung des bisherigen
Lebensstandards zusteht, eine ähnliche Bedeutung wie eine vorbestehende
Erkrankung oder Behinderung eines Ehepartners (vgl. Art. 125 Abs. 2 Ziff. 4
ZGB); solche Umstände können ein spezifisches Beistandsvertrauen schaffen, weil
die Partner mit dem Eheschluss das betreffende Schicksal implizit zum
gemeinsamen gemacht haben (Urteile 5A_767/2011 vom 1. Juni 2012 E. 7.3 und
5A_856/2011 vom 24. Februar 2012 E. 2.3).
Das Bundesgericht hat denn auch in einem Fall, wo die unterhaltsberechtigte
Frau 61 und der Mann 55 Jahre alt war, davon abgesehen, die Alimente bis zum
AHV-Alter der Frau zu befristen. Es begründete dies zwar damit, die Frau
verfüge über keine Vorsorge der 2. Säule und habe sich mit ihren Alimenten auch
keine genügende berufliche Vorsorge aufbauen können (erwähntes Urteil 5A_249/
2007 E. 8.3). Daraus kann indessen nicht abgeleitet werden, die Rechtsprechung
schliesse eine Befristung des Unterhaltsanspruchs auf den Zeitpunkt der
Pensionierung der rentenansprechenden Person nur dann aus, wenn diese über 
keine berufliche Vorsorge verfügt. Vielmehr bleibt es dabei, dass die
Unterhaltspflicht grundsätzlich andauert, bis der Leistungspflichtige das
Rentenalter erreicht, und ein (relevantes) Manko in der Eigenversorgung der
unterhaltsansprechenden Partei bis zum  gebührenden Unterhalt auszugleichen ist
(vgl. oben E. 3.2.1 und dort zitierte Judikatur).

3.2.3. Die Vorinstanzen sind sinngemäss davon ausgegangen, angesichts der seit
Auflösung der ehelichen Gemeinschaft im Jahr 2011 unbestrittenermassen
bestehenden Eigenversorgungskapazität der Beschwerdeführerin werde die
Lebensprägung bis zur Pensionierung 2017 soweit an Bedeutung verloren haben -
und der spezifische Vertrauenszusammenhang soweit gelockert sein -, dass sich
danach kein Unterhaltsanspruch mehr rechtfertige. Dieser Schlussfolgerung ist
auch nicht unter dem Aspekt beizupflichten, dass die Beschwerdeführerin nach
Beendigung des ehelichen Zusammenlebens tatsächlich während rund sechs Jahren
für ihren gebührenden Unterhalt selber vollständig aufkommen konnte und kann
(oben E. 2.1 und 2.2). Ein solcher Umstand genügte zum einen nicht, um ihr für
die Zeit nach der Pensionierung eine Aufstockung auf den gebührenden Unterhalt
zu versagen (Urteil 5A_214/2009 vom 27. Juli 2009 E. 3.1 und 3.3). Ebensowenig
darf zum andern aus diesem Grund eine, wie hier, erst mit dem Eintritt ins
Rentenalter  manifest werdende Unterhaltspflicht abgelehnt werden (vgl. BGE 132
III 598 E. 9.3 S. 601). Nach dem in E. 3.2.1 Gesagten ist der nacheheliche
Unterhalt grundsätzlich unbefristet geschuldet; auch ein zunächst nur latenter
Anspruch endet in der Regel erst mit dem Erreichen des AHV-Alters des
Unterhaltspflichtigen. Das bedeutet, dass die im Zeitpunkt der Beendigung des
Zusammenlebens gegebene Lebensprägung durch die Ehe allenfalls auch erst Jahre
später zum Tragen kommen kann. Der zu schützende Erwartungshorizont der
Beschwerdeführerin bestimmt sich gerade durch ihr Vertrauen in eine
Unterhaltssicherung  nach ihrer Pensionierung. Die bis dahin greifende
Eigenversorgung hemmt somit die Unterhaltspflicht des Beschwerdegegners,
unterbricht sie aber keineswegs in dem Sinne, dass sie bei der Ablösung des
Erwerbseinkommens durch ein erheblich tieferes, den gebührenden Unterhalt nicht
mehr deckendes Renteneinkommen nicht mehr aufleben könnte.

4.
Der Entscheid des Obergerichts, gemäss welchem die Beschwerdeführerin auch für
den letztinstanzlich strittigen Anspruchszeitraum keine Unterhaltsbeiträge
geltend machen kann, bewegt sich nach dem Gesagten ausserhalb des
sachgerichtlichen Ermessensspielraums (vgl. oben E. 1.2); er verletzt Art. 125
ZGB. Wie es sich mit dem Unterhalt konkret verhält, ist offen, da die
Berechnungsparameter (z.B. voraussichtliche Höhe der AHV-Altersrente der
Beschwerdeführerin nach Massgabe des durchschnittlichen Jahreseinkommens gemäss
Art. 29quater ff. AHVG; erwähntes Urteil 5A_474/2013 E. 5.1; vgl. auch BGE 141
III 193) aus Sicht der Vorinstanz nicht rechtserheblich gewesen sind. Die Sache
ist zur Abklärung der offenen Punkte und zur Bemessung des Unterhaltsbeitrags
an das Obergericht zurückzuweisen.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdegegner kostenpflichtig
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Über die Kosten und
Entschädigungen des kantonalen Verfahrens wird das Obergericht neu zu befinden
haben (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau vom 26. November 2014 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer
Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3. 
Der Beschwerdegegner hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'500.-- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Oktober 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Traub

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